• Dorothea von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wien · Place of Destination: Unknown · Date: 24.02.1810 bis 25.02.1810
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
  • XML
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Dorothea von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wien
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 24.02.1810 bis 25.02.1810
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 114‒118.
  • Incipit: „[1] Wien 24ten Febr. [18]10
    Lassen Sie vor allen Dingen sich erzählen geliebter Wilhelm, daß Friedrich seine historische Vorlesungen glücklich zu Stande [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-8
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,II,7
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl., hs.
  • Format: 18,7 x 11,5 cm
[1] Wien 24ten Febr. [18]10
Lassen Sie vor allen Dingen sich erzählen geliebter Wilhelm, daß Friedrich seine historische Vorlesungen glücklich zu Stande gebracht, und drei derselben am 19ten,20ten und 23ten vor einer schönen zahlreichen Versammlung mit großem Beifall, gehalten hatt. Wirklich hat er auch noch nie so vortreflich gelesen! Er hat seiner bekannten Manier, sich seinen Text nur mit einigen Hieroglyphen an zu geben, und ihre Ausführung dem Moment zu überlassen, diesesmal nicht gefolgt, sondern er schreibt ausführlich sich jede Lection, so wie er sie halten will; und dieses ist eine sehr glückliche Abänderung. Sein Vortrag ist klar rein und fließend; der bekannte Reichthum seiner Ideen, geordnet, und gleichmäßig, ohne Ueberfüllung, und ohne Lücke angewendet. Besonders ward die Darstellung dieser Urdeutschen mit solcher Vorliebe ausgeführt, er sprach mit einer so sanften beinah wehmütigen Begeisterung von der entschwundnen HeldenZeit, daß man in Versuchung gerieth auf der Stelle wieder in die alten heiligen Wälder zurück zu laufen. Nie hat man Poesie mit Gelehrsamkeit, Phantasie mit hellen Verstand, Enthusiasmus mit Vorurtheilslosigkeit, im innigern Verein gesehen! und das gieng Schlag auf Schlag; jedes Wort war ein Licht, jeder Perioden ein Gemählde.
25ten. So weit war ich mit meinem Berichte gekommen und war des eifrigsten Willens noch gestern denselben auf die Post zu geben, aber ich ward am weiter schreiben verhindert, und nun muß er in Gottes Namen bis künftigen Posttag aufgeschoben werden. Damit es [2] mir nicht aber wieder so geht, so will ich meinen Sonntag dazu verwenden den Brief zu vollenden, obgleich er erst am künftigen Mittwoch abgeht; vielleicht findet Friedrich dann auch noch eine Stunde Zeit Ihnen selber zu schreiben, denn Morgen hält er die letzte Vorlesung vor den Fasten. Wie oft – ja immer fort lieber Bruder! erinnern wir uns Ihrer bei Gelegenheit dieser Vorlesung, denn auch hier haben Sie Ihrem Bruder den Weg gebahnt! Durch Ihre vortrefliche Vorlesung aufmerksam gemacht, sucht das hiesige Publikum nun in seinen Vorträgen dasselbe Ergötzen was bei den Ihrigen empfunden zu haben, noch bei vielen in der lebhaftesten Erinnerung ist. Ich schreibe Ihnen einen Theil der Liste der Zuhörer hier ab, Sie werden gewiß eine Menge Ihrer Zuhörer dabei wieder finden. Im Ganzen sind es jetzt 156 Pränumeranten, die ungerechnet welchen Friedrich freien Eintritt gab, worunter alle seine eigentlichen Freunde und Gönner gehören. So z. B. Hormaier und Collin und mehrere. Ich merke eigentlich deßwegen an, damit es Sie nicht befremde sie nicht auf der Liste zu finden. Von den 30 Eintritts Charten welche Graf Ferdinand Palfy vertheilte (und schon das Geld dafür erlegte) wissen wir noch nicht wem er sie eigentlich vertheilt haben mag. Diese Namen schreibe ich Ihnen aber auch sobald wir sie erfahren, denn ich bin überzeugt daß sie Ihnen