• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Leipzig · Place of Destination: Amsterdam · Date: 11. [bis 16.] Oktober [1793]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Leipzig
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: 11. [bis 16.] Oktober [1793]
  • Notations: Absendedatum (16.10.1793), Jahr sowie Absende- und Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 139‒144.
  • Incipit: „Den 11ten October. ‚Das köstliche Wetter hat mich gestern herausgelockt, und ich bin bis an die Berndorfer Mühle gegangen – aber [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.35
  • Number of Pages: 11 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 18,7 x 11,6 cm
Den 11ten October. ‚Das köstliche Wetter hat mich gestern herausgelockt, und ich bin bis an die Berndorfer Mühle gegangen – aber dafür muß ich heute im eigentlichsten Verstande kriechen; es würde selbst Ihr Mitleid zum Lachen bringen. Sonst ist alles ganz gut. Schreiben Sie denn wirklich posttäglich? Sie sind die Gewißenhaftigkeit selbst – W[ilhelm] wird sich zulezt nichts mehr aus Ihren Nachrichten machen, die Bülletins bey Seit legen, und in der nächsten Minute so wenig davon wissen, ob wohl oder übel darin gestanden hat, als wenn von einer <alten> schwindsüchtigen Hofdame die Rede wäre. Seyn Sie doch ein wenig cokett, mit dem was Sie ihm angedeihen lassen – in meiner Seele. Denn das glauben Sie nur, wir cokettiren mit Leben und Sterben.ʻ
Den 13ten October Abends. ‚Wohin denken Sie, daß ich Ihnen medicinisch berichten soll? Das könnte doch nur unter der Bedingung geschehen, daß sie es nicht läsen. Hier ist aber ein resumé meiner Gesundheit – es ist nicht schlimmer damit, wie sonst in ähnlichen Fällen. Wenn ich schlafen kann, so möchtʼ ich es eher beßer nennen, und so glücklich bin ich iezt die meiste Zeit. Eßen muß ich sehr wenig, und nur eine halbe Vierthel-Stunde lang gehn, wenn ich nicht groß Ungemach haben will. Es läßt sich gar nichts voraussehn – viele Uebel können iezt ruhen, und kommen nachher in Aufruhr – wir werden das erfahren in – etwa so viel Zeit als der Teufel brauchte, Christus zu versuchen. Jezt leid ich an geschwollenen Zahnfleisch und Blattern an der Zunge. Das mögen wohl Zeichen himlischer Verdamniß seyn.ʻ
Es ist über vier Wochen, daß ich nicht draussen gewesen bin, und ich weiß noch nicht, ob ichs diese Woche werde möglich machen können. Ich habe auch Meßgeschäfte, und dann sind alle meine Freunde hier gewesen. Schweinitz hat acht Tage bey mir gewohnt. Es kann also wohl seyn, daß Meyer, so iezt hier ist, sie eher sieht als ich. Er weiß ihren Aufenthalt und wird sie besuchen. Ich habe seine Bekanntschaft noch nicht gemacht. –
Erst von den Commißionen und andern Anfragen und gleichgültigen Dingen. Charlotte hat mir vor einigen Tagen geschrieben; Deiner aber nicht erwähnt. Alle die genannten Stücke des Hemsterhuys kenne ich schon, nur eins ausgenommen die description philosophique du caractere de feu Mr. Fagel. Hast Du sie gelesen? – Ueber den Properz werde ich gelegentlich mit G.[öschen] reden; so ist es ja wohl Deiner eignen Absicht gemäß. Ich hoffe es wird zu Stande kommen, und dann sehr gut seyn, Dich bekannt zu machen. –
