• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Leipzig · Place of Destination: Unknown · Date: 02.06.1793
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Leipzig
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 02.06.1793
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 99‒102.
  • Incipit: „[1] Lieber Bruder, Ich habe auf Dein Verlangen Deine Abschriften von C[aroline]s Briefen sogleich verbrannt, und schicke Dir hier ihre Blätter [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.26
  • Number of Pages: 11 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,4 x 11,2 cm
[1] Lieber Bruder, Ich habe auf Dein Verlangen Deine Abschriften von C[aroline]s Briefen sogleich verbrannt, und schicke Dir hier ihre Blätter zurück. Du hast mich sehr damit erfreut; ich habe den innigsten Antheil an ihrer Lage genommen, die sie so tief fühlt. Und doch dabey ganz so, wie sie seyn mußte, wie ich es hoffte. – In welcher jämmerlichen Hülflosigkeit würden an ihrer Stelle die klügsten, liebenswürdigsten Weiber seyn? – Sie hat viel gelitten, und doch gestehe ich Dir, fürchtete ich alles viel schlimmer, ich fürchtete sie habe sich wirklich in die Geschichte gemischt, sey vielleicht beschimpft, und habe es doch überlebt, um des Kindes willen. Es ist unendlich viel damit gewonnen, daß sie als Geissel angesehen wird; nun ist ihre Ehre völlig gerettet, und es ist doch nun weiter nichts als eine sehr große Unannehmlichkeit. Ja! noch mehr – es ist ganz unstatthaft, sie als Geissel zu behalten, weil sie kein Landeskind und nur Schwägerin des Böhmers ist; und es scheint, daß die, so ihr Schicksal bestimmen, sehr verständige billige Männer [2] sind; für die Cabale wird da kein Raum seyn. Ich glaube allerdings, daß die Hannöversche Regierung sie mit Erfolg wird requiriren können, als Landeskind. – Ist denn Tatter gar nicht thätig bey der Sache?
Ich wünschte Du hättest mir ausführlicher geschrieben, über Deine mögliche Reise nach Deutschland, und bitte ich um fernere Nachrichten, wo möglich auch Stellen aus Briefen, so mir die Sache immer am hellsten aufklären. –
Ich danke Dir aufʼs wärmste für Deinen Brief! – Schreib mir oft solche. – Er würde mich auch aus dem tiefsten Schlafe geweckt haben, wenn das mein Fall gewesen wäre. Du hast vermuthlich schon aus dem vorigen meine Absichten ersehen. Ohne diese zu wissen, mußte Dir mein Drang zum Hofmeisterleben freylich unerklärlich scheinen. Ich will Dir nur gestehen; wie ich Dich bat, meine Vorstellungen bey meinen Eltern zu begünstigen, [3] setzte ich voraus – (Du magst also wohl nicht Unrecht haben, was die Taciturnität des Styls betrifft) – Du würdest meine eigentlichen Gedanken dabey errathen, und zugleich einsehen daß ich sie meinen Eltern nicht so ganz mittheilen konnte.
Ich sehe die offenbare Unmöglichkeit ein, mich itzt in ein bürgerliches Joch zu schmiegen, um einen dürftigen Lohn meinen Geist, das bessere Theil meines Lebens unwiederbringlich hinzuopfern, ohne Ersatz, ja! ohne Linderung des harten Schicksals. Es scheint mir Pflicht, zu versuchen, ob es nicht wahr sey, was ich so lange gehofft hatte, was selbst einige Freunde zu bestätigen schienen. Sollte es nicht thunlich seyn, daß ich mir meinen Platz selbst aussuchte und bildete? Alle Neigungen, die ich vergebens so lange Zeit niederzudrücken suchte, suchen mußte, schlugen mit neuer Macht empor. – Ich will dem Rufe folgen; ich muß das Spiel wagen, weil ich muß. Ich brauche Dir nun schon nicht zu sagen, welches mein Ziel ist; zu leben, frey zu leben, und habe ich dieß erreicht, Dich frey [4] zu machen, und mit Dir mich zu vereinigen. – Mein lieber! sollte ich einen jungen Mann finden, wie ich doch schon manchen kenne, so habe ich zu nichts so viel Beruf und Neigung, wie zum Hofmeisterstande, und Du wirst das dann auch nicht unerklärlich finden. – Sollte es nöthig seyn, und ich fände eine <nur> schickliche Stelle, bey der ich einige Freyheit behielte, so ließe sich das auch schon ertragen. An Aussicht zu convenablen Vorschlägen fehlt mirs nicht; so wie nicht an Connexionen zu dem Behuf. – Mein Plan stimmt also im Ganzen ziemlich mit dem überein, was Du mir vorschlägst, wie wohl sich überall nichts genaueres bestimmen läßt, und manches darin mir nicht gefällt.
