• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wien · Place of Destination: Coppet · Date: 26.08.1815
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wien
  • Place of Destination: Coppet
  • Date: 26.08.1815
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 29. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Vom Wiener Kongress zum Frankfurter Bundestag (10. September 1814 ‒ 31. Oktober 1818). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Jean-Jacques Anstett unter Mitarbeit von Ursula Behler. Paderborn 1980, S. 72‒76.
  • Incipit: „[1] Wien, den 26ten August. 1815
    Geliebter Bruder,
    Es ist mir nur lieb, daß Du mir endlich Nachricht gegeben hast, wo Ihr noch [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34288
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.d,Nr.198
  • Number of Pages: 12 S. auf Doppelbl. u. 2 S., hs. m. U.
  • Format: 19,1 x 11,7 cm
[1] Wien, den 26ten August. 1815
Geliebter Bruder,
Es ist mir nur lieb, daß Du mir endlich Nachricht gegeben hast, wo Ihr noch zur Zeit seyd und wo Ihr zunächst hindenkt. Ich hatte mir gar nicht denken können, daß Ihr während des Krieges in Coppet an der Gränze bleiben würdet; und nachher hatten mich die Deutschen Zeitungen mit der Nachricht von Eurer Reise nach Lausanne und dergl. vollends unsicher gemacht. Wegen meines früheren langen NichtSchreibens muß ich freylich auf Deine brüderliche Nachsicht rechnen. Du weißt selbst wohl, wie es damit zu gehn pflegt; wenn ich auch manche Pflichtbriefe bisweilen aus bloßer Trägheit zu schreiben unterlasse; so ist dieß doch bey Dir gewiß nicht der Fall. Verdrießlich ist es aber, wenn man grade das Beste, was man am liebsten schreiben [2] möchte, durchaus nicht schreiben darf. Man geräth <auch> leicht ins Aufschieben, wenn so viel zu schreiben ist, daß man nicht weiß, wo man anfangen und aufhören soll. Beydes war im vollsten Sinne mit mir der Fall, so im vorigen Winter und seither. In den letzten 5 Monathen des Congresses, war mein Arbeitszimmer wie ein Taubenschlag nicht leer von Menschen und von Besuchen. Die Theilnahme an dem Gange der Begebenheiten nahm mich ganz dahin; und ich war auch nicht bloß <theilnehmend> sondern sehr thätig und habe bey allen Zerstreuungen sehr viel gearbeitet, was mir denn auch zuletzt gute Früchte getragen und die Achtung und den Dank <mancher> achtungswürdiger Männer erworben hat.
Als der Minister von hier abging, gab er mir die bestimmteste Versicherung, daß ich [3] bey dem Deutschen Bundestag angestellt werden soll. Dieser ist nun zwar bis zum 1ten Nov[ember] aufgeschoben; indessen ist man doch jetzt mit Anordnung dieser Sache beschäftigt und mit jedem Courier sehe ich daher der Entscheidung entgegen, die ich Dir in der letzten Zeit auch von einem Posttage zum andern hoffte geben zu können.
Nachdem sich der Congreß verlaufen hatte, flüchtete ich mich aufs Land und die Ruhe und Einsamkeit war mir das höchste Bedürfniß. Neben einer Sommerkur von Molken, Brunnen und dgl., deren ich sehr benöthigt war, und die mir mehr als den halben Tag wegnahm warf ich mich zur Erhohlung und Erfrischung des Geistes in die tiefsten geschichtlichen Studien, wobey mir die wenigen Wochen der Ruhe unglaublich schnell vergingen. Recht oft habe ich mich hiebey der glücklichen Tage [4] erinnert, als Du in der Alster-Vorstadt bey uns warest; denn als Ihr das letztemal hier durchreistet, war es zu unruhig.
Hättest Du mein Leben seit Anfang des Jahres mit angesehen, Du würdest mir schwerlich Vorwürfe machen, oder mich <mit> solcher barbarischen Strenge bedrohen, wie Du nun im Sinne zu haben scheinst. Auf keinen Fall hättest Du mein Schweigen als einen Mangel an Theilnahme und Liebe auslegen sollen; da Dir doch mein langer Brief nach Paris gewiß das Gegentheil beweisen konnte. Ich weiß auch durch unsre Schwester in Paris, daß Du ihn richtig erhalten hast, obwohl Du gar nichts darauf geantwortet.
