• Ludwig Tieck to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Bonn · Date: 13.01.1829
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Ludwig Tieck
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 13.01.1829
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 189‒192.
  • Incipit: „[1] Geliebter Freund und Bruder,
    Indem ich mich nun endlich nach Wochen niedersetzen will, um Dir von Friedrich einige umständlichere Nachrichten zu [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-36934
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.28,Nr.86
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 25,6 x 21,1 cm
[1] Geliebter Freund und Bruder,
Indem ich mich nun endlich nach Wochen niedersetzen will, um Dir von Friedrich einige umständlichere Nachrichten zu geben, von seinem Treiben, und wie wir mit einander fertig werden, oder nicht, giebt mir ein trauriger Vorfall, der so plözlich ingetreten ist, daß er mich durch und durch erschreckt, und gestern den ganzen Tag mich vernichtet hat, die Feder in die Hand. Es ist auch zugleich im Namen Deiner Nichte, die jezt unmöglich etwas unternehmen kann, daß ich Dir schreibe. In der Nacht nehmlich von Sonntag zu Montag, Montag nach 2 Uhr, den 12ten Januar ist Friedrich plötzlich, nach einem kurzen, aber harten Kampfe, der ihn ohngefähr eine Stunde geängstiget hat, am Schlage gestorben. Am Sonntage as er noch bei uns, und wir blieben in Gesprächen, Disputen und Erzählungen von 1 bis 4 am Tische sitzen. Er war sehr heiter und gesprächig, ging um 4 zu einem Freunde, dem Grafen Baudissin, der nur wenige Häuser von mir wohnt, und blieb dort bis 6 Uhr, immer gesprächig und aufgeweckt, selbst mehr, als gewöhnlich. Er erzählte dort wieder, was wir am Mittage mit einander verhandelt hatten. Hierauf ging er in seinen Gasthof, wo ihm die Buttler Thee machte, den er heiter und gesprächig trank. Keine Spur eines Uebelbefindens, oder eines Zustandes, der irgend Besorgniß hätte erregen können.
[2] Nach 12 Uhr hört die Nichte ihn im Zimmer gehn. Er sagt, ihm sei nicht ganz wohl. Sie steht auf und wärmt ihm Wasser, in dem er die Hände badet, in welchen er ein Frösteln spürt. Er ist aber heiter und ganz bei sich, und die Sache scheint nur eine Kleinigkeit. So legt er sich auch nach einiger Zeit wieder nieder. Er kann aber nicht schlafen, und gegen 1 Uhr hört ihn die Nichte wieder wandeln. Sie steht besorgter auf und findet ihn schwankend und taumelnd. Er kann kaum stammelnd Eau de Cologne fordern, mit welchem er sich stärken will. Sie faßt [ihn] in die Arme, und führt ihn auf das Sofa. Unglüklicherweise ist der Bediente krank, schläft entfernt, und sie kann den halb Ohnmächtigen nur nach längerer Zeit rufen, der, im Krankenschweisse, sich auch nicht gleich erheben kann. Erst nach vielem, wiederholten Klingeln, meldet sich nach einer halben Stunde der Hausknecht. Dieser wird zum benachbarten Arzt gesendet. Der Diener ist endlich herbeigekommen. Der Arzt hört nicht, es meldet sich in dessen Hause, ohngeachtet des lauten, häufigen Schellens, kein Mensch, kein Pochen hilft, und ohne Arzt und Hülfe kommt der Hausknecht wieder. Indessen hat Friedrich in Krämpfen gelitten, im Halse gewürgt, und ohne Sprache und Bewußtsein, die Augen weit hervorgetrieben, überfliegt das rothe Antlitz eine Todesblässe, und er athmet nicht mehr. Der Arzt, der später kam, sagt, es sei durchaus keine Hülfe möglich gewesen. Die eine Hälfte des Gesichtes ist auch gleich blau geworden.
