• Karl August Moritz Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Göttingen · Place of Destination: Jena · Date: 02.10.1799
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Karl August Moritz Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Göttingen
  • Place of Destination: Jena
  • Date: 02.10.1799
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34097
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.23,Nr.98
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 20,3 x 16,3 cm
  • Incipit: „[1] Bester Bruder,
    Bisher habe ich Deine und Friedrichs freundschaftliche Aufmerksamkeiten immer so ganz stillschweigend angenommen, da die letzte Zeit [...]“
  • Editors: Bamberg, Claudia · Varwig, Olivia
[1] Bester Bruder,
Bisher habe ich Deine und Friedrichs freundschaftliche Aufmerksamkeiten immer so ganz stillschweigend angenommen, da die letzte Zeit den Stücken des Athenäums und den Theilen des Shakespeare immer nur wenige Zeilen beygefügt waren, denen ein ausführlicherer Brief folgen sollte. Ich muß mich doch endlich meiner Schuld entledigen, und wenn auch die Gelegenheit, wodurch Du diesen Brief erhältst, nicht vorgekommen wäre, würde ich doch morgen mit der Post geschrieben haben. Wie lebhaft erwachte meine Sehnsucht, euch einmal wieder zu sehen, als gestern der Assessor Hoppenstädt mir seinen schönen Reiseplan erzählte. Schon lange habe ich mich mit der Idee getragen, einmal auf acht Tage zu euch zu kommen, und von dort ab einige Kreuz- und Queerzüge zu machen, und dieser Plan soll gewiß noch realisirt werden. Für dies Jahr mußte er dem Reiseplane meiner Frau weichen. Es kommen dann auch wohl wieder glücklichere Zeiten, wo man freyer für schönen Lebensgenuß leben und wirken kann, und wo einem Hausvater nicht immer die Fragen im Kopfe liegen, was der Preis von Zucker und Butter und Fleisch und aller ersten Bedürfnisse des Lebens ist, von denen sich der göttliche Funken in uns hier in seiner irdischen Wohnung einmal nicht ganz unabhängig machen kann.
Diesmal war der Ruf des mir überschickten Stücks des Athenäums [2] lange vorauf gegangen. Woltmann fragte mich schon vor geraumer Zeit sehr begierig, ob ich es noch nicht erhalten hätte. Mehrere meiner Bekannten, welche Theilnehmer von Lesegesellschaften sind, hatten mir schon Züge aus den Notizen mitgetheilt. Es ist wahr, ihr seyd den rechten Weg eingeschlagen, um bey der herrschenden Abstumpfung kräftige Sensation zu erregen. Es finden sich viele sehr treffende und ächt witzige Einfälle darunter, die auch meistentheils als gerechte Repressalien zu betrachten sind. Dennoch muß ich mit brüderlicher Freymüthigkeit hinzufügen, daß ich den Ton nicht ganz billige. Es wird dadurch gewiß nicht für das Beste der Litteratur gefrommt und nur Erbitterung gewirkt. Ich habe es an Fiorillo geschickt, der jetzt Professor extraordinarius geworden ist, und dann hat es sich Heyne ausgebeten, der, als ich ihm verschiedenes aus den Notizen erzählte, von einer Ecke des Zimmers in die andere sprang. Dein Aufsatz über Flaxmanns Umrisse hat mich sehr interessirt. Die Elegie und den Gesang aus dem Orlando, bey welchem auch hier Deine Uebersetzer-Kraft allgemein bewundert worden ist, muß ich mir auf eine etwas freyere Zeit aufsparen. Metrische Kunstwerke rechne ich immer zu einer anstrengenden Lectür, und ich habe mich bisher bey meinen Arbeiten nur auf Lectür einschränken müssen, die dem Zustande einer fast gänzlichen Abspannung angemessen ist.
Es freut mich außerordentlich, daß Du Plane zu eigenen größeren Geisteswerken entwirfst. Deine Commission wegen der älteren französischen Romane habe ich sogleich ausgerichtet; es ist aber in diesem Fache [3] wenig Trost auf der hiesigen Bibliothek zu finden. Unter den Romanen, nach denen Du frägst, ist nur der Perceforest vorhanden; Tristan in einer deutschen Uebersetzung, und die übrigen gar nicht. In der Eil habe ich aus dem Real-Catalogus ausgezeichnet, was ungefähr in diesem Fache da ist, und lege es hier bey; von den etwa darinn vorkommenden Schnitzern schiebst Du die Schuld auf meine gänzliche Ignoranz in diesem Zweige der Litteratur und auf die unleserliche Hand des seel. Hambergers. Ich zweifle nicht, daß Heyne Dir gern das eine oder das andere mitgetheilt, was Du zu erhalten wünschest. Doch glaube ich, sähe er gern, daß Friedrich nun die erhaltenen Bücher zurückschickte; er erinnerte daran, und ich bitte sehr darum, da ich für ihn Bürge geworden bin.