Meiner Plane zu Werken sind so viele, <und viel zu sehr nur Plane,> so daß ich mich nicht drauf einlaßen kann, sie Dir als solche mitzutheilen; aber ich glaube Du wirst am Ende dieses Sommers einige Packete erhalten.
[5] Du hast eine sehr lange Reihe Briefen <von mir>, die sehr viele Aufschlüsse über mich geben müssen; Du kennst mich nun so lange – denke noch einmal über mich nach, und sage mir, wozu ich bestimmt bin, was aus mir werden wird, was ich thun soll? Ich kann Dir nicht genung sagen, wie sehr ich Deine Anfeurung, Dein Urtheil und Rath bedarf. Hier habe ich nur jüngere Freunde, schwere Sorgen drücken mich zu Boden, und die Schwierigkeiten in mir machen mich oft unlustig und verzagt. Ich brauche einen männlichen Freund; wenn Du es immer seyn wolltest, wie Du es kannst! Wenn Du mir recht sehr oft so schriebest, wie der letzte Brief. So würde ich gewiß nicht klagen. Und das kannst Du, und etwas <dem ähnliches> ist es, zu dem ich Dich letzthin aufmunterte. Dazu braucht man wenig Zeit; ich weiß wohl, daß itzt nicht die Zeit der Kunstwerke für Dich ist, aber um vortreflich zu seyn, braucht es das nicht. [6] Dir selbst und Deiner Freundschaft gleich zu bleiben! das war es, was ich Dir zurief: und daß Du in den Augenblicken, die Dein sind, Dich nicht zerstreuen, sondern sammlen, zusammenhalten, möchtest.
Deinen letzten Brief habe ich recht zu Herzen genommen. Bey dem, was Du von der Taciturnität meines Styls sagst, habe ich recht sehr lachen müssen, da ich an meinen letzten Br[ief] dachte, den Du nun längst haben mußt. Ich bitte mir aber keine taciturne Antwort aus. Mein Styl ist noch nichts – aber ich hoffe, daß ich lernen werde Deutsch zu reden; und vielleicht mich meiner Eigenthümlichkeit, wenn ich will, zu entäußern, allgemein zu seyn, und wie es jeder Stoff will – und doch wiederum auch sagen zu können, was sich im tiefsten Grunde meines Herzens regt. Das letzte, glaube ich, ist mir schon [7] je zu weilen in einigen Briefen gelungen. – Was Du vom Lesen im allgemeinen sagst, ist sehr wahr. Ohne bestimmte Richtung die ganze Welt zu durchlesen, in freudenloser Abgezogenheit, und zu recensiren ‚das giebt sauren Humorʻ nach dem Ausdruck eines sehr klugen Mannes – man wird da leicht zum Schuhu, und ich glaube daß dieß ein wenig der Fall ist, mit dem vortreflichen Rehberg, der immer nur geurtheilt, eigentlich noch nichts nahmhaftes gethan hat. – Allein was mich betrifft, so bedenke nur die entsetzliche Zeit, die ich dem Umgange gewidmet habe, wo ich doch wirklich selbstthätig war, wie ich es nur je seyn kann: und dann habe ich auch oft, sehr oft studirt, nicht blos gelesen; ich habe den Geist einiger großen Männer, vielleicht nicht ganz ohne Erfolg, zu ergründen gesucht als Kant, Klopstock, Göthe, Hemsterhuys, Spinosa, Schiller; andrer [8] von weniger Bedeutung nicht zu erwähnen, Herder, Plattner pp. Die Physiologie und die Politik habe ich auch, wenn schon nur angefangen, doch ernstlich angefangen; im Studium des Shakespear und Sophocles ward ich unterbrochen. Mit der Mathematik <und mit der Geschichte> ist es freylich noch nicht recht Ernst geworden. Bey der flüchtigen Lesung einer ungeheuren Anzahl Bücher lag doch eigentlich eine Absicht, und eine ernste Untersuchung zum Grunde, nehmlich die des deutschen Geistes und der deutschen Sprache; und ich glaube etwas davon ergriffen zu haben. Es geschieht <überhaupt> sehr oft, daß die, so mich am besten kennen, glauben, ich handle ohne Grund und Zweck, wenn eigentlich der Fall der ist, daß ich mich nur scheue, meine Sonderbarkeit zu gestehn. Du weißt in der That nicht, wie sehr krank ich war, als ich hieher kam, und so grübelte ich heraus, daß Mannichfaltigkeit der Studien meiner Gesundheit sehr zuträglich seyn würde. [9] Und der Erfolg scheint mir zu beweisen, daß ich nicht Unrecht hatte. –
Ich werde mich ordentlich methodisch darauf üben müssen, verständlich zu werden. Ich habe so viel Hang über das unbegreifliche zu denken und zu reden, und so fügt es sich oft, daß ich eine schöne Stunde mit dem größten Eifer mich martere, und am Ende muß ich immer noch fragen; ob ich verstanden bin. So gieng mirs nur vor ein paar Tagen mit einer langen Rede über Hamlets Character bey Carlowitz. Dieser dient mir darin wie ein Feuerstein; es ist nichts ihm zu hoch, doch begreift er äusserst schwer. Hat er aber einmal etwas, so hält ers fest. –
Doch ich merke, daß Taciturnus anfängt zu schwätzen, und damit es nicht heiße, der große, erhabne Gegenstand, er selbst, habe ihn so begeistert, so sey hiemit ein despotischer Punct gemacht.
