• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Amsterdam · Date: 27.02.1794
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Amsterdam
  • Date: 27.02.1794
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 182‒187.
  • Incipit: „[1] Dreßden den 27ten Februar 1794.
    Ich hatte schon einigemal den Vorsatz Dir zu schreiben. Allein da Du das Wesentlichste aus meinem [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.50
  • Number of Pages: 11 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 19,1 x 11,9 cm
[1] Dreßden den 27ten Februar 1794.
Ich hatte schon einigemal den Vorsatz Dir zu schreiben. Allein da Du das Wesentlichste aus meinem lezten Briefe schon wußtest, so hielt mich der Eifer im Arbeiten eine Zeitlang ab; und seit beynahe vierzehn Tagen muß ich eine Medicin brauchen, die meine geistigen Kräfte sehr angreift. Jezt fange ich doch an mich zu erhohlen. Du wirst leicht denken können, daß sich iezt der Zeitpunkt nahet, wo ich mit Unruhe Nachrichten von Dir erwarte. Lieber Bruder, sollte etwa noch alles fehlschlagen, und Du nicht im Stande seyn, mir zu helfen, so bitte ich Dich, mir es sogleich zu melden. Bis dahin ist es noch ziemlich leidlich gegangen: zwar weiß ich, daß viele meine Reise für eine Flucht gehalten und an meiner Rückkehr gezweifelt haben; aber außer von meiner Wirthin habe ich hier noch keinen Mahnbrief erhalten. Nur das hat mir sehr wehe gethan, daß ich meinem braven Bedienten nichts habe schicken können. Ich bin Dir vielen Dank schuldig, für den an Lottchen gerichteten Zettel; sie hat sich darauf erboten, an meine Wirthin zu schreiben, und da gewißermaßen, ohne bestimmte Zeit für mich gut zu sagen, und hat mir von 15 Thl. die sie sich (weil ich ohne alles Geld hier ankam) von meiner Mutter hatte schicken laßen, fünf für meinen Bedienten gegeben. – Es versteht sich von [2] selbst, daß ich alles gethan habe, um gut mit ihr zu leben – so weit es die Ehre erlaubte. Du kannst Dich nicht darüber wundern, wenn ich Dir schreibe, daß ich iezt recht sehr gut mit ihr bin. – Es folgte aus ihrem Verhältniße natürlich, daß sie sich in Rücksicht der Geldsachen in Sicherheit gegen mich setzen mußte, und aus ihrem Charakter folgte ganz natürlich die Art mit der sie es that. Es mußte einen üblen Eindruck auf sie machen, daß ich ohne alles Geld hier ankam – hätte sie mich gekannt, so mußte sie mit Gewißheit vorausgesehen haben, wie ich hier leben würde; aber wie konnte ich das von ihr verlangen? – Die Erfahrung hat sie nun belehrt, – und ich habe nachher, ohne mir in etwas zu vergeben, was sie mir für Dienste anbot, gern angenommen. Ich werde vermuthlich die lezte Hälfte* des Sommers, in Pillnitz bey ihr wohnen. – Jezt wohne ich bey einer Freundin von ihr, mit der ich förmlich accordirt hatte, die sich aber iezt weigert Geld zu nehmen; von Ostern bis ich nach Pillnitz gehe, hat sich Lottchen erboten, mir von ihrem Logis, welches alsdann leer stehet, ein Zimmer einzuräumen. Du siehst wohl selbst ein, wie viel ich auf diese Weise bis zu Michaelis brauchen werde. Noch ist zu merken, daß ich keinen [3] Friseur brauche, und daß ich vors erste Kleidung genung habe, und daß ich mir nachher die Freiheit nehmen werde, sehr einfach oder nach Deinem Ausdrucke cynisch zu gehen. Was nun künftigen Winter betrifft, so dient folgendes zur Nachricht. Ich kann eine Wohnung, die mir gut genung ist für 25 Thl. jährlich haben, Aufwartung jährlich 6 Thl., Balbier 4 Thl. u.s.w. Daß mir Eßen und Trinken nicht viel kostet, dafür werde ich schon sorgen. – Ich schreibe Dir diese Kleinigkeiten so umständlich, damit Du wenn es möglich ist, begreifst daß ich hier von Wenigem leben werde. Doch vielleicht muß ich darauf Verzicht thun, und mich begnügen daß Du hier mein Thun auf eine Art unbegreiflich finden wirst, als in Leipzig.
