• August Wilhelm von Schlegel to Johann Wolfgang von Goethe

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Weimar · Date: 10.06.1798
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Wolfgang von Goethe
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Weimar
  • Date: 10.06.1798
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: August Wilhelm und Friedrich Schlegel im Briefwechsel mit Schiller und Goethe. Hg. v. Josef Körner u. Ernst Wieneke. Leipzig 1926, S. 68‒70.
  • Verlag: Insel Verlag
  • Incipit: „Berlin d. 10 Jun 1798
    Eine unvermuthete Beschleunigung meiner Abreise von Jena machte es mir unmöglich, Sie noch einmal wie ich [...]“
    Manuscript
  • Provider: Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 28/805 St. 3
  • Provenance: Klassik Stiftung Weimar
Berlin d. 10 Jun 1798
Eine unvermuthete Beschleunigung meiner Abreise von Jena machte es mir unmöglich, Sie noch einmal wie ich gewünscht hätte in Weimar zu besuchen, oder Ihre Ankunft in Jena abzuwarten. Vermuthlich sind Sie jetzt dort, und bey allem dem Schönen, was mir diesen Sommer zu Theil wird, ist der Gedanke, daß ich Ihren Umgang würde genießen können, der einzige Grund mich dahin zurückzusehnen. Mein Bruder hatte schon vor mehren Tagen einen Brief an Sie geschrieben, den ich sogleich mit einem von mir begleiten wollte; aber ich wurde gestört, und auch heute gewinne ich nur zu einigen flüchtigen Zeilen Raum, Ihnen recht ordentlich zu schreiben behalte ich mir auf eine ruhigere Zeit vor.
Ich habe Tieck aufgemuntert, Ihnen seinen angefangnen Roman zu schicken, den ich noch nicht gelesen habe, von dem man mir aber versichert, es sey unter seinen bisherigen Sachen das beste. Sie werden in dem Briefe die Schüchternheit erkennen, womit er sich Ihrer Bekanntschaft nähert: eine gütige Aufnahme würde ihn gewiß über alles erfreuen.
Zugleich überschicke ich Ihnen einige kleine Gedichte von ihm. Wenn sie Ihnen nicht misfallen, so haben Sie die Güte, sie Schillern für den Musenalmanach zu übergeben, um nach Belieben Gebrauch davon zu machen. ‒ Was mich betrifft so glaube ich schwerlich, daß ich diesen Sommer etwas werde dichten können. Überdieß hat Schiller seine Einladung Theil an dem Almanach zu nehmen nur so obenhin erneuert, daß ich, da mein sonderbares Verhältniß gegen ihn seit dem vorigen Herbste immer noch eben so besteht, mich kaum überzeugen kann, es sey ihm Ernst damit.
Meine Begierde ist schon lebhaft darauf gerichtet, was uns die poetische Weinlese im nächsten Herbst von Ihnen bescheren wird.
Von Zelters launiger Komposizion des Zauberlehrlings hat Ihnen mein Bruder schon geschrieben. Seine Bekanntschaft zu machen, hatte für mich etwas eigenthümlich anziehendes, weil er wirklich zugleich Maurer und Musiker ist. Seine Reden sind handfest wie Mauern, aber seine Gefühle zart und musikalisch. Wir haben die Fabel vom Orpheus auf ihn gedeutet: dieser habe nicht durch die Musik, sondern neben ihr, mitunter Häuser aufgeführt; alles übrige sey Ausschmückung, die Zeltern auch zu Theil geworden seyn würde, wenn er nicht das Unglück hätte, in einem historischen Zeitalter zu leben. Zelter behauptet aber die ursprüngliche Verwandtschaft der beyden Künste: und obgleich er gestehen muß, daß er nicht immer musikalisch bauen darf, so fodert er doch daß man durchaus architektonisch komponire.
Ich habe hier schon viele u mancherley Bekanntschaften gemacht: mit Gelehrten, Künstlern, Jüdinnen, Geheimeräthen und Schauspielern. Bey den Gelehrten muß man nur ja keine Bildung suchen, und auch sonst eben nicht viel. Nicolai, der in der Vorrede zu seinen philosophischen Gesprächen unter andern sehr drollig gegen meinen Bruder und mich zu Felde gezogen ist, hat uns, da wir nur zum Scherz Miene machten ihn zu besuchen, sogleich zu einem großen Abendessen eingeladen. Seine Bücher müssen ihm auf diese Art schweres Geld kosten.
