• Karl August Moritz Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Göttingen · Place of Destination: Chaumont-sur-Loire · Date: 14.07.1810
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Karl August Moritz Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Göttingen
  • Place of Destination: Chaumont-sur-Loire
  • Date: 14.07.1810
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 147‒149.
  • Incipit: „[1] Göttingen, den 14. Jul. 1810.
    Dein Brief, geliebter Bruder, und die darin enthaltene bestimmte Nachricht, daß Du Europa verlassen würdest, machte [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-5
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,18,65
  • Number of Pages: 2 S. auf Doppelbl., hs. m. U. u. Adresse
  • Format: 18,2 x 12,6 cm
[1] Göttingen, den 14. Jul. 1810.
Dein Brief, geliebter Bruder, und die darin enthaltene bestimmte Nachricht, daß Du Europa verlassen würdest, machte einen tiefen und traurigen Eindruck auf mich. Ich hatte zwar schon mehrmals von Hannover aus gehört, daß Du von einer weitern Reise und einer längern Abwesenheit in Deinen Briefen Erwähnung gethan; ich wußte mir dieß aber gar nicht zu deuten. Ich las in den Zeitungen von der beabsichtigten Reise der Frau von Stael nach Amerika, und hielt es für Zeitungs-Geschwätz, – bis mich leider! Dein Schreiben überzeugte, daß es mehr als das sey. So verläßt uns denn von den Gebildeten einer nach dem andern; und was wird endlich aus unserm armen unglücklichen Europa und aus den Zurückbleibenden werden, die an ein glückliches Zeitalter und an eine bessere Ordnung der Dinge gewöhnt sind? Es bleibt ihnen bey den traurigen Umgebungen der Gegenwart und bey den schon trüben Aussichten auf die Zukunft, nichts als das Leben in der Vergangenheit. Doch höre ich noch immer eine Stimme mir zurufen: es wird und muß anders werden! Alles, was ein gebildetes Zeitalter in einem ganzen Welttheile gewährt und geleistet hat, läßt sich nicht durch die Ereignisse weniger unglücklicher [2] Jahre so ganz auf einmal vernichten. Auch Dich hoffe ich in Europa wiederzusehen. Ich glaube, Frau von Stael ist zu sehr an europäische, und namentlich an französische Cultur gewöhnt, um in einem sich erst zur Cultur entwickelnden Welttheile, und bey dem republicanischen und kaufmännischen Ernste des amerikanischen Freystaats sich auf die Länge wohl zu fühlen.
Die verlangten Familien-Documente erhältst Du hier. Der Adelsbrief ist mit diplomatischer Genauigkeit nachgeschrieben, auch mit den Fehlern, die wahrscheinlich darin enthalten sind. Denn in einige Perioden habe ich gar keinen Sinn bringen können, ungeachtet ich mich bescheide, daß der alte lateinische CanzleyStil mir zu hoch sey. Es ist mir sehr schwer geworden, einen leidlichen Abschreiber dazu zu finden. Die Kalligraphen wissen kein Latein, und die Lateiner schreiben eine untaugliche Hand. Das Wapen aber ist sehr treu nachgebildet von einen hiesigen Zeichner, der hier gewöhnlich die Wapen der Grafen bey ihrer Inscription in das academische Buch malt. In Ansehung der Vidimation glaube ich Deinen Sinn getroffen zu haben, daß ich solche durch einen Notarius habe errichten lassen. Mögen Dir diese Documente manche angenehme Zurückerinnerung an alte Zeiten und Verhältnisse gewähren, in der neuen Welt, worin Du eintrittst.
[3] Zugleich lege ich, weil doch einmal ein kleines Packet überschickt werden muß, die Recension mit bey über Deine dramaturgischen Vorlesungen, deren Du in Deinem Briefe erwähnst. Du wirst, ohne daß ich Dir den Verfasser nenne, sogleich errathen, weß Geistes Kind sie sey, und wirst die beleidigte Schriftsteller-Eitelkeit darin nicht verkennen. Doch freylich konnte sich diese Eitelkeit auch wohl gereizt fühlen; und ich muß frey bekennen, daß ich die Stelle über Bouterwecks Geschichte der Dichtkunst aus Deinem Werke weggewünscht hätte. Sonst hat mir dieses Werk, für dessen Mittheilung ich Dir recht herzlich danke, einen sehr angenehmen und reinen Genuß gewährt, und so manchmal dazu beygetragen, mich auf Augenblicke der traurigen Gegenwart zu entrükken. Fast mit allen Deinen Ansichten stimme ich völlig überein. Dem alten würdigen Heyne habe ich alles gesagt, was Du mir an ihn aufgetragen. Er war sehr gerührt. Ungeachtet er jetzt genöthiget ist, den Orden der Westphälischen Krone im Knopfloche zu tragen, ist er doch noch ganz unverändert derselbe, und trauert tief am Grabe der europäischen Cultur. Er läßt Dir durch mich sagen, daß er Dich recht innig schätze, und daß er sehr gekämpft habe, daß alles das Vortreffliche Deines Buches in der Recension nach Verdienst möchte anerkannt werden. Lebe wohl, bester Bruder, und behalte uns in brüderlichem Andenken. Die Meinigen empfehlen sich Dir mit wehmuthsvoller Herzlichkeit.