Hier schicke ich Dir auch alles, was ich noch an interessanten Briefen von dem verewigten August habe. Nun habe ich gar nichts mehr, als die ostindische Reisebeschreibung, die ich gar nicht gern aus den Händen lasse, um doch Ein Andenken von ihm zu behalten. Henriette meint, daß es ein möglicher Fall sey, daß sich die Defension noch bey Karl befinde, bey dem auch nicht leicht, wenn etwas erst in den Abgrund der der Acten hinunter gestürzt ist, an eine Erlösung zu denken ist. In den beygehenden Briefen wirst Du keine erhebliche Nachrichten über des seel. Augusts Carriere in Ostindien finden, wohl aber manches, was über seinen Charakter nähere Aufschlüsse giebt, da sie fast sämtlich in der kritischen Periode der ersten gewaltigen Gährung sei[4]ner edleren Kräfte geschrieben sind. Die Lectür wird Dich traurig stimmen, wie mich das nochmalige Durchblättern derselben. Es kommen einige Dinge darinn vor, die ich noch niemals jemanden mitgetheilt habe. Ich trage aber kein Bedenken, Dir zu Deinem Zweck alles mitzutheilen, und weiß, daß Du davon einen discreten Gebrauch machen wirst. Am besten wird es seyn, wenn Du alles, nach davon gemachtem Gebrauche, der Flamme opferst.
Recht sehr habe ich mich der in Deinem Briefe enthaltenen Nachrichten von Deinem und Deiner lieben Gattinn Wohlseyn gefreut und sehe den Nachrichten, die ich durch Hoppenstädt von euch zu erhalten denke, mit Vergnügen entgegen. Fahret fort, im vollsten Sinne des Worts zu leben. Mein Wittwerstand geht zu Ende; ehegestern habe ich den Wagen dahin abgeschickt. Ich freue mich sehr des Wiedersehens der Meinigen, besorge aber, daß meine Frau nun auf eine Zeit lang wieder ganz für Göttingen verstimmt seyn wird. Man hatte mich sehr gebeten, mit dem Wagen nach Hannover zu fahren und dort die Meinigen zu erwarten; ich konnte mich aber nicht abmüßigen, und, so lange die Spannung zwischen meiner Mutter und Julchen dauert, ist dort auch wenig Vergnügen zu finden. Bey Julchen habe ich in voriger Woche meinen Geburtstag gefeyert, und habe sie so gut gefunden, daß ich ihretwegen gar nicht mehr besorgt bin. Meine besten Empfehlungen an Deine Gattinn. Friedrich, der ohne Zwe[i]fel noch bey Dir ist, grüße ich freundschaftlichst. Was sagt denn er zu Kants Erklärung? und wie viele Federn werden dadurch noch in Bewegung g[e]setzt werden! Behalte mich in brüderlichem Andenken, und lebe wohl. Der Deinige
K. A. M. Schlegel.
Göttingen, d. 2 Oct. 1799.
[1] Bester Bruder,
Bisher habe ich Deine und Friedrichs freundschaftliche Aufmerksamkeiten immer so ganz stillschweigend angenommen, da die letzte Zeit den Stücken des Athenäums und den Theilen des Shakespeare immer nur wenige Zeilen beygefügt waren, denen ein ausführlicherer Brief folgen sollte. Ich muß mich doch endlich meiner Schuld entledigen, und wenn auch die Gelegenheit, wodurch Du diesen Brief erhältst, nicht vorgekommen wäre, würde ich doch morgen mit der Post geschrieben haben. Wie lebhaft erwachte meine Sehnsucht, euch einmal wieder zu sehen, als gestern der Assessor Hoppenstädt mir seinen schönen Reiseplan erzählte. Schon lange habe ich mich mit der Idee getragen, einmal auf acht Tage zu euch zu kommen, und von dort ab einige Kreuz- und Queerzüge zu machen, und dieser Plan soll gewiß noch realisirt werden. Für dies Jahr mußte er dem Reiseplane meiner Frau weichen. Es kommen dann auch wohl wieder glücklichere Zeiten, wo man freyer für schönen Lebensgenuß leben und wirken kann, und wo einem Hausvater nicht immer die Fragen im Kopfe liegen, was der Preis von Zucker und Butter und Fleisch und aller ersten Bedürfnisse des Lebens ist, von denen sich der göttliche Funken in uns hier in seiner irdischen Wohnung einmal nicht ganz unabhängig machen kann.