In einigen Zirkeln, worin ich hier war, sind Sie uns recht nahe gewesen, und ich habe etwas gegolten, weil ich Sie zuletzt gesehen hatte, und von Ihnen erzählen konnte. So war ich am Mittwoch des Mittags bey Mlle. Mariane Meyer, und denselben Abend bey einer Frau von Berg, die Sie auch persönlich kennt, wieder mit Mlle Meyer, wo wir auf Ihre Gesundheit mit der herzlichsten Wärme getrunken haben.
Über das hiesige Theater schreibe ich Ihnen nächstens umständlicher. Iffland habe ich schon öfter auf und außer dem Theater gesehn, doch beydes noch nicht so häufig als ich gewünscht hätte. Er ist sehr beschäftigt gewesen mit einem neuen Stücke, das nach den beyden ersten Akten, die ich davon gehört, eins seiner vorzüglichsten seyn wird. Ich habe ihm den Hamlet vorgelesen, den er mit der gespanntesten Aufmerksamkeit und mit großer Empfänglichkeit für das große Ganze, für den innern tiefen Zusammenhang bey scheinbaren Incohärenzen und für die wesentliche Schicklichkeit aller Umgebungen angehört hat. Es machte solchen Eindruck auf ihn, daß er sehr lebhafte Lust bezeugte das Stück ganz in seiner ursprünglichen Gestalt, ohne alle Veränderung, auf das Theater zu bringen: ein Wagestück, an dessen glücklichem Erfolge ich großen Antheil nehme.
Den dritten Band vom Sh.[akspeare] werde ich Ihnen erst im Herbst überreichen können; das 2te Stück vom Athenaeum hingegen wird hoffentlich bald nachfolgen. Ich bin begierig auf Ihr Urtheil über das erste.
Leben Sie recht wohl und gesund, und vergessen Sie uns nicht.
Herrn Professor Meyer bitte ich mich bestens zu empfehlen – wie gern hätte ich seinen Umgang in Weimar ruhiger genossen. Wenn er, wie ich vermuthe, die Beurtheilung von Fiorilloʼs Geschichte der Kunst für die ALZ. übernommen so bitte ich ihn, Versehen, die sich durch die Entfernung des Verfassers vom Redacteur des Werkes eingeschlichen haben mögen, u wahrscheinlich auf meine Rechnung kommen nicht zu scharf zu rügen.
Wenn Sie mich mit einer Zuschrift erfreuen wollen, so haben Sie nur die Güte auf das Couvert zu setzen: Dresden beym Hofsecretär Ernst. Meinem Bruder oder Tieck wird Hr. Unger gern einen Brief besorgen.
Berlin d. 10 Jun 1798
Eine unvermuthete Beschleunigung meiner Abreise von Jena machte es mir unmöglich, Sie noch einmal wie ich gewünscht hätte in Weimar zu besuchen, oder Ihre Ankunft in Jena abzuwarten. Vermuthlich sind Sie jetzt dort, und bey allem dem Schönen, was mir diesen Sommer zu Theil wird, ist der Gedanke, daß ich Ihren Umgang würde genießen können, der einzige Grund mich dahin zurückzusehnen. Mein Bruder hatte schon vor mehren Tagen einen Brief an Sie geschrieben, den ich sogleich mit einem von mir begleiten wollte; aber ich wurde gestört, und auch heute gewinne ich nur zu einigen flüchtigen Zeilen Raum, Ihnen recht ordentlich zu schreiben behalte ich mir auf eine ruhigere Zeit vor.
Ich habe Tieck aufgemuntert, Ihnen seinen angefangnen Roman zu schicken, den ich noch nicht gelesen habe, von dem man mir aber versichert, es sey unter seinen bisherigen Sachen das beste. Sie werden in dem Briefe die Schüchternheit erkennen, womit er sich Ihrer Bekanntschaft nähert: eine gütige Aufnahme würde ihn gewiß über alles erfreuen.
Zugleich überschicke ich Ihnen einige kleine Gedichte von ihm. Wenn sie Ihnen nicht misfallen, so haben Sie die Güte, sie Schillern für den Musenalmanach zu übergeben, um nach Belieben Gebrauch davon zu machen. ‒ Was mich betrifft so glaube ich schwerlich, daß ich diesen Sommer etwas werde dichten können. Überdieß hat Schiller seine Einladung Theil an dem Almanach zu nehmen nur so obenhin erneuert, daß ich, da mein sonderbares Verhältniß gegen ihn seit dem vorigen Herbste immer noch eben so besteht, mich kaum überzeugen kann, es sey ihm Ernst damit.