[3] Denke Dir das Entsetzen und die Leiden Deiner armen, schwächlichen Nichte, diese fürchterliche Nacht. Ihm ist hoffentlich wohl, er hat es überstanden, und ging wohl, wenn er nicht schnell endete, einer qualvollen Brustwassersucht entgegen. – Wie sehr Du erschrecken, wie groß der Schmerz Deines edlen Herzens sein wird, kann ich nach meinen Gefühlen abmessen. Er war Dein Bruder und mein Freund, so sehr er sich auch von der Gegend hinweg verirrt hatte, in welcher wir die Wahrheit suchen. Er hielt hier Vorlesungen, die Fortsetzung jener in Wien vorgetragenen, und hatte eben am Sonnabend die neunte gegeben, mit der zwölften wollte er schliessen, und dann sogleich nach Wien zurückkehren. – Ein andermal, am liebsten mündlich, möchte ich Dir von seinen Seltsamkeiten erzählen, die mir ganz unbegreiflich gewesen sind. So wie ehemals in der Philosophie, war er jezt Dictator im Christenthum, und zwar in einem solchen, daß weder ich noch Du, oder Solger und Raumer, oder wer es sei, der ihm widersprach, auch nur die kleinste Ahndung vom Christenthum hatten. Apokalypse, jüngster Tag, Magnetismus, Prophezein, das ging alles so wunderlich durcheinander, daß nicht allein ich, sondern auch andre Freunde, denen er sich mehr als billig entdeckte, oft eine Verstandeszerrüttung zu erkennen glaubten. Mit solcher kühlen Sicherheit sprach er von Dingen, die uns als Aberwitz erschienen. – Welch ein Genius hat sich zerstört! Aber Genüge, wie Du wohl weist, fand er in keiner Wissenschaft und keinem Kunstwerk, auch im Glauben, in seinem Christenthum nicht. Er mußte auch hier etwas Unbegreifliches aufbauen, wo keiner ihn verstand, und von wo er jeden Layen fast höhnisch abwies. Dreister als irgend ein Apostel.
[4] Du hast mir auf meinen vorigen Brief noch nicht geantwortet. Ich bin seit diesem Vorfall nicht wohl. Die Begebenheit hat mich auf das tiefste erschüttert. Wie gern sähe ich, spräche ich Dich. Was ich Dir noch von Deinem Bruder erzählen könnte, nimmt sich auf dem Papier so anders, wohl gar lieblos aus. Und ich fühle doch, daß ich ihn liebte, bis zulezt, so widerwärtig, ja verhaßt mir manches an ihm war. Du weißt auch, daß ich nie so zu seinen Vertrautesten gehörte, wie Schleiermacher, dann Ritter, Schütz, oder später Boisserée. Ein gewisses Mistrauen hielt uns, so befreundet wir waren, in gewissen Dingen aus einander.
Seine Philosophie damals, jezt seine schwärmerische Religion entfremdete mich ihm.
Der Himmel beschütze Dich, Geliebtester. Wie viele Freunde hab ich schon hinüber gehen sehn. Bleibe Du noch recht lange bei uns, schenke uns noch recht viel Erfreuliches und Belehrendes, erhalte mir Deine Freundschaft, die mir so unendlich theuer ist.
Die Nichte ist aus dem Gasthofe zu einer Freundinn gezogen, ist schwach, aber nicht krank.
Ich umarme Dich.
Ewig Dein
L. Tieck.
Dresden, den 13” Januar 1829
Ein trauriges Neues Jahr.
[1] Geliebter Freund und Bruder,
Indem ich mich nun endlich nach Wochen niedersetzen will, um Dir von Friedrich einige umständlichere Nachrichten zu geben, von seinem Treiben, und wie wir mit einander fertig werden, oder nicht, giebt mir ein trauriger Vorfall, der so plözlich ingetreten ist, daß er mich durch und durch erschreckt, und gestern den ganzen Tag mich vernichtet hat, die Feder in die Hand. Es ist auch zugleich im Namen Deiner Nichte, die jezt unmöglich etwas unternehmen kann, daß ich Dir schreibe. In der Nacht nehmlich von Sonntag zu Montag, Montag nach 2 Uhr, den 12ten Januar ist Friedrich plötzlich, nach einem kurzen, aber harten Kampfe, der ihn ohngefähr eine Stunde geängstiget hat, am Schlage gestorben. Am Sonntage as er noch bei uns, und wir blieben in Gesprächen, Disputen und Erzählungen von 1 bis 4 am Tische sitzen. Er war sehr heiter und gesprächig, ging um 4 zu einem Freunde, dem Grafen Baudissin, der nur wenige Häuser von mir wohnt, und blieb dort bis 6 Uhr, immer gesprächig und aufgeweckt, selbst mehr, als gewöhnlich. Er erzählte dort wieder, was wir am Mittage mit einander verhandelt hatten. Hierauf ging er in seinen Gasthof, wo ihm die Buttler Thee machte, den er heiter und gesprächig trank. Keine Spur eines Uebelbefindens, oder eines Zustandes, der irgend Besorgniß hätte erregen können.
