• Friedrich Schiller to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Braunschweig · Date: 10.12.1795
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich Schiller
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Braunschweig
  • Date: 10.12.1795
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Friedrich Schiller ‒ August Wilhelm Schlegel. Der Briefwechsel. Hg. v. Norbert Oellers. Köln 2005, S. 56‒57.
  • Incipit: „[1] Jena den 10. Dec. 95. [Donnerstag]
    Sie erhalten hier, mein vortreflicher Freund, das Eilfte Stück, worinn der Anfang Ihrer Briefe abgedruckt [...]“
    Manuscript
  • Provider: Universitäts- und Landesbibliothek Bonn
  • OAI Id: 1715207
  • Classification Number: S 506 : I : 5
  • Number of Pages: 1 Doppelbl., davon 4 S. e. beschrieben
  • Format: 23,7 x 18,5 cm
  • Particularities: Der Brief befindet sich als Brief Nr. 5 in einem 1983 angefertigten Aufbewahrungskasten (Kasten I = Kasten "Schiller").
[1] Jena den 10. Dec. 95. [Donnerstag]
Sie erhalten hier, mein vortreflicher Freund, das Eilfte Stück, worinn der Anfang Ihrer Briefe abgedruckt ist. Die Fortsetzung bringe ich im ersten Stück des neuen Jahrganges nach, da ich einen sehr bogenreichen historischen Aufsatz im XII. Stück nicht habe abbrechen dürfen. Diese Fortsetzung hat mich sehr interessiert und auf das Ganze noch begieriger gemacht. Das nüchterne Anschließen an die Natur und daß Sie überal lieber eine physische Nothwendigkeit als einen Akt der Freyheit und des Verstandes zur Quelle des Rhythmus machen wollen, erweckt Ihren Behauptungen ein großes Vertrauen, und wird durch eine sehr allgemeine und durchgreifende Analogie unterstützt. Nichts desto weniger gestehe ich, daß ich Ihre Erklärungsart doch ein wenig zu physiologisch finde, denn so gewiss ich glaube, daß man alles was der Mensch in jener GeistesEpoche thut, und was er besonders in so verschiedenen Lagen [2] auf gleiche Weise thut, zugleich aus physischen Gründen deducieren muss, so glaube ich doch daß immer zugleich auf die Wirkung seiner Selbstthätigkeit muss Rücksicht genommen werden. Mir däucht, sobald seine Persönlichkeit sich zu deklarieren angefangen und die Reflexion eingetreten ist, so entstehen gleich nothwendige Foderungen aus seiner selbstständigen und moralischen Natur, und eine von diesen scheint mir auch das Zeitmaaß in seinen Bewegungen zu seyn; es ist das Beharrliche im Wechsel, und eben das ist der Charakter seiner Selbstheit, die sich in dieser Erscheinung ausdrückt. Meine Idee wäre also diese, daß man in Erklärung so früher und so allgemein und gleichförmigeintretender Phænomene, auf den ganzen Menschen, also den moralischen wie den physischen, Rücksicht nehmen sollte, und hierinn die Analogie auf seiner Seite hat, welche lehrt, daß überal wo die Natur rein wirket, die Bedürfniße der Sinnlichkeit den Foderungen der Vernünftigkeit begegnen. Dafür aber bin ich sehr, daß der Verstand als das Vermögen deutlicher Begriffe an diesem [3] Geschäft schlechterdings keinen Antheil hat. Es ist eine doppelte Nothwendigkeit der physischen und moralischen Natur, aber kein Werk der Freyheit, keine absichtliche Handlung. Der Verstand wird hier, wie auch bey der Schönheit, übersprungen, indem die Vernunft sich, wie instinktmäßig, äusert, und, wie bey der dichterischen Einbildungskraft, mit der Sinnlichkeit unmittelbar verbunden wirket.
Von Schütz werden Sie in dieser Zeit wohl Antwort erhalten haben. Er hat sich, und zwar sehr gegen meinen Wunsch entschloßen, die Horen selbst zu recensieren; ein Geschäft, dem er bey der jetzigen Beschaffenheit seines Körpers und Geistes schwerlich gewachsen ist. Da ich aber dabey interessiert bin, so konnte und wollte ich seinen Entschluß nicht genieren.
Ihre Idee, Elegien von Properz für die Horen zu übersetzen, ist schon vor langer Zeit realisiert. Ein Herr von Knebel in Weimar hat den Versuch schon seit mehreren Jahren gemacht, und obgleich er nur Dilettant ist, mit nicht gemeinem [4] Glücke ausgeführt. Göthe und Herder, im deren Umgang er beständig lebt, haben seine Muse gepflegt und gewartet, und da er selbst einen ziemlich feinen Sinn hat, sich in eine fremde Manier hineinzustudieren, so hat er sich des Römers ganz gut bemächtigt. Zwanzig und einige Elegien sind bereits übersetzt, von Göthen überarbeitet, von uns allen bekritelt und der Anfang davon erscheint in dem Ersten Horenstücke 1796.
Was Sie über Condorcets Schrift niederschreiben wollen, soll mir sehr willkommen seyn. Er scheint mir ein solcher Autor, bey dem man bloß durch das was er hätte denken und sagen sollen und nicht gesagt hat, sehr viel Ehre einlegen kann. Diese Herren nehmen es etwas leicht, und es ist nicht schwer kühn einherzujagen, wenn man keine große Fracht geladen hat. Uebrigens macht diese Schrift jetzt viel Aufsehen, bey einzelnen ein gewaltiges Glück, und ein Aufsatz der sich darauf bezieht wird begierig gelesen werden.