[10] Was die Weiber betrifft, so waren sie mir ehedem unendlich interessant – weil ich sie ganz und gar nicht verstand. Jetzt aber sind sie mir im Ganzen genommen gleichgültiger. Freylich einen Berührungs-Punct ausgenommen, der ungemein viele Kraft hat. – Hier muß ich ietzt aus vielen Gründen ganz Verzicht darauf thun; sollte ich aber einen Theil des Winters in Dreßden zubringen, so würde ich sie sehr aufsuchen.
Du wirfst mir meine Oekonomie vor, und ich habe Dir ja oft genung gestanden, nicht ohne Grund. Allein zu dem meisten war ich gezwungen; was hätte bleiben sollen, ist so sehr viel nicht. Daß ich mich einschränken kann, hoffe ich Dir bald beweisen zu können. Jetzt ist mir aber so etwas sehr unangenehm zu hören. Du wirst mir nichts neues über eine Sache sagen, die mich leider stündlich an sich selbst erinnert. Und grade ietzt befinde ich mich in der aller[11]dringendsten Noth, und weiß eigentlich gar nicht mehr was ich anfangen soll.
Schreib bald.
Fr. Schl.
Den 2ten Juni 93.
[12]
[1] Lieber Bruder, Ich habe auf Dein Verlangen Deine Abschriften von C[aroline]s Briefen sogleich verbrannt, und schicke Dir hier ihre Blätter zurück. Du hast mich sehr damit erfreut; ich habe den innigsten Antheil an ihrer Lage genommen, die sie so tief fühlt. Und doch dabey ganz so, wie sie seyn mußte, wie ich es hoffte. – In welcher jämmerlichen Hülflosigkeit würden an ihrer Stelle die klügsten, liebenswürdigsten Weiber seyn? – Sie hat viel gelitten, und doch gestehe ich Dir, fürchtete ich alles viel schlimmer, ich fürchtete sie habe sich wirklich in die Geschichte gemischt, sey vielleicht beschimpft, und habe es doch überlebt, um des Kindes willen. Es ist unendlich viel damit gewonnen, daß sie als Geissel angesehen wird; nun ist ihre Ehre völlig gerettet, und es ist doch nun weiter nichts als eine sehr große Unannehmlichkeit. Ja! noch mehr – es ist ganz unstatthaft, sie als Geissel zu behalten, weil sie kein Landeskind und nur Schwägerin des Böhmers ist; und es scheint, daß die, so ihr Schicksal bestimmen, sehr verständige billige Männer [2] sind; für die Cabale wird da kein Raum seyn. Ich glaube allerdings, daß die Hannöversche Regierung sie mit Erfolg wird requiriren können, als Landeskind. – Ist denn Tatter gar nicht thätig bey der Sache?
