• August Wilhelm von Schlegel to Ludwig Tieck

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Ziebingen · Date: 13.03.1804
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Ludwig Tieck
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Ziebingen
  • Date: 13.03.1804
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 150‒152.
  • Incipit: „[1] Berlin, den 13. März 1804
    Verzeih, geliebter Freund, daß ich mit der Antwort so lange im Rückstande geblieben bin, ich bin [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-37187
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XX,Bd.7,Nr.66(93)
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 23,2 x 18,8 cm
[1] Berlin, den 13. März 1804
Verzeih, geliebter Freund, daß ich mit der Antwort so lange im Rückstande geblieben bin, ich bin sehr mit Arbeiten geplagt, und habe außerdem noch vielerley Störungen. Das Geschenk an die Schwester habe ich gehörig besorgt, sie läßt Malchen herzlich dafür danken, es hat ihr eine große Freude gemacht. Ihr müßt sie entschuldigen, daß sie euch nicht schriftlich selbst ihren Dank gesagt hat, das Schreiben wird ihr bey ihrem jetzigen Befinden schwer. Die letzten drey Wochen ist es gar nicht so gewesen, wie ich gewünscht hätte. Wenige Tage vor ihrem Geburtstage hatte sie einen schlimmen Krampfzufall, wir bemühten uns um so mehr, ihr auch etwas hübsches zu schenken, und diesen Tag heiter zu feyern. – Hufeland, mit dem ich neulich am dritten Orte über ihren Zustand sprach, giebt alle gute Hoffnung, er rechnet besonders auf den Frühling, auf ihre Reise, und die mit verändertem Aufenthalt und Verhältnissen verbundene Beruhigung und Aufheiterung. Er bediente sich noch gegen mich des Ausdrucks, sie müsse sich nothwendig herausreißen. – Wenn du kommst, und die Aufwallung der Freude sie etwa wohler aussehen macht, so bittet sie dich, dir ja darüber nichts merken zu lassen, weil B[ernhardi] die Wichtigkeit ihrer Übel niemals eingestehen will.
Die Materie von den Niebelungen ist zu weitläuftig um darüber zu schreiben, ich verspare alles auf das mündliche. Mit Johannes Müller, der seit einigen Wochen hier ist und nun auch hier bleibt, da ihn der König in Dienste genommen, habe ich ein ausführliches Gespräch darüber gehabt, und verschiedenes, was ich noch nicht wußte, über manche historische Punkte erfahren.
[2] Wenn du nicht bald kommst, so schick mir noch vorher das Verzeichniß der zu unsern nordischen Studien nothwendigen Bücher, ich wollte es dem Grafen Baudissin gerne noch vor meiner Abreise von hier einhändigen. Ich werde wohl auf die Messe nach Leipzig gehen, und nachher eine Zeitlang in Nennhausen zubringen. – Daß du das Buch der Liebe wieder mitbringst, darauf verlasse ich mich, mein Herz hängt daran.
Knorring läßt dich und Burgsdorff schönstens grüßen, und den letzteren bitten, die Commission wegen der Pferde nicht zu vergessen, da jetzt, wo ich nicht irre, der bewußte Pferdemarkt ist. Es liegt viel daran, er wird sich vielen Dank erwerben, wenn er die Sache sich will empfohlen seyn lassen.
Die dramatischen Fantasien deiner Schwester werden in diesen Tagen fertig gedruckt seyn, sobald ein gutes Exemplar zu haben ist, sollst du es bekommen. Ich werde das Vergnügen haben dir eine kleine Sammlung dramatischer Spiele von einem jungen Freunde, der sich Pellegrin genannt hat, als Herausgeber einzuhändigen. Das meinem Bruder bestimmte Exemplar von den Minneliedern solltest du hier jemand in Verwahrung geben, um eine Gelegenheit nach Paris zu benutzen, von Ziebingen aus wird sich schwerlich eine finden. Friedrich ist übel daran, wenn er die neuen Sachen so gar spät erhält.