Es wird zu nichts fruchten, Dir meine oekonomische Lage zu schildern, als nur Dich zu erschrecken; rathen kannst Du mir nicht, helfen wohl auch nicht. Zudem habe ich wieder Hoffnung und Muth, und da ich mich einmal im Kampf bilden soll, so sind mir die gefährlichsten Schwierigkeiten die liebsten. Ich bin entschlossen, alles zu thun und zu dulden – und so mache Dir keine Sorge. Du mußt zuerst an sie denken – daß Du mir das gesagt hast, danke ich Dir; es war unfreundschaftlich, daß Du so lange davon schwiegst, und hat mich am meisten geschmerzt. Kannst Du nachher, wenn es dort nicht nöthig ist, diesen Winter dann und wann etwas entbehren? Es könnte mir vielleicht zu Zeiten an Geld zum täglichen Leben fehlen. Doch entsage Dir desfalls nichts; dafür kann ich leicht Rath schaffen, da ich mehr Credit habe, als ich brauchen mag. Ist Dir aber möglich auf Ostern eine beträchtliche Summe bereit zu halten, auf einen doch möglichen Unglücksfall; so wäre das gut. Du sollst aber nicht dazu hinlegen – verstehe mich wohl. Bis Ostern muß ich noch hier bleiben, und kann in manchen Stücken meine Bedürfniße nicht einschränken. Z. B. ich muß dasselbe Logis behalten. Dann gehe ich nach Dreßden, und eine neue Periode meines Lebens hebt an. – Wenn mir nicht ein großes Glück wiederfahren wäre, so würde ich schwerlich über diese Michaelis weg gekommen seyn. Aber auch so bin ich noch tief drin. Große Schulden mußt Du wissen, wachsen wie Schneebälle, und ich weiß nicht ob es Glück oder Unglück ist, daß sie großen Credit geben. – Seit ich den Verstand, den ich sonst zu viel hatte, immer mehr und mehr verliere, weiß ich in verwickelte Lagen mich ziemlich leicht zu finden.
Nun zu unserm Kampfe. – Begierig erwarte ich die Denker, Dichter, und Seher. Besonders die lezten, und weil ich nur wenig Bekantschaft mit ihnen habe, so bitte ich Dich einen zur Probe beyzulegen. – Du hast auch etwas über die Methode in der Philosophie der Kunst versprochen. – Wenn Deine Gedanken vorzüglich von dem Kantischen Werke ausgehn, so will ichs noch einmal lesen. Ich rede davon, wie von einem Entschlusse, der mich etwas kosten würde, da es doch leicht ist, ein Buch zu lesen. Aber es würde mich in einen Strom von Gedanken reißen, dem ich mich nur eben entrißen. Kants Lehre war die erste so ich etwas verstand, und ist die einzige, aus der ich noch viel zu lernen hoffe. Allein ich bin mit dem nicht Eins, was ihr doch zum Grunde liegt, die intelligible Freiheit, der regulative Gebrauch der Ideen überhaupt, die reine Gesetzmäßigkeit als Triebfeder des Willens u.s.w. Bey der Critik der U.[rteilskraft] vergiß doch ja nicht, daß er ein alter Mann ist, und dann daß er es schnell geschrieben, nur wie zur Erhohlung. Daher Wiederhohlungen, Abschweifungen, Verworrenheit, Nachläßigkeiten mehr als in irgend einem andern Werke von ihm. Wer läugnet das? Aber vernimmst Du nicht auch hie und da, das Wort einer großen schönen Seele, so macht Dich Dein Vorurtheil taub. Diese nachläßige, steife Hülle giebt dem Göttlichen, so sie einschließt, ein Siegel der Aechtheit, das ich ungern vermißen würde, so ungern wie Winkelm.[anns] Steifheit. Indessen zweifle ich sogar noch, ob es eine Critik der U.[rteilskraft] giebt; die Urtheilskraft ist meines Bedünkens kein ewiger Zweig des Vorstellungsvermögens, sondern eine ganz bestimmte Thätigkeit des Verstandes, und nach dem Sprachgebrauch nicht der reine Begriff dieser Verstandeshandlung, sondern die Erscheinung mit allen Besonderheiten, die die Erfahrung daran entdeckt, und dann auch Richtigkeit und Fertigkeit darin. – Sollte der Unterschied unter subsumirender und reflektirender U.