Laß mich nur vor allen Dingen wissen, wie und wohin ich Dir fürder schreiben kann. Es soll von nun an recht oft geschehn. Auch ein andres [5] Exemplar der Vorlesungen werde ich Dir mit der ersten Gelegenheit nach Italien schicken. – Obwohl aus allen Weltgegenden von Deutschland während des Congresses Menschen zu mir gekommen, so zeigte sich nur aus der verödeten Schweiz auch nicht ein einziger Fremder bey mir; daher mir denn nichts übrig blieb, als durch Schaumburg, dessen Saumseeligkeit in diesem Stücke ich schon kenne, über Aarau 2 Exemplare an Dich zu bestellen. Ankommen werden sie indessen gewiß, ich werde auch nicht versäumen, Dir ein Ex[emplar] nach Italien zu besorgen. Erhältst Du nun am Ende mehr von dieser Waare, als Du verlangst und bedarfst; so wird es doch nicht schaden, da Du auch unter den Deutschen in Rom leicht jemand finden wirst, der sie zu haben wünscht.
Daß Ihr nach Italien geht, ist übrigens sehr [6] wohl gethan; es ist grade der rechte Augenblick. Italien wird den nächstkommenden Winter höchstwahrscheinlich nicht nur ein vollkommen ruhiger, sondern auch sehr lebhafter und glänzender Aufenthalt seyn. Von Paris kann man das wohl sobald nicht wieder erwarten; wenigstens ich kann mir nicht denken, daß der Aufenthalt jetzt dort angenehm seyn könnte. Vor einiger Zeit glaubten meine Freunde, daß es gut und recht wäre, wenn ich auch mit nach Italien ginge. Mir wäre es eben recht, um so mehr da ich gewiß weiß, daß ich dort dem Minister sehr nützlich seyn könnte. Indessen ist es mir fast wahrscheinlicher, daß die Frankfurter Bestimmung, wie <es> im Grunde auch billig ist, allem andern vorgehen wird.
Deine höchst treffende und geistreiche Darstellung von der damaligen Lage Frankreichs hat nicht nur mir, sondern auch Genz u. a. die [7] höchste Freude gewährt; da ich mir in dieser Hinsicht ein Gewissen daraus gemacht haben würde, Dein Licht unter den Scheffel zu stellen. Es war auch gar nicht verlohren und hat manche gute Wirkung gethan.
Mir erschien die Entweichung des Napoleon von Elba gleich anfangs als das höchste für Europa eigent[lich] unverdiente Glück. Auch nach dieser unerwarteten Rettung ist der Himmel noch bey weitem nicht klar; indessen ist die Gefahr des Krieges doch nicht mehr so nahe, wie sie mir damals schien, da ich Dir zum letztenmale schrieb. Für Frankreich freylich hoffe ich nicht viel Gutes; denn das Einzige, was Frankreich innerlich retten und geistig wiederherstellen könnte, dürfte den Franzosen selbst, wie jeder bittre Heilungstrank verhaßt erscheinen. Die andern aber kennen Frankreich viel zu wenig, um <es> zu sehen, daß die Rettung [8] Frankreichs einzig da liegt. Wenigstens Einen sehr liebenswürdigen und guten Franzosen lernten wir hier beym Congreß kennen, den jungen Custine, den Du wenn ich nicht irre, auch kennst. – Daß sich unsre guten Freunde, Simonde degli Sismondi und Constant bey dieser Gelegenheit so schändlich bloß gegeben, ist übrigens ganz in der Ordnung.