Warum können Sie nicht hier in Jena bey uns leben? Dieß sollte mir große Freude seyn. Das Gespräch würde so manches rege machen, was eine schriftliche Communication nicht berührt.
Erfreuen Sie mich sobald Sie können wieder mit einem Produkte Ihres Geistes. Ganz der Ihrige
Schiller
[1] Jena den 10. Dec. 95. [Donnerstag]
Sie erhalten hier, mein vortreflicher Freund, das Eilfte Stück, worinn der Anfang Ihrer Briefe abgedruckt ist. Die Fortsetzung bringe ich im ersten Stück des neuen Jahrganges nach, da ich einen sehr bogenreichen historischen Aufsatz im XII. Stück nicht habe abbrechen dürfen. Diese Fortsetzung hat mich sehr interessiert und auf das Ganze noch begieriger gemacht. Das nüchterne Anschließen an die Natur und daß Sie überal lieber eine physische Nothwendigkeit als einen Akt der Freyheit und des Verstandes zur Quelle des Rhythmus machen wollen, erweckt Ihren Behauptungen ein großes Vertrauen, und wird durch eine sehr allgemeine und durchgreifende Analogie unterstützt. Nichts desto weniger gestehe ich, daß ich Ihre Erklärungsart doch ein wenig zu physiologisch finde, denn so gewiss ich glaube, daß man alles was der Mensch in jener GeistesEpoche thut, und was er besonders in so verschiedenen Lagen [2] auf gleiche Weise thut, zugleich aus physischen Gründen deducieren muss, so glaube ich doch daß immer zugleich auf die Wirkung seiner Selbstthätigkeit muss Rücksicht genommen werden. Mir däucht, sobald seine Persönlichkeit sich zu deklarieren angefangen und die Reflexion eingetreten ist, so entstehen gleich nothwendige Foderungen aus seiner selbstständigen und moralischen Natur, und eine von diesen scheint mir auch das Zeitmaaß in seinen Bewegungen zu seyn; es ist das Beharrliche im Wechsel, und eben das ist der Charakter seiner Selbstheit, die sich in dieser Erscheinung ausdrückt. Meine Idee wäre also diese, daß man in Erklärung so früher und so allgemein und gleichförmigeintretender Phænomene, auf den ganzen Menschen, also den moralischen wie den physischen, Rücksicht nehmen sollte, und hierinn die Analogie auf seiner Seite hat, welche lehrt, daß überal wo die Natur rein wirket, die Bedürfniße der Sinnlichkeit den Foderungen der Vernünftigkeit begegnen. Dafür aber bin ich sehr, daß der Verstand als das Vermögen deutlicher Begriffe an diesem [3] Geschäft schlechterdings keinen Antheil hat. Es ist eine doppelte Nothwendigkeit der physischen und moralischen Natur, aber kein Werk der Freyheit, keine absichtliche Handlung. Der Verstand wird hier, wie auch bey der Schönheit, übersprungen, indem die Vernunft sich, wie instinktmäßig, äusert, und, wie bey der dichterischen Einbildungskraft, mit der Sinnlichkeit unmittelbar verbunden wirket.
Von Schütz werden Sie in dieser Zeit wohl Antwort erhalten haben. Er hat sich, und zwar sehr gegen meinen Wunsch entschloßen, die Horen selbst zu recensieren; ein Geschäft, dem er bey der jetzigen Beschaffenheit seines Körpers und Geistes schwerlich gewachsen ist. Da ich aber dabey interessiert bin, so konnte und wollte ich seinen Entschluß nicht genieren.
Ihre Idee, Elegien von Properz für die Horen zu übersetzen, ist schon vor langer Zeit realisiert. Ein Herr von Knebel in Weimar hat den Versuch schon seit mehreren Jahren gemacht, und obgleich er nur Dilettant ist, mit nicht gemeinem [4] Glücke ausgeführt. Göthe und Herder, im deren Umgang er beständig lebt, haben seine Muse gepflegt und gewartet, und da er selbst einen ziemlich feinen Sinn hat, sich in eine fremde Manier hineinzustudieren, so hat er sich des Römers ganz gut bemächtigt. Zwanzig und einige Elegien sind bereits übersetzt, von Göthen überarbeitet, von uns allen bekritelt und der Anfang davon erscheint in dem Ersten Horenstücke 1796.
Was Sie über Condorcets Schrift niederschreiben wollen, soll mir sehr willkommen seyn. Er scheint mir ein solcher Autor, bey dem man bloß durch das was er hätte denken und sagen sollen und nicht gesagt hat, sehr viel Ehre einlegen kann. Diese Herren nehmen es etwas leicht, und es ist nicht schwer kühn einherzujagen, wenn man keine große Fracht geladen hat. Uebrigens macht diese Schrift jetzt viel Aufsehen, bey einzelnen ein gewaltiges Glück, und ein Aufsatz der sich darauf bezieht wird begierig gelesen werden.
Warum können Sie nicht hier in Jena bey uns leben? Dieß sollte mir große Freude seyn. Das Gespräch würde so manches rege machen, was eine schriftliche Communication nicht berührt.
Erfreuen Sie mich sobald Sie können wieder mit einem Produkte Ihres Geistes. Ganz der Ihrige
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