[rteilskraft] so schwierig seyn? Ich will und mag nicht nachlesen, und nicht einmal zu viel nachdenken. Mich däucht der Gegenstand des Urtheils wird entweder einem Begriff untergeordnet, oder einem ursprünglichen Zustande des Gefühlsvermögens. Die vollendete Bearbeitung dieser kann dem Denker vielleicht unentbehrlich seyn, aber was soll der Künstler damit, und auch der, der ihn beurtheilt? Sind sie so unglücklich, schon einige Begriffe zu haben, so dürfen sie freylich nicht stehen bleiben, und müssen auf einem dornigten Wege fortgehen, der spät aber doch endlich wieder zur Natur zurückführt. – Ich rede von nichts geringern, als von dem, wonach immer zuerst gefragt wird, sobald von den Künsten die Rede ist, nehmlich die Lehre von dem Begriff des Schönen, Erhabnen, wozu dann noch das Rührende, Vollkommne, Wahre sich gesellen mag. Ich führe so Einige an; denn wer hat nur nach dem Quell geforscht, aus dem sich die vollständige Aufzählung <aller> dieser ursprünglichen zusammengesetzten Zustände des Gefühlsvermögens ergeben könnte. – Vergiß aber ja nicht, daß ich eben bloß von Begriffen redete. Oft hat man auch solche Massen von Erfahrungen dieser Art, die sich sehr deutlich von dem übrigen absondern, und sich zu einem Ganzen gleichsam zusammenhäufen. Bilden sage ich mit Fleiß nicht, weil an innren Zusammenhang und also an äußre Ordnung hier nicht zu denken ist. Ich dächte jemand der seinen Gegenstand ganz übersieht, und der sich hinsetzt, um eine Abhandlung über das Lächerliche, Naive, Erhabene, Schöne (hier in ganz anderm Sinne) zu schreiben, müßte gar nicht wissen, wo er anfangen und enden sollte. Wie soll da ein Ganzes entstehn? Einzelne reichhaltige Beobachtungen, aber ist es nicht barbarisch diese so in dem schwankenden Umfange irgend eines Wortes, neben einander aufzuhäufen? –
Was aber die Begriffe betrifft, so ist das vielleicht, wenn man alles Ueberflüssige absondert, nur die Frage von den Grundtrieben der Seele. – Ich halte dafür, daß alles Gefühl sich in drey Elementen auflösen läßt, drey ewige Unterschiede, so den Umfang der Welt (d. h. aller unsrer Gedanken, alles unseres Seyns) umfassen. Gieb wohl Acht. Ich werde ein wenig weit aushohlen.
Wir trachten nach drey Dingen, nehmlich Vielheit, Einheit und Allheit: in Deiner Sprache, Leben, Kraft, Gott. Nur die Vermählung Aller erzeugt menschliches Daseyn; die strenge Absonderung ist nur Werk des Verstandes; die rohe gehört dem Sinne, nach dem herschenden Element. Leben offenbart sich in Lust, Kampf und Liebe. In den beyden lezten Gestalten vermählt sich das Ewige gern mit dem Sterblichen, sie scheinen den Irdischen geschenkt, als Reiz wie Gott zu genießen. Unter Kraft meyne ich eigne That, Selbstthätigkeit, d. h. Einsicht und Ehre; denn so könnte man die Kraft des Willens an sich nennen. Ehre ohne Tugend ist wie Verstand ohne Vernunft. Die Richtung auf Gott und der Genuß Gottes ist Tugend, nicht unsre ganze Bestimmung, aber unsre höchste. – Ein Mensch hat so viel Werth als Daseyn, d. h. als Leben, Kraft und Gott in ihm ist. Hat er aber auch viel Kraft und Leben, sind diese aber im Streite mit dem Gott in ihm, so wird er immer ein häßlicher Mensch, ein verächtlicher Dichter, und sein Urtheil schief seyn. – Dieser Maaßstab gilt auch für einzelne menschliche Werke; also ein Gedicht z. B. hat so viel Werth als menschliche Lebenskraft darin ist. Dazu gehört aber auch die Richtung aller Theile auf das höchste Ziel; und was anders ist Sittlichkeit?
Ich habe kaum angefangen, bin aber schon müde. Nun noch Eins und das Andre Wichtigere, wie es mir beyfällt.