Deine neuen Studien, besonders auch die indischen, freuen mich ungemein. Versäume nur dabey nicht, von Zeit zu Zeit die alte Meisterschaft in Deutscher Kunst und Sprache zu bewähren, wonach ganz Deutschland verlangt. Mit Freude sah ich einen 3ten Theil der poetischen Werke und einen neuen Band Deines Shakspeare in dem Meßkatalog angekündigt; obwohl der erste noch nicht vorhanden ist, und der letzte gegen Deine Gewohnheit sogar unter der Rubrik der zukünftigen Schriften eingerückt war. [9] Das Heldenbuch von Tieck, welches eben daselbst angekündigt ist, scheint auch noch unter die Futura Contingentia zu gehören. Fouqué dichtet und trachtet fleißig fort, kleine Dramen und Erzählungen ohne Zahl. Seine Corona erreicht den ZauberRing bei weitem nicht. Die neuesten oder vielmehr jüngsten (denn sehr jung scheinen sie alle zu seyn) Nibelunger Diaskeuasten und Commentatoren behaupten, daß ein Manuscript der Nibel[ungen] in Paris sey, welches ein Dr. Göttling aufgefunden haben will; desgl. noch ein andres in Rom, in der vatikanisch[en] Bibliothek, welches Glöckle bekannt gemacht. Vielleicht sind Dir diese Notizen doch zur Nachforschung <nütze>, ob sie Grund haben mögen oder nicht. Der hiesige Besitzer des bewußten M[anu]scripts verharrte den Winter hindurch, so viel ich erfahren, in demselben Eigensinn. Seine Unterhandlung mit der Bibl[iothek] in München [10] hat sich ebenfalls zerschlagen. Er forderte zwar nicht mehr 1000, aber doch immer noch 600 Ducaten in Golde. Auch Graf Münster hatte die Handschrift einige Zeit im Hause, wahrscheinlich in der Absicht, sie für die Göttinger Bibliothek zu unterhandeln; was sich dann ebenfalls an dem hohen Preise zerschlagen hat. – Gr[af] Münster, der sich hier <persönlich> viel Achtung erworben, für Hannover aber doch weit mehr hätte thun können und sollen, als er gethan hat, sah ich mehremal, fand ihn aber doch etwas <Minister-> schroff und unzugänglich; da lag es denn auch weder in meinen Verhältnissen noch in meiner Art, mich näher andringen zu wollen. Ich hätte sonst gern Projekte besonders für Dich geschmiedet; wenn sie gescheidt wären dort, so dürftest Du Ihnen nicht entgehen; das wäre sehr anpassend. Ich hatte auch einen Plan ge[11]faßt oder vielmehr einen Wunsch; daß Du nehmlich bey Well[ington] seyn solltest, wie früher bey dem Kronprinzen von Schweden. Das wäre dann der beste Uebergang und die erste Stufe für die Zukunft <gewesen>. Es kam und entwickelte sich aber alles gar zu schnell. Sehr zu bedauern ist es doch, daß Du nicht wenigstens zum Congreß nach Deutschland gekommen <bist>, wo sich jetzt das herrlichste Leben entwikkelt und es nun gilt, das Gute im Kampf zu behaupten und sich dem Schlechten entgegenzustemmen. Wie kannst Du nur so immer und immerfort in der gleichgültigen, langweiligen Schweiz Deine Zeit verbringen, während hier jetzt auf dem Schauplatze einer kämpfenden Welt jeder versäumte Augenblick ein unwiderbringlicher Verlust ist? – Wie lebhaft Dein Andenken überall in Deutschl.[and] ist, darf ich Dir nicht erst sagen; Du mußt es selbst [12] wissen. – Du solltest nun mit der Ausgabe der Nibelungen nicht länger mehr zögern. Laß das noch mit der Prachtausgabe des alten Textes, da ohnehin die M[anu]scripte noch nicht bis zur letzten Nachlese durchsucht sind. Gieb uns eine schöne aber bequem gestaltete Handausgabe mit erneuerter Orthographie nach Deinem ersten Plane, aber ohne sonstige Modernisirung, mit so viel Commentar als Du eben hast, oder Anfangs auch ohne diesen. Es wird immer ein schönes Denkmahl seyn, nur zögre nicht zu lange.
Die Helden-Romane des Nordens v.[on] Hagen, die Handausgabe <der Nibelungen> in 12° von Zeune, die modernisirende Ausgabe oder Uebersetzung von Büsching kennst Du wahrscheinlich besser als ich; da ich nur eben jetzt erst wieder einige Zeit für diese Dinge gewinne.