Ich schrieb Dir kurz vor meiner Abreise, daß ich Geld würde aufnehmen müßen, und vermuthlich mit Schaden. Dieses hängt so zusammen sollte meine Reise möglich seyn, und ohne Verdruß, und nicht ein gar zu übles Ansehn haben, so brauchte ich 150 Thl., und ich hatte damals noch Aussichten genung, sie geliehen zu bekommen. Alles schlug fehl; mit jedem Tage wurde die Reise nothwendiger und wie es schien unmöglicher. Ich ließ mich nichts halten, und führte es aus mit 5 Ldrs. (mehr hatte ich nicht bekommen). Es würde mir ganz unmöglich gewesen seyn, hätte nicht Caroline, bey der ich die lezten Tage zu[4]brachte, mir noch 2 Ldrs. aufgedrungen. Ich bitte Dich darüber Deine Einrichtung zu machen, und ihr allenfalls, sobald Du das Geld bekömmst, 2 Ldrs. zu schicken. Da es vermuthlich ein Wechsel seyn wird, so ist es vielleicht bequemer, daß ich es ihr von L.[eipzig] aus schicke. – Du verlangst zum zweitenmale zu wißen ob jene Summe zur gänzlichen Tilgung meiner Schulden hinreicht. Diese Frage kannst Du Dir selbst beantworten, da ich Dir vor zwey oder drey Monaten schrieb, daß meine Schulden sich gegen 800 Thlr. nach einer ohngefähren Berechnung beliefen. – Wenn es das höchste war, was ich foderte, so nahm ich vielleicht darauf Rücksicht, was das Höchste seyn möchte, was Du leisten könntest, ohne andre Pflichten zurückzusetzen, die Dir heiliger sein mußten. Und dann so hoffte ich damals und hoffe noch iezt, daß jene Summe hinreicht mich zu retten. Wenn Du wißen willst wie ich mich einrichten werde, welches freylich nicht ganz leicht, aber doch möglich seyn wird, so werde ich Dir sehr gern von L.[eipzig] aus Nachricht darüber geben. –
Du mußt in meinem lezten Briefe, oder in Carolinens Aeußerungen etwas unrecht verstanden haben. Wir sind gewiß sehr einstimmig darüber, wie Du gegen mich gehandelt hast. – Ich habe Dir oft, sehr oft Gelegenheit gegeben, durch Aufopferungen Deine Freundschaft zu beweisen, und Du [5] hast immer weit mehr gethan, als ich hoffen durfte. Dieses ist mein inniges Gefühl, und an diesem, was das Wesentliche ist, laß uns halten, und alle unbedeutende Verschiedenheiten des Urtheils in Vergeßenheit begraben. – Deinen Auftrag an Heinsius werde ich in L.[eipzig] besorgen, und bitte Dich nur, ihn mir noch einmal zu melden. Ich hielte es für gut, gleich dießmal mit G.[öschen] wegen des Dante zu reden, und bitte mir Deinen Willen darüber aus. – Beckern habe ich noch nicht gesehn. Es ist allerdings Schade, daß Du die Sachen nicht hast in der Thalia abdrucken laßen, wo sie weit mehr gelesen seyn würden; denn das Taschenbuch hat nicht viel Beyfall gefunden, und von dem Damenjournal hat man sehr geringe Erwartungen. – Wenn ich nur erst etwas fertig habe, so wird sich schon ein Verleger finden; den schafft mir G.[öschen], Körner, Plattner und andre. Wobey es sich jedoch versteht, daß man das erstemal kein übermäßiges Honorar erwarten darf. – Ich weiß nicht, was Du mit der Frage meynst; ob ich Arbeiten bekommen? Ich arbeite beständig, und durchaus nur zu meinem nächsten Zweck. In L[eipzig], wo meine Muße wie Du weißt, ganz fragmentarisch war, wünschte ich zu übersetzen, an der Litt[eratur-]Z.