Ich sagte, daß ich an dem Daseyn einer Critik der U.[rteilskraft] zweifelte; das will sagen, die Critik der reinen Vernunft ist ewig, weil ihre Irrthümer <wesentlich> nothwendig sind. Den Streit über die Allgemeingültigkeit des Schönen halte ich aber für zufällig.
Hier ist ein Anfang eines Briefes an Dich, der sehr lang werden, und alles umfassen sollte, was ich über die Kunst im Allgemeinen zu sagen habe.
– ich hoffe große Aufschlüsse von Dir, und ich schmeichle mir, so lange Du unter Barbaren lebst, Dich zuweilen an Deine ehemalige Liebe und an Deine künftigen Werke erinnern zu dürfen. Wer kann besser über Kunst denken und lehren als Du in Deiner ietzigen Lage? Du hast Musse genung; bessere wäre zu gut. Und was die Hauptsache ist, Du besitzest die Kunst, ohne daß sie Dich besäße. (Sollte es Dir mit ihr etwa gehen, wie mit Sophien?) Du bist nahe und doch auch fern genung zum Kenner, zu dem ich Dich für vorherbestimmt halte. Von manchem, wünschte ich, möchte sich Dein Urtheil noch reinigen und dann Dein uralter Haß gegen die Vernunft. – Die Seele meiner Lehre ist, daß die Menschheit das höchste ist, und die Kunst nur um Ihrentwillen vorhanden sey. Nicht so wohl Schiller, als Bürger achtet die Kunst höher, wie die Natur. Ja selbst der große Göthe ist im Alter zu dieser Selbstvergötterung herabgesunken. Er scheint selbstgefällig seinem Genius zu lauschen, und ich erinnre mich dann wohl an Mozzarts Musik, die in jedem Laute, Eitelkeit und weichliche Verderbtheit athmet. Das lezte unter dem Siegel der Verschwiegenheit, man möchte mich sonst dem Arzte empfehlen u.s.w.
Wie System und Vielseitigkeit verwandt sind, würde man nicht fragen, wenn System nicht auch einer der Fremdlinge wäre, die mit Feuer und Dolch getilgt werden müssen, wenn die Wissenschaft gedeihen soll. Bestimtheit des Erklärens, Genauigkeit der wissenschaftlichen Bezeichnung heißt man oft systematisch. Ich redete aber bloß von Vollständigkeit der Einsicht, innrer Vollendung. Daß Vielseitigkeit zur Allseitigkeit der Weg sey, ist doch einleuchtend?
Welche Stelle hat denn Deinen Beyfall so sehr, die vom Schluß der Trauerspiele, oder von der Natur? – Du siehst daraus meine Unschuld.

Vom Ideal.
Das Streben nach dem Unerreichbaren, die Liebe zu dem Nahmenlosen, von denen Du schreibst, das ist grade das Rechte. Aber beynahe mußte ich lächeln, wie ich laß, daß Du das unmögliche forderst. Wer die Wahrheit liebt, soll nie wähnen, sie zu besitzen; und der, so das Ewige genießt, soll seinen schädlichen Irrthum <fahren Iaßen>, daß alles Andre nichts sey. Du hast das Unendliche nur von einer Seite ergriffen, und wie wenn man an Dich dieselben Forderungen machen wollte? Du liebst – wohl! aber Du darfst nicht denken, daß es nichts Höheres giebt als der Genuß des Geliebten; Nein Du mußt das gegen andre Vortheile vernünftig berechnen! – Aber mir däucht, wir wissen nicht <wovon wir> reden, was wir unter dem Ideal meynen; das fiel mir auf, weil Du von einem Werke, dessen Seele das Ideal und dessen einziger Inhalt die Vernunft ist, <behauptest,> es führe alles im Menschen auf Empfänglichkeit zurück. Nehmlich Allwills Papiere, Und dann wieder die Vernunft leihe dem Ideale ja nichts? sie leiht ihm weiter nichts, als daß sie es erzeugt. Denn was ist Vernunft als Vermögen der Ideale? Was ich vorhin in der Rhapsodie, Allheit nannte? und was ist Ideal, als Vernunftbegriff? – Vernunft ist ja nicht nur ein Theil des Vorstellungsvermögens, sondern auch ein Grundtrieb, der nach dem Ewigen. Der Zusammenhang dieses Triebes mit dem Vermögen zu begreifen und zu schließen ist nicht <ganz> leicht einzusehen, aber doch wahr. Du redest immer nur von dem natürlichen aber schädlichen Misbrauch des lezteren.