da so viele Ihrer zurückgelassenen Freunde und Bekannte dabei sind, nicht uninteressant seyn werden. – Das ist nun eine recht artige Summe Geldes – einige fette Jahre, die uns die vergangenen sehr magern übertragen helfen müßen – denn während des Krieges [3] und vorher musste mancher Rest stehen bleiben, diese Abtragung der hiesigen Schulden beträgt 1500 fl ungefähr; (versteht sich, alles in Papiergeld) Eben so viel wird wohl darauf gehen, um unsre Personen etwas herauszustaffiren – das übrige würde beinah hinreichen uns den Anfang einer häuslichen Einrichtung zu machen, wenn wir es wirklich zurück legen und dafür verwenden dürften. Leider aber geht es zum täglichen Brod, für Speis und Trank, und dergleichen Bedürfnissen darauf, und obgleich mit der möglichst mäßigsten Einrichtung, geht bei den erhöhten Preisen der Lebensmittel nur gar zu viel auf, welches mich einigermaßen ängstigt, besonders da wir noch nicht gewiß wissen wie es mit dem fixen Gehalt steht. Friedrichs neuer Chef versichert zwar immer fort, daß es beim alten bleiben würde, daß sich dies von selbst versteht, usw. so lange aber noch keine wirkliche Anweisung auf Auszahlung, und keine ordentliche Ernennung (denn die Erste war bloß provisorisch, und galt nur bis zum Frieden) erfolgt ist, bin ich immer noch ein wenig mißtrauisch. Seit den Dezember hat er keinen Gehalt empfangen, und wir wissen auch noch nicht, mit welchem Datum er wieder anfangen wird? Die täglichen Bedürfnisse gehen unterdessen, wie Naturerscheinungen ihren gewohnten Gang immer fort, und kehren sich an Nichts. Es ist nichts so ruinirend als diese Ungewißheit und Unsicherheit, die uns zu keiner Berechnung kommen läßt. Es wäre wohl endlich einmal Zeit daß es anders würde, und doch wenn ich Ihnen meine rechte Herzensmeinung entdecken soll, ich fürchte [4] mich ordentlich, irgendwo in der Welt mich so fest anzusiedeln; seitdem ich gesehen habe, wie sehr die Menschen dadurch die WeltBegebenheiten verkennen, und falsch beurtheilen lernen, und wie man sich Schande und Spott gern gefallen läßt, um nur dieser jämmerlichen Habseeligkeiten gewiß zu bleiben. Wohl ist es ein schönes Gefühl etwas zu besitzen, an dessen Gebrauch wir uns erfreuen, und das wir nach unserm Tode den Kindern und den Freunden zurücklassen; sie wiederum den ihrigen, bis es nach Jahrhunderten den Urenkeln ein sprechendes Denkmal der Sitten und Gesinnungen ihrer Ahnherrn wird, durch den Gebrauch der vorübergegangnen Generationen, dankbar geheiligt. So haben wir (besonders in Kölln) mit recht inniger Rührung oft zu sehen Gelegenheit gehabt, wie man in Familien die Häuser und ZimmerEinrichtungen, so treu als möglich bewahrt und wie nur erst jetzt in der allerneuesten Zeit die Mode auch hier zu herschen anfängt, und die guten alten Leute recht schmerzlich sich bequemen müßen sich Neues anzuschaffen wovon sie sehr gut wissen daß es nach ihrem Tode wieder abgeändert werden muß. Ich kenne in Kölln Leute, die wenn sie bei einem Trödler ein altes Porträt oder sonst irgend etwas sehen welches ihnen scheint vor Alters geachtet worden zu seyn, wäre es auch nur ein Stuhl oder ein Tisch, so kaufen sie es, und stellen es sorgfältig fort, damit es nicht verschleudert oder zum unanständigen Gebrauch verwendet wird. Sie können gar nicht glauben wie rührend mir diese Ehrwürdige Achtung der Vorältern immer war. [5] Und wiederum, wer wusste mehr sich selber und das Seinige aufzuopfern, als dieselben Alten, die auch die Dinge zu würdigen und fest zu halten wussten? Jetzt aber – mit dem Gefühl für das Eine ist auch die Fähigkeit für das andre zu Grunde gegangen – jetzt ist es am besten wir leben wie der Vogel auf dem Zweig, und hängen unsern Sinn nicht allzusehr an so gar vergängliche Dinge.