[eitung] mitzuarbeiten. Jezt wäre das wohl nicht rathsam. Ich bin schon weit vorgerückt und habe viel auf dem Papier – seit ich die [6] Medicin nehme, bin ich zum Schreiben, ja zum Lesen der Dichter selten fähig gewesen – und habe also die Zeit auf Gelehrsamkeit wenden müßen; das wird auch meinem Werke gar nicht schaden, so wenig ich die Absicht habe, daß das Werk gelehrt werden soll. Von den Rhetorikern schrieb ich Dir schon neulich. Jezt suche ich fleißig in den Griechischen Grammatikern und Musikern nach Goldkörner über alten Rythmus, Prosodie, Aussprache, Gesang u.s.w. – Ich habe den ganzen Anacharsis wieder durchgelesen, und auch manche aesthetische oder antiquarische Schrift. Unter andern habe ich den gestrigen Tag, da ich mich sehr übel befand, [mich] an Herders kritischen Wäldern gelabt. Das Polemische des Werks ist nicht wiedrig und verleiht der Weichheit seines Styls mehr Kraft, als sonst irgendwo. – Ich bitte Dich den Jon des Plato zu lesen, ein kleines Gespräch, wo eine vortreffliche Stelle über Begeisterung und Mittheilung derselben vorkommt**. –
In Deinem lezten Briefe habe ich über Metrik manchen Aufschluß gefunden, und noch mehr Anlaß zum Nachdenken. Ich bitte Dich, mich ferner zu belehren, denn es bleiben mir noch sehr viele Schwierigkeiten; und mir die Gründe zu entwickeln weshalb Du mir von sechsfüßigen Jamben ab[7]räthst; so sehe ich auch nicht ein, wie es gerechtfertigt werden könnte, die Chöre und die Monodien in freye lyrische Rythmen*** zu übersetzen? Ich frage Dich darüber um Rath, und bitte Dich noch besonders um eine vollständige Lehre von der Cäsur, weil es mir hier noch an befriedigenden Begriffen und Grundsätzen fehlt. – Ueber den Werth einer Uebersetzung eines alten <tragischen> Dichters kann wohl noch nicht ganz entschieden werden, weil noch nichts taugliches vorhanden ist. Die Stolbergische Uebersetzung finde ich in allen Rücksichten vollkommen schlecht. Härter aber nicht ganz so plump schien mir der Agamemnon von Jenisch. – Eine Ode aus dem Pindar, welche mir Car.[oline] zeigte, und einige Chöre des Aeschylus in der Berliner Monathsschrift; beydes von dem ältsten Humbold gefiel mir beym flüchtigen Lesen ganz vortreflich. Das kleine Stück aus dem Prometh.[eus] von Dir finde ich zu weitläuftig; hätte ich nichts gewußt, oder die Stelle nicht gekannt, so würde ich gerathen haben, es sey aus dem Euripides. – Es freut mich sehr, daß unser Urtheil über den Prometheus einstimmig ist. Allein denke immer daß Aeschylus durchaus so groß ist; nur daß dieses Stück uns näher liegt, uns verständlicher ist; [8] warum es das ist, brauche ich Dir gewiß nicht zu entwickeln. –
Der Gedanke macht mir Vergnügen, daß unsre Bestrebungen, so verschieden sie auch sind, dennoch vielleicht an demselben Ziele zusammentreffen. Das Problem unsrer Poesie scheint mir die Vereinigung des Wesentlich-Modernen mit dem Wesentlich-Antiken; wenn ich hinzusetze, daß Göthe, der erste einer ganz neuen Kunst-Periode, einen Anfang gemacht hat, sich diesem Ziele zu nähern, <so wirst Du mich wohl verstehen.> Wenn Du den Geist des Dante, vielleicht auch des Shakesp.[eare] erforschest und lehrest, so wird es leichter seyn, dasjenige was ich vorhin das Wesentlich-moderne nannte, und was ich vorzüglich in diesen beyden Dichtern finde, kennen zu lernen. Wie viel würde dazu auch die Geschichte der romantischen Poesie beytragen, zu der Du einmal den Plan faßtest? – Die Geschichte des neuern Dramas, und des Romans wäre dann vielleicht nicht so schwer. Da Du Dich so viel mit römischer Litteratur <beschäftigt hast,> sollte es Dir recht leicht und angenehm seyn, eine Geschichte des Eigentlich-Römischen in der Poesie zu schreiben, deßen freilich wohl nicht gar viel ist.
