• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Unknown · Date: 31.07.1795
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 31.07.1795
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 242‒244.
  • Incipit: „[1] Den 31ten Juli 95.
    Ich freue mich herzlich, daß Du glücklich angekommen bist, und ich denke mit der lebhaftesten Freude daran, [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34222
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.b,Nr.67
  • Number of Pages: 8S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 19,3 x 11,8 cm
[1] Den 31ten Juli 95.
Ich freue mich herzlich, daß Du glücklich angekommen bist, und ich denke mit der lebhaftesten Freude daran, daß Du ietzt gewiß schon in Br.[aunschweig] bist, daß Deine Sehnsucht endlich befriedigt, und für die arme Karoline frohere Tage gekommen sind. Könnte ich doch nur auf kurze Zeit bey Euch seyn, durch Euer Glück glücklich seyn, Euch etwa, wo Ihr es am wenigsten dächtet, überraschen, und Eure Freundschaft theilen!
Du wirst mir gewiß verzeihen, daß ich Dir so Stückweise schreibe, da ich eigentlich gern recht vollständig und lieber ein Buch als einen Brief an Dich geschrieben hätte. Ich bin sehr gedrängt von Geschäften. Mein Augenmaaß im Arbeiten ist noch nicht richtig, weil es mir an Erfahrung fehlt. Die Abhandlungen werden immer länger, als ich dachte, und die Zeit, die ich dazu bedarf, ungleich mehr. Ich hatte schon am 1ten Juli versprochen die erste Sendung M[anu]script abzusen[2]den, und heute am letzten weiß ich kaum, ob sie vor 14 Tagen wird abgehn können. Dagegen wird sie freylich ungleich stärker als ich dachte. Nachher kann ich leichter arbeiten: das Nächste ist fast ganz fertig und für einige folgende nur sehr wenig zu thun. Dagegen ist es schlimm, daß die Lage der Bibl.[iothek] sich wohl nicht ändern wird, und daß ich doch nach reiferer Ueberlegung unmöglich finde, Dr.[esden] zu verlaßen und also keinen doch vergeblichen Versuch machen werde. Ich muß erst mit dem Buchhändler Rücksprache nehmen, und kann also nicht mit Gewißheit bestimmen, wie ich mich einrichten werde. Ich denke die Diotima in die Beyträge aufzunehmen, und von diesen gleich drey Bände à 15 Bogen oder 2 Bände à 20–24 Bogen drucken zu lassen, wozu es weder an Stoff noch an Hülfsmitteln fehlt. Den Mitford und den andern Plan, wo[3]von ich schrieb kann ich dennoch hier vollenden, und für das politische Werk wenigstens vorarbeiten. Außerdem werde ich aber wohl aus der Noth eine Tugend machen, die Graeca für ein Halbjahr ruhen lassen, und einen alten Plan vor die Hand nehmen – eine Kritik der kantischen Philosophie. So paradox Dir vielleicht dieser plötzliche Wechsel scheinen mag, so fühle ich doch mächtige Neigung dazu und glaube es würde der Gesundheit meines Gemüths sehr wohl thun, und meiner schriftstellerischen Bildung sehr vortheilhaft seyn. An Stoff fehlt es mir seit alter Zeit gar nicht, im Ausführen habe ich schon durch die bisherige Uebungen beträchtlich an Geschicklichkeit und Schnelligkeit gewonnen, und da ich eigentlich doch von dieser Seite am meisten Bildung habe, und ich will nicht sagen die meiste, doch eine sehr starke ursprüngliche Neigung, so habe ich ganz gute Erwartungen von [4] dem Erfolg.
Sollte aber die Bibliothek wieder geöffnet werden, so bleibt es bey dem alten Plan.