Mit der Ankündigung der Vorlesung schicke ich Ihnen auch eine Ankündigung des Oesterreichischen Beobachters; Friedrich ist von Amtswegen der Redacteur, besonders des litterärischen Theils, und dieses ist vor der Hand das einzige Geschäfft womit man ihn beauftragt hat. Gebe Gott nur daß es ihm nicht all zu viel Zeit raubt, und besonders nicht die Lust und Stimmung zum Dichten. Alle Kräfte müßen wir jetzt anspannen damit Friedrich bis zu Anfang des Sommers und der schönen Jahrszeit mit allen verhindernden Geschäften und Verrichtungen abgethan habe, damit er auf 6 bis 8 Wochen Urlaub fordern, und in das Bad zu Baden bei Wien gehen könne. Seine Gesundheit erfordert ganz nothwendig eine solche Kur, und hier in dieser reizenden Gegend, entfernt von allen Störungen (nicht einmal eine Zeitung soll er während dieser Kurzeit zu sehen kriegen) hoffe ich auch viel für Karl V. Er hat es sich selber versprochen in dieser Zeit nichts zu thun, als zu baden und zu dichten.
Schreiben Sie uns doch wieder geliebter [6] Bruder. Was gäbe ich drum Sie und Frau v. Stael über die werdende Geschichte discutiren zu hören. Wir denken täglich und stündlich daran, und wünschen uns in Ihrem Kreise zu seyn, oder Sie in den Unsrigen. Ich könnte Sie beneiden um Ihren Aufenthalt in Tells Vaterlande, um den erhebenden Blick auf den Gebirgen! – Und Sie wünschen vielleicht sich oft hierher um diesen Taschenspielern des Schicksals recht auf die Hände zu sehen. – Es ist jetzt als ob das Horn des Oberon erschallte, alles dreht sich und tanzt im lustigsten Wirbel; Tu felix Austria nube! ruft man sich zu. Dann giebt es wieder alte verdrüßliche Schuhus die in dieser Verkehrung und Abweichung der Wege Gottes keine Ursache zum Frohlocken finden wollen; aber deren sind nur wenige ganz unaufgeklärte Leute, die überhaupt nicht gern tanzen. Noch kleiner ist aber das Häuptlein der naseweisen Lacher (zu denen auch einige aus Ihrer Verwandtschaft gehören) die dieser Ironie des Schicksals mit ruhiger Theilnahme zusehen, und für sich selber d. h. für ihre eigne Vervollkommnung, und das Heil ihrer Seele den besten Theil davon zu tragen suchen. Mit Kotzebue unter andern, habe ich mich völlig ausgesöhnt, seitdem das Schicksal ihn nachzuahmen scheint, und so wie er ein Stück zu einer heroischen Tragödie anlegt, und in eine lustige Comödie endigt.
[7] In Paris hängen alle Himmel voller Geigen – wäre ich reich, würde ich mir jetzt gern die Fantasie erlauben hinzureisen, um diese neue Freunde und Verschwiegerte in ihrer Freude zu sehen. Henriette könnte uns manches hübsche und interessante schreiben, aber sie ist schreibefauler als billig. – Wissen Sie schon das Ritter in München gestorben ist? seine letzten Stunden sollen sehr schön und sein Tod sanft gewesen seyn. Baader hat darüber einen ausführlichen Brief an Baron Natorp geschrieben, der ihn uns mitzutheilen versprochen hatt. Wie viele Freunde haben wir nicht schon verlieren müßen! Ringsum fällt unser Blick auf Gräbern wenn wir ihn nicht aufwärts richten zu dem Lichte der unvertilgbaren Hoffnungen! – Auch hat die Pereira dieser Tage einen ihrer schönen lieblichen Knaben verlohren, an der fatalen Krankheit die seit einigen Jahren unter den Kindern wüthet, die man croup nennt. Es war grade der unter ihren Knaben den ich am meisten liebte, vielleicht erinnern Sie sich seiner, er hieß Heinrich, es war der Mittelste von den dreien. Es schmerzt mich ungemein. Die Aeltern und die Grosaeltern sind untröstlich.
Wir haben nun auch Ihren zweiten Calderon und ich lese meine Freude an der Brücke von [8] Mantible. Den zweiten Theil der Vorlesungen haben wir aber noch nicht. Warum haben Sie es dem Buchhändler erlaubt Ihr Sonett auf Numancia, einer namenlosen Uebersetzung dieses Trauerspiels vor zu drucken? unbekannte können nun leicht in den Wahn fallen, als wäre die Uebersetzungen von Ihnen. Und was sagen Sie denn zu Reichards Briefen über Wien? hat es Sie nicht verdrossen daß er von Ihrem Bruder nichts zu sagen wusste als daß er noch dicker geworden sey? und von allen den vortreflichen erhebenden Beiworten mit welchen er so splendid ist, ward mir Armen nichts, als das Wörtlein wacker. Das ist und bleibt ein drolliger Mensch dieser Reichard, die Wiener wissen nicht ob sie seine Lobreden ernsthaft oder scherzhaft nehmen sollen.