Ich schreibe nächstens wieder; dieß ist nur ein Anfang. Melde mir unverzüglich Deine Addresse in Italien.
Friedrich.
[13]
P. S. Eine Abschrift von dem Nibelungen-M[anu]scr[ipt] nehmen zu lassen, was ich Dir gewiß gern auf das gewissenhafteste besorgt hätte, war auch keine Möglichkeit. Der Kerl, der überhaupt von Tage zu Tage mißtrauischer und eigensinniger ward, glaubte, daß ihm dadurch was von seinem Besitze und Leibe herunter geschrieben und abgekratzt werde und wollte nicht dran; auch Grimm, der als Legat[ions]Secr.[etär] mit Graf Keller den ganzen Congreß über hier war, hat das M[anu]scr.[ipt] trotz aller Mühe nur drey Tage lang habhaft werden können, wie er mir sagte, wo er sich denn einige Varianten herausgeschrieben. Was ist es nur für ein Grimmiges Produkt unter den vielen, welches Du recensirt hast? – Ich wünschte es gern zu wissen.
Von Moritz aus Gött.[ingen] habe ich aus Gött.[ingen] vor Kurzem einen sehr freundschaftlichen Brief erhalten; von Charlotten seit der Rückkehr [14] des Königs nach Dreßden nicht wieder. Indessen hoffe ich, ihre Lage wird unverändert dieselbe bleiben, die überstandenen Leiden abgerechnet.
Philipp ist vor acht Tagen über Salzburg und München nach Italien abgereist. Du wirst ihn wohl in Florenz treffen, denn da will er einige Monathe bleiben. Er hat in Berlin mit einem Bildniße der Prinzessin Wilhelm viel Ehre eingelegt; so ist <ihm> auch hier das Bild der schönen Gräfin Julie Zichy ausnehmend gut gelungen.
Versäume nicht in Rom, die Bekanntschaft des Kardinal Consalvi zu suchen. Ich habe ihn oft gesehn hier und er hat mir viel Beweise seiner Aufmerksamkeit gegeben.
Wie wird es nur die St[aël] mit unsern Landsleuten aus Oesterreich in Italien halten? Wird sie sie sehen können? Freylich hat sie es mit dem Urtheil über und gegen Oesterreich in Ihrem Buche etwas arg getrieben. Vielleicht nimmt man es aber nach alter Art nicht so genau.
[1] Wien, den 26ten August. 1815
Geliebter Bruder,
Es ist mir nur lieb, daß Du mir endlich Nachricht gegeben hast, wo Ihr noch zur Zeit seyd und wo Ihr zunächst hindenkt. Ich hatte mir gar nicht denken können, daß Ihr während des Krieges in Coppet an der Gränze bleiben würdet; und nachher hatten mich die Deutschen Zeitungen mit der Nachricht von Eurer Reise nach Lausanne und dergl. vollends unsicher gemacht. Wegen meines früheren langen NichtSchreibens muß ich freylich auf Deine brüderliche Nachsicht rechnen. Du weißt selbst wohl, wie es damit zu gehn pflegt; wenn ich auch manche Pflichtbriefe bisweilen aus bloßer Trägheit zu schreiben unterlasse; so ist dieß doch bey Dir gewiß nicht der Fall. Verdrießlich ist es aber, wenn man grade das Beste, was man am liebsten schreiben [2] möchte, durchaus nicht schreiben darf. Man geräth <auch> leicht ins Aufschieben, wenn so viel zu schreiben ist, daß man nicht weiß, wo man anfangen und aufhören soll. Beydes war im vollsten Sinne mit mir der Fall, so im vorigen Winter und seither. In den letzten 5 Monathen des Congresses, war mein Arbeitszimmer wie ein Taubenschlag nicht leer von Menschen und von Besuchen. Die Theilnahme an dem Gange der Begebenheiten nahm mich ganz dahin; und ich war auch nicht bloß <theilnehmend> sondern sehr thätig und habe bey allen Zerstreuungen sehr viel gearbeitet, was mir denn auch zuletzt gute Früchte getragen und die Achtung und den Dank <mancher> achtungswürdiger Männer erworben hat.