Nun noch einige Fragen über metrische Schwierigkeiten. – Wie können aus Jamben, Trochäen, und Pyrrhichen durcheinander, – Jamben werden? [9] Der Theorie scheint dieß ganz wiedersinnig: der Troch.[äe] ist dem herrschenden Fuß ganz entgegengesetzt, und der Pyrrhich eine Zeit zu kurz, und also wieder den Takt. Ich weiß mir nichts zu ersinnen, was das erste entschuldigen könnte: für das lezte könntest Du mir den Gebrauch des Spondäus, Daktylus, und Anapaest an der 1° 3° und 5° Stelle des Griechischen Senarius anführen, als sey er gleichfalls wieder den Takt. Allein 1° Sind an Stellen, auf die es ankommt, (wovon unten) nur gleichzeitige Füße des Jambus und des Tribrachys. 2° Ist eine Erweiterung des Takts eher erlaubt, als eine Verkürzung, wie die Vorschläge und Verzierungen in der Musik beweisen. 3° Ist die Länge des Daktylus nicht völlig so lang (αλογος) und seine Kürzen sind kürzer; daher entsteht vielleicht ein Verhältniß wie bey den Triolen. Von dem Anapaest habe ich darüber nichts gefunden; allein da er der umgekehrte Daktyl ist und gleichfalls einen sehr schnellen Gang hat, so ist es vielleicht auch bey ihm der Fall. – Die Ursache warum an der 2° 4° und 6° Stelle der herrschende Fuß, oder ein gleichzeitiger und zugleich nicht ungleichartiger (d. h. also einer, in den er aufgelößt werden kann) nehmlich der Tribrachys stehen muß, ist diese, weil der Trimeter im Lesen von selbst in drey συζυγιας zerfällt; und die lezte Stelle einer solchen συζ[υγια] ist die herschende, weil der Jambus steigt; und weil der Trochäe [10] fällt, gelten eben die Gesetze für die 1° 3° und 5° Stelle. – Du findest das Alles sehr gründlich beym Hephästion und ich vermuthe daß Klopst.[ock] seine unverständliche Lehre von den Wortfüßen daraus gemacht hat. – Der alte Jambe ist dem Gespräch und dem Wechsel aller Leidenschaften wunderbar angemeßen, mächtig und doch sanft-flüßig. Im Neuen stoße ich, ich gestehe es Dir, bey Trochäen an und der Pyrrhich scheint mir die Ursache der Kleinheit deßelben. Solltest Du Schiller, Lessing und Klopstock im Ernst anführen, um seinen Vorzug vor den Alten zu erweisen? – Iphig.[enie] hat mir C.[aroline] vorgelesen. Wie sie ließt, weißt Du wohl, und ich gestehe Dir daß die Musik dieses Werks, mir der geflügelten Fülle und der kräftigen Zartheit der Alten nahe zu kommen scheint.
Du schreibst mir von gewißen Einschränkungen, und Bestimmungen, unter denen der Gebrauch des Trochäen und Pyrrhich erlaubt sey. Welche sind diese? –
Du würdest mich sehr verpflichten, wenn Du mir die Grundsätze der Accentuation in neuern Sprachen angeben wolltest, oder auch Nachricht geben, wo ich darüber Belehrung finde. –
Es wäre recht gut, wenn Du gelegentlich einmal freundschaftlich an Charl.[otte] schriebest. – [11] Ich bitte Dich nochmals um baldige Nachricht, wenn es etwan fehl schlagen sollte.
Körner ist sehr freundschaftlich gegen mich. Jezt hat mich Becker in Gotha, dem er mich empfohlen, einem gewißen Grafen Soden, preußischen Gesandten in Nürnberg zum Hofmeister für seinen einzigen, eilfjährigen Sohn vorgeschlagen. Er meynte, ich sollte gleich an den Grafen schreiben, allein ich habe mit K.[örner] für das beste gefunden, dieses nicht zu thun – weil doch eigentlich meine Absicht nie auf ein Familienengagement gieng, welches mir alle Arbeiten unmöglich machte – hauptsächlich aber, weil er gar nichts Weiteres gemeldet hatte, und ich also so ins Blaue hinein hätte schreiben müßen. –
Von Car.[oline] habe ich nach ihrer Ankunft in G.[otha] Nachricht, und bin nun sehr begierig auf die nächsten. Ich fürchte, daß sie sich unter Menschen nicht so ruhig fühlen wird. Ich bitte um Nachricht von Deiner ‚Rückkehr ins Vaterlandʻ. –
[12]
* wenn mein Werk geendigt ist, oder wenn ich wenigstens die Bibliothek ganz entbehren kann. –

** Was in der Rep.[ublik] und den Gesetzen von der Kunst vorkommt, ist zum Theil vortrefflich, nur möchtest Du es vielleicht nicht ohne Vorurtheil lesen.