[1] Wien 24ten Febr. [18]10
Lassen Sie vor allen Dingen sich erzählen geliebter Wilhelm, daß Friedrich seine historische Vorlesungen glücklich zu Stande gebracht, und drei derselben am 19ten,20ten und 23ten vor einer schönen zahlreichen Versammlung mit großem Beifall, gehalten hatt. Wirklich hat er auch noch nie so vortreflich gelesen! Er hat seiner bekannten Manier, sich seinen Text nur mit einigen Hieroglyphen an zu geben, und ihre Ausführung dem Moment zu überlassen, diesesmal nicht gefolgt, sondern er schreibt ausführlich sich jede Lection, so wie er sie halten will; und dieses ist eine sehr glückliche Abänderung. Sein Vortrag ist klar rein und fließend; der bekannte Reichthum seiner Ideen, geordnet, und gleichmäßig, ohne Ueberfüllung, und ohne Lücke angewendet. Besonders ward die Darstellung dieser Urdeutschen mit solcher Vorliebe ausgeführt, er sprach mit einer so sanften beinah wehmütigen Begeisterung von der entschwundnen HeldenZeit, daß man in Versuchung gerieth auf der Stelle wieder in die alten heiligen Wälder zurück zu laufen. Nie hat man Poesie mit Gelehrsamkeit, Phantasie mit hellen Verstand, Enthusiasmus mit Vorurtheilslosigkeit, im innigern Verein gesehen! und das gieng Schlag auf Schlag; jedes Wort war ein Licht, jeder Perioden ein Gemählde.
25ten. So weit war ich mit meinem Berichte gekommen und war des eifrigsten Willens noch gestern denselben auf die Post zu geben, aber ich ward am weiter schreiben verhindert, und nun muß er in Gottes Namen bis künftigen Posttag aufgeschoben werden. Damit es [2] mir nicht aber wieder so geht, so will ich meinen Sonntag dazu verwenden den Brief zu vollenden, obgleich er erst am künftigen Mittwoch abgeht; vielleicht findet Friedrich dann auch noch eine Stunde Zeit Ihnen selber zu schreiben, denn Morgen hält er die letzte Vorlesung vor den Fasten. Wie oft – ja immer fort lieber Bruder! erinnern wir uns Ihrer bei Gelegenheit dieser Vorlesung, denn auch hier haben Sie Ihrem Bruder den Weg gebahnt! Durch Ihre vortrefliche Vorlesung aufmerksam gemacht, sucht das hiesige Publikum nun in seinen Vorträgen dasselbe Ergötzen was bei den Ihrigen empfunden zu haben, noch bei vielen in der lebhaftesten Erinnerung ist. Ich schreibe Ihnen einen Theil der Liste der Zuhörer hier ab, Sie werden gewiß eine Menge Ihrer Zuhörer dabei wieder finden. Im Ganzen sind es jetzt 156 Pränumeranten, die ungerechnet welchen Friedrich freien Eintritt gab, worunter alle seine eigentlichen Freunde und Gönner gehören. So z. B. Hormaier und Collin und mehrere. Ich merke eigentlich deßwegen an, damit es Sie nicht befremde sie nicht auf der Liste zu finden. Von den 30 Eintritts Charten welche Graf Ferdinand Palfy vertheilte (und schon das Geld dafür erlegte) wissen wir noch nicht wem er sie eigentlich vertheilt haben mag. Diese Namen schreibe ich Ihnen aber auch sobald wir sie erfahren, denn ich bin überzeugt daß sie Ihnen da so viele Ihrer zurückgelassenen Freunde und Bekannte dabei sind, nicht uninteressant seyn werden. – Das ist nun eine recht artige Summe Geldes – einige fette Jahre, die uns die vergangenen sehr magern übertragen helfen müßen – denn während des Krieges [3] und vorher musste mancher Rest stehen bleiben, diese Abtragung der hiesigen Schulden beträgt 1500 fl ungefähr; (versteht sich, alles in Papiergeld) Eben so viel wird wohl darauf gehen, um unsre Personen etwas herauszustaffiren – das übrige würde beinah hinreichen uns den Anfang einer häuslichen Einrichtung zu machen, wenn wir es wirklich zurück legen und dafür verwenden dürften. Leider aber geht es zum täglichen Brod, für Speis und Trank, und dergleichen Bedürfnissen darauf, und obgleich mit der möglichst mäßigsten Einrichtung, geht bei den erhöhten Preisen der Lebensmittel nur gar zu viel auf, welches mich einigermaßen ängstigt, besonders