Schreib mir recht bald oder laß wenigstens Karoline einige Augenblicke Zeit, mir zu schreiben. Hast Du Dich für Dreßden oder für Jena entschlossen? – Du hast von einem rendez-vous an dem letzten Orte geschrieben. Allein es würde mir nicht nur an Geld, sondern auch gänzlich an Zeit fehlen. Ueberdem wäre es nur eine demimesure. Ich werde ja wohl hoffentlich bald mich für längere Zeit mit Dir an einem Orte vereinigen können. Auch dürfte <und würde> ich kein Geld dazu anwenden, so lange ich noch solche Schulden zu bezahlen habe, wie bis letzt. Es würde mich nur wenig erquicken, so lange ich nicht mit Ruhe und ohne alle Störung Dich genießen könnte. Dieß wird nicht seyn, kann nicht seyn bis ich erst um einige Schritte weiter bin. Es wird ja bald seyn, und dann desto schöner, wenn ich es selbst verdient; [5] ich hoffe wir werden noch herrliche Zeiten zusammen leben!
Kannst Du mir nicht das M[anu]script vom Dante schicken? Ich wünsche es recht sehr. – Schillers Brief hast Du gewiß schon beantwortet, da er sehr dringend gewesen seyn wird? Hast Du ihm etwas senden können?
Ich weiß noch immer [nicht] in welchem Stück der Berl.[iner] M.[onats-] Schr.[ift] und des Merkur meine Aufsätze gedruckt sind. Hast Du etwas gefunden? Ich bekomme kein Journal zu sehn.
Hast Du Papen zu Zeiten gesehn? Ich bitte noch einmal um die Resultate Deiner politischen Beobachtungen. Du wirst mir ein sehr angenehmes Geschenk damit machen.
Hast Du Auskunft über Mastiaux Schicksal erhalten?
Ich bitte Dich von dem Kantischen Plane gegen niemand etwas zu erwähnen, auch gegen Karl nicht. Ich will nicht davon geredet haben, bis es geschehn und vollendet ist. – Kömmt [6] etwa eins von den erwähnten nicht zu Stande, so werde ich anfangen eine Geschichte der Menschheit zu arbeiten, zu der viel Stoff da ist. Ich denke die Philosophie der Geschichte nehmlich ganz isolirt zu behandeln ohne Vermengung mit Universalgeschichte wie gewöhnlich.
Wenn Du wissen willst, wie ich etwa weiter denke – so bin ich doch ziemlich gefaßt, auf einer Universität aufzutreten, und würde mit Eifer einige Kollegien unternehmen. Als Geschichte der Menschheit nach meinem System, Vorlesungen über den Horaz, denn unter den alten Dichtern, die unter uns populär sind, kann er wohl am besten das Vehikel seyn, um Anfänger in den Geist der alten Kunst einzuführen, vieler anderer Plane nicht zu erwähnen. Freylich sind mir hier und da Lücken geblieben, da die Bibl.[iothek] hier so unvollständig ist. Kannst Du denken, daß ich den [7] Maittaire de dialectis und den Lennep de analogia nicht habe hier bekommen können?
Hast Du Wolffs Proleg.[omena] zum Homer schon gelesen? Nach Deiner Vorstellungsart muß Dir vieles darin sehr gefallen und ich bin nur in einigen wenigen Stücken andrer Meynung. Im Ganzen wünschte ich sie mir ausgeführt. Es ist so viel versprochen, so viel angedeutet, alles skizzirt.
Im 5ten und 6ten Bande der Humanität wirst Du sehr vortreffliche Sachen finden über alte Kunst und altes Publikum.
Was sagst Du zu den göttlichen Elegien? Was sagst Du zum göthischen Wilhelm? Sage und singe mir ein schönes, feines und langes Lied davon, und nimm Dir meinen Vorschlag wegen der <Deutschen> Poesie zu Herzen.
Verzeih mein Lieber, daß ich Dir so abgerissen schreibe, so unordentlich, so – flüchtig kann ich nicht sagen, denn ich bin mit ganzer Seele bey Dir, [8] – so hingeschludert, so schlecht stylisirt und schlechter geschrieben. Es ist traurig genung für mich daß ich für den, dem ich gern jede Stunde der Muße widmen möchte, kaum einige verlohrene erschöpfte Augenblicke übrig behalte. Und daß dieß noch lange seyn soll, noch so lange dürftige Buchstaben meine einzigen Freunde, Briefe mein Trost, mir dessen erstes und höchstes Glück die Freundschaft ist. Doch werde ich nun bald mehr schreiben können. Und dann Dich bald sehn, und nicht mehr schreiben. Laß Dich herzlich umarmen. Es ist mir als ob ich Dich wieder hätte, seit Du in einen angemeßnen Kreiß der Thätigkeit zurückgekehrt bist, seit ich Dich bey Karoline denken kann. –
Wird der Herr nicht bald ein schönes Gedicht machen?
