• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Leipzig · Place of Destination: Amsterdam · Date: [Juni 1793]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Leipzig
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: [Juni 1793]
  • Notations: Datum erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 106‒107.
  • Incipit: „Die Begierde seinen Vater zu rächen, der Unwille über seine Mutter ist nur der Anlaß zu Hamlets innerer Zerrüttung, der Grund [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.28
  • Number of Pages: 5S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,7 x 11,8 cm
Die Begierde seinen Vater zu rächen, der Unwille über seine Mutter ist nur der Anlaß zu Hamlets innerer Zerrüttung, der Grund davon liegt in ihm selbst, in dem Uebermaaß seines Verstandes (oder vielmehr in der falschen Richtung desselben, und dem Mangel verhältnißmäßiger Kraft der Vernunft) und der Inhalt selbst Verzweiflung macht ein wahres Ende unmöglich. – Vielleicht habe ich den erhabenen Geist des Werkes ergriffen, aber ietzt fühle ich mein Unvermögen da ich von der äußern Hülle reden soll. Nur einige Bemerkungen. Die Erscheinung des Geistes gleich im Anfang spannt die ganze Seele, und schärft sie das feine Wesen zu fassen. – Die Schwäche der Königin, die elende Seele des Königs, die Albernheit des Polonius, die Gemeinheit der übrigen, die Beschränktheit des Einzigen den er schätzt, des Horatio, alles wird höchst bedeutend durch Hamlets Denkart, und <durch> seine Stellung. Der Wahnwitz des guten Mädchens, wo die Rührung bis zum Gräßlichen steigt, hat hier einen fürchterlichen Sinn. Alles ist bedeutend bis auf das platte Geschwätz des Todtengräbers. – Der innre Zusammenhang (was ich letzthin Natureinheit nannte) kann nicht vollkommner seyn. Aber nur wer das Große in Hamlet fassen kann, wird ihn wahrnehmen. Um mich durch ein Beyspiel verständlich zu machen. Hemsterhuys sagt sehr richtig; es galt dem Römischen Pöbel für Mord, in der Seele des Brutus <aber war es> der ewigen Ordnung gemäß. – Im Hamlet scheint alles Äußre wie aus dem Geiste hervorgekeimt. Sonst war bey Sh.[akespeare] die äußre Hülle oft ehe da als der Geist, der in eine Geschichte oder Legende, die ihm Anlaß gab, erst hineingebildet wurde, und in vielen seiner Werke sucht man dieß, da Geist und Hülle nicht so ganz eins ist, vielleicht auch Romeo, dessen Wesen Du glaube ich richtig angegeben hast. Der Ausdruck ‚Romantische Melodieʻ ist höchst treffend. Kein Gedicht ist so romantisch und so musikalisch. – Die schöne, schwärmerische Schwermuth des Romeo ist ein wesentlicher Zug.
Eine Note zum Hamlet bezieht sich auf eine Legende des Saxo Grammaticus von König Fengo und König Amlethus. Die Tollheit, die Liebe, das Gespräch mit der Mutter, und die Reise nach England sind schon in dieser enthalten. Nur von der letzten könnte man vielleicht vermuthen, daß sie nur stehen geblieben sey. – Der H.[amlet] wird immer schlecht aufgeführt werden, weil keinen Schauspielern die Weisheit zuzutrauen ist, daß sie alle ihre Bedeutung nur vom Hamlet entlehnten: und das ganze besteht aus so zarten Verhältnißen, daß der geringste Mislaut alles zerstören würde.
Ueber den Hamlet weiß ich Dir für ietzt nichts mehr zu sagen; zwar ist noch viel zurück, allein ich müßte ihn noch einmal lesen, und das würde mich viel zu sehr stören. Dasselbe trift bey dem Propertius ein, obschon das was Du von ihm sagst, mich sehr anzieht, und mir gefällt. Deine Uebersetzung aus dem Hamlet finde ich sehr gut, bis auf einige Kleinigkeiten, als ‚gnädge Frauʻ. Doch weiß ich kein schicklicheres Wort. Und dann eine allgemeine Critik – vorausgesetzt, daß Du den Hamlet ganz so übersetzen wolltest, und für unsre Nation bestimmtest. Es sind fast in jeder Zeile ungewöhnliche Worte. Du hast Dich beym Dante daran etwas gewöhnt, wo es am rechten Orte war. Du könntest in Gefahr kommen, nur für Gelehrte zu dichten!