da wir noch nicht gewiß wissen wie es mit dem fixen Gehalt steht. Friedrichs neuer Chef versichert zwar immer fort, daß es beim alten bleiben würde, daß sich dies von selbst versteht, usw. so lange aber noch keine wirkliche Anweisung auf Auszahlung, und keine ordentliche Ernennung (denn die Erste war bloß provisorisch, und galt nur bis zum Frieden) erfolgt ist, bin ich immer noch ein wenig mißtrauisch. Seit den Dezember hat er keinen Gehalt empfangen, und wir wissen auch noch nicht, mit welchem Datum er wieder anfangen wird? Die täglichen Bedürfnisse gehen unterdessen, wie Naturerscheinungen ihren gewohnten Gang immer fort, und kehren sich an Nichts. Es ist nichts so ruinirend als diese Ungewißheit und Unsicherheit, die uns zu keiner Berechnung kommen läßt. Es wäre wohl endlich einmal Zeit daß es anders würde, und doch wenn ich Ihnen meine rechte Herzensmeinung entdecken soll, ich fürchte [4] mich ordentlich, irgendwo in der Welt mich so fest anzusiedeln; seitdem ich gesehen habe, wie sehr die Menschen dadurch die WeltBegebenheiten verkennen, und falsch beurtheilen lernen, und wie man sich Schande und Spott gern gefallen läßt, um nur dieser jämmerlichen Habseeligkeiten gewiß zu bleiben. Wohl ist es ein schönes Gefühl etwas zu besitzen, an dessen Gebrauch wir uns erfreuen, und das wir nach unserm Tode den Kindern und den Freunden zurücklassen; sie wiederum den ihrigen, bis es nach Jahrhunderten den Urenkeln ein sprechendes Denkmal der Sitten und Gesinnungen ihrer Ahnherrn wird, durch den Gebrauch der vorübergegangnen Generationen, dankbar geheiligt. So haben wir (besonders in Kölln) mit recht inniger Rührung oft zu sehen Gelegenheit gehabt, wie man in Familien die Häuser und ZimmerEinrichtungen, so treu als möglich bewahrt und wie nur erst jetzt in der allerneuesten Zeit die Mode auch hier zu herschen anfängt, und die guten alten Leute recht schmerzlich sich bequemen müßen sich Neues anzuschaffen wovon sie sehr gut wissen daß es nach ihrem Tode wieder abgeändert werden muß. Ich kenne in Kölln Leute, die wenn sie bei einem Trödler ein altes Porträt oder sonst irgend etwas sehen welches ihnen scheint vor Alters geachtet worden zu seyn, wäre es auch nur ein Stuhl oder ein Tisch, so kaufen sie es, und stellen es sorgfältig fort, damit es nicht verschleudert oder zum unanständigen Gebrauch verwendet wird. Sie können gar nicht glauben wie rührend mir diese Ehrwürdige Achtung der Vorältern immer war. [5] Und wiederum, wer wusste mehr sich selber und das Seinige aufzuopfern, als dieselben Alten, die auch die Dinge zu würdigen und fest zu halten wussten? Jetzt aber – mit dem Gefühl für das Eine ist auch die Fähigkeit für das andre zu Grunde gegangen – jetzt ist es am besten wir leben wie der Vogel auf dem Zweig, und hängen unsern Sinn nicht allzusehr an so gar vergängliche Dinge.
Mit der Ankündigung der Vorlesung schicke ich Ihnen auch eine Ankündigung des Oesterreichischen Beobachters; Friedrich ist von Amtswegen der Redacteur, besonders des litterärischen Theils, und dieses ist vor der Hand das einzige Geschäfft womit man ihn beauftragt hat. Gebe Gott nur daß es ihm nicht all zu viel Zeit raubt, und besonders nicht die Lust und Stimmung zum Dichten. Alle Kräfte müßen wir jetzt anspannen damit Friedrich bis zu Anfang des Sommers und der schönen Jahrszeit mit allen verhindernden Geschäften und Verrichtungen abgethan habe, damit er auf 6 bis 8 Wochen Urlaub fordern, und in das Bad zu Baden bei Wien gehen könne. Seine Gesundheit erfordert ganz nothwendig eine solche Kur, und hier in dieser reizenden Gegend, entfernt von allen Störungen (nicht einmal eine Zeitung soll er während dieser Kurzeit zu sehen kriegen) hoffe ich auch viel für Karl V. Er hat es sich selber versprochen in dieser Zeit nichts zu thun, als zu baden und zu dichten.
