• August Wilhelm von Schlegel to Johann Wolfgang von Goethe

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Weimar · Date: 07.01.1800
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Wolfgang von Goethe
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Weimar
  • Date: 07.01.1800
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: August Wilhelm und Friedrich Schlegel im Briefwechsel mit Schiller und Goethe. Hg. v. Josef Körner u. Ernst Wieneke. Leipzig 1926, S. 91‒93.
  • Verlag: Insel Verlag
  • Incipit: „[1] Jena d. 7 Jan 1800
    So vergnügt wir in unserm enge geschloßnen Zirkel leben, so ist doch mir und uns [...]“
    Manuscript
  • Provider: Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 28/805 St. 15
  • Provenance: Klassik Stiftung Weimar
[1] Jena d. 7 Jan 1800
So vergnügt wir in unserm enge geschloßnen Zirkel leben, so ist doch mir und uns allen, seit Sie Jena verlassen haben, nichts so angenehmes begegnet, als Ihre freundliche Begrüßung. Sie sind uns immer im Geiste gegenwärtig, was kann uns also erfreulicher seyn, als wenn Sie es auch manchmal durch Ihr Andenken seyn wollen. Es muß uns Muth machen, daß wir das immer mehr erreichen werden, wonach wir unermüdet streben.
Das neue Stück der Propyläen, wofür ich bestens danke, beschäftigt uns lebhaft; Sie haben sowohl für mancherley Befriedigungen der Neugier als für ernstere Belehrung gesorgt. Wenn Sie mir das Manuskript der Elegien noch schicken wollen, so stehe ich jederzeit mit meinen grammatischen Kleinigkeitskrämereyen zu Befehl, und werde es ohne Verzug zurückbesorgen.
Wir sind noch immer fleißig am Spanischen, dabey haben wir, besonders mein Bruder, [2] uns mit der alten Englischen Bühne beschäftigt. Er glaubt unter den in der Dodsleyschen Sammlung abgedruckten namenlosen Stücken eins von Shakspeare entdeckt zu haben, the Pinner of Wakefield. – Ich bin nicht ganz entschieden hierüber, ob ich ihm gleich auch nicht widersprechen kann. Das Stück sey von wem es wolle, so ist es ein herrliches Überbleibsel alt-Englischer Jovialität. – Mein Bruder behauptet, die Stücke von Sh.ʼs berühmtesten Vorgängern, Marlowe, Heywood, Lilly, seyn so schlecht und unkünstlich, daß jede verständige Behandlung schon eine starke Vermuthung gebe, daß Sh. der Verfasser sey, und bleibt deshalb auch, ungeachtet Ihrer Gegengründe dabey, ihm den alten King John zuzuschreiben.
Über die angeblich spurious plays, die ich jetzt einmal nach der Reihe gelesen habe, bin ich ziemlich im reinen, daß sie alle von Sh. sind. Die einzigen, wobey noch einige Zweifel eintreten könnten sind Locrine und the Puritan. Man muß [3] wohl annehmen, daß Sh. das erste schrieb ehe er die Bühne kannte, und bey dem zuletzt genannten sehr unterhaltenden Lustspiele hat ihn wohl der Stoff zu einer ganz eignen Manier vermocht. – Cromwell und Oldcastle sind unstreitig, besonders das letzte, aus seiner reifsten Zeit, und gehören wie mich dünkt zu Sh’s vorzüglichsten Stücken. Wenn Sie an diese Lektüre kommen, werden Sie über die Englische Blindheit erstaunen.
Da mein Bruder nun auch sein Studium der Griechischen Dichter wieder sehr erneuert, so ist ihm der Aristophanes doppelt willkommen. Er hat ihn richtig erhalten und ist Ihnen sehr dankbar dafür.
