• Ludwig Tieck to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Jena · Date: [November 1798]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Ludwig Tieck
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Jena
  • Date: [November 1798]
  • Notations: Datum erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 32‒34.
  • Incipit: „[1] [Berlin, November 1798]
    Liebster Freund!
    Ich habe Ihnen recht lange nicht geschrieben und kann auch heute nichts weiter sagen, als daß ich [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-36934
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.28,Nr.61
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,3 x 11,7 cm
[1] [Berlin, November 1798]
Liebster Freund!
Ich habe Ihnen recht lange nicht geschrieben und kann auch heute nichts weiter sagen, als daß ich um Verzeihung bitte, denn mir ist nicht wohl. Um es nicht zu vergessen, so empfehlen Sie mich doch ja Ihrer Frau, ich erinnere mich noch Ihres Spottes, als Sie hier waren, recht gut, daß ich nie einen Gruß bestellen ließ, wenn Sie schrieben.
Kommen Sie denn im Frühjahr noch zu uns? Ich hoffe recht sehr darauf, nur müssen Sie eben nicht wieder so unstät und flüchtig sein. Welche Stücke Shakspeares werden Sie uns im nächsten Bande geben? Ich bin jezt recht mit der Anzeige Ihrer Uebersetzung beschäftigt und bin in allen kritischen Sachen, die ich schreibe, immer noch so verlegen und ängstlich, das Dichten ist viel leichter. Ich wünschte bei Gelegenheit Ihr Urtheil über den Sternbald zu hören. Wären Sie wohl von der Gefälligkeit, ein Exemplar, das ich Ihnen schicken will, an Göthe zu besorgen, ich weiß selbst nicht, warum ich es ihm nicht geradezu schicken mag. Bötticher hat sich die beiden Theile von Unger geben lassen, er wird es vielleicht so in seiner Manier im Merkur anzeigen, den er schon seit lange zum Gott aller schiefen und gezierten Complimente, statt der Wohlredenheit gemacht hat; angehende Rezensenten (besonders in den Erfurter Blättern) so wie gut geartete Candidaten können [2] diesen Merkur ohne Bedenken statt eines Complimentierbuchs gebrauchen und fördern, und besonders gefällt es mir, daß B[ötticher] immer in kleinen gedruckten Noten unter dem Text seine Verbeugungen anbringt, die Submission ist so um vieles anschaulicher.
Mich dünkt, ich habe Ihnen schon einmahl gesagt, daß Frommann meine Volksmärchen unter einem andern Titel fortsezt. In manchen Stunden verliehre ich den Muth zu allen meinen Schreibereien. – Danken Sie doch Schillern, wenn Sie ihn sehn, für den Musenalmanach, ich schreibe ihm wohl nächstens ein Paar Zeilen und schicke dabei Ihrer Kritik ein Gedicht von mir, ich habe einige, die ich für den nächsten Almanach bestimmt habe, wenn Schiller sie nehmen will. In dem neuen Frühling von diesem Jahr ist ein kläglicher Druckfehler, es steht nehmlich in einem Verse statt: Plözlich kam er, kläglich kam er.