Meine Begierde ist schon lebhaft darauf gerichtet, was uns die poetische Weinlese im nächsten Herbst von Ihnen bescheren wird.
Von Zelters launiger Komposizion des Zauberlehrlings hat Ihnen mein Bruder schon geschrieben. Seine Bekanntschaft zu machen, hatte für mich etwas eigenthümlich anziehendes, weil er wirklich zugleich Maurer und Musiker ist. Seine Reden sind handfest wie Mauern, aber seine Gefühle zart und musikalisch. Wir haben die Fabel vom Orpheus auf ihn gedeutet: dieser habe nicht durch die Musik, sondern neben ihr, mitunter Häuser aufgeführt; alles übrige sey Ausschmückung, die Zeltern auch zu Theil geworden seyn würde, wenn er nicht das Unglück hätte, in einem historischen Zeitalter zu leben. Zelter behauptet aber die ursprüngliche Verwandtschaft der beyden Künste: und obgleich er gestehen muß, daß er nicht immer musikalisch bauen darf, so fodert er doch daß man durchaus architektonisch komponire.
Ich habe hier schon viele u mancherley Bekanntschaften gemacht: mit Gelehrten, Künstlern, Jüdinnen, Geheimeräthen und Schauspielern. Bey den Gelehrten muß man nur ja keine Bildung suchen, und auch sonst eben nicht viel. Nicolai, der in der Vorrede zu seinen philosophischen Gesprächen unter andern sehr drollig gegen meinen Bruder und mich zu Felde gezogen ist, hat uns, da wir nur zum Scherz Miene machten ihn zu besuchen, sogleich zu einem großen Abendessen eingeladen. Seine Bücher müssen ihm auf diese Art schweres Geld kosten.
In einigen Zirkeln, worin ich hier war, sind Sie uns recht nahe gewesen, und ich habe etwas gegolten, weil ich Sie zuletzt gesehen hatte, und von Ihnen erzählen konnte. So war ich am Mittwoch des Mittags bey Mlle. Mariane Meyer, und denselben Abend bey einer Frau von Berg, die Sie auch persönlich kennt, wieder mit Mlle Meyer, wo wir auf Ihre Gesundheit mit der herzlichsten Wärme getrunken haben.
Über das hiesige Theater schreibe ich Ihnen nächstens umständlicher. Iffland habe ich schon öfter auf und außer dem Theater gesehn, doch beydes noch nicht so häufig als ich gewünscht hätte. Er ist sehr beschäftigt gewesen mit einem neuen Stücke, das nach den beyden ersten Akten, die ich davon gehört, eins seiner vorzüglichsten seyn wird. Ich habe ihm den Hamlet vorgelesen, den er mit der gespanntesten Aufmerksamkeit und mit großer Empfänglichkeit für das große Ganze, für den innern tiefen Zusammenhang bey scheinbaren Incohärenzen und für die wesentliche Schicklichkeit aller Umgebungen angehört hat. Es machte solchen Eindruck auf ihn, daß er sehr lebhafte Lust bezeugte das Stück ganz in seiner ursprünglichen Gestalt, ohne alle Veränderung, auf das Theater zu bringen: ein Wagestück, an dessen glücklichem Erfolge ich großen Antheil nehme.
Den dritten Band vom Sh.[akspeare] werde ich Ihnen erst im Herbst überreichen können; das 2te Stück vom Athenaeum hingegen wird hoffentlich bald nachfolgen. Ich bin begierig auf Ihr Urtheil über das erste.
Leben Sie recht wohl und gesund, und vergessen Sie uns nicht.
Herrn Professor Meyer bitte ich mich bestens zu empfehlen – wie gern hätte ich seinen Umgang in Weimar ruhiger genossen. Wenn er, wie ich vermuthe, die Beurtheilung von Fiorilloʼs Geschichte der Kunst für die ALZ. übernommen so bitte ich ihn, Versehen, die sich durch die Entfernung des Verfassers vom Redacteur des Werkes eingeschlichen haben mögen, u wahrscheinlich auf meine Rechnung kommen nicht zu scharf zu rügen.
Wenn Sie mich mit einer Zuschrift erfreuen wollen, so haben Sie nur die Güte auf das Couvert zu setzen: Dresden beym Hofsecretär Ernst. Meinem Bruder oder Tieck wird Hr. Unger gern einen Brief besorgen.
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