Ich wünschte Du hättest mir ausführlicher geschrieben, über Deine mögliche Reise nach Deutschland, und bitte ich um fernere Nachrichten, wo möglich auch Stellen aus Briefen, so mir die Sache immer am hellsten aufklären. –
Ich danke Dir aufʼs wärmste für Deinen Brief! – Schreib mir oft solche. – Er würde mich auch aus dem tiefsten Schlafe geweckt haben, wenn das mein Fall gewesen wäre. Du hast vermuthlich schon aus dem vorigen meine Absichten ersehen. Ohne diese zu wissen, mußte Dir mein Drang zum Hofmeisterleben freylich unerklärlich scheinen. Ich will Dir nur gestehen; wie ich Dich bat, meine Vorstellungen bey meinen Eltern zu begünstigen, [3] setzte ich voraus – (Du magst also wohl nicht Unrecht haben, was die Taciturnität des Styls betrifft) – Du würdest meine eigentlichen Gedanken dabey errathen, und zugleich einsehen daß ich sie meinen Eltern nicht so ganz mittheilen konnte.
Ich sehe die offenbare Unmöglichkeit ein, mich itzt in ein bürgerliches Joch zu schmiegen, um einen dürftigen Lohn meinen Geist, das bessere Theil meines Lebens unwiederbringlich hinzuopfern, ohne Ersatz, ja! ohne Linderung des harten Schicksals. Es scheint mir Pflicht, zu versuchen, ob es nicht wahr sey, was ich so lange gehofft hatte, was selbst einige Freunde zu bestätigen schienen. Sollte es nicht thunlich seyn, daß ich mir meinen Platz selbst aussuchte und bildete? Alle Neigungen, die ich vergebens so lange Zeit niederzudrücken suchte, suchen mußte, schlugen mit neuer Macht empor. – Ich will dem Rufe folgen; ich muß das Spiel wagen, weil ich muß. Ich brauche Dir nun schon nicht zu sagen, welches mein Ziel ist; zu leben, frey zu leben, und habe ich dieß erreicht, Dich frey [4] zu machen, und mit Dir mich zu vereinigen. – Mein lieber! sollte ich einen jungen Mann finden, wie ich doch schon manchen kenne, so habe ich zu nichts so viel Beruf und Neigung, wie zum Hofmeisterstande, und Du wirst das dann auch nicht unerklärlich finden. – Sollte es nöthig seyn, und ich fände eine <nur> schickliche Stelle, bey der ich einige Freyheit behielte, so ließe sich das auch schon ertragen. An Aussicht zu convenablen Vorschlägen fehlt mirs nicht; so wie nicht an Connexionen zu dem Behuf. – Mein Plan stimmt also im Ganzen ziemlich mit dem überein, was Du mir vorschlägst, wie wohl sich überall nichts genaueres bestimmen läßt, und manches darin mir nicht gefällt.
Meiner Plane zu Werken sind so viele, <und viel zu sehr nur Plane,> so daß ich mich nicht drauf einlaßen kann, sie Dir als solche mitzutheilen; aber ich glaube Du wirst am Ende dieses Sommers einige Packete erhalten.
[5] Du hast eine sehr lange Reihe Briefen <von mir>, die sehr viele Aufschlüsse über mich geben müssen; Du kennst mich nun so lange – denke noch einmal über mich nach, und sage mir, wozu ich bestimmt bin, was aus mir werden wird, was ich thun soll? Ich kann Dir nicht genung sagen, wie sehr ich Deine Anfeurung, Dein Urtheil und Rath bedarf. Hier habe ich nur jüngere Freunde, schwere Sorgen drücken mich zu Boden, und die Schwierigkeiten in mir machen mich oft unlustig und verzagt. Ich brauche einen männlichen Freund; wenn Du es immer seyn wolltest, wie Du es kannst! Wenn Du mir recht sehr oft so schriebest, wie der letzte Brief. So würde ich gewiß nicht klagen. Und das kannst Du, und etwas <dem ähnliches> ist es, zu dem ich Dich letzthin aufmunterte. Dazu braucht man wenig Zeit; ich weiß wohl, daß itzt nicht die Zeit der Kunstwerke für Dich ist, aber um vortreflich zu seyn, braucht es das nicht. [6] Dir selbst und Deiner Freundschaft gleich zu bleiben! das war es, was ich Dir zurief: und daß Du in den Augenblicken, die Dein sind, Dich nicht zerstreuen, sondern sammlen, zusammenhalten, möchtest.
