• Dorothea von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Frankfurt am Main · Place of Destination: Paris · Date: 18.12.1816 bis 27.12.1816
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Dorothea von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Frankfurt am Main
  • Place of Destination: Paris
  • Date: 18.12.1816 bis 27.12.1816
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 29. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Vom Wiener Kongress zum Frankfurter Bundestag (10. September 1814 ‒ 31. Oktober 1818). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Jean-Jacques Anstett unter Mitarbeit von Ursula Behler. Paderborn 1980, S. 279‒280.
  • Incipit: „[1] Frankf. 18ten Dec. 16.
    Der bewußte Auftrag an Sie lieber Bruder, durfte nur in dem einzigen Fall ausgerichtet werden wenn Ihre [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34097
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.23,Nr.38
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 21,3 x 13,4 cm
[1] Frankf. 18ten Dec. 16.
Der bewußte Auftrag an Sie lieber Bruder, durfte nur in dem einzigen Fall ausgerichtet werden wenn Ihre Gesinnungen noch dieselben wären, die sie in Florenz gewesen sind. Die Eröffnungen die Sie mir in dieser Hinsicht in Ihrem letzten Briefe gemacht haben, waren mehr als zureichend um mich zu überzeugen daß diese Gesinnungen nicht mehr dieselben sind, und schwerlich wohl je nur etwas ähnliches wieder werden könnten – – und so ist nun weiter von keinem Auftrage die Rede mehr. Die gute Nina scheint wieder einmal viel zu leidenschaftlich gewesen zu seyn und wird nun von Rechts wegen dafür büßen müssen.
Sie haben in Allem ganz und gar Recht, durch alle Register, mit allen Gründen Recht, nur daß Sie über die reizende Gegenwart, alle diese gegründeten Tadel nicht hätten übersehen, und die Sache die denn eben nichts anders gewesen zu seyn scheint als eben das Wohlgefallen, eine Stimmung des Augenblicks, nicht bis zu einem ernsthaften Verhältniß hätten treiben müssen. Sie werden mir doch gestehen lieber Wilhelm daß das sehr jung war, und zu Ihren Reden vom Alt werden gar nicht paßt.
Im Grunde war die Lage zu schwer, zu verwickelt für die arme Nina. Mit der Familie in welcher Sie leben brechen wollen [2] war ein höchst gefährliches Unternehmen; und in diesem Verhältniß sich gut mit derselben stehen, für die arme Nina rein unmöglich: „denn mit Göttern soll sich nicht messen irgend ein Mensch“ – – das konnte nie gut werden, und so ist es recht glücklich daß es brach eh es zu spät war. – Nina ihre Briefe sind wie Sie sehr richtig bemerken bey weitem nicht so geistreich als ihre Gegenwart und ihre Unterhaltung; sollte man diesen Mangel aber wohl eigentlich mit Recht zu den Beweggründen zählen dürfen die Sie von ihr abziehen? mich dünkt bey einer Gefährtin des Lebens kömmt es viel mehr darauf an daß ihre Gegenwart angenehm sey, als daß sie Verstand und gute Laune mehr am Schreibpult als im Leben benutzt. Nie ist man mehr in Gefahr sich zu täuschen, als wenn man jemand nach seinen geistreichen Briefen beurtheilt. Viele Leute thun das Beste was sie haben da hinein; und was ist im Grunde leichter als ein paar geistreiche Wendungen, oder kluge Anwendungen des Angeeigneten? – Es ist nicht ohne Egoismus daß ich die schlechten Briefe in Schutz nehme, ich hätte sonst den Muth nicht Ihnen zu schreiben. – – Daß Sie jetzt so mit Ihren Verhält[3]nissen zufrieden sind freut uns recht aufrichtig. Im Grunde haben wir Ihre Klagen zu andern Zeiten auch viel zu schwer und ernsthaft genommen. Man hat Unrecht die vorübergehende Stimmung des Augenblicks für mehr als diese zu halten.

