• August Wilhelm von Schlegel to Johann Wolfgang von Goethe

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Weimar · Date: 28.04.1801
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
  • XML
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Wolfgang von Goethe
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Weimar
  • Date: 28.04.1801
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: August Wilhelm und Friedrich Schlegel im Briefwechsel mit Schiller und Goethe. Hg. v. Josef Körner u. Ernst Wieneke. Leipzig 1926, S. 115‒118.
  • Verlag: Insel Verlag
  • Incipit: „[1] Berlin d. 28 Apr. 1801
    Verzeihen Sie, daß ich, durch mancherley Zerstreuungen und Geschäfte abgehalten, die für mich hier immer [...]“
    Manuscript
  • Provider: Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 28/805 St. 30
  • Provenance: Klassik Stiftung Weimar
[1] Berlin d. 28 Apr. 1801
Verzeihen Sie, daß ich, durch mancherley Zerstreuungen und Geschäfte abgehalten, die für mich hier immer gewechselt haben, erst jetzt auf Ihren gütigen Brief antworte.
Ich danke Ihnen und Hrn. Professor Meyer von Herzen für das freundlich mitgetheilte Gutachten. Über Ihren Vorschlag, die Gedächtniß-Urnen nicht an dem Orte wo unsre Tochter starb, sondern in unsrer eignen Wohnung aufzustellen, habe ich die Entscheidung natürlich dem Gefühle meiner Frau anheim gestellt. Indessen ist theils der zweydeutigen Zeitumstände theils einer andern Erwartung wegen noch nichts weiter in der Sache geschehen.
Seit meinem Hierseyn hat mich wieder das Theater ziemlich beschäftigt. Es ist seit meinem ersten Besuche manches neue darauf gebracht worden, doch habe ich eigentlich nur Madame Unzelmann von einer neuen Seite kennen gelernt. Sie allein sucht mit beständiger Regsamkeit des Geistes das ganze Ge[2]biet ihrer Kunst zu umfassen, und wird gewiß bey jeder Umbildung des Theaters, welche die Abnutzung des bisher beliebten und die Anfoderungen der Zeit bewirken werden, den übrigen voran seyn. Sie vereinigt mit der Unmittelbarkeit der ergreifendsten Wahrheit idealische Grazie, und wo es die Gattung fodert, auch das gemessene Spiel, und von ihr allein habe ich bis jetzt wahrhaft tragische Darstellungen gesehn. Gleich zuerst sah ich sie als Clärchen im Egmont, wo sie den Übergang von vertraulicher Hingebung der Liebe zu heldenmüthiger Exaltation meisterhaft traf. Leider erschien kein Zug des wahren Egmont. ‒ Als Bätely zeigt sie sich in einer ganz verschiednen anmuthigen Gestalt, ihr reiner ausdrucksvoller Vortrag des Gesanges, der keine Sylbe für das Verständniß verloren gehen läßt, kam dabey sehr zu statten. Das ganze mit der Musik gewährte eine gefällige und muntre Darstellung. – Als Maria Stuart ist sie wahrhaft groß, ich habe Sie und Schiller dabey herbeygewünscht. Es war die fünfte und sechste Vorstellung des [3] Stücks, die ich gesehen: beydemale war es voll und wurde mit aufmerksamer Theilnahme zugehört, was bey der Schlaffheit und eigentlichen Unfähigkeit des Berliner Publicums für so etwas viel sagen will. Über dieß wird das Stück, Fleck als Leister etwa ausgenommen, übrigens nicht sonderlich gegeben, ja einige Partien sind unter der Kritik. Iffland hat einmal den Leister u einmal den Melville übernommen, jetzt spielt er gar nicht darin. Ich habe ihn überhaupt noch in keinem versifizirten Trauerspiel gesehen, außer als Polonius, was ich nicht rechnen kann. – Der Tancred kam gar nicht recht zum Vorschein, weil Mad. Fleck die Amenaide u Fleck ihren Vater machte, und beyde sich zum Französischen Trauerspiel am aller wenigsten schicken. – Mad. Meyer wird sehr in dieser Gattung gerühmt, besonders als Merope; sie hat die ganze Zeit wegen eines Wochenbettes nicht gespielt. Auch habe ich Fleck als Wallenstein noch nicht gesehen.
Ich bin begierig, was Sie wiederum theatralisches Neues in Weimar unternommen [4] haben werden, oder was demnächst im Werke ist. Gewiß haben wir noch manchen von dort ausgehenden Fortschritt zu erwarten.
Der Kreis meiner hiesigen Freunde ist durch Tiecks Abreise vermindert und einigermaßen zerstreut worden. Er wird nun eine Zeitlang in Dresden leben. Er wollte jetzt von dort aus eine Reise nach Weimar und Jena machen, fühlt sich aber nicht recht wohl auf, und wird daher bloß in Geschäften nach Leipzig gehen. Wir sind während seines Hierseyns sehr fleißig für unsern Almanach gewesen, und können immer noch die Hoffnung nicht aufgeben einige Beyträge von Ihnen zu erhalten. Ich schmeichle mir, daß manches, was Sie darin finden werden, Sie vortheilhaft überraschen soll.