Deinen letzten Brief habe ich recht zu Herzen genommen. Bey dem, was Du von der Taciturnität meines Styls sagst, habe ich recht sehr lachen müssen, da ich an meinen letzten Br[ief] dachte, den Du nun längst haben mußt. Ich bitte mir aber keine taciturne Antwort aus. Mein Styl ist noch nichts – aber ich hoffe, daß ich lernen werde Deutsch zu reden; und vielleicht mich meiner Eigenthümlichkeit, wenn ich will, zu entäußern, allgemein zu seyn, und wie es jeder Stoff will – und doch wiederum auch sagen zu können, was sich im tiefsten Grunde meines Herzens regt. Das letzte, glaube ich, ist mir schon [7] je zu weilen in einigen Briefen gelungen. – Was Du vom Lesen im allgemeinen sagst, ist sehr wahr. Ohne bestimmte Richtung die ganze Welt zu durchlesen, in freudenloser Abgezogenheit, und zu recensiren ‚das giebt sauren Humorʻ nach dem Ausdruck eines sehr klugen Mannes – man wird da leicht zum Schuhu, und ich glaube daß dieß ein wenig der Fall ist, mit dem vortreflichen Rehberg, der immer nur geurtheilt, eigentlich noch nichts nahmhaftes gethan hat. – Allein was mich betrifft, so bedenke nur die entsetzliche Zeit, die ich dem Umgange gewidmet habe, wo ich doch wirklich selbstthätig war, wie ich es nur je seyn kann: und dann habe ich auch oft, sehr oft studirt, nicht blos gelesen; ich habe den Geist einiger großen Männer, vielleicht nicht ganz ohne Erfolg, zu ergründen gesucht als Kant, Klopstock, Göthe, Hemsterhuys, Spinosa, Schiller; andrer [8] von weniger Bedeutung nicht zu erwähnen, Herder, Plattner pp. Die Physiologie und die Politik habe ich auch, wenn schon nur angefangen, doch ernstlich angefangen; im Studium des Shakespear und Sophocles ward ich unterbrochen. Mit der Mathematik <und mit der Geschichte> ist es freylich noch nicht recht Ernst geworden. Bey der flüchtigen Lesung einer ungeheuren Anzahl Bücher lag doch eigentlich eine Absicht, und eine ernste Untersuchung zum Grunde, nehmlich die des deutschen Geistes und der deutschen Sprache; und ich glaube etwas davon ergriffen zu haben. Es geschieht <überhaupt> sehr oft, daß die, so mich am besten kennen, glauben, ich handle ohne Grund und Zweck, wenn eigentlich der Fall der ist, daß ich mich nur scheue, meine Sonderbarkeit zu gestehn. Du weißt in der That nicht, wie sehr krank ich war, als ich hieher kam, und so grübelte ich heraus, daß Mannichfaltigkeit der Studien meiner Gesundheit sehr zuträglich seyn würde. [9] Und der Erfolg scheint mir zu beweisen, daß ich nicht Unrecht hatte. –
Ich werde mich ordentlich methodisch darauf üben müssen, verständlich zu werden. Ich habe so viel Hang über das unbegreifliche zu denken und zu reden, und so fügt es sich oft, daß ich eine schöne Stunde mit dem größten Eifer mich martere, und am Ende muß ich immer noch fragen; ob ich verstanden bin. So gieng mirs nur vor ein paar Tagen mit einer langen Rede über Hamlets Character bey Carlowitz. Dieser dient mir darin wie ein Feuerstein; es ist nichts ihm zu hoch, doch begreift er äusserst schwer. Hat er aber einmal etwas, so hält ers fest. –
Doch ich merke, daß Taciturnus anfängt zu schwätzen, und damit es nicht heiße, der große, erhabne Gegenstand, er selbst, habe ihn so begeistert, so sey hiemit ein despotischer Punct gemacht.
[10] Was die Weiber betrifft, so waren sie mir ehedem unendlich interessant – weil ich sie ganz und gar nicht verstand. Jetzt aber sind sie mir im Ganzen genommen gleichgültiger. Freylich einen Berührungs-Punct ausgenommen, der ungemein viele Kraft hat. – Hier muß ich ietzt aus vielen Gründen ganz Verzicht darauf thun; sollte ich aber einen Theil des Winters in Dreßden zubringen, so würde ich sie sehr aufsuchen.
Du wirfst mir meine Oekonomie vor, und ich habe Dir ja oft genung gestanden, nicht ohne Grund. Allein zu dem meisten war ich gezwungen; was hätte bleiben sollen, ist so sehr viel nicht. Daß ich mich einschränken kann, hoffe ich Dir bald beweisen zu können. Jetzt ist mir aber so etwas sehr unangenehm zu hören. Du wirst mir nichts neues über eine Sache sagen, die mich leider stündlich an sich selbst erinnert. Und grade ietzt befinde ich mich in der aller[11]dringendsten Noth, und weiß eigentlich gar nicht mehr was ich anfangen soll.
Schreib bald.
Fr. Schl.
Den 2ten Juni 93.
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