Ich weiß nicht, was mir den Verdacht zugezogen haben kann, gegen dich erkaltet zu seyn, als daß ich in Äußerung meiner Urtheile über deine kritischen Arbeiten und Plane zurückhaltender geworden bin, weil dir meine offenherzigen Bemerkungen über die Minnelieder misfallen haben, [3] und du sie zurückgewiesen hast. Da du aber meine Meynung über die metrische Form der Niebelungen wissen willst, so will ich sie gern sagen. Der längere Vers am Schluß der 4ten Zeile scheint mir durchaus wesentlich. Mit der Assonanz, das finde ich problematisch. Hier und da sehe ich Spuren des ehemaligen vollkommnen Reims in der Mitte, an den meisten Stellen so wenig assonirendes, daß ich mir gar nicht denken kann, wie der alte Text sollte gewesen seyn. Und doch glaube ich Spuren zu sehen, daß er sehr geschont ist, und nur das nothwendigste verändert worden. Bedenke auch, daß in den Zeiten des Ur-Textes die weiblichen Endsylben noch nicht durch das durchgängige e gleichgemacht waren, sondern mit a, o, i, u wechselten und also die Beobachtungen der weiblichen Assonanz doppelt kräftig gewesen wäre. Überhaupt würde ich für die wenigst möglichen Veränderungen des Textes stimmen, so daß nur das undeutlich gewordene und störend Veraltete weggenommen würde. Doch jeder hat hiebey seine eigene Weise.
Den Codex von St. Gallen wird man zum Collationiren nicht habhaft werden können, die ganze Bibliothek ist versprengt, und steckt in einzelnen Kisten oder Verschlägen in Tyrol und da herum, wie mir Johannes Müller gesagt.
Wie kommst du auf Wolfram von Eschilbach als Bearbeiter des jetzigen Textes vom Heldenbuch, des gedruckten nämlich? dieses ist ja viel später. Wie du aus Adelungs Nachrichten sehen kannst, sind die wichtigsten Handschriften vom Heldenbuch in Rom.
[4] Doch ich muß abbrechen. Dein Bruder in Weimar ist wohl und sehr fleißig. – Mit dem 2ten Band Spanisches Theater bin ich leider immer noch in der Arbeit, das zweyte Stück ist immer noch nicht ganz fertig und das 3te nicht angefangen. Seit einigen Tagen ist meine Schwester mit den ihrigen aus Dresden hier.
Grüße Malchen schönstens, ihr Eifer für das Spanische freut mich sehr, meine hiesigen Schüler haben, Schierstädt ausgenommen, seit meinen im vorigen Winter gegebenen Stunden nicht viel darin gethan. Den Lazarillo de Tormes habe ich leider immer noch nicht habhaft werden können, wer weiß, ob er ihr so viel Vergnügen macht, denn ich bin von diesem Fache, des Bettlerischen und Lausigen nämlich, ein ganz besondrer Liebhaber.
Leb recht wohl.
Dein AWS.
[1] Berlin, den 13. März 1804
Verzeih, geliebter Freund, daß ich mit der Antwort so lange im Rückstande geblieben bin, ich bin sehr mit Arbeiten geplagt, und habe außerdem noch vielerley Störungen. Das Geschenk an die Schwester habe ich gehörig besorgt, sie läßt Malchen herzlich dafür danken, es hat ihr eine große Freude gemacht. Ihr müßt sie entschuldigen, daß sie euch nicht schriftlich selbst ihren Dank gesagt hat, das Schreiben wird ihr bey ihrem jetzigen Befinden schwer. Die letzten drey Wochen ist es gar nicht so gewesen, wie ich gewünscht hätte. Wenige Tage vor ihrem Geburtstage hatte sie einen schlimmen Krampfzufall, wir bemühten uns um so mehr, ihr auch etwas hübsches zu schenken, und diesen Tag heiter zu feyern. – Hufeland, mit dem ich neulich am dritten Orte über ihren Zustand sprach, giebt alle gute Hoffnung, er rechnet besonders auf den Frühling, auf ihre Reise, und die mit verändertem Aufenthalt und Verhältnissen verbundene Beruhigung und Aufheiterung. Er bediente sich noch gegen mich des Ausdrucks, sie müsse sich nothwendig herausreißen. – Wenn du kommst, und die Aufwallung der Freude sie etwa wohler aussehen macht, so bittet sie dich, dir ja darüber nichts merken zu lassen, weil B[ernhardi] die Wichtigkeit ihrer Übel niemals eingestehen will.
Die Materie von den Niebelungen ist zu weitläuftig um darüber zu schreiben, ich verspare alles auf das mündliche. Mit Johannes Müller, der seit einigen Wochen hier ist und nun auch hier bleibt, da ihn der König in Dienste genommen, habe ich ein ausführliches Gespräch darüber gehabt, und verschiedenes, was ich noch nicht wußte, über manche historische Punkte erfahren.
