• August Wilhelm von Schlegel to Johann Wolfgang von Goethe

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Weimar · Date: 14.12.1798
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Wolfgang von Goethe
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Weimar
  • Date: 14.12.1798
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: August Wilhelm und Friedrich Schlegel im Briefwechsel mit Schiller und Goethe. Hg. v. Josef Körner u. Ernst Wieneke. Leipzig 1926, S. 77‒78.
  • Verlag: Insel Verlag
  • Incipit: „[1] Jena d. 14 Dez 98
    Das Englische Werk nebst den übrigen Sachen ist mir wohlbehalten wieder zu Händen gekommen, u [...]“
    Manuscript
  • Provider: Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 28/805 St. 7
  • Provenance: Klassik Stiftung Weimar
[1] Jena d. 14 Dez 98
Das Englische Werk nebst den übrigen Sachen ist mir wohlbehalten wieder zu Händen gekommen, u ich danke Ihnen für die Zurücksendung.
Es würde mich sehr freuen, wenn Sie bey Ihrer Untersuchung über den Holzschnitt meinem Freunde Unger etwas ermunterndes für seine Kunst hätten sagen können: nämlich, wie Sie mündlich über seine Arbeiten urtheilten, daß er in seiner Manier das mögliche geleistet.
Er schreibt mir, er sey jetzt sehr beschäftigt mit einer Arbeit in diesem Fache, die ihm vom Könige aufgetragen worden. – Die Bewicksche Manier, behauptet er, sey gar keine neue Erfindung, sondern schon in den allerfrühesten Zeiten des Formschneidens in Gebrauch gewesen, und komme in vielen Büchern des 15ten Jahrhunderts [2] vor, namentlich in einer Chronik in groß Folio vom J. 1493; nur sey sie da nicht mit so viel Nettigkeit u nach so guten Zeichnungen ausgeführt. –
Sie sind uns hier recht plötzlich und unerwartet verschwunden, ich freue mich doppelt Ihrer bald zu hoffenden Rückkehr. – Ich bin jetzt wieder stark mit meinem Shaksp., u zwar mit dem Kaufmann von Venedig beschäftigt; ich widme ihm alle Stunden, die ich erübrigen kann, und hoffe mit dem ganzen Stück während der Weihnachtsferien fertig zu werden.
Meine Beschäftigung mit der älteren Geschichte der deutschen Poesie belohnt sich mir reichlich. Außer daß ich immer ein aufmerksames Auditorium habe, bin ich dabey auf neue Aufschlüsse gerathen, wie wohl ein Rittergedicht einzurichten wäre. Es ist unglaublich, was für Schätze ungenutzt und unbekannt da liegen.
[3] Ich will Sie auf eine Lektüre aufmerksam machen, die Sie vermuthlich interessiren wird: Ifflands Geschichte seiner theatralischen Laufbahn. – Man kömmt hier recht bestimmt auf die Spur, wo es seinen dramatischen Darstellungen fehlt: er weiß sich nicht genug aus sich selbst herauszustellen, sich nicht fremd genug zu behandeln, und was man über den Charakter seines Spiels und seiner Stücke nicht schon weiß, wird man hier nicht erfahren. Die moralische Tendenz der letzten ist gleichsam eine beständig fortgehende Rechtfertigung gegen die Vorurtheile, womit er in seiner Jugend so bitter zu kämpfen hatte; u daß er nicht in eine freyere poetische Region übergehen kann, erklärt sich aus seiner Jugendgeschichte, die bis zu seiner Flucht von Hanover im höchsten Grade interessant ist. Bey den [4] früheren Szenen der Kindheit scheint ihm Wilhelm Meister vorgeschwebt zu haben, und es ist sehr artig zu sehen, wie die Dichtung die historische Wahrheit nach sich gemodelt hat, ohne ihr doch ihre Ächtheit zu rauben. Man sieht hier, daß eine objektivere Behandlung einen herrlichen Roman aus dem Stoffe seines Lebens hätte bilden können, der nun unter einer zu flüchtigen u leidenschaftlichen Feder verloren geht.