*** was die Alten Dithyramben nennen würden.
[1] Dreßden den 27ten Februar 1794.
Ich hatte schon einigemal den Vorsatz Dir zu schreiben. Allein da Du das Wesentlichste aus meinem lezten Briefe schon wußtest, so hielt mich der Eifer im Arbeiten eine Zeitlang ab; und seit beynahe vierzehn Tagen muß ich eine Medicin brauchen, die meine geistigen Kräfte sehr angreift. Jezt fange ich doch an mich zu erhohlen. Du wirst leicht denken können, daß sich iezt der Zeitpunkt nahet, wo ich mit Unruhe Nachrichten von Dir erwarte. Lieber Bruder, sollte etwa noch alles fehlschlagen, und Du nicht im Stande seyn, mir zu helfen, so bitte ich Dich, mir es sogleich zu melden. Bis dahin ist es noch ziemlich leidlich gegangen: zwar weiß ich, daß viele meine Reise für eine Flucht gehalten und an meiner Rückkehr gezweifelt haben; aber außer von meiner Wirthin habe ich hier noch keinen Mahnbrief erhalten. Nur das hat mir sehr wehe gethan, daß ich meinem braven Bedienten nichts habe schicken können. Ich bin Dir vielen Dank schuldig, für den an Lottchen gerichteten Zettel; sie hat sich darauf erboten, an meine Wirthin zu schreiben, und da gewißermaßen, ohne bestimmte Zeit für mich gut zu sagen, und hat mir von 15 Thl. die sie sich (weil ich ohne alles Geld hier ankam) von meiner Mutter hatte schicken laßen, fünf für meinen Bedienten gegeben. – Es versteht sich von [2] selbst, daß ich alles gethan habe, um gut mit ihr zu leben – so weit es die Ehre erlaubte. Du kannst Dich nicht darüber wundern, wenn ich Dir schreibe, daß ich iezt recht sehr gut mit ihr bin. – Es folgte aus ihrem Verhältniße natürlich, daß sie sich in Rücksicht der Geldsachen in Sicherheit gegen mich setzen mußte, und aus ihrem Charakter folgte ganz natürlich die Art mit der sie es that. Es mußte einen üblen Eindruck auf sie machen, daß ich ohne alles Geld hier ankam – hätte sie mich gekannt, so mußte sie mit Gewißheit vorausgesehen haben, wie ich hier leben würde; aber wie konnte ich das von ihr verlangen? – Die Erfahrung hat sie nun belehrt, – und ich habe nachher, ohne mir in etwas zu vergeben, was sie mir für Dienste anbot, gern angenommen. Ich werde vermuthlich die lezte Hälfte* des Sommers, in Pillnitz bey ihr wohnen. – Jezt wohne ich bey einer Freundin von ihr, mit der ich förmlich accordirt hatte, die sich aber iezt weigert Geld zu nehmen; von Ostern bis ich nach Pillnitz gehe, hat sich Lottchen erboten, mir von ihrem Logis, welches alsdann leer stehet, ein Zimmer einzuräumen. Du siehst wohl selbst ein, wie viel ich auf diese Weise bis zu Michaelis brauchen werde. Noch ist zu merken, daß ich keinen [3] Friseur brauche, und daß ich vors erste Kleidung genung habe, und daß ich mir nachher die Freiheit nehmen werde, sehr einfach oder nach Deinem Ausdrucke cynisch zu gehen. Was nun künftigen Winter betrifft, so dient folgendes zur Nachricht. Ich kann eine Wohnung, die mir gut genung ist für 25 Thl. jährlich haben, Aufwartung jährlich 6 Thl., Balbier 4 Thl. u.s.w. Daß mir Eßen und Trinken nicht viel kostet, dafür werde ich schon sorgen. – Ich schreibe Dir diese Kleinigkeiten so umständlich, damit Du wenn es möglich ist, begreifst daß ich hier von Wenigem leben werde. Doch vielleicht muß ich darauf Verzicht thun, und mich begnügen daß Du hier mein Thun auf eine Art unbegreiflich finden wirst, als in Leipzig.