Diesmal war der Ruf des mir überschickten Stücks des Athenäums [2] lange vorauf gegangen. Woltmann fragte mich schon vor geraumer Zeit sehr begierig, ob ich es noch nicht erhalten hätte. Mehrere meiner Bekannten, welche Theilnehmer von Lesegesellschaften sind, hatten mir schon Züge aus den Notizen mitgetheilt. Es ist wahr, ihr seyd den rechten Weg eingeschlagen, um bey der herrschenden Abstumpfung kräftige Sensation zu erregen. Es finden sich viele sehr treffende und ächt witzige Einfälle darunter, die auch meistentheils als gerechte Repressalien zu betrachten sind. Dennoch muß ich mit brüderlicher Freymüthigkeit hinzufügen, daß ich den Ton nicht ganz billige. Es wird dadurch gewiß nicht für das Beste der Litteratur gefrommt und nur Erbitterung gewirkt. Ich habe es an Fiorillo geschickt, der jetzt Professor extraordinarius geworden ist, und dann hat es sich Heyne ausgebeten, der, als ich ihm verschiedenes aus den Notizen erzählte, von einer Ecke des Zimmers in die andere sprang. Dein Aufsatz über Flaxmanns Umrisse hat mich sehr interessirt. Die Elegie und den Gesang aus dem Orlando, bey welchem auch hier Deine Uebersetzer-Kraft allgemein bewundert worden ist, muß ich mir auf eine etwas freyere Zeit aufsparen. Metrische Kunstwerke rechne ich immer zu einer anstrengenden Lectür, und ich habe mich bisher bey meinen Arbeiten nur auf Lectür einschränken müssen, die dem Zustande einer fast gänzlichen Abspannung angemessen ist.
Es freut mich außerordentlich, daß Du Plane zu eigenen größeren Geisteswerken entwirfst. Deine Commission wegen der älteren französischen Romane habe ich sogleich ausgerichtet; es ist aber in diesem Fache [3] wenig Trost auf der hiesigen Bibliothek zu finden. Unter den Romanen, nach denen Du frägst, ist nur der Perceforest vorhanden; Tristan in einer deutschen Uebersetzung, und die übrigen gar nicht. In der Eil habe ich aus dem Real-Catalogus ausgezeichnet, was ungefähr in diesem Fache da ist, und lege es hier bey; von den etwa darinn vorkommenden Schnitzern schiebst Du die Schuld auf meine gänzliche Ignoranz in diesem Zweige der Litteratur und auf die unleserliche Hand des seel. Hambergers. Ich zweifle nicht, daß Heyne Dir gern das eine oder das andere mitgetheilt, was Du zu erhalten wünschest. Doch glaube ich, sähe er gern, daß Friedrich nun die erhaltenen Bücher zurückschickte; er erinnerte daran, und ich bitte sehr darum, da ich für ihn Bürge geworden bin.
Hier schicke ich Dir auch alles, was ich noch an interessanten Briefen von dem verewigten August habe. Nun habe ich gar nichts mehr, als die ostindische Reisebeschreibung, die ich gar nicht gern aus den Händen lasse, um doch Ein Andenken von ihm zu behalten. Henriette meint, daß es ein möglicher Fall sey, daß sich die Defension noch bey Karl befinde, bey dem auch nicht leicht, wenn etwas erst in den Abgrund der der Acten hinunter gestürzt ist, an eine Erlösung zu denken ist. In den beygehenden Briefen wirst Du keine erhebliche Nachrichten über des seel. Augusts Carriere in Ostindien finden, wohl aber manches, was über seinen Charakter nähere Aufschlüsse giebt, da sie fast sämtlich in der kritischen Periode der ersten gewaltigen Gährung sei[4]ner edleren Kräfte geschrieben sind. Die Lectür wird Dich traurig stimmen, wie mich das nochmalige Durchblättern derselben. Es kommen einige Dinge darinn vor, die ich noch niemals jemanden mitgetheilt habe. Ich trage aber kein Bedenken, Dir zu Deinem Zweck alles mitzutheilen, und weiß, daß Du davon einen discreten Gebrauch machen wirst. Am besten wird es seyn, wenn Du alles, nach davon gemachtem Gebrauche, der Flamme opferst.
Recht sehr habe ich mich der in Deinem Briefe enthaltenen Nachrichten von Deinem und Deiner lieben Gattinn Wohlseyn gefreut und sehe den Nachrichten, die ich durch Hoppenstädt von euch zu erhalten denke, mit Vergnügen entgegen. Fahret fort, im vollsten Sinne des Worts zu leben. Mein Wittwerstand geht zu Ende; ehegestern habe ich den Wagen dahin abgeschickt. Ich freue mich sehr des Wiedersehens der Meinigen, besorge aber, daß meine Frau nun auf eine Zeit lang wieder ganz für Göttingen verstimmt seyn wird. Man hatte mich sehr gebeten, mit dem Wagen nach Hannover zu fahren und dort die Meinigen zu erwarten; ich konnte mich aber nicht abmüßigen, und, so lange die Spannung zwischen meiner Mutter und Julchen dauert, ist dort auch wenig Vergnügen zu finden. Bey Julchen habe ich in voriger Woche meinen Geburtstag gefeyert, und habe sie so gut gefunden, daß ich ihretwegen gar nicht mehr besorgt bin. Meine besten Empfehlungen an Deine Gattinn. Friedrich, der ohne Zwe[i]fel noch bey Dir ist, grüße ich freundschaftlichst. Was sagt denn er zu Kants Erklärung? und wie viele Federn werden dadurch noch in Bewegung g[e]setzt werden! Behalte mich in brüderlichem Andenken, und lebe wohl. Der Deinige
K. A. M. Schlegel.
Göttingen, d. 2 Oct. 1799.
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