Ich bedaure, daß ich nicht eher gewußt habe, daß Du Mastiaux sehen würdest. Ich würde ihm geschrieben haben, oder doch wenigstens Dich gebeten haben, ihm zu sagen, daß sein Andenken noch nichts bey mir verloren, daß er mich ganz sein finden wird, wenn es seyn mag, und daß es einer meiner liebsten Wünsche ist, sobald ich frey bin. – Schreib mir alles aufs umständlichste von ihm, besonders von seiner Melancholie, ob sie noch dieselbige. –
Lieber Freund! ich habe Dir noch unendlich viel auf Deine letzten Briefe zu sagen, und ich werde es Dir nicht schuldig bleiben sobald ich weiß, wohin ich es schreiben kann, und aus der ungewissen Erwartung gezogen, ob ich Dich sehen werde oder nicht. –
F. S.
Die Begierde seinen Vater zu rächen, der Unwille über seine Mutter ist nur der Anlaß zu Hamlets innerer Zerrüttung, der Grund davon liegt in ihm selbst, in dem Uebermaaß seines Verstandes (oder vielmehr in der falschen Richtung desselben, und dem Mangel verhältnißmäßiger Kraft der Vernunft) und der Inhalt selbst Verzweiflung macht ein wahres Ende unmöglich. – Vielleicht habe ich den erhabenen Geist des Werkes ergriffen, aber ietzt fühle ich mein Unvermögen da ich von der äußern Hülle reden soll. Nur einige Bemerkungen. Die Erscheinung des Geistes gleich im Anfang spannt die ganze Seele, und schärft sie das feine Wesen zu fassen. – Die Schwäche der Königin, die elende Seele des Königs, die Albernheit des Polonius, die Gemeinheit der übrigen, die Beschränktheit des Einzigen den er schätzt, des Horatio, alles wird höchst bedeutend durch Hamlets Denkart, und <durch> seine Stellung. Der Wahnwitz des guten Mädchens, wo die Rührung bis zum Gräßlichen steigt, hat hier einen fürchterlichen Sinn. Alles ist bedeutend bis auf das platte Geschwätz des Todtengräbers. – Der innre Zusammenhang (was ich letzthin Natureinheit nannte) kann nicht vollkommner seyn. Aber nur wer das Große in Hamlet fassen kann, wird ihn wahrnehmen. Um mich durch ein Beyspiel verständlich zu machen. Hemsterhuys sagt sehr richtig; es galt dem Römischen Pöbel für Mord, in der Seele des Brutus <aber war es> der ewigen Ordnung gemäß. – Im Hamlet scheint alles Äußre wie aus dem Geiste hervorgekeimt. Sonst war bey Sh.[akespeare] die äußre Hülle oft ehe da als der Geist, der in eine Geschichte oder Legende, die ihm Anlaß gab, erst hineingebildet wurde, und in vielen seiner Werke sucht man dieß, da Geist und Hülle nicht so ganz eins ist, vielleicht auch Romeo, dessen Wesen Du glaube ich richtig angegeben hast. Der Ausdruck ‚Romantische Melodieʻ ist höchst treffend. Kein Gedicht ist so romantisch und so musikalisch. – Die schöne, schwärmerische Schwermuth des Romeo ist ein wesentlicher Zug.
Eine Note zum Hamlet bezieht sich auf eine Legende des Saxo Grammaticus von König Fengo und König Amlethus. Die Tollheit, die Liebe, das Gespräch mit der Mutter, und die Reise nach England sind schon in dieser enthalten. Nur von der letzten könnte man vielleicht vermuthen, daß sie nur stehen geblieben sey. – Der H.[amlet] wird immer schlecht aufgeführt werden, weil keinen Schauspielern die Weisheit zuzutrauen ist, daß sie alle ihre Bedeutung nur vom Hamlet entlehnten: und das ganze besteht aus so zarten Verhältnißen, daß der geringste Mislaut alles zerstören würde.
Ueber den Hamlet weiß ich Dir für ietzt nichts mehr zu sagen; zwar ist noch viel zurück, allein ich müßte ihn noch einmal lesen, und das würde mich viel zu sehr stören. Dasselbe trift bey dem Propertius ein, obschon das was Du von ihm sagst, mich sehr anzieht, und mir gefällt. Deine Uebersetzung aus dem Hamlet finde ich sehr gut, bis auf einige Kleinigkeiten, als ‚gnädge Frauʻ. Doch weiß ich kein schicklicheres Wort. Und dann eine allgemeine Critik – vorausgesetzt, daß Du den Hamlet ganz so übersetzen wolltest, und für unsre Nation bestimmtest. Es sind fast in jeder Zeile ungewöhnliche Worte. Du hast Dich beym Dante daran etwas gewöhnt, wo es am rechten Orte war. Du könntest in Gefahr kommen, nur für Gelehrte zu dichten!
Ich bedaure, daß ich nicht eher gewußt habe, daß Du Mastiaux sehen würdest. Ich würde ihm geschrieben haben, oder doch wenigstens Dich gebeten haben, ihm zu sagen, daß sein Andenken noch nichts bey mir verloren, daß er mich ganz sein finden wird, wenn es seyn mag, und daß es einer meiner liebsten Wünsche ist, sobald ich frey bin. – Schreib mir alles aufs umständlichste von ihm, besonders von seiner Melancholie, ob sie noch dieselbige. –
Lieber Freund! ich habe Dir noch unendlich viel auf Deine letzten Briefe zu sagen, und ich werde es Dir nicht schuldig bleiben sobald ich weiß, wohin ich es schreiben kann, und aus der ungewissen Erwartung gezogen, ob ich Dich sehen werde oder nicht. –
F. S.
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