Ich schrieb Dir kurz vor meiner Abreise, daß ich Geld würde aufnehmen müßen, und vermuthlich mit Schaden. Dieses hängt so zusammen sollte meine Reise möglich seyn, und ohne Verdruß, und nicht ein gar zu übles Ansehn haben, so brauchte ich 150 Thl., und ich hatte damals noch Aussichten genung, sie geliehen zu bekommen. Alles schlug fehl; mit jedem Tage wurde die Reise nothwendiger und wie es schien unmöglicher. Ich ließ mich nichts halten, und führte es aus mit 5 Ldrs. (mehr hatte ich nicht bekommen). Es würde mir ganz unmöglich gewesen seyn, hätte nicht Caroline, bey der ich die lezten Tage zu[4]brachte, mir noch 2 Ldrs. aufgedrungen. Ich bitte Dich darüber Deine Einrichtung zu machen, und ihr allenfalls, sobald Du das Geld bekömmst, 2 Ldrs. zu schicken. Da es vermuthlich ein Wechsel seyn wird, so ist es vielleicht bequemer, daß ich es ihr von L.[eipzig] aus schicke. – Du verlangst zum zweitenmale zu wißen ob jene Summe zur gänzlichen Tilgung meiner Schulden hinreicht. Diese Frage kannst Du Dir selbst beantworten, da ich Dir vor zwey oder drey Monaten schrieb, daß meine Schulden sich gegen 800 Thlr. nach einer ohngefähren Berechnung beliefen. – Wenn es das höchste war, was ich foderte, so nahm ich vielleicht darauf Rücksicht, was das Höchste seyn möchte, was Du leisten könntest, ohne andre Pflichten zurückzusetzen, die Dir heiliger sein mußten. Und dann so hoffte ich damals und hoffe noch iezt, daß jene Summe hinreicht mich zu retten. Wenn Du wißen willst wie ich mich einrichten werde, welches freylich nicht ganz leicht, aber doch möglich seyn wird, so werde ich Dir sehr gern von L.[eipzig] aus Nachricht darüber geben. –
Du mußt in meinem lezten Briefe, oder in Carolinens Aeußerungen etwas unrecht verstanden haben. Wir sind gewiß sehr einstimmig darüber, wie Du gegen mich gehandelt hast. – Ich habe Dir oft, sehr oft Gelegenheit gegeben, durch Aufopferungen Deine Freundschaft zu beweisen, und Du [5] hast immer weit mehr gethan, als ich hoffen durfte. Dieses ist mein inniges Gefühl, und an diesem, was das Wesentliche ist, laß uns halten, und alle unbedeutende Verschiedenheiten des Urtheils in Vergeßenheit begraben. – Deinen Auftrag an Heinsius werde ich in L.[eipzig] besorgen, und bitte Dich nur, ihn mir noch einmal zu melden. Ich hielte es für gut, gleich dießmal mit G.[öschen] wegen des Dante zu reden, und bitte mir Deinen Willen darüber aus. – Beckern habe ich noch nicht gesehn. Es ist allerdings Schade, daß Du die Sachen nicht hast in der Thalia abdrucken laßen, wo sie weit mehr gelesen seyn würden; denn das Taschenbuch hat nicht viel Beyfall gefunden, und von dem Damenjournal hat man sehr geringe Erwartungen. – Wenn ich nur erst etwas fertig habe, so wird sich schon ein Verleger finden; den schafft mir G.[öschen], Körner, Plattner und andre. Wobey es sich jedoch versteht, daß man das erstemal kein übermäßiges Honorar erwarten darf. – Ich weiß nicht, was Du mit der Frage meynst; ob ich Arbeiten bekommen? Ich arbeite beständig, und durchaus nur zu meinem nächsten Zweck. In L[eipzig], wo meine Muße wie Du weißt, ganz fragmentarisch war, wünschte ich zu übersetzen, an der Litt[eratur-]Z.