(Fortsetzung folgt)
Den 11ten October. ‚Das köstliche Wetter hat mich gestern herausgelockt, und ich bin bis an die Berndorfer Mühle gegangen – aber dafür muß ich heute im eigentlichsten Verstande kriechen; es würde selbst Ihr Mitleid zum Lachen bringen. Sonst ist alles ganz gut. Schreiben Sie denn wirklich posttäglich? Sie sind die Gewißenhaftigkeit selbst – W[ilhelm] wird sich zulezt nichts mehr aus Ihren Nachrichten machen, die Bülletins bey Seit legen, und in der nächsten Minute so wenig davon wissen, ob wohl oder übel darin gestanden hat, als wenn von einer <alten> schwindsüchtigen Hofdame die Rede wäre. Seyn Sie doch ein wenig cokett, mit dem was Sie ihm angedeihen lassen – in meiner Seele. Denn das glauben Sie nur, wir cokettiren mit Leben und Sterben.ʻ
Den 13ten October Abends. ‚Wohin denken Sie, daß ich Ihnen medicinisch berichten soll? Das könnte doch nur unter der Bedingung geschehen, daß sie es nicht läsen. Hier ist aber ein resumé meiner Gesundheit – es ist nicht schlimmer damit, wie sonst in ähnlichen Fällen. Wenn ich schlafen kann, so möchtʼ ich es eher beßer nennen, und so glücklich bin ich iezt die meiste Zeit. Eßen muß ich sehr wenig, und nur eine halbe Vierthel-Stunde lang gehn, wenn ich nicht groß Ungemach haben will. Es läßt sich gar nichts voraussehn – viele Uebel können iezt ruhen, und kommen nachher in Aufruhr – wir werden das erfahren in – etwa so viel Zeit als der Teufel brauchte, Christus zu versuchen. Jezt leid ich an geschwollenen Zahnfleisch und Blattern an der Zunge. Das mögen wohl Zeichen himlischer Verdamniß seyn.ʻ
Es ist über vier Wochen, daß ich nicht draussen gewesen bin, und ich weiß noch nicht, ob ichs diese Woche werde möglich machen können. Ich habe auch Meßgeschäfte, und dann sind alle meine Freunde hier gewesen. Schweinitz hat acht Tage bey mir gewohnt. Es kann also wohl seyn, daß Meyer, so iezt hier ist, sie eher sieht als ich. Er weiß ihren Aufenthalt und wird sie besuchen. Ich habe seine Bekanntschaft noch nicht gemacht. –
Erst von den Commißionen und andern Anfragen und gleichgültigen Dingen. Charlotte hat mir vor einigen Tagen geschrieben; Deiner aber nicht erwähnt. Alle die genannten Stücke des Hemsterhuys kenne ich schon, nur eins ausgenommen die description philosophique du caractere de feu Mr. Fagel. Hast Du sie gelesen? – Ueber den Properz werde ich gelegentlich mit G.[öschen] reden; so ist es ja wohl Deiner eignen Absicht gemäß. Ich hoffe es wird zu Stande kommen, und dann sehr gut seyn, Dich bekannt zu machen. –
Es wird zu nichts fruchten, Dir meine oekonomische Lage zu schildern, als nur Dich zu erschrecken; rathen kannst Du mir nicht, helfen wohl auch nicht. Zudem habe ich wieder Hoffnung und Muth, und da ich mich einmal im Kampf bilden soll, so sind mir die gefährlichsten Schwierigkeiten die liebsten. Ich bin entschlossen, alles zu thun und zu dulden – und so mache Dir keine Sorge. Du mußt zuerst an sie denken – daß Du mir das gesagt hast, danke ich Dir; es war unfreundschaftlich, daß Du so lange davon schwiegst, und hat mich am meisten geschmerzt. Kannst Du nachher, wenn es dort nicht nöthig ist, diesen Winter dann und wann etwas entbehren? Es könnte mir vielleicht zu Zeiten an Geld zum täglichen Leben fehlen. Doch entsage Dir desfalls nichts; dafür kann ich leicht Rath schaffen, da ich mehr Credit