Als der Minister von hier abging, gab er mir die bestimmteste Versicherung, daß ich [3] bey dem Deutschen Bundestag angestellt werden soll. Dieser ist nun zwar bis zum 1ten Nov[ember] aufgeschoben; indessen ist man doch jetzt mit Anordnung dieser Sache beschäftigt und mit jedem Courier sehe ich daher der Entscheidung entgegen, die ich Dir in der letzten Zeit auch von einem Posttage zum andern hoffte geben zu können.
Nachdem sich der Congreß verlaufen hatte, flüchtete ich mich aufs Land und die Ruhe und Einsamkeit war mir das höchste Bedürfniß. Neben einer Sommerkur von Molken, Brunnen und dgl., deren ich sehr benöthigt war, und die mir mehr als den halben Tag wegnahm warf ich mich zur Erhohlung und Erfrischung des Geistes in die tiefsten geschichtlichen Studien, wobey mir die wenigen Wochen der Ruhe unglaublich schnell vergingen. Recht oft habe ich mich hiebey der glücklichen Tage [4] erinnert, als Du in der Alster-Vorstadt bey uns warest; denn als Ihr das letztemal hier durchreistet, war es zu unruhig.
Hättest Du mein Leben seit Anfang des Jahres mit angesehen, Du würdest mir schwerlich Vorwürfe machen, oder mich <mit> solcher barbarischen Strenge bedrohen, wie Du nun im Sinne zu haben scheinst. Auf keinen Fall hättest Du mein Schweigen als einen Mangel an Theilnahme und Liebe auslegen sollen; da Dir doch mein langer Brief nach Paris gewiß das Gegentheil beweisen konnte. Ich weiß auch durch unsre Schwester in Paris, daß Du ihn richtig erhalten hast, obwohl Du gar nichts darauf geantwortet.
Laß mich nur vor allen Dingen wissen, wie und wohin ich Dir fürder schreiben kann. Es soll von nun an recht oft geschehn. Auch ein andres [5] Exemplar der Vorlesungen werde ich Dir mit der ersten Gelegenheit nach Italien schicken. – Obwohl aus allen Weltgegenden von Deutschland während des Congresses Menschen zu mir gekommen, so zeigte sich nur aus der verödeten Schweiz auch nicht ein einziger Fremder bey mir; daher mir denn nichts übrig blieb, als durch Schaumburg, dessen Saumseeligkeit in diesem Stücke ich schon kenne, über Aarau 2 Exemplare an Dich zu bestellen. Ankommen werden sie indessen gewiß, ich werde auch nicht versäumen, Dir ein Ex[emplar] nach Italien zu besorgen. Erhältst Du nun am Ende mehr von dieser Waare, als Du verlangst und bedarfst; so wird es doch nicht schaden, da Du auch unter den Deutschen in Rom leicht jemand finden wirst, der sie zu haben wünscht.
Daß Ihr nach Italien geht, ist übrigens sehr [6] wohl gethan; es ist grade der rechte Augenblick. Italien wird den nächstkommenden Winter höchstwahrscheinlich nicht nur ein vollkommen ruhiger, sondern auch sehr lebhafter und glänzender Aufenthalt seyn. Von Paris kann man das wohl sobald nicht wieder erwarten; wenigstens ich kann mir nicht denken, daß der Aufenthalt jetzt dort angenehm seyn könnte. Vor einiger Zeit glaubten meine Freunde, daß es gut und recht wäre, wenn ich auch mit nach Italien ginge. Mir wäre es eben recht, um so mehr da ich gewiß weiß, daß ich dort dem Minister sehr nützlich seyn könnte. Indessen ist es mir fast wahrscheinlicher, daß die Frankfurter Bestimmung, wie <es> im Grunde auch billig ist, allem andern vorgehen wird.
Deine höchst treffende und geistreiche Darstellung von der damaligen Lage Frankreichs hat nicht nur mir, sondern auch Genz u. a. die [7] höchste Freude gewährt; da ich mir in dieser Hinsicht ein Gewissen daraus gemacht haben würde, Dein Licht unter den Scheffel zu stellen. Es war auch gar nicht verlohren und hat manche gute Wirkung gethan.