Einen Theil des Dialogs, den Sie für das nächste Athenäum bestimmt haben, habe ich von Ihrem Bruder lesen hören. Die Sonnette, noch mehr die Legende von Lukas, haben mich entzückt, eben so die Lebens Melodien, und Campaspe, welches leztere einige Leser für kalt finden wollen, was aber gar nicht meine Meinung ist, das Gedicht ist gewissermaßen ein Anhang, oder ein Beispiel zu jenen Mahlergedichten, es ist durchaus mahlerisch gehalten und die Geschichte [3] ist völlig Nebensache, dabei ist es so schön harmonisch, daß ein Mahler die Hauptfigur ist, der Gegenstand des Gedichtes, eine Schöne die gemahlt werden soll: andre haben Alexanders Großmuth herausgehoben, Sie haben den Gegenstand weit zarter, geistiger und künstlerischer behandelt: der Inhalt besteht aus 3 Gemählden, alles übrige ist nur angeworfen, dies Gedicht ist für mich ein Beispiel, wie sich Mahler und Poet begegnen können. In den Lebens Melodien möchteʼ ich über das Metrum mit Ihnen zanken, Sie haben nach meinem Gehör den Adler zu sehr drinn gemahlt, warum haben Sie ihn nicht in Daktylen singen lassen, man würde dann die korrespondierenden Reime mehr heraushören. Die Idee ist göttlich und als Allegorie so vollendet und ächt poetisch hindurchgeführt: das ist es, was ich so gern im Sternbald an manchen Stellen gesagt hätte! – Schiller hat mir im Almanach fast durchaus mißfallen. Von seinem Wallenstein versprechʼ ich mir nach diesem Prologe sehr wenig: auch seine Verse als Verse bekommen einen unglücklichen Ton, er will wie Göthe klingen, und es geräth ihm kaum wie dem Hans Sachs, er ist statt unprächtig gemein und roh: es ist eine entkräftete Poesie, die sich in jedem Momente selber anklagt, er sollte es dünkt mich, gänzlich vermeiden, daß man bei seinen Sachen an Göthe dächte. – Zelter hat angefangen, Ihre Lebens Melodien zu komponiren, aber wenn ich nach mei[4]nem Gefühl urtheilen soll, so ist nicht viel Melodie und wohl noch weniger Leben darinn, er hat Gefühl wie etwas sein müste, aber er versteht es doch nicht, den Tönen die Zunge zu lösen.
Woltmann ist hier, wie Sie wissen werden; ich habe ihn einigemahl gesehn und etwas gehört. Ihm ist auch die Zunge nicht gut gelöst, innerlich und äußerlich. Wicherley oder Brome hat ein Stück geschrieben: She would, if she could – an diesen Titel denk ich immer, wenn ich ihn seh oder höre.
Ich wünsche Ihnen recht wohl zu leben, frölich Ihre Collegia vorzutragen, die ich wohl besuchen möchte, und mich nicht ganz zu vergessen. Wenn Sie ihn sehn, grüßen Sie doch Schelling, mich hat es sehr gefreut, daß er sich für mich interessiert. Adieu.
L. Tieck.
Wenn Sie so viel Zeit übrig haben, so schreiben Sie mir doch einmahl wieder einige Worte.
[1] [Berlin, November 1798]
Liebster Freund!
Ich habe Ihnen recht lange nicht geschrieben und kann auch heute nichts weiter sagen, als daß ich um Verzeihung bitte, denn mir ist nicht wohl. Um es nicht zu vergessen, so empfehlen Sie mich doch ja Ihrer Frau, ich erinnere mich noch Ihres Spottes, als Sie hier waren, recht gut, daß ich nie einen Gruß bestellen ließ, wenn Sie schrieben.
Kommen Sie denn im Frühjahr noch zu uns? Ich hoffe recht sehr darauf, nur müssen Sie eben nicht wieder so unstät und flüchtig sein. Welche Stücke Shakspeares werden Sie uns im nächsten Bande geben? Ich bin jezt recht mit der Anzeige Ihrer Uebersetzung beschäftigt und bin in allen kritischen Sachen, die ich schreibe, immer noch so verlegen und ängstlich, das Dichten ist viel leichter. Ich wünschte bei Gelegenheit Ihr Urtheil über den Sternbald zu hören. Wären Sie wohl von der Gefälligkeit, ein Exemplar, das ich Ihnen schicken will, an Göthe zu besorgen, ich weiß selbst nicht, warum ich es ihm nicht geradezu schicken mag. Bötticher hat sich die beiden Theile von Unger geben lassen, er wird es vielleicht so in seiner Manier im Merkur anzeigen, den er schon seit lange zum Gott aller schiefen und gezierten Complimente, statt der Wohlredenheit gemacht hat; angehende Rezensenten (besonders in den Erfurter Blättern) so wie gut geartete Candidaten können [2] diesen Merkur ohne Bedenken statt eines Complimentierbuchs gebrauchen und fördern, und besonders gefällt es mir, daß B[ötticher] immer in kleinen gedruckten Noten unter dem Text seine Verbeugungen anbringt, die Submission ist so um vieles anschaulicher.