habe, als ich brauchen mag. Ist Dir aber möglich auf Ostern eine beträchtliche Summe bereit zu halten, auf einen doch möglichen Unglücksfall; so wäre das gut. Du sollst aber nicht dazu hinlegen – verstehe mich wohl. Bis Ostern muß ich noch hier bleiben, und kann in manchen Stücken meine Bedürfniße nicht einschränken. Z. B. ich muß dasselbe Logis behalten. Dann gehe ich nach Dreßden, und eine neue Periode meines Lebens hebt an. – Wenn mir nicht ein großes Glück wiederfahren wäre, so würde ich schwerlich über diese Michaelis weg gekommen seyn. Aber auch so bin ich noch tief drin. Große Schulden mußt Du wissen, wachsen wie Schneebälle, und ich weiß nicht ob es Glück oder Unglück ist, daß sie großen Credit geben. – Seit ich den Verstand, den ich sonst zu viel hatte, immer mehr und mehr verliere, weiß ich in verwickelte Lagen mich ziemlich leicht zu finden.
Nun zu unserm Kampfe. – Begierig erwarte ich die Denker, Dichter, und Seher. Besonders die lezten, und weil ich nur wenig Bekantschaft mit ihnen habe, so bitte ich Dich einen zur Probe beyzulegen. – Du hast auch etwas über die Methode in der Philosophie der Kunst versprochen. – Wenn Deine Gedanken vorzüglich von dem Kantischen Werke ausgehn, so will ichs noch einmal lesen. Ich rede davon, wie von einem Entschlusse, der mich etwas kosten würde, da es doch leicht ist, ein Buch zu lesen. Aber es würde mich in einen Strom von Gedanken reißen, dem ich mich nur eben entrißen. Kants Lehre war die erste so ich etwas verstand, und ist die einzige, aus der ich noch viel zu lernen hoffe. Allein ich bin mit dem nicht Eins, was ihr doch zum Grunde liegt, die intelligible Freiheit, der regulative Gebrauch der Ideen überhaupt, die reine Gesetzmäßigkeit als Triebfeder des Willens u.s.w. Bey der Critik der U.[rteilskraft] vergiß doch ja nicht, daß er ein alter Mann ist, und dann daß er es schnell geschrieben, nur wie zur Erhohlung. Daher Wiederhohlungen, Abschweifungen, Verworrenheit, Nachläßigkeiten mehr als in irgend einem andern Werke von ihm. Wer läugnet das? Aber vernimmst Du nicht auch hie und da, das Wort einer großen schönen Seele, so macht Dich Dein Vorurtheil taub. Diese nachläßige, steife Hülle giebt dem Göttlichen, so sie einschließt, ein Siegel der Aechtheit, das ich ungern vermißen würde, so ungern wie Winkelm.[anns] Steifheit. Indessen zweifle ich sogar noch, ob es eine Critik der U.[rteilskraft] giebt; die Urtheilskraft ist meines Bedünkens kein ewiger Zweig des Vorstellungsvermögens, sondern eine ganz bestimmte Thätigkeit des Verstandes, und nach dem Sprachgebrauch nicht der reine Begriff dieser Verstandeshandlung, sondern die Erscheinung mit allen Besonderheiten, die die Erfahrung daran entdeckt, und dann auch Richtigkeit und Fertigkeit darin. – Sollte der Unterschied unter subsumirender und reflektirender U.[rteilskraft] so schwierig seyn? Ich will und mag nicht nachlesen, und nicht einmal zu viel nachdenken. Mich däucht der Gegenstand des Urtheils wird entweder einem Begriff untergeordnet, oder einem ursprünglichen Zustande des Gefühlsvermögens. Die vollendete Bearbeitung dieser kann dem Denker vielleicht unentbehrlich seyn, aber was soll der Künstler damit, und auch der, der ihn beurtheilt? Sind sie so unglücklich, schon einige Begriffe zu haben, so dürfen sie freylich nicht stehen bleiben, und müssen auf