Mir sind vor kurzem vom Just[iz] R[ath] Hufeland Hrn. von Knebels übersetzte Elegien von Properz mitgetheilt worden; ich habe sie mit vielem Interesse gelesen und eine Anzeige davon für die Literatur-Zeitung verfertigt.
Haben Sie doch die Güte mich Hrn. Prof. Meyer zu empfehlen. In Hoffnung eines baldigen Wiedersehens
Ihr gehorsamster
AWSchlegel
[1] Jena d. 14 Dez 98
Das Englische Werk nebst den übrigen Sachen ist mir wohlbehalten wieder zu Händen gekommen, u ich danke Ihnen für die Zurücksendung.
Es würde mich sehr freuen, wenn Sie bey Ihrer Untersuchung über den Holzschnitt meinem Freunde Unger etwas ermunterndes für seine Kunst hätten sagen können: nämlich, wie Sie mündlich über seine Arbeiten urtheilten, daß er in seiner Manier das mögliche geleistet.
Er schreibt mir, er sey jetzt sehr beschäftigt mit einer Arbeit in diesem Fache, die ihm vom Könige aufgetragen worden. – Die Bewicksche Manier, behauptet er, sey gar keine neue Erfindung, sondern schon in den allerfrühesten Zeiten des Formschneidens in Gebrauch gewesen, und komme in vielen Büchern des 15ten Jahrhunderts [2] vor, namentlich in einer Chronik in groß Folio vom J. 1493; nur sey sie da nicht mit so viel Nettigkeit u nach so guten Zeichnungen ausgeführt. –
Sie sind uns hier recht plötzlich und unerwartet verschwunden, ich freue mich doppelt Ihrer bald zu hoffenden Rückkehr. – Ich bin jetzt wieder stark mit meinem Shaksp., u zwar mit dem Kaufmann von Venedig beschäftigt; ich widme ihm alle Stunden, die ich erübrigen kann, und hoffe mit dem ganzen Stück während der Weihnachtsferien fertig zu werden.
Meine Beschäftigung mit der älteren Geschichte der deutschen Poesie belohnt sich mir reichlich. Außer daß ich immer ein aufmerksames Auditorium habe, bin ich dabey auf neue Aufschlüsse gerathen, wie wohl ein Rittergedicht einzurichten wäre. Es ist unglaublich, was für Schätze ungenutzt und unbekannt da liegen.
[3] Ich will Sie auf eine Lektüre aufmerksam machen, die Sie vermuthlich interessiren wird: Ifflands Geschichte seiner theatralischen Laufbahn. – Man kömmt hier recht bestimmt auf die Spur, wo es seinen dramatischen Darstellungen fehlt: er weiß sich nicht genug aus sich selbst herauszustellen, sich nicht fremd genug zu behandeln, und was man über den Charakter seines Spiels und seiner Stücke nicht schon weiß, wird man hier nicht erfahren. Die moralische Tendenz der letzten ist gleichsam eine beständig fortgehende Rechtfertigung gegen die Vorurtheile, womit er in seiner Jugend so bitter zu kämpfen hatte; u daß er nicht in eine freyere poetische Region übergehen kann, erklärt sich aus seiner Jugendgeschichte, die bis zu seiner Flucht von Hanover im höchsten Grade interessant ist. Bey den [4] früheren Szenen der Kindheit scheint ihm Wilhelm Meister vorgeschwebt zu haben, und es ist sehr artig zu sehen, wie die Dichtung die historische Wahrheit nach sich gemodelt hat, ohne ihr doch ihre Ächtheit zu rauben. Man sieht hier, daß eine objektivere Behandlung einen herrlichen Roman aus dem Stoffe seines Lebens hätte bilden können, der nun unter einer zu flüchtigen u leidenschaftlichen Feder verloren geht.
Mir sind vor kurzem vom Just[iz] R[ath] Hufeland Hrn. von Knebels übersetzte Elegien von Properz mitgetheilt worden; ich habe sie mit vielem Interesse gelesen und eine Anzeige davon für die Literatur-Zeitung verfertigt.
Haben Sie doch die Güte mich Hrn. Prof. Meyer zu empfehlen. In Hoffnung eines baldigen Wiedersehens
Ihr gehorsamster
AWSchlegel
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