[1] Den 31ten Juli 95.
Ich freue mich herzlich, daß Du glücklich angekommen bist, und ich denke mit der lebhaftesten Freude daran, daß Du ietzt gewiß schon in Br.[aunschweig] bist, daß Deine Sehnsucht endlich befriedigt, und für die arme Karoline frohere Tage gekommen sind. Könnte ich doch nur auf kurze Zeit bey Euch seyn, durch Euer Glück glücklich seyn, Euch etwa, wo Ihr es am wenigsten dächtet, überraschen, und Eure Freundschaft theilen!
Du wirst mir gewiß verzeihen, daß ich Dir so Stückweise schreibe, da ich eigentlich gern recht vollständig und lieber ein Buch als einen Brief an Dich geschrieben hätte. Ich bin sehr gedrängt von Geschäften. Mein Augenmaaß im Arbeiten ist noch nicht richtig, weil es mir an Erfahrung fehlt. Die Abhandlungen werden immer länger, als ich dachte, und die Zeit, die ich dazu bedarf, ungleich mehr. Ich hatte schon am 1ten Juli versprochen die erste Sendung M[anu]script abzusen[2]den, und heute am letzten weiß ich kaum, ob sie vor 14 Tagen wird abgehn können. Dagegen wird sie freylich ungleich stärker als ich dachte. Nachher kann ich leichter arbeiten: das Nächste ist fast ganz fertig und für einige folgende nur sehr wenig zu thun. Dagegen ist es schlimm, daß die Lage der Bibl.[iothek] sich wohl nicht ändern wird, und daß ich doch nach reiferer Ueberlegung unmöglich finde, Dr.[esden] zu verlaßen und also keinen doch vergeblichen Versuch machen werde. Ich muß erst mit dem Buchhändler Rücksprache nehmen, und kann also nicht mit Gewißheit bestimmen, wie ich mich einrichten werde. Ich denke die Diotima in die Beyträge aufzunehmen, und von diesen gleich drey Bände à 15 Bogen oder 2 Bände à 20–24 Bogen drucken zu lassen, wozu es weder an Stoff noch an Hülfsmitteln fehlt. Den Mitford und den andern Plan, wo[3]von ich schrieb kann ich dennoch hier vollenden, und für das politische Werk wenigstens vorarbeiten. Außerdem werde ich aber wohl aus der Noth eine Tugend machen, die Graeca für ein Halbjahr ruhen lassen, und einen alten Plan vor die Hand nehmen – eine Kritik der kantischen Philosophie. So paradox Dir vielleicht dieser plötzliche Wechsel scheinen mag, so fühle ich doch mächtige Neigung dazu und glaube es würde der Gesundheit meines Gemüths sehr wohl thun, und meiner schriftstellerischen Bildung sehr vortheilhaft seyn. An Stoff fehlt es mir seit alter Zeit gar nicht, im Ausführen habe ich schon durch die bisherige Uebungen beträchtlich an Geschicklichkeit und Schnelligkeit gewonnen, und da ich eigentlich doch von dieser Seite am meisten Bildung habe, und ich will nicht sagen die meiste, doch eine sehr starke ursprüngliche Neigung, so habe ich ganz gute Erwartungen von [4] dem Erfolg.
Sollte aber die Bibliothek wieder geöffnet werden, so bleibt es bey dem alten Plan.
Schreib mir recht bald oder laß wenigstens Karoline einige Augenblicke Zeit, mir zu schreiben. Hast Du Dich für Dreßden oder für Jena entschlossen? – Du hast von einem rendez-vous an dem letzten Orte geschrieben. Allein es würde mir nicht nur an Geld, sondern auch gänzlich an Zeit fehlen. Ueberdem wäre es nur eine demimesure. Ich werde ja wohl hoffentlich bald mich für längere Zeit mit Dir an einem Orte vereinigen können. Auch dürfte <und würde> ich kein Geld dazu anwenden, so lange ich noch solche Schulden zu bezahlen habe, wie bis letzt. Es würde mich nur wenig erquicken, so lange ich nicht mit Ruhe und ohne alle Störung Dich genießen könnte. Dieß wird nicht seyn, kann nicht seyn bis ich erst um einige Schritte weiter bin. Es wird ja bald seyn, und dann desto schöner, wenn ich es selbst verdient; [5] ich hoffe wir werden noch herrliche Zeiten zusammen leben!
