Ich habe mich, seit wir uns zuletzt in Dr[esden] sahen, stumm gehalten wie ein Stock ‒ aber da heute der schöne und freundliche Herder, der aus Ihrer Nähe kommt und in Ihre Nähe geht, uns besucht, so kann ich es nicht unterlassen, Sie wenigstens mit einigen Zeilen zu begrüßen. Dieser Winter geht mir unter vielen Beschäftigungen hin, das ist auch die Ursache meines Stillschweigens, meine Frau wird Ihnen schon davon gemeldet haben. Meine Vorlesungen haben mir noch keine lange Weile gemacht ‒ ich wünschte, daß Sie einmal einer von denen über Ästh[etik] beiwohnen könnten, um mir Ihr Urteil zu sagen. Das öffent[liche] Kollegium über Gesch[ichte] der deutschen Poesie hat mich zur Lektüre unsrer alten und zum Teil uralten Dichter geführt, und dies hat den langgehegten Plan, ein Rittergedicht zu unternehmen, lebhaft in mir rege gemacht – nächsten Sommer geh ich gewiß an die Ausführung. ‒ Sonst bin ich jetzt fleißig am Sh[akespeare] und habe den „Kaufmann von Venedig“ beinahe fertig ‒ er wird Sie hoffentlich sehr freuen.
Ferner ‒ daß ich die wichtigste Neuigkeit nicht vergesse ‒ so ist das „Athen[äum]“ glücklich seines lumpigen Verlegers genesen; ein andrer Buchhändler, Fröhlich, der Viewegs Berlinische Handlung gekauft, hat es in Verlag genommen, auch den Vorrat der ersten Stücke an sich gekauft. In etwa sechs Wochen haben Sie nun schon das dritte Stück. ‒ Sie werden also auch wieder in Requisition zu Beiträgen gesetzt. Hülsen ist in Berlin gewesen, hat mit meinem Bruder fraternisiert und ihm verschiednes versprochen. Wir denken mit der sthenischen Diät fortzufahren, das heißt die gepfefferten Kritiken nicht zu sparen. ‒ Vermutlich kommen die sämtlichen Wielandischen Werke in den nächsten 4 Stücken, auf die sich der Buchhändler verpflichtet, noch daran.
Ich habe eine große Elegie an Goethe von der antiken Kunst angefangen ‒ schon mehr als angefangen. Äußerst begierig, wie Sie davon urteilen werden. Doch sollen Sie das Werk nicht eher sehen als es fertig und gedruckt ist (im 4. Stück des „Athen[äum]“). Sie müßten denn persönlich hierherkommen, welches uns unendlich freuen würde.
Friedrich ist die Zeit her durch die bei seiner Freundin Mad. Veit herrschende häusliche Zerrüttung sehr abgehalten, womit Sie auch sein Stillschweigen entschuldigen. Jetzt ist sie von ihrem Manne geschieden, und wie er versichert, fängt eine neue Periode in seinem Lebensplan an. ‒ Er hat, wenn man seinen Briefen trauen darf, wirklich und effectivement einen Roman, namens „Lucinde“, angefangen und verspricht, sobald ein hinreichendes Stück fertig, es uns zur Beurteilung zu schicken.
Von literarischen Neuigkeiten will ich Sie nur auf eine Schrift aufmerksam machen, die soeben erst erschienen ist: Tiecks „Phantasien über die Kunst“. Es enthält Wackenroders (des Klosterbruders) Nachlaß, mit eignen Aufsätzen von T. vermehrt. ‒
Von Fichtes Händeln über den lieben Gott werden Sie aus dem Intelligenzblatt der „Literaturzeitung“ unterrichtet werden. Der wackere Fichte streitet eigentlich für uns alle, und wenn er unterliegt, so sind die Scheiterhaufen wieder ganz nahe herbeigekommen.
Leben Sie wohl, wertester Freund. Wenn Karoline nichts hinzufügt, so grüßt sie doch herzlichst und wird nächstens schreiben. Ganz Ihr
AW. Schlegel.