Sie erhalten hier den 7ten B. des Shaksp. mit der Bitte von den beyden andern Exemplaren eins an des Herzogs Durchlaucht, eins an Hrn. Geheime Rath Vogt zu besorgen. Der achte ist halb fertig gedruckt und wird hoffentlich bald nachfolgen. Die folgenden [5] werden aber bey einem andern Verleger erscheinen. Unger hat mir schlimme Streiche gespielt, den ersten Theil des Shakspeare hinter meinem Rücken nachgedruckt, und nachher da ich mit ihm darüber sprach, meine billigen Foderungen verweigert, und sich überhaupt sehr unartig genommen, so daß ich ihn wirklich habe verklagen müssen. Die hiesigen Landesgesetze erlauben, wenn kein Vertrag über die Stärke der Auflage vorhanden ist, eine unveränderte neue Auflage; zum Glück ist aber dieser Abdruck nach einem von mir revidirten Exemplar vorgenommen und folglich eine neue Ausgabe, so daß ich auch das äußerliche Recht für mich zu haben glaube. Ich melde Ihnen dieß, weil Sie auch mit Unger als Verleger in Verhältniß stehen; ich weiß nicht wie Ihre Verträge mit ihm darüber sind: allein ich kann Ihnen mit Gewißheit sagen, daß er den 1ten Thl. Ihrer neuen Schriften, und auch den 1ten Theil des W. Meister von neuem gedruckt hat. Ein sehr ehrlicher Mann und Sachverständiger [6] hat mir dieß als Augenzeuge versichert. Geben Sie doch auch Schillern einen Wink hierüber, dem ich mich bestens zu empfehlen bitte.
Buri hat ein himmlisches Porträt der Gräfin Tolstoi in einem großen, einfachen und kindlich lieblichen Styl vollendet, das allgemein mit Wärme aufgenommen zu werden scheint. Hr. Hummel, sein Freund, hat in unserm Kreise einige sehr wackre Zeichnungen mitgetheilt.
Bald hoffe ich Ihnen mündlich mehr von meinem hiesigen Aufenthalte zu erzählen, und mich über manches mit Ihnen besprechen zu können, was ich nun schon so lange Zeit habe entbehren müssen. Leben Sie indessen recht wohl.
AWSchlegel

[7] Ich lege hier einen Brief von Madame Unzelmann bey. Sie glaubte erst nicht das Mspt vom Egmont mitschicken zu können hat es aber eben noch von der Direction erhalten.
Buri läßt sich bestens empfehlen u wird nächstens schreiben.
[8]
[1] Berlin d. 28 Apr. 1801
Verzeihen Sie, daß ich, durch mancherley Zerstreuungen und Geschäfte abgehalten, die für mich hier immer gewechselt haben, erst jetzt auf Ihren gütigen Brief antworte.
Ich danke Ihnen und Hrn. Professor Meyer von Herzen für das freundlich mitgetheilte Gutachten. Über Ihren Vorschlag, die Gedächtniß-Urnen nicht an dem Orte wo unsre Tochter starb, sondern in unsrer eignen Wohnung aufzustellen, habe ich die Entscheidung natürlich dem Gefühle meiner Frau anheim gestellt. Indessen ist theils der zweydeutigen Zeitumstände theils einer andern Erwartung wegen noch nichts weiter in der Sache geschehen.