27ten Mein Brief ist noch nicht fort; ich bin durch Unpäßlichkeit einige Tage gestört worden. Anscheinend robust, habe ich doch eine so geschwächte Gesundheit, daß jede Erschütterung, jede Anstrengung sie sey geistig oder körperlich, angreifend und verderblich für mich wird. In aller Thätigkeit gehemmt muß ich von Zeit zu Zeit mich bloß mit Vegetiren behelfen. „Die müden Glieder neigen sich zur Erde.“
Friedrich ist sehr beschäftigt, ich glaube kaum daß es ihm gelingen wird einige Zeilen hier beyzufügen. Sie kennen das an ihn, wie jede Sache die er ergreift ihn ganz hinnimmt, und so gehört seine Thätigkeit jetzt <1> der <4> Bundesversammlung <5> ganz <2> ausschließlich <3>, zu <6> dessen Verächtern und Verspöttern Sie lieber Wilhelm sich doch eigentlich nicht gesellen müßten. Hat man der Feinde nicht genug? und kann es einem edlen Gemüth genügen sich auf die Seite der Stärkern zu schlagen? – Treue Anhänglichkeit überwindet zuletzt dennoch, das sehen wir an Friedrich [4] dessen angestrengteste Thätigkeit, dem großen Zutrauen und den Aufträgen der ehrenvollsten Art, gar nicht erschöpfend zu begegnen im Stande ist. Was sind dagegen leere Lobpreisungen, und sogenannte Ehrenbezeugungen der großen Welt?
Gott mit Ihnen lieber Bruder, er erhalte Sie fröhlich und heitern Sinnes. Wir müssen Ihre unermüdliche Geduld bewundern in dem Streit über Racine Shakspeare und Schiller; von Lessing an gerechnet dauert dieser Streit doch schon hübsch lange. Die Zeitungen sprechen von Ihren rühmlichen Kämpfen dieser Art in den Salons von Paris: „Der Sieg“ heißt es „ist immer noch nicht entschieden.“ – An Ihrer Stelle, würde ich längst mich schon einmal zur Probe auf die andre Seite gestellt haben, um den Franzosen das Vergnügen eines nicht mehr zu bestreitenden Siegs zu verschaffen; gewonnen wird ja ohnehin nichts bey dem immer erneuten Streit.
Besuchen Sie doch ja meine liebe Schwester recht oft, und schenken Sie ihr bisweilen eine Abendstunde, es ist die einzige Zeit die sie für sich hat. – Aus Dresden hören wir jetzt gar nichts; haben Sie keine Nachrichten? Graf Cüstine ist ein sehr lieber Mensch, und seine Mutter eine der angenehmsten liebenswürdigsten Frauen. Giebt es viel solche Franzosen? – Leben Sie wohl, ich wünsche Ihnen viel Glück, Heil und Seegen zum Jahr 17.
Dorothea v. S.
[1] Frankf. 18ten Dec. 16.
Der bewußte Auftrag an Sie lieber Bruder, durfte nur in dem einzigen Fall ausgerichtet werden wenn Ihre Gesinnungen noch dieselben wären, die sie in Florenz gewesen sind. Die Eröffnungen die Sie mir in dieser Hinsicht in Ihrem letzten Briefe gemacht haben, waren mehr als zureichend um mich zu überzeugen daß diese Gesinnungen nicht mehr dieselben sind, und schwerlich wohl je nur etwas ähnliches wieder werden könnten – – und so ist nun weiter von keinem Auftrage die Rede mehr. Die gute Nina scheint wieder einmal viel zu leidenschaftlich gewesen zu seyn und wird nun von Rechts wegen dafür büßen müssen.
Sie haben in Allem ganz und gar Recht, durch alle Register, mit allen Gründen Recht, nur daß Sie über die reizende Gegenwart, alle diese gegründeten Tadel nicht hätten übersehen, und die Sache die denn eben nichts anders gewesen zu seyn scheint als eben das Wohlgefallen, eine Stimmung des Augenblicks, nicht bis zu einem ernsthaften Verhältniß hätten treiben müssen. Sie werden mir doch gestehen lieber Wilhelm daß das sehr jung war, und zu Ihren Reden vom Alt werden gar nicht paßt.