einem dornigten Wege fortgehen, der spät aber doch endlich wieder zur Natur zurückführt. – Ich rede von nichts geringern, als von dem, wonach immer zuerst gefragt wird, sobald von den Künsten die Rede ist, nehmlich die Lehre von dem Begriff des Schönen, Erhabnen, wozu dann noch das Rührende, Vollkommne, Wahre sich gesellen mag. Ich führe so Einige an; denn wer hat nur nach dem Quell geforscht, aus dem sich die vollständige Aufzählung <aller> dieser ursprünglichen zusammengesetzten Zustände des Gefühlsvermögens ergeben könnte. – Vergiß aber ja nicht, daß ich eben bloß von Begriffen redete. Oft hat man auch solche Massen von Erfahrungen dieser Art, die sich sehr deutlich von dem übrigen absondern, und sich zu einem Ganzen gleichsam zusammenhäufen. Bilden sage ich mit Fleiß nicht, weil an innren Zusammenhang und also an äußre Ordnung hier nicht zu denken ist. Ich dächte jemand der seinen Gegenstand ganz übersieht, und der sich hinsetzt, um eine Abhandlung über das Lächerliche, Naive, Erhabene, Schöne (hier in ganz anderm Sinne) zu schreiben, müßte gar nicht wissen, wo er anfangen und enden sollte. Wie soll da ein Ganzes entstehn? Einzelne reichhaltige Beobachtungen, aber ist es nicht barbarisch diese so in dem schwankenden Umfange irgend eines Wortes, neben einander aufzuhäufen? –
Was aber die Begriffe betrifft, so ist das vielleicht, wenn man alles Ueberflüssige absondert, nur die Frage von den Grundtrieben der Seele. – Ich halte dafür, daß alles Gefühl sich in drey Elementen auflösen läßt, drey ewige Unterschiede, so den Umfang der Welt (d. h. aller unsrer Gedanken, alles unseres Seyns) umfassen. Gieb wohl Acht. Ich werde ein wenig weit aushohlen.
Wir trachten nach drey Dingen, nehmlich Vielheit, Einheit und Allheit: in Deiner Sprache, Leben, Kraft, Gott. Nur die Vermählung Aller erzeugt menschliches Daseyn; die strenge Absonderung ist nur Werk des Verstandes; die rohe gehört dem Sinne, nach dem herschenden Element. Leben offenbart sich in Lust, Kampf und Liebe. In den beyden lezten Gestalten vermählt sich das Ewige gern mit dem Sterblichen, sie scheinen den Irdischen geschenkt, als Reiz wie Gott zu genießen. Unter Kraft meyne ich eigne That, Selbstthätigkeit, d. h. Einsicht und Ehre; denn so könnte man die Kraft des Willens an sich nennen. Ehre ohne Tugend ist wie Verstand ohne Vernunft. Die Richtung auf Gott und der Genuß Gottes ist Tugend, nicht unsre ganze Bestimmung, aber unsre höchste. – Ein Mensch hat so viel Werth als Daseyn, d. h. als Leben, Kraft und Gott in ihm ist. Hat er aber auch viel Kraft und Leben, sind diese aber im Streite mit dem Gott in ihm, so wird er immer ein häßlicher Mensch, ein verächtlicher Dichter, und sein Urtheil schief seyn. – Dieser Maaßstab gilt auch für einzelne menschliche Werke; also ein Gedicht z. B. hat so viel Werth als menschliche Lebenskraft darin ist. Dazu gehört aber auch die Richtung aller Theile auf das höchste Ziel; und was anders ist Sittlichkeit?
Ich habe kaum angefangen, bin aber schon müde. Nun noch Eins und das Andre Wichtigere, wie es mir beyfällt.
Ich sagte, daß ich an dem Daseyn einer Critik der U.[rteilskraft] zweifelte; das will sagen, die Critik der reinen Vernunft ist ewig, weil ihre Irrthümer <wesentlich> nothwendig sind. Den Streit über die Allgemeingültigkeit des Schönen halte ich aber für zufällig.