[eitung] mitzuarbeiten. Jezt wäre das wohl nicht rathsam. Ich bin schon weit vorgerückt und habe viel auf dem Papier – seit ich die [6] Medicin nehme, bin ich zum Schreiben, ja zum Lesen der Dichter selten fähig gewesen – und habe also die Zeit auf Gelehrsamkeit wenden müßen; das wird auch meinem Werke gar nicht schaden, so wenig ich die Absicht habe, daß das Werk gelehrt werden soll. Von den Rhetorikern schrieb ich Dir schon neulich. Jezt suche ich fleißig in den Griechischen Grammatikern und Musikern nach Goldkörner über alten Rythmus, Prosodie, Aussprache, Gesang u.s.w. – Ich habe den ganzen Anacharsis wieder durchgelesen, und auch manche aesthetische oder antiquarische Schrift. Unter andern habe ich den gestrigen Tag, da ich mich sehr übel befand, [mich] an Herders kritischen Wäldern gelabt. Das Polemische des Werks ist nicht wiedrig und verleiht der Weichheit seines Styls mehr Kraft, als sonst irgendwo. – Ich bitte Dich den Jon des Plato zu lesen, ein kleines Gespräch, wo eine vortreffliche Stelle über Begeisterung und Mittheilung derselben vorkommt**. –
In Deinem lezten Briefe habe ich über Metrik manchen Aufschluß gefunden, und noch mehr Anlaß zum Nachdenken. Ich bitte Dich, mich ferner zu belehren, denn es bleiben mir noch sehr viele Schwierigkeiten; und mir die Gründe zu entwickeln weshalb Du mir von sechsfüßigen Jamben ab[7]räthst; so sehe ich auch nicht ein, wie es gerechtfertigt werden könnte, die Chöre und die Monodien in freye lyrische Rythmen*** zu übersetzen? Ich frage Dich darüber um Rath, und bitte Dich noch besonders um eine vollständige Lehre von der Cäsur, weil es mir hier noch an befriedigenden Begriffen und Grundsätzen fehlt. – Ueber den Werth einer Uebersetzung eines alten <tragischen> Dichters kann wohl noch nicht ganz entschieden werden, weil noch nichts taugliches vorhanden ist. Die Stolbergische Uebersetzung finde ich in allen Rücksichten vollkommen schlecht. Härter aber nicht ganz so plump schien mir der Agamemnon von Jenisch. – Eine Ode aus dem Pindar, welche mir Car.[oline] zeigte, und einige Chöre des Aeschylus in der Berliner Monathsschrift; beydes von dem ältsten Humbold gefiel mir beym flüchtigen Lesen ganz vortreflich. Das kleine Stück aus dem Prometh.[eus] von Dir finde ich zu weitläuftig; hätte ich nichts gewußt, oder die Stelle nicht gekannt, so würde ich gerathen haben, es sey aus dem Euripides. – Es freut mich sehr, daß unser Urtheil über den Prometheus einstimmig ist. Allein denke immer daß Aeschylus durchaus so groß ist; nur daß dieses Stück uns näher liegt, uns verständlicher ist; [8] warum es das ist, brauche ich Dir gewiß nicht zu entwickeln. –
Der Gedanke macht mir Vergnügen, daß unsre Bestrebungen, so verschieden sie auch sind, dennoch vielleicht an demselben Ziele zusammentreffen. Das Problem unsrer Poesie scheint mir die Vereinigung des Wesentlich-Modernen mit dem Wesentlich-Antiken; wenn ich hinzusetze, daß Göthe, der erste einer ganz neuen Kunst-Periode, einen Anfang gemacht hat, sich diesem Ziele zu nähern, <so wirst Du mich wohl verstehen.> Wenn Du den Geist des Dante, vielleicht auch des Shakesp.[eare] erforschest und lehrest, so wird es leichter seyn, dasjenige was ich vorhin das Wesentlich-moderne nannte, und was ich vorzüglich in diesen beyden Dichtern finde, kennen zu lernen. Wie viel würde dazu auch die Geschichte der romantischen Poesie beytragen, zu der Du einmal den Plan faßtest? – Die Geschichte des neuern Dramas, und des Romans wäre dann vielleicht nicht so schwer. Da Du Dich so viel mit römischer Litteratur <beschäftigt hast,> sollte es Dir recht leicht und angenehm seyn, eine Geschichte des Eigentlich-Römischen in der Poesie zu schreiben, deßen freilich wohl nicht gar viel ist.