Kannst Du mir nicht das M[anu]script vom Dante schicken? Ich wünsche es recht sehr. – Schillers Brief hast Du gewiß schon beantwortet, da er sehr dringend gewesen seyn wird? Hast Du ihm etwas senden können?
Ich weiß noch immer [nicht] in welchem Stück der Berl.[iner] M.[onats-] Schr.[ift] und des Merkur meine Aufsätze gedruckt sind. Hast Du etwas gefunden? Ich bekomme kein Journal zu sehn.
Hast Du Papen zu Zeiten gesehn? Ich bitte noch einmal um die Resultate Deiner politischen Beobachtungen. Du wirst mir ein sehr angenehmes Geschenk damit machen.
Hast Du Auskunft über Mastiaux Schicksal erhalten?
Ich bitte Dich von dem Kantischen Plane gegen niemand etwas zu erwähnen, auch gegen Karl nicht. Ich will nicht davon geredet haben, bis es geschehn und vollendet ist. – Kömmt [6] etwa eins von den erwähnten nicht zu Stande, so werde ich anfangen eine Geschichte der Menschheit zu arbeiten, zu der viel Stoff da ist. Ich denke die Philosophie der Geschichte nehmlich ganz isolirt zu behandeln ohne Vermengung mit Universalgeschichte wie gewöhnlich.
Wenn Du wissen willst, wie ich etwa weiter denke – so bin ich doch ziemlich gefaßt, auf einer Universität aufzutreten, und würde mit Eifer einige Kollegien unternehmen. Als Geschichte der Menschheit nach meinem System, Vorlesungen über den Horaz, denn unter den alten Dichtern, die unter uns populär sind, kann er wohl am besten das Vehikel seyn, um Anfänger in den Geist der alten Kunst einzuführen, vieler anderer Plane nicht zu erwähnen. Freylich sind mir hier und da Lücken geblieben, da die Bibl.[iothek] hier so unvollständig ist. Kannst Du denken, daß ich den [7] Maittaire de dialectis und den Lennep de analogia nicht habe hier bekommen können?
Hast Du Wolffs Proleg.[omena] zum Homer schon gelesen? Nach Deiner Vorstellungsart muß Dir vieles darin sehr gefallen und ich bin nur in einigen wenigen Stücken andrer Meynung. Im Ganzen wünschte ich sie mir ausgeführt. Es ist so viel versprochen, so viel angedeutet, alles skizzirt.
Im 5ten und 6ten Bande der Humanität wirst Du sehr vortreffliche Sachen finden über alte Kunst und altes Publikum.
Was sagst Du zu den göttlichen Elegien? Was sagst Du zum göthischen Wilhelm? Sage und singe mir ein schönes, feines und langes Lied davon, und nimm Dir meinen Vorschlag wegen der <Deutschen> Poesie zu Herzen.
Verzeih mein Lieber, daß ich Dir so abgerissen schreibe, so unordentlich, so – flüchtig kann ich nicht sagen, denn ich bin mit ganzer Seele bey Dir, [8] – so hingeschludert, so schlecht stylisirt und schlechter geschrieben. Es ist traurig genung für mich daß ich für den, dem ich gern jede Stunde der Muße widmen möchte, kaum einige verlohrene erschöpfte Augenblicke übrig behalte. Und daß dieß noch lange seyn soll, noch so lange dürftige Buchstaben meine einzigen Freunde, Briefe mein Trost, mir dessen erstes und höchstes Glück die Freundschaft ist. Doch werde ich nun bald mehr schreiben können. Und dann Dich bald sehn, und nicht mehr schreiben. Laß Dich herzlich umarmen. Es ist mir als ob ich Dich wieder hätte, seit Du in einen angemeßnen Kreiß der Thätigkeit zurückgekehrt bist, seit ich Dich bey Karoline denken kann. –
Wird der Herr nicht bald ein schönes Gedicht machen?
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