Mir erschien die Entweichung des Napoleon von Elba gleich anfangs als das höchste für Europa eigent[lich] unverdiente Glück. Auch nach dieser unerwarteten Rettung ist der Himmel noch bey weitem nicht klar; indessen ist die Gefahr des Krieges doch nicht mehr so nahe, wie sie mir damals schien, da ich Dir zum letztenmale schrieb. Für Frankreich freylich hoffe ich nicht viel Gutes; denn das Einzige, was Frankreich innerlich retten und geistig wiederherstellen könnte, dürfte den Franzosen selbst, wie jeder bittre Heilungstrank verhaßt erscheinen. Die andern aber kennen Frankreich viel zu wenig, um <es> zu sehen, daß die Rettung [8] Frankreichs einzig da liegt. Wenigstens Einen sehr liebenswürdigen und guten Franzosen lernten wir hier beym Congreß kennen, den jungen Custine, den Du wenn ich nicht irre, auch kennst. – Daß sich unsre guten Freunde, Simonde degli Sismondi und Constant bey dieser Gelegenheit so schändlich bloß gegeben, ist übrigens ganz in der Ordnung.
Deine neuen Studien, besonders auch die indischen, freuen mich ungemein. Versäume nur dabey nicht, von Zeit zu Zeit die alte Meisterschaft in Deutscher Kunst und Sprache zu bewähren, wonach ganz Deutschland verlangt. Mit Freude sah ich einen 3ten Theil der poetischen Werke und einen neuen Band Deines Shakspeare in dem Meßkatalog angekündigt; obwohl der erste noch nicht vorhanden ist, und der letzte gegen Deine Gewohnheit sogar unter der Rubrik der zukünftigen Schriften eingerückt war. [9] Das Heldenbuch von Tieck, welches eben daselbst angekündigt ist, scheint auch noch unter die Futura Contingentia zu gehören. Fouqué dichtet und trachtet fleißig fort, kleine Dramen und Erzählungen ohne Zahl. Seine Corona erreicht den ZauberRing bei weitem nicht. Die neuesten oder vielmehr jüngsten (denn sehr jung scheinen sie alle zu seyn) Nibelunger Diaskeuasten und Commentatoren behaupten, daß ein Manuscript der Nibel[ungen] in Paris sey, welches ein Dr. Göttling aufgefunden haben will; desgl. noch ein andres in Rom, in der vatikanisch[en] Bibliothek, welches Glöckle bekannt gemacht. Vielleicht sind Dir diese Notizen doch zur Nachforschung <nütze>, ob sie Grund haben mögen oder nicht. Der hiesige Besitzer des bewußten M[anu]scripts verharrte den Winter hindurch, so viel ich erfahren, in demselben Eigensinn. Seine Unterhandlung mit der Bibl[iothek] in München [10] hat sich ebenfalls zerschlagen. Er forderte zwar nicht mehr 1000, aber doch immer noch 600 Ducaten in Golde. Auch Graf Münster hatte die Handschrift einige Zeit im Hause, wahrscheinlich in der Absicht, sie für die Göttinger Bibliothek zu unterhandeln; was sich dann ebenfalls an dem hohen Preise zerschlagen hat. – Gr[af] Münster, der sich hier <persönlich> viel Achtung erworben, für Hannover aber doch weit mehr hätte thun können und sollen, als er gethan hat, sah ich mehremal, fand ihn aber doch etwas <Minister-> schroff und unzugänglich; da lag es denn auch weder in meinen Verhältnissen noch in meiner Art, mich näher andringen zu wollen. Ich hätte sonst gern Projekte besonders für Dich geschmiedet; wenn sie gescheidt wären dort, so dürftest Du Ihnen nicht entgehen; das wäre sehr anpassend. Ich hatte auch einen Plan ge[11]faßt oder vielmehr einen Wunsch; daß Du nehmlich bey Well[ington] seyn solltest, wie früher bey dem Kronprinzen von Schweden. Das wäre dann der beste Uebergang und die erste Stufe für die