Nun noch einige Fragen über metrische Schwierigkeiten. – Wie können aus Jamben, Trochäen, und Pyrrhichen durcheinander, – Jamben werden? [9] Der Theorie scheint dieß ganz wiedersinnig: der Troch.[äe] ist dem herrschenden Fuß ganz entgegengesetzt, und der Pyrrhich eine Zeit zu kurz, und also wieder den Takt. Ich weiß mir nichts zu ersinnen, was das erste entschuldigen könnte: für das lezte könntest Du mir den Gebrauch des Spondäus, Daktylus, und Anapaest an der 1° 3° und 5° Stelle des Griechischen Senarius anführen, als sey er gleichfalls wieder den Takt. Allein 1° Sind an Stellen, auf die es ankommt, (wovon unten) nur gleichzeitige Füße des Jambus und des Tribrachys. 2° Ist eine Erweiterung des Takts eher erlaubt, als eine Verkürzung, wie die Vorschläge und Verzierungen in der Musik beweisen. 3° Ist die Länge des Daktylus nicht völlig so lang (αλογος) und seine Kürzen sind kürzer; daher entsteht vielleicht ein Verhältniß wie bey den Triolen. Von dem Anapaest habe ich darüber nichts gefunden; allein da er der umgekehrte Daktyl ist und gleichfalls einen sehr schnellen Gang hat, so ist es vielleicht auch bey ihm der Fall. – Die Ursache warum an der 2° 4° und 6° Stelle der herrschende Fuß, oder ein gleichzeitiger und zugleich nicht ungleichartiger (d. h. also einer, in den er aufgelößt werden kann) nehmlich der Tribrachys stehen muß, ist diese, weil der Trimeter im Lesen von selbst in drey συζυγιας zerfällt; und die lezte Stelle einer solchen συζ[υγια] ist die herschende, weil der Jambus steigt; und weil der Trochäe [10] fällt, gelten eben die Gesetze für die 1° 3° und 5° Stelle. – Du findest das Alles sehr gründlich beym Hephästion und ich vermuthe daß Klopst.[ock] seine unverständliche Lehre von den Wortfüßen daraus gemacht hat. – Der alte Jambe ist dem Gespräch und dem Wechsel aller Leidenschaften wunderbar angemeßen, mächtig und doch sanft-flüßig. Im Neuen stoße ich, ich gestehe es Dir, bey Trochäen an und der Pyrrhich scheint mir die Ursache der Kleinheit deßelben. Solltest Du Schiller, Lessing und Klopstock im Ernst anführen, um seinen Vorzug vor den Alten zu erweisen? – Iphig.[enie] hat mir C.[aroline] vorgelesen. Wie sie ließt, weißt Du wohl, und ich gestehe Dir daß die Musik dieses Werks, mir der geflügelten Fülle und der kräftigen Zartheit der Alten nahe zu kommen scheint.
Du schreibst mir von gewißen Einschränkungen, und Bestimmungen, unter denen der Gebrauch des Trochäen und Pyrrhich erlaubt sey. Welche sind diese? –
Du würdest mich sehr verpflichten, wenn Du mir die Grundsätze der Accentuation in neuern Sprachen angeben wolltest, oder auch Nachricht geben, wo ich darüber Belehrung finde. –
Es wäre recht gut, wenn Du gelegentlich einmal freundschaftlich an Charl.[otte] schriebest. – [11] Ich bitte Dich nochmals um baldige Nachricht, wenn es etwan fehl schlagen sollte.
Körner ist sehr freundschaftlich gegen mich. Jezt hat mich Becker in Gotha, dem er mich empfohlen, einem gewißen Grafen Soden, preußischen Gesandten in Nürnberg zum Hofmeister für seinen einzigen, eilfjährigen Sohn vorgeschlagen. Er meynte, ich sollte gleich an den Grafen schreiben, allein ich habe mit K.[örner] für das beste gefunden, dieses nicht zu thun – weil doch eigentlich meine Absicht nie auf ein Familienengagement gieng, welches mir alle Arbeiten unmöglich machte – hauptsächlich aber, weil er gar nichts Weiteres gemeldet hatte, und ich also so ins Blaue hinein hätte schreiben müßen. –
Von Car.[oline] habe ich nach ihrer Ankunft in G.[otha] Nachricht, und bin nun sehr begierig auf die nächsten. Ich fürchte, daß sie sich unter Menschen nicht so ruhig fühlen wird. Ich bitte um Nachricht von Deiner ‚Rückkehr ins Vaterlandʻ. –
[12]
* wenn mein Werk geendigt ist, oder wenn ich wenigstens die Bibliothek ganz entbehren kann. –

** Was in der Rep.[ublik] und den Gesetzen von der Kunst vorkommt, ist zum Theil vortrefflich, nur möchtest Du es vielleicht nicht ohne Vorurtheil lesen.

*** was die Alten Dithyramben nennen würden.
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