Hier ist ein Anfang eines Briefes an Dich, der sehr lang werden, und alles umfassen sollte, was ich über die Kunst im Allgemeinen zu sagen habe.
– ich hoffe große Aufschlüsse von Dir, und ich schmeichle mir, so lange Du unter Barbaren lebst, Dich zuweilen an Deine ehemalige Liebe und an Deine künftigen Werke erinnern zu dürfen. Wer kann besser über Kunst denken und lehren als Du in Deiner ietzigen Lage? Du hast Musse genung; bessere wäre zu gut. Und was die Hauptsache ist, Du besitzest die Kunst, ohne daß sie Dich besäße. (Sollte es Dir mit ihr etwa gehen, wie mit Sophien?) Du bist nahe und doch auch fern genung zum Kenner, zu dem ich Dich für vorherbestimmt halte. Von manchem, wünschte ich, möchte sich Dein Urtheil noch reinigen und dann Dein uralter Haß gegen die Vernunft. – Die Seele meiner Lehre ist, daß die Menschheit das höchste ist, und die Kunst nur um Ihrentwillen vorhanden sey. Nicht so wohl Schiller, als Bürger achtet die Kunst höher, wie die Natur. Ja selbst der große Göthe ist im Alter zu dieser Selbstvergötterung herabgesunken. Er scheint selbstgefällig seinem Genius zu lauschen, und ich erinnre mich dann wohl an Mozzarts Musik, die in jedem Laute, Eitelkeit und weichliche Verderbtheit athmet. Das lezte unter dem Siegel der Verschwiegenheit, man möchte mich sonst dem Arzte empfehlen u.s.w.
Wie System und Vielseitigkeit verwandt sind, würde man nicht fragen, wenn System nicht auch einer der Fremdlinge wäre, die mit Feuer und Dolch getilgt werden müssen, wenn die Wissenschaft gedeihen soll. Bestimtheit des Erklärens, Genauigkeit der wissenschaftlichen Bezeichnung heißt man oft systematisch. Ich redete aber bloß von Vollständigkeit der Einsicht, innrer Vollendung. Daß Vielseitigkeit zur Allseitigkeit der Weg sey, ist doch einleuchtend?
Welche Stelle hat denn Deinen Beyfall so sehr, die vom Schluß der Trauerspiele, oder von der Natur? – Du siehst daraus meine Unschuld.

Vom Ideal.
Das Streben nach dem Unerreichbaren, die Liebe zu dem Nahmenlosen, von denen Du schreibst, das ist grade das Rechte. Aber beynahe mußte ich lächeln, wie ich laß, daß Du das unmögliche forderst. Wer die Wahrheit liebt, soll nie wähnen, sie zu besitzen; und der, so das Ewige genießt, soll seinen schädlichen Irrthum <fahren Iaßen>, daß alles Andre nichts sey. Du hast das Unendliche nur von einer Seite ergriffen, und wie wenn man an Dich dieselben Forderungen machen wollte? Du liebst – wohl! aber Du darfst nicht denken, daß es nichts Höheres giebt als der Genuß des Geliebten; Nein Du mußt das gegen andre Vortheile vernünftig berechnen! – Aber mir däucht, wir wissen nicht <wovon wir> reden, was wir unter dem Ideal meynen; das fiel mir auf, weil Du von einem Werke, dessen Seele das Ideal und dessen einziger Inhalt die Vernunft ist, <behauptest,> es führe alles im Menschen auf Empfänglichkeit zurück. Nehmlich Allwills Papiere, Und dann wieder die Vernunft leihe dem Ideale ja nichts? sie leiht ihm weiter nichts, als daß sie es erzeugt. Denn was ist Vernunft als Vermögen der Ideale? Was ich vorhin in der Rhapsodie, Allheit nannte? und was ist Ideal, als Vernunftbegriff? – Vernunft ist ja nicht nur ein Theil des Vorstellungsvermögens, sondern auch ein Grundtrieb, der nach dem Ewigen. Der Zusammenhang dieses Triebes mit dem Vermögen zu begreifen und zu schließen ist nicht <ganz> leicht einzusehen, aber doch wahr. Du redest immer nur von dem natürlichen aber schädlichen Misbrauch des lezteren.
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