[2] Wenn du nicht bald kommst, so schick mir noch vorher das Verzeichniß der zu unsern nordischen Studien nothwendigen Bücher, ich wollte es dem Grafen Baudissin gerne noch vor meiner Abreise von hier einhändigen. Ich werde wohl auf die Messe nach Leipzig gehen, und nachher eine Zeitlang in Nennhausen zubringen. – Daß du das Buch der Liebe wieder mitbringst, darauf verlasse ich mich, mein Herz hängt daran.
Knorring läßt dich und Burgsdorff schönstens grüßen, und den letzteren bitten, die Commission wegen der Pferde nicht zu vergessen, da jetzt, wo ich nicht irre, der bewußte Pferdemarkt ist. Es liegt viel daran, er wird sich vielen Dank erwerben, wenn er die Sache sich will empfohlen seyn lassen.
Die dramatischen Fantasien deiner Schwester werden in diesen Tagen fertig gedruckt seyn, sobald ein gutes Exemplar zu haben ist, sollst du es bekommen. Ich werde das Vergnügen haben dir eine kleine Sammlung dramatischer Spiele von einem jungen Freunde, der sich Pellegrin genannt hat, als Herausgeber einzuhändigen. Das meinem Bruder bestimmte Exemplar von den Minneliedern solltest du hier jemand in Verwahrung geben, um eine Gelegenheit nach Paris zu benutzen, von Ziebingen aus wird sich schwerlich eine finden. Friedrich ist übel daran, wenn er die neuen Sachen so gar spät erhält.
Ich weiß nicht, was mir den Verdacht zugezogen haben kann, gegen dich erkaltet zu seyn, als daß ich in Äußerung meiner Urtheile über deine kritischen Arbeiten und Plane zurückhaltender geworden bin, weil dir meine offenherzigen Bemerkungen über die Minnelieder misfallen haben, [3] und du sie zurückgewiesen hast. Da du aber meine Meynung über die metrische Form der Niebelungen wissen willst, so will ich sie gern sagen. Der längere Vers am Schluß der 4ten Zeile scheint mir durchaus wesentlich. Mit der Assonanz, das finde ich problematisch. Hier und da sehe ich Spuren des ehemaligen vollkommnen Reims in der Mitte, an den meisten Stellen so wenig assonirendes, daß ich mir gar nicht denken kann, wie der alte Text sollte gewesen seyn. Und doch glaube ich Spuren zu sehen, daß er sehr geschont ist, und nur das nothwendigste verändert worden. Bedenke auch, daß in den Zeiten des Ur-Textes die weiblichen Endsylben noch nicht durch das durchgängige e gleichgemacht waren, sondern mit a, o, i, u wechselten und also die Beobachtungen der weiblichen Assonanz doppelt kräftig gewesen wäre. Überhaupt würde ich für die wenigst möglichen Veränderungen des Textes stimmen, so daß nur das undeutlich gewordene und störend Veraltete weggenommen würde. Doch jeder hat hiebey seine eigene Weise.
Den Codex von St. Gallen wird man zum Collationiren nicht habhaft werden können, die ganze Bibliothek ist versprengt, und steckt in einzelnen Kisten oder Verschlägen in Tyrol und da herum, wie mir Johannes Müller gesagt.
Wie kommst du auf Wolfram von Eschilbach als Bearbeiter des jetzigen Textes vom Heldenbuch, des gedruckten nämlich? dieses ist ja viel später. Wie du aus Adelungs Nachrichten sehen kannst, sind die wichtigsten Handschriften vom Heldenbuch in Rom.
[4] Doch ich muß abbrechen. Dein Bruder in Weimar ist wohl und sehr fleißig. – Mit dem 2ten Band Spanisches Theater bin ich leider immer noch in der Arbeit, das zweyte Stück ist immer noch nicht ganz fertig und das 3te nicht angefangen. Seit einigen Tagen ist meine Schwester mit den ihrigen aus Dresden hier.
Grüße Malchen schönstens, ihr Eifer für das Spanische freut mich sehr, meine hiesigen Schüler haben, Schierstädt ausgenommen, seit meinen im vorigen Winter gegebenen Stunden nicht viel darin gethan. Den Lazarillo de Tormes habe ich leider immer noch nicht habhaft werden können, wer weiß, ob er ihr so viel Vergnügen macht, denn ich bin von diesem Fache, des Bettlerischen und Lausigen nämlich, ein ganz besondrer Liebhaber.
Leb recht wohl.
Dein AWS.
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