Schreiben Sie uns doch wieder geliebter [6] Bruder. Was gäbe ich drum Sie und Frau v. Stael über die werdende Geschichte discutiren zu hören. Wir denken täglich und stündlich daran, und wünschen uns in Ihrem Kreise zu seyn, oder Sie in den Unsrigen. Ich könnte Sie beneiden um Ihren Aufenthalt in Tells Vaterlande, um den erhebenden Blick auf den Gebirgen! – Und Sie wünschen vielleicht sich oft hierher um diesen Taschenspielern des Schicksals recht auf die Hände zu sehen. – Es ist jetzt als ob das Horn des Oberon erschallte, alles dreht sich und tanzt im lustigsten Wirbel; Tu felix Austria nube! ruft man sich zu. Dann giebt es wieder alte verdrüßliche Schuhus die in dieser Verkehrung und Abweichung der Wege Gottes keine Ursache zum Frohlocken finden wollen; aber deren sind nur wenige ganz unaufgeklärte Leute, die überhaupt nicht gern tanzen. Noch kleiner ist aber das Häuptlein der naseweisen Lacher (zu denen auch einige aus Ihrer Verwandtschaft gehören) die dieser Ironie des Schicksals mit ruhiger Theilnahme zusehen, und für sich selber d. h. für ihre eigne Vervollkommnung, und das Heil ihrer Seele den besten Theil davon zu tragen suchen. Mit Kotzebue unter andern, habe ich mich völlig ausgesöhnt, seitdem das Schicksal ihn nachzuahmen scheint, und so wie er ein Stück zu einer heroischen Tragödie anlegt, und in eine lustige Comödie endigt.
[7] In Paris hängen alle Himmel voller Geigen – wäre ich reich, würde ich mir jetzt gern die Fantasie erlauben hinzureisen, um diese neue Freunde und Verschwiegerte in ihrer Freude zu sehen. Henriette könnte uns manches hübsche und interessante schreiben, aber sie ist schreibefauler als billig. – Wissen Sie schon das Ritter in München gestorben ist? seine letzten Stunden sollen sehr schön und sein Tod sanft gewesen seyn. Baader hat darüber einen ausführlichen Brief an Baron Natorp geschrieben, der ihn uns mitzutheilen versprochen hatt. Wie viele Freunde haben wir nicht schon verlieren müßen! Ringsum fällt unser Blick auf Gräbern wenn wir ihn nicht aufwärts richten zu dem Lichte der unvertilgbaren Hoffnungen! – Auch hat die Pereira dieser Tage einen ihrer schönen lieblichen Knaben verlohren, an der fatalen Krankheit die seit einigen Jahren unter den Kindern wüthet, die man croup nennt. Es war grade der unter ihren Knaben den ich am meisten liebte, vielleicht erinnern Sie sich seiner, er hieß Heinrich, es war der Mittelste von den dreien. Es schmerzt mich ungemein. Die Aeltern und die Grosaeltern sind untröstlich.
Wir haben nun auch Ihren zweiten Calderon und ich lese meine Freude an der Brücke von [8] Mantible. Den zweiten Theil der Vorlesungen haben wir aber noch nicht. Warum haben Sie es dem Buchhändler erlaubt Ihr Sonett auf Numancia, einer namenlosen Uebersetzung dieses Trauerspiels vor zu drucken? unbekannte können nun leicht in den Wahn fallen, als wäre die Uebersetzungen von Ihnen. Und was sagen Sie denn zu Reichards Briefen über Wien? hat es Sie nicht verdrossen daß er von Ihrem Bruder nichts zu sagen wusste als daß er noch dicker geworden sey? und von allen den vortreflichen erhebenden Beiworten mit welchen er so splendid ist, ward mir Armen nichts, als das Wörtlein wacker. Das ist und bleibt ein drolliger Mensch dieser Reichard, die Wiener wissen nicht ob sie seine Lobreden ernsthaft oder scherzhaft nehmen sollen.
×
×