Im Grunde war die Lage zu schwer, zu verwickelt für die arme Nina. Mit der Familie in welcher Sie leben brechen wollen [2] war ein höchst gefährliches Unternehmen; und in diesem Verhältniß sich gut mit derselben stehen, für die arme Nina rein unmöglich: „denn mit Göttern soll sich nicht messen irgend ein Mensch“ – – das konnte nie gut werden, und so ist es recht glücklich daß es brach eh es zu spät war. – Nina ihre Briefe sind wie Sie sehr richtig bemerken bey weitem nicht so geistreich als ihre Gegenwart und ihre Unterhaltung; sollte man diesen Mangel aber wohl eigentlich mit Recht zu den Beweggründen zählen dürfen die Sie von ihr abziehen? mich dünkt bey einer Gefährtin des Lebens kömmt es viel mehr darauf an daß ihre Gegenwart angenehm sey, als daß sie Verstand und gute Laune mehr am Schreibpult als im Leben benutzt. Nie ist man mehr in Gefahr sich zu täuschen, als wenn man jemand nach seinen geistreichen Briefen beurtheilt. Viele Leute thun das Beste was sie haben da hinein; und was ist im Grunde leichter als ein paar geistreiche Wendungen, oder kluge Anwendungen des Angeeigneten? – Es ist nicht ohne Egoismus daß ich die schlechten Briefe in Schutz nehme, ich hätte sonst den Muth nicht Ihnen zu schreiben. – – Daß Sie jetzt so mit Ihren Verhält[3]nissen zufrieden sind freut uns recht aufrichtig. Im Grunde haben wir Ihre Klagen zu andern Zeiten auch viel zu schwer und ernsthaft genommen. Man hat Unrecht die vorübergehende Stimmung des Augenblicks für mehr als diese zu halten.

27ten Mein Brief ist noch nicht fort; ich bin durch Unpäßlichkeit einige Tage gestört worden. Anscheinend robust, habe ich doch eine so geschwächte Gesundheit, daß jede Erschütterung, jede Anstrengung sie sey geistig oder körperlich, angreifend und verderblich für mich wird. In aller Thätigkeit gehemmt muß ich von Zeit zu Zeit mich bloß mit Vegetiren behelfen. „Die müden Glieder neigen sich zur Erde.“
Friedrich ist sehr beschäftigt, ich glaube kaum daß es ihm gelingen wird einige Zeilen hier beyzufügen. Sie kennen das an ihn, wie jede Sache die er ergreift ihn ganz hinnimmt, und so gehört seine Thätigkeit jetzt <1> der <4> Bundesversammlung <5> ganz <2> ausschließlich <3>, zu <6> dessen Verächtern und Verspöttern Sie lieber Wilhelm sich doch eigentlich nicht gesellen müßten. Hat man der Feinde nicht genug? und kann es einem edlen Gemüth genügen sich auf die Seite der Stärkern zu schlagen? – Treue Anhänglichkeit überwindet zuletzt dennoch, das sehen wir an Friedrich [4] dessen angestrengteste Thätigkeit, dem großen Zutrauen und den Aufträgen der ehrenvollsten Art, gar nicht erschöpfend zu begegnen im Stande ist. Was sind dagegen leere Lobpreisungen, und sogenannte Ehrenbezeugungen der großen Welt?
Gott mit Ihnen lieber Bruder, er erhalte Sie fröhlich und heitern Sinnes. Wir müssen Ihre unermüdliche Geduld bewundern in dem Streit über Racine Shakspeare und Schiller; von Lessing an gerechnet dauert dieser Streit doch schon hübsch lange. Die Zeitungen sprechen von Ihren rühmlichen Kämpfen dieser Art in den Salons von Paris: „Der Sieg“ heißt es „ist immer noch nicht entschieden.“ – An Ihrer Stelle, würde ich längst mich schon einmal zur Probe auf die andre Seite gestellt haben, um den Franzosen das Vergnügen eines nicht mehr zu bestreitenden Siegs zu verschaffen; gewonnen wird ja ohnehin nichts bey dem immer erneuten Streit.
Besuchen Sie doch ja meine liebe Schwester recht oft, und schenken Sie ihr bisweilen eine Abendstunde, es ist die einzige Zeit die sie für sich hat. – Aus Dresden hören wir jetzt gar nichts; haben Sie keine Nachrichten? Graf Cüstine ist ein sehr lieber Mensch, und seine Mutter eine der angenehmsten liebenswürdigsten Frauen. Giebt es viel solche Franzosen? – Leben Sie wohl, ich wünsche Ihnen viel Glück, Heil und Seegen zum Jahr 17.
Dorothea v. S.
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