• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Frankfurt am Main · Place of Destination: Paris · Date: 02.01.1817
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
  • XML
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Frankfurt am Main
  • Place of Destination: Paris
  • Date: 02.01.1817
  • Notations: Empfangsort erschlossen
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 29. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Vom Wiener Kongress zum Frankfurter Bundestag (10. September 1814 ‒ 31. Oktober 1818). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Jean-Jacques Anstett unter Mitarbeit von Ursula Behler. Paderborn 1980, S. 285‒287.
  • Incipit: „[1] Frankfurt, den 2ten Januar 1817.
    Geliebter Bruder!
    Es ist mir auch wegen der Veranlaßung und dann schon an sich, sehr leid, daß [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34288
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.d,Nr.202
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,8 x 12,1 cm
[1] Frankfurt, den 2ten Januar 1817.
Geliebter Bruder!
Es ist mir auch wegen der Veranlaßung und dann schon an sich, sehr leid, daß Du uns nun die Hoffnung, Dich wieder in Deutschland zu besitzen, so weit hinausschiebst. Das Leben wird stets kürzer, der Aufschub aber immer länger. – Wie hast Du aber nur glauben können, ich wollte Dir eine Stelle anzunehmen zumuthen, oder man würde Dir eine solche antragen wollen, die Dir nicht angemessen wäre? Selbst bey einer bloßen Professorstelle, sobald man sie Dir antrüge, würde dieß nicht der Fall seyn; da man ja hinreichend weiß, daß Deine Hervorbringungen und Lehren nicht zu der wissenschaftlichen Frohndearbeit, sondern zu dem freyen Gebiet der höhern Kunst und Erkenntniß gehören. Was ich Dir damals schrieb, geschah nur, weil man in manchen Deutschen Ländern gewiß von dem, was Du verlangen [2] und fordern würdest, sich eine so hohe Vorstellung macht, daß man nicht glaubt sie befriedigen zu können. Uebrigens glaube ich allerdings, daß eine OberBibliothekar- oder General-SekretärStelle bey einer Akademie der Wissenschaften am passendsten für Dich seyn würde; und dieß sind auch allein die Stellen, auf die ich für Dich bis jetzt spekulirt habe. Wenn Dir übrigens keine Anträge geschehen; so rührt dieß einzig und allein daher, weil man <allgemein> glaubt, Du wollest nicht in Deutschland leben und habest Frankreich ganz vorzugsweise für Dich erwählt. Sonst glaube nur ja nicht, daß Du vergessen seyest; nur bedauert man allgemein, daß Du Deutschland so ganz verlassen habest. So sprach auch noch neulich Stein mit großer Liebe von Dir, aber auch mit dem gleichen Bedauern über Deine Entfremdung von Deutschland. Du solltest jetzt, so lange der Frieden noch dauert, die Zeit zu einer [3] Reise nach und durch Deutschland benutzen; dieß würde am besten dazu dienen, alle Vorurtheile zu widerlegen und die nöthigen Verbindungen überall wieder anzuknüpfen.
Deine anti-Grimmige Recension, so wie auch die von Niebuhr habe ich mit großem Interesse gelesen, auch mit der letzten das 1te Buch des Livius wieder verglichen. Ich bin fast durchgehends Deiner Meynung; die Lobrede auf den Tarquinius hat mir fast noch besser gefallen als die Vernichtung des Romulus. Nur von einem Punkte hast Du mich noch nicht völlig überzeugt; daß nämlich die Heldensagen gar keinen Antheil an der Bildung der altrömischen Geschichte haben. Die Könige von Alba Longa, den rein ersonnenen Romulus und Remus, selbst den Raub der Sabinerinnen gebe ich Dir als schlecht erfundene historische Fabeln zu; dagegen hat mir die Geschichte von dem Kampfe der Horatier und Curiatier auch dießmal den Eindruck einer in Prosa übertragenen Heldensage gemacht; fast in dem gleichen Grade die Geschichte von der Lucretia. Doch will ich zugeben, [4] daß die römische <Helden->Sage vorzüglich dürftig gewesen seyn mag. Wegen der Trojaner und des Aeneas bin ich ganz Deiner Meynung.
Ich freue mich recht und beneide Dich zugleich, daß Du die Gelegenheit und freye Muße hast, alles Indische Neue dort beysammen zu finden und benutzen zu können. Du würdest mich sehr verpflichten, wenn Du mir ein Verzeichniß der indischen Bücher, die man für Geld in Paris haben kann, mittheilen wolltest. Da ich mich auf eine unter den verschiedenen Grammatiken beschränken muß; so ist doch wohl die von Wilkins die beste. Aber diese will ich mir dann auch gleich kaufen, sobald ich Nachricht von Dir erhalte; Henrietten werde ich das Geld assigniren und sie wird auch wohl eine Gelegenheit wissen, um die Sachen hieher zu schaffen, wenn Du so gut seyn willst, den Einkauf zu übernehmen. Der Ramayan ist wohl sehr theuer? Oder kann man vielleicht die Theile einzeln kaufen? – Ich hoffe mich zwar für die Dauer <hier> recht gut zu stehen; das erste Jahr aber hat viel erfordert; daher ich mich denn noch sehr einschränken muß. Wo wirst Du künftigen Sommer seyn? –
Dein
Friedrich.