[2] Nach 12 Uhr hört die Nichte ihn im Zimmer gehn. Er sagt, ihm sei nicht ganz wohl. Sie steht auf und wärmt ihm Wasser, in dem er die Hände badet, in welchen er ein Frösteln spürt. Er ist aber heiter und ganz bei sich, und die Sache scheint nur eine Kleinigkeit. So legt er sich auch nach einiger Zeit wieder nieder. Er kann aber nicht schlafen, und gegen 1 Uhr hört ihn die Nichte wieder wandeln. Sie steht besorgter auf und findet ihn schwankend und taumelnd. Er kann kaum stammelnd Eau de Cologne fordern, mit welchem er sich stärken will. Sie faßt [ihn] in die Arme, und führt ihn auf das Sofa. Unglüklicherweise ist der Bediente krank, schläft entfernt, und sie kann den halb Ohnmächtigen nur nach längerer Zeit rufen, der, im Krankenschweisse, sich auch nicht gleich erheben kann. Erst nach vielem, wiederholten Klingeln, meldet sich nach einer halben Stunde der Hausknecht. Dieser wird zum benachbarten Arzt gesendet. Der Diener ist endlich herbeigekommen. Der Arzt hört nicht, es meldet sich in dessen Hause, ohngeachtet des lauten, häufigen Schellens, kein Mensch, kein Pochen hilft, und ohne Arzt und Hülfe kommt der Hausknecht wieder. Indessen hat Friedrich in Krämpfen gelitten, im Halse gewürgt, und ohne Sprache und Bewußtsein, die Augen weit hervorgetrieben, überfliegt das rothe Antlitz eine Todesblässe, und er athmet nicht mehr. Der Arzt, der später kam, sagt, es sei durchaus keine Hülfe möglich gewesen. Die eine Hälfte des Gesichtes ist auch gleich blau geworden.
[3] Denke Dir das Entsetzen und die Leiden Deiner armen, schwächlichen Nichte, diese fürchterliche Nacht. Ihm ist hoffentlich wohl, er hat es überstanden, und ging wohl, wenn er nicht schnell endete, einer qualvollen Brustwassersucht entgegen. – Wie sehr Du erschrecken, wie groß der Schmerz Deines edlen Herzens sein wird, kann ich nach meinen Gefühlen abmessen. Er war Dein Bruder und mein Freund, so sehr er sich auch von der Gegend hinweg verirrt hatte, in welcher wir die Wahrheit suchen. Er hielt hier Vorlesungen, die Fortsetzung jener in Wien vorgetragenen, und hatte eben am Sonnabend die neunte gegeben, mit der zwölften wollte er schliessen, und dann sogleich nach Wien zurückkehren. – Ein andermal, am liebsten mündlich, möchte ich Dir von seinen Seltsamkeiten erzählen, die mir ganz unbegreiflich gewesen sind. So wie ehemals in der Philosophie, war er jezt Dictator im Christenthum, und zwar in einem solchen, daß weder ich noch Du, oder Solger und Raumer, oder wer es sei, der ihm widersprach, auch nur die kleinste Ahndung vom Christenthum hatten. Apokalypse, jüngster Tag, Magnetismus, Prophezein, das ging alles so wunderlich durcheinander, daß nicht allein ich, sondern auch andre Freunde, denen er sich mehr als billig entdeckte, oft eine Verstandeszerrüttung zu erkennen glaubten. Mit solcher kühlen Sicherheit sprach er von Dingen, die uns als Aberwitz erschienen. – Welch ein Genius hat sich zerstört! Aber Genüge, wie Du wohl weist, fand er in keiner Wissenschaft und keinem Kunstwerk, auch im Glauben, in seinem Christenthum nicht. Er mußte auch hier etwas Unbegreifliches aufbauen, wo keiner ihn verstand, und von wo er jeden Layen fast höhnisch abwies. Dreister als irgend ein Apostel.
[4] Du hast mir auf meinen vorigen Brief noch nicht geantwortet. Ich bin seit diesem Vorfall nicht wohl. Die Begebenheit hat mich auf das tiefste erschüttert. Wie gern sähe ich, spräche ich Dich. Was ich Dir noch von Deinem Bruder erzählen könnte, nimmt sich auf dem Papier so anders, wohl gar lieblos aus. Und ich fühle doch, daß ich ihn liebte, bis zulezt, so widerwärtig, ja verhaßt mir manches an ihm war. Du weißt auch, daß ich nie so zu seinen Vertrautesten gehörte, wie Schleiermacher, dann Ritter, Schütz, oder später Boisserée. Ein gewisses Mistrauen hielt uns, so befreundet wir waren, in gewissen Dingen aus einander.
Seine Philosophie damals, jezt seine schwärmerische Religion entfremdete mich ihm.
Der Himmel beschütze Dich, Geliebtester. Wie viele Freunde hab ich schon hinüber gehen sehn. Bleibe Du noch recht lange bei uns, schenke uns noch recht viel Erfreuliches und Belehrendes, erhalte mir Deine Freundschaft, die mir so unendlich theuer ist.
Die Nichte ist aus dem Gasthofe zu einer Freundinn gezogen, ist schwach, aber nicht krank.
Ich umarme Dich.
Ewig Dein
L. Tieck.
Dresden, den 13” Januar 1829
Ein trauriges Neues Jahr.
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