Mich dünkt, ich habe Ihnen schon einmahl gesagt, daß Frommann meine Volksmärchen unter einem andern Titel fortsezt. In manchen Stunden verliehre ich den Muth zu allen meinen Schreibereien. – Danken Sie doch Schillern, wenn Sie ihn sehn, für den Musenalmanach, ich schreibe ihm wohl nächstens ein Paar Zeilen und schicke dabei Ihrer Kritik ein Gedicht von mir, ich habe einige, die ich für den nächsten Almanach bestimmt habe, wenn Schiller sie nehmen will. In dem neuen Frühling von diesem Jahr ist ein kläglicher Druckfehler, es steht nehmlich in einem Verse statt: Plözlich kam er, kläglich kam er.
Einen Theil des Dialogs, den Sie für das nächste Athenäum bestimmt haben, habe ich von Ihrem Bruder lesen hören. Die Sonnette, noch mehr die Legende von Lukas, haben mich entzückt, eben so die Lebens Melodien, und Campaspe, welches leztere einige Leser für kalt finden wollen, was aber gar nicht meine Meinung ist, das Gedicht ist gewissermaßen ein Anhang, oder ein Beispiel zu jenen Mahlergedichten, es ist durchaus mahlerisch gehalten und die Geschichte [3] ist völlig Nebensache, dabei ist es so schön harmonisch, daß ein Mahler die Hauptfigur ist, der Gegenstand des Gedichtes, eine Schöne die gemahlt werden soll: andre haben Alexanders Großmuth herausgehoben, Sie haben den Gegenstand weit zarter, geistiger und künstlerischer behandelt: der Inhalt besteht aus 3 Gemählden, alles übrige ist nur angeworfen, dies Gedicht ist für mich ein Beispiel, wie sich Mahler und Poet begegnen können. In den Lebens Melodien möchteʼ ich über das Metrum mit Ihnen zanken, Sie haben nach meinem Gehör den Adler zu sehr drinn gemahlt, warum haben Sie ihn nicht in Daktylen singen lassen, man würde dann die korrespondierenden Reime mehr heraushören. Die Idee ist göttlich und als Allegorie so vollendet und ächt poetisch hindurchgeführt: das ist es, was ich so gern im Sternbald an manchen Stellen gesagt hätte! – Schiller hat mir im Almanach fast durchaus mißfallen. Von seinem Wallenstein versprechʼ ich mir nach diesem Prologe sehr wenig: auch seine Verse als Verse bekommen einen unglücklichen Ton, er will wie Göthe klingen, und es geräth ihm kaum wie dem Hans Sachs, er ist statt unprächtig gemein und roh: es ist eine entkräftete Poesie, die sich in jedem Momente selber anklagt, er sollte es dünkt mich, gänzlich vermeiden, daß man bei seinen Sachen an Göthe dächte. – Zelter hat angefangen, Ihre Lebens Melodien zu komponiren, aber wenn ich nach mei[4]nem Gefühl urtheilen soll, so ist nicht viel Melodie und wohl noch weniger Leben darinn, er hat Gefühl wie etwas sein müste, aber er versteht es doch nicht, den Tönen die Zunge zu lösen.
Woltmann ist hier, wie Sie wissen werden; ich habe ihn einigemahl gesehn und etwas gehört. Ihm ist auch die Zunge nicht gut gelöst, innerlich und äußerlich. Wicherley oder Brome hat ein Stück geschrieben: She would, if she could – an diesen Titel denk ich immer, wenn ich ihn seh oder höre.
Ich wünsche Ihnen recht wohl zu leben, frölich Ihre Collegia vorzutragen, die ich wohl besuchen möchte, und mich nicht ganz zu vergessen. Wenn Sie ihn sehn, grüßen Sie doch Schelling, mich hat es sehr gefreut, daß er sich für mich interessiert. Adieu.
L. Tieck.
Wenn Sie so viel Zeit übrig haben, so schreiben Sie mir doch einmahl wieder einige Worte.
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