[1] Frankfurt, den 2ten Januar 1817.
Geliebter Bruder!
Es ist mir auch wegen der Veranlaßung und dann schon an sich, sehr leid, daß Du uns nun die Hoffnung, Dich wieder in Deutschland zu besitzen, so weit hinausschiebst. Das Leben wird stets kürzer, der Aufschub aber immer länger. – Wie hast Du aber nur glauben können, ich wollte Dir eine Stelle anzunehmen zumuthen, oder man würde Dir eine solche antragen wollen, die Dir nicht angemessen wäre? Selbst bey einer bloßen Professorstelle, sobald man sie Dir antrüge, würde dieß nicht der Fall seyn; da man ja hinreichend weiß, daß Deine Hervorbringungen und Lehren nicht zu der wissenschaftlichen Frohndearbeit, sondern zu dem freyen Gebiet der höhern Kunst und Erkenntniß gehören. Was ich Dir damals schrieb, geschah nur, weil man in manchen Deutschen Ländern gewiß von dem, was Du verlangen [2] und fordern würdest, sich eine so hohe Vorstellung macht, daß man nicht glaubt sie befriedigen zu können. Uebrigens glaube ich allerdings, daß eine OberBibliothekar- oder General-SekretärStelle bey einer Akademie der Wissenschaften am passendsten für Dich seyn würde; und dieß sind auch allein die Stellen, auf die ich für Dich bis jetzt spekulirt habe. Wenn Dir übrigens keine Anträge geschehen; so rührt dieß einzig und allein daher, weil man <allgemein> glaubt, Du wollest nicht in Deutschland leben und habest Frankreich ganz vorzugsweise für Dich erwählt. Sonst glaube nur ja nicht, daß Du vergessen seyest; nur bedauert man allgemein, daß Du Deutschland so ganz verlassen habest. So sprach auch noch neulich Stein mit großer Liebe von Dir, aber auch mit dem gleichen Bedauern über Deine Entfremdung von Deutschland. Du solltest jetzt, so lange der Frieden noch dauert, die Zeit zu einer [3] Reise nach und durch Deutschland benutzen; dieß würde am besten dazu dienen, alle Vorurtheile zu widerlegen und die nöthigen Verbindungen überall wieder anzuknüpfen.
Deine anti-Grimmige Recension, so wie auch die von Niebuhr habe ich mit großem Interesse gelesen, auch mit der letzten das 1te Buch des Livius wieder verglichen. Ich bin fast durchgehends Deiner Meynung; die Lobrede auf den Tarquinius hat mir fast noch besser gefallen als die Vernichtung des Romulus. Nur von einem Punkte hast Du mich noch nicht völlig überzeugt; daß nämlich die Heldensagen gar keinen Antheil an der Bildung der altrömischen Geschichte haben. Die Könige von Alba Longa, den rein ersonnenen Romulus und Remus, selbst den Raub der Sabinerinnen gebe ich Dir als schlecht erfundene historische Fabeln zu; dagegen hat mir die Geschichte von dem Kampfe der Horatier und Curiatier auch dießmal den Eindruck einer in Prosa übertragenen Heldensage gemacht; fast in dem gleichen Grade die Geschichte von der Lucretia. Doch will ich zugeben, [4] daß die römische <Helden->Sage vorzüglich dürftig gewesen seyn mag. Wegen der Trojaner und des Aeneas bin ich ganz Deiner Meynung.
Ich freue mich recht und beneide Dich zugleich, daß Du die Gelegenheit und freye Muße hast, alles Indische Neue dort beysammen zu finden und benutzen zu können. Du würdest mich sehr verpflichten, wenn Du mir ein Verzeichniß der indischen Bücher, die man für Geld in Paris haben kann, mittheilen wolltest. Da ich mich auf eine unter den verschiedenen Grammatiken beschränken muß; so ist doch wohl die von Wilkins die beste. Aber diese will ich mir dann auch gleich kaufen, sobald ich Nachricht von Dir erhalte; Henrietten werde ich das Geld assigniren und sie wird auch wohl eine Gelegenheit wissen, um die Sachen hieher zu schaffen, wenn Du so gut seyn willst, den Einkauf zu übernehmen. Der Ramayan ist wohl sehr theuer? Oder kann man vielleicht die Theile einzeln kaufen? – Ich hoffe mich zwar für die Dauer <hier> recht gut zu stehen; das erste Jahr aber hat viel erfordert; daher ich mich denn noch sehr einschränken muß. Wo wirst Du künftigen Sommer seyn? –
Dein
Friedrich.
×
×