Zukunft <gewesen>. Es kam und entwickelte sich aber alles gar zu schnell. Sehr zu bedauern ist es doch, daß Du nicht wenigstens zum Congreß nach Deutschland gekommen <bist>, wo sich jetzt das herrlichste Leben entwikkelt und es nun gilt, das Gute im Kampf zu behaupten und sich dem Schlechten entgegenzustemmen. Wie kannst Du nur so immer und immerfort in der gleichgültigen, langweiligen Schweiz Deine Zeit verbringen, während hier jetzt auf dem Schauplatze einer kämpfenden Welt jeder versäumte Augenblick ein unwiderbringlicher Verlust ist? – Wie lebhaft Dein Andenken überall in Deutschl.[and] ist, darf ich Dir nicht erst sagen; Du mußt es selbst [12] wissen. – Du solltest nun mit der Ausgabe der Nibelungen nicht länger mehr zögern. Laß das noch mit der Prachtausgabe des alten Textes, da ohnehin die M[anu]scripte noch nicht bis zur letzten Nachlese durchsucht sind. Gieb uns eine schöne aber bequem gestaltete Handausgabe mit erneuerter Orthographie nach Deinem ersten Plane, aber ohne sonstige Modernisirung, mit so viel Commentar als Du eben hast, oder Anfangs auch ohne diesen. Es wird immer ein schönes Denkmahl seyn, nur zögre nicht zu lange.
Die Helden-Romane des Nordens v.[on] Hagen, die Handausgabe <der Nibelungen> in 12° von Zeune, die modernisirende Ausgabe oder Uebersetzung von Büsching kennst Du wahrscheinlich besser als ich; da ich nur eben jetzt erst wieder einige Zeit für diese Dinge gewinne.
Ich schreibe nächstens wieder; dieß ist nur ein Anfang. Melde mir unverzüglich Deine Addresse in Italien.
Friedrich.
[13]
P. S. Eine Abschrift von dem Nibelungen-M[anu]scr[ipt] nehmen zu lassen, was ich Dir gewiß gern auf das gewissenhafteste besorgt hätte, war auch keine Möglichkeit. Der Kerl, der überhaupt von Tage zu Tage mißtrauischer und eigensinniger ward, glaubte, daß ihm dadurch was von seinem Besitze und Leibe herunter geschrieben und abgekratzt werde und wollte nicht dran; auch Grimm, der als Legat[ions]Secr.[etär] mit Graf Keller den ganzen Congreß über hier war, hat das M[anu]scr.[ipt] trotz aller Mühe nur drey Tage lang habhaft werden können, wie er mir sagte, wo er sich denn einige Varianten herausgeschrieben. Was ist es nur für ein Grimmiges Produkt unter den vielen, welches Du recensirt hast? – Ich wünschte es gern zu wissen.
Von Moritz aus Gött.[ingen] habe ich aus Gött.[ingen] vor Kurzem einen sehr freundschaftlichen Brief erhalten; von Charlotten seit der Rückkehr [14] des Königs nach Dreßden nicht wieder. Indessen hoffe ich, ihre Lage wird unverändert dieselbe bleiben, die überstandenen Leiden abgerechnet.
Philipp ist vor acht Tagen über Salzburg und München nach Italien abgereist. Du wirst ihn wohl in Florenz treffen, denn da will er einige Monathe bleiben. Er hat in Berlin mit einem Bildniße der Prinzessin Wilhelm viel Ehre eingelegt; so ist <ihm> auch hier das Bild der schönen Gräfin Julie Zichy ausnehmend gut gelungen.
Versäume nicht in Rom, die Bekanntschaft des Kardinal Consalvi zu suchen. Ich habe ihn oft gesehn hier und er hat mir viel Beweise seiner Aufmerksamkeit gegeben.
Wie wird es nur die St[aël] mit unsern Landsleuten aus Oesterreich in Italien halten? Wird sie sie sehen können? Freylich hat sie es mit dem Urtheil über und gegen Oesterreich in Ihrem Buche etwas arg getrieben. Vielleicht nimmt man es aber nach alter Art nicht so genau.
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