Seit meinem Hierseyn hat mich wieder das Theater ziemlich beschäftigt. Es ist seit meinem ersten Besuche manches neue darauf gebracht worden, doch habe ich eigentlich nur Madame Unzelmann von einer neuen Seite kennen gelernt. Sie allein sucht mit beständiger Regsamkeit des Geistes das ganze Ge[2]biet ihrer Kunst zu umfassen, und wird gewiß bey jeder Umbildung des Theaters, welche die Abnutzung des bisher beliebten und die Anfoderungen der Zeit bewirken werden, den übrigen voran seyn. Sie vereinigt mit der Unmittelbarkeit der ergreifendsten Wahrheit idealische Grazie, und wo es die Gattung fodert, auch das gemessene Spiel, und von ihr allein habe ich bis jetzt wahrhaft tragische Darstellungen gesehn. Gleich zuerst sah ich sie als Clärchen im Egmont, wo sie den Übergang von vertraulicher Hingebung der Liebe zu heldenmüthiger Exaltation meisterhaft traf. Leider erschien kein Zug des wahren Egmont. ‒ Als Bätely zeigt sie sich in einer ganz verschiednen anmuthigen Gestalt, ihr reiner ausdrucksvoller Vortrag des Gesanges, der keine Sylbe für das Verständniß verloren gehen läßt, kam dabey sehr zu statten. Das ganze mit der Musik gewährte eine gefällige und muntre Darstellung. – Als Maria Stuart ist sie wahrhaft groß, ich habe Sie und Schiller dabey herbeygewünscht. Es war die fünfte und sechste Vorstellung des [3] Stücks, die ich gesehen: beydemale war es voll und wurde mit aufmerksamer Theilnahme zugehört, was bey der Schlaffheit und eigentlichen Unfähigkeit des Berliner Publicums für so etwas viel sagen will. Über dieß wird das Stück, Fleck als Leister etwa ausgenommen, übrigens nicht sonderlich gegeben, ja einige Partien sind unter der Kritik. Iffland hat einmal den Leister u einmal den Melville übernommen, jetzt spielt er gar nicht darin. Ich habe ihn überhaupt noch in keinem versifizirten Trauerspiel gesehen, außer als Polonius, was ich nicht rechnen kann. – Der Tancred kam gar nicht recht zum Vorschein, weil Mad. Fleck die Amenaide u Fleck ihren Vater machte, und beyde sich zum Französischen Trauerspiel am aller wenigsten schicken. – Mad. Meyer wird sehr in dieser Gattung gerühmt, besonders als Merope; sie hat die ganze Zeit wegen eines Wochenbettes nicht gespielt. Auch habe ich Fleck als Wallenstein noch nicht gesehen.
Ich bin begierig, was Sie wiederum theatralisches Neues in Weimar unternommen [4] haben werden, oder was demnächst im Werke ist. Gewiß haben wir noch manchen von dort ausgehenden Fortschritt zu erwarten.
Der Kreis meiner hiesigen Freunde ist durch Tiecks Abreise vermindert und einigermaßen zerstreut worden. Er wird nun eine Zeitlang in Dresden leben. Er wollte jetzt von dort aus eine Reise nach Weimar und Jena machen, fühlt sich aber nicht recht wohl auf, und wird daher bloß in Geschäften nach Leipzig gehen. Wir sind während seines Hierseyns sehr fleißig für unsern Almanach gewesen, und können immer noch die Hoffnung nicht aufgeben einige Beyträge von Ihnen zu erhalten. Ich schmeichle mir, daß manches, was Sie darin finden werden, Sie vortheilhaft überraschen soll.
Sie erhalten hier den 7ten B. des Shaksp. mit der Bitte von den beyden andern Exemplaren eins an des Herzogs Durchlaucht, eins an Hrn. Geheime Rath Vogt zu besorgen. Der achte ist halb fertig gedruckt und wird hoffentlich bald nachfolgen. Die folgenden [5] werden aber bey einem andern Verleger erscheinen. Unger hat mir schlimme Streiche gespielt, den ersten Theil des Shakspeare hinter meinem Rücken nachgedruckt, und nachher da ich mit ihm darüber sprach, meine billigen Foderungen verweigert, und sich überhaupt sehr unartig genommen, so daß ich ihn wirklich habe verklagen müssen. Die hiesigen Landesgesetze erlauben, wenn kein Vertrag über die Stärke der Auflage vorhanden ist, eine unveränderte neue Auflage; zum Glück ist aber dieser Abdruck nach einem von mir revidirten Exemplar vorgenommen und folglich eine neue Ausgabe, so daß ich auch das äußerliche Recht für mich zu haben glaube. Ich melde Ihnen dieß, weil Sie auch mit Unger als Verleger in Verhältniß stehen; ich weiß nicht wie Ihre Verträge mit ihm darüber sind: allein ich kann Ihnen mit Gewißheit sagen, daß er den 1ten Thl. Ihrer neuen Schriften, und auch den 1ten Theil des W. Meister von neuem gedruckt hat. Ein sehr ehrlicher Mann und Sachverständiger [6] hat mir dieß als Augenzeuge versichert. Geben Sie doch auch Schillern einen Wink hierüber, dem ich mich bestens zu empfehlen bitte.
Buri hat ein himmlisches Porträt der Gräfin Tolstoi in einem großen, einfachen und kindlich lieblichen Styl vollendet, das allgemein mit Wärme aufgenommen zu werden scheint. Hr. Hummel, sein Freund, hat in unserm Kreise einige sehr wackre Zeichnungen mitgetheilt.
Bald hoffe ich Ihnen mündlich mehr von meinem hiesigen Aufenthalte zu erzählen, und mich über manches mit Ihnen besprechen zu können, was ich nun schon so lange Zeit habe entbehren müssen. Leben Sie indessen recht wohl.
AWSchlegel

[7] Ich lege hier einen Brief von Madame Unzelmann bey. Sie glaubte erst nicht das Mspt vom Egmont mitschicken zu können hat es aber eben noch von der Direction erhalten.
Buri läßt sich bestens empfehlen u wird nächstens schreiben.
[8]
×
×