Unser Freund Tieck hat leider seit mehr als vier Wochen an einem Rheumatismus in den Knieen sehr gelitten, wobey er ganz von Kräften gekommen, und oft recht niedergeschlagen war, weil er gar keine Besserung spürte, und bey den vielen Arbeiten, die er vorhat, gar nichts machen [4] konnte. Jetzt mindert sich das Übel, doch kann er immer noch wenig gehen, und hat sich erst ein paar mal in einer Sänfte zu uns tragen lassen. – Es sind ihm von Berlin aus Vorschläge wegen der Genoveva gethan, und Tieck würde auch bereitwillig seyn, sie fürs Theater zu bearbeiten. Iffland wünscht erst das Ganze zu sehen um die Möglichkeit zu beurtheilen. – Iffland hat den Verdruß gehabt, daß man ein neues Stück von ihm, welches er zu seinem Benefice gegeben, gepocht hat, und mag wohl seitdem mit dem Berliner Publikum noch nicht ganz wieder ausgesöhnt seyn.
Es wird mir allerdings interessant seyn, die altdeutsche Sammlung von Romanen, die ich wohl kenne, das Buch der Liebe, durchsehen zu können. Ich will Sie gelegentlich darum bitten, doch hat es damit für jetzt keine Eil. – Einen sehr dicken Folianten, der den Roman von Lanzelot, in altfranzösischer Prosa, enthält, habe ich mit großer [5] Geduld beynah zur Hälfte durchgebracht. Vom Tristan habe ich bis jetzt nur die spätere französische Bearbeitung, woraus Tressan seinen Auszug gemacht. Dieser ist sehr ungelehrt dabey zu Werke gegangen. Was ich am meisten suche, nämlich das versifizirte Französische oder Provenzalische Original, welches der Deutsche Minnesinger vor Augen gehabt haben muß, wird, wie ich befürchte, wohl nur in der Pariser Nazional-Bibliothek zu finden seyn.
Zu meinen Gedichten ist noch eins und das andre hinzugekommen, so daß die Sammlung doch noch einiges neue für Sie enthalten wird. Bey einer Arbeit für das Athenäum habe ich den Versuchungen des Satans zum Spaßen nicht ganz widerstehen können, wiewohl in einer völlig verschiednen Art als das vorige mal. Doch ich will dem Stücke, das nun in kurzem erscheinen wird, die Unterhaltung, die es gewähren möchte, nicht vorweg nehmen. Nur mache ich Sie aufmerksam auf eine kürzlich erschienene [6] merkwürdige Misgeburt, Alins Abenteuer von Matthisson.
Alle Mitglieder unsers Zirkels wünschen mit mir, Ihnen angelegentlichst empfohlen zu seyn. Schelling hat einen Brief mit eingelegt. Leben Sie recht wohl. Dürfte ich auch um meine Empfehlungen an Professor Meyer bitten?
AWSchlegel
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[1] Jena d. 7 Jan 1800
So vergnügt wir in unserm enge geschloßnen Zirkel leben, so ist doch mir und uns allen, seit Sie Jena verlassen haben, nichts so angenehmes begegnet, als Ihre freundliche Begrüßung. Sie sind uns immer im Geiste gegenwärtig, was kann uns also erfreulicher seyn, als wenn Sie es auch manchmal durch Ihr Andenken seyn wollen. Es muß uns Muth machen, daß wir das immer mehr erreichen werden, wonach wir unermüdet streben.
Das neue Stück der Propyläen, wofür ich bestens danke, beschäftigt uns lebhaft; Sie haben sowohl für mancherley Befriedigungen der Neugier als für ernstere Belehrung gesorgt. Wenn Sie mir das Manuskript der Elegien noch schicken wollen, so stehe ich jederzeit mit meinen grammatischen Kleinigkeitskrämereyen zu Befehl, und werde es ohne Verzug zurückbesorgen.
Wir sind noch immer fleißig am Spanischen, dabey haben wir, besonders mein Bruder, [2] uns mit der alten Englischen Bühne beschäftigt. Er glaubt unter den in der Dodsleyschen Sammlung abgedruckten namenlosen Stücken eins von Shakspeare entdeckt zu haben, the Pinner of Wakefield. – Ich bin nicht ganz entschieden hierüber, ob ich ihm gleich auch nicht widersprechen kann. Das Stück sey von wem es wolle, so ist es ein herrliches Überbleibsel alt-Englischer Jovialität. – Mein Bruder behauptet, die Stücke von Sh.ʼs berühmtesten Vorgängern, Marlowe, Heywood, Lilly, seyn so schlecht und unkünstlich, daß jede verständige Behandlung schon eine starke Vermuthung gebe, daß Sh. der Verfasser sey, und bleibt deshalb auch, ungeachtet Ihrer Gegengründe dabey, ihm den alten King John zuzuschreiben.
Über die angeblich spurious plays, die ich jetzt einmal nach der Reihe gelesen habe, bin ich ziemlich im reinen, daß sie alle von Sh. sind. Die einzigen, wobey noch einige Zweifel eintreten könnten sind Locrine und the Puritan. Man muß [3] wohl annehmen, daß Sh. das erste schrieb ehe er die Bühne kannte, und bey dem zuletzt genannten sehr unterhaltenden Lustspiele hat ihn wohl der Stoff zu einer ganz eignen Manier vermocht. – Cromwell und Oldcastle sind unstreitig, besonders das letzte, aus seiner reifsten Zeit, und gehören wie mich dünkt zu Sh’s vorzüglichsten Stücken. Wenn Sie an diese Lektüre kommen, werden Sie über die Englische Blindheit erstaunen.
Da mein Bruder nun auch sein Studium der Griechischen Dichter wieder sehr erneuert, so ist ihm der Aristophanes doppelt willkommen. Er hat ihn richtig erhalten und ist Ihnen sehr dankbar dafür.
Unser Freund Tieck hat leider seit mehr als vier Wochen an einem Rheumatismus in den Knieen sehr gelitten, wobey er ganz von Kräften gekommen, und oft recht niedergeschlagen war, weil er gar keine Besserung spürte, und bey den vielen Arbeiten, die er vorhat, gar nichts machen [4] konnte. Jetzt mindert sich das Übel, doch kann er immer noch wenig gehen, und hat sich erst ein paar mal in einer Sänfte zu uns tragen lassen. – Es sind ihm von Berlin aus Vorschläge wegen der Genoveva gethan, und Tieck würde auch bereitwillig seyn, sie fürs Theater zu bearbeiten. Iffland wünscht erst das Ganze zu sehen um die Möglichkeit zu beurtheilen. – Iffland hat den Verdruß gehabt, daß man ein neues Stück von ihm, welches er zu seinem Benefice gegeben, gepocht hat, und mag wohl seitdem mit dem Berliner Publikum noch nicht ganz wieder ausgesöhnt seyn.
Es wird mir allerdings interessant seyn, die altdeutsche Sammlung von Romanen, die ich wohl kenne, das Buch der Liebe, durchsehen zu können. Ich will Sie gelegentlich darum bitten, doch hat es damit für jetzt keine Eil. – Einen sehr dicken Folianten, der den Roman von Lanzelot, in altfranzösischer Prosa, enthält, habe ich mit großer [5] Geduld beynah zur Hälfte durchgebracht. Vom Tristan habe ich bis jetzt nur die spätere französische Bearbeitung, woraus Tressan seinen Auszug gemacht. Dieser ist sehr ungelehrt dabey zu Werke gegangen. Was ich am meisten suche, nämlich das versifizirte Französische oder Provenzalische Original, welches der Deutsche Minnesinger vor Augen gehabt haben muß, wird, wie ich befürchte, wohl nur in der Pariser Nazional-Bibliothek zu finden seyn.
Zu meinen Gedichten ist noch eins und das andre hinzugekommen, so daß die Sammlung doch noch einiges neue für Sie enthalten wird. Bey einer Arbeit für das Athenäum habe ich den Versuchungen des Satans zum Spaßen nicht ganz widerstehen können, wiewohl in einer völlig verschiednen Art als das vorige mal. Doch ich will dem Stücke, das nun in kurzem erscheinen wird, die Unterhaltung, die es gewähren möchte, nicht vorweg nehmen. Nur mache ich Sie aufmerksam auf eine kürzlich erschienene [6] merkwürdige Misgeburt, Alins Abenteuer von Matthisson.
Alle Mitglieder unsers Zirkels wünschen mit mir, Ihnen angelegentlichst empfohlen zu seyn. Schelling hat einen Brief mit eingelegt. Leben Sie recht wohl. Dürfte ich auch um meine Empfehlungen an Professor Meyer bitten?
AWSchlegel
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