Der Deinige
K.[arl] A.[ugust] M.[oritz] Schlegel

Deinem Verlangen gemäß melde ich meinem Bruder in Hannover meine kleine Auslagen für die Anlagen.

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[1] Göttingen, den 14. Jul. 1810.
Dein Brief, geliebter Bruder, und die darin enthaltene bestimmte Nachricht, daß Du Europa verlassen würdest, machte einen tiefen und traurigen Eindruck auf mich. Ich hatte zwar schon mehrmals von Hannover aus gehört, daß Du von einer weitern Reise und einer längern Abwesenheit in Deinen Briefen Erwähnung gethan; ich wußte mir dieß aber gar nicht zu deuten. Ich las in den Zeitungen von der beabsichtigten Reise der Frau von Stael nach Amerika, und hielt es für Zeitungs-Geschwätz, – bis mich leider! Dein Schreiben überzeugte, daß es mehr als das sey. So verläßt uns denn von den Gebildeten einer nach dem andern; und was wird endlich aus unserm armen unglücklichen Europa und aus den Zurückbleibenden werden, die an ein glückliches Zeitalter und an eine bessere Ordnung der Dinge gewöhnt sind? Es bleibt ihnen bey den traurigen Umgebungen der Gegenwart und bey den schon trüben Aussichten auf die Zukunft, nichts als das Leben in der Vergangenheit. Doch höre ich noch immer eine Stimme mir zurufen: es wird und muß anders werden! Alles, was ein gebildetes Zeitalter in einem ganzen Welttheile gewährt und geleistet hat, läßt sich nicht durch die Ereignisse weniger unglücklicher [2] Jahre so ganz auf einmal vernichten. Auch Dich hoffe ich in Europa wiederzusehen. Ich glaube, Frau von Stael ist zu sehr an europäische, und namentlich an französische Cultur gewöhnt, um in einem sich erst zur Cultur entwickelnden Welttheile, und bey dem republicanischen und kaufmännischen Ernste des amerikanischen Freystaats sich auf die Länge wohl zu fühlen.
Die verlangten Familien-Documente erhältst Du hier. Der Adelsbrief ist mit diplomatischer Genauigkeit nachgeschrieben, auch mit den Fehlern, die wahrscheinlich darin enthalten sind. Denn in einige Perioden habe ich gar keinen Sinn bringen können, ungeachtet ich mich bescheide, daß der alte lateinische CanzleyStil mir zu hoch sey. Es ist mir sehr schwer geworden, einen leidlichen Abschreiber dazu zu finden. Die Kalligraphen wissen kein Latein, und die Lateiner schreiben eine untaugliche Hand. Das Wapen aber ist sehr treu nachgebildet von einen hiesigen Zeichner, der hier gewöhnlich die Wapen der Grafen bey ihrer Inscription in das academische Buch malt. In Ansehung der Vidimation glaube ich Deinen Sinn getroffen zu haben, daß ich solche durch einen Notarius habe errichten lassen. Mögen Dir diese Documente manche angenehme Zurückerinnerung an alte Zeiten und Verhältnisse gewähren, in der neuen Welt, worin Du eintrittst.
[3] Zugleich lege ich, weil doch einmal ein kleines Packet überschickt werden muß, die Recension mit bey über Deine dramaturgischen Vorlesungen, deren Du in Deinem Briefe erwähnst. Du wirst, ohne daß ich Dir den Verfasser nenne, sogleich errathen, weß Geistes Kind sie sey, und wirst die beleidigte Schriftsteller-Eitelkeit darin nicht verkennen. Doch freylich konnte sich diese Eitelkeit auch wohl gereizt fühlen; und ich muß frey bekennen, daß ich die Stelle über Bouterwecks Geschichte der Dichtkunst aus Deinem Werke weggewünscht hätte. Sonst hat mir dieses Werk, für dessen Mittheilung ich Dir recht herzlich danke, einen sehr angenehmen und reinen Genuß gewährt, und so manchmal dazu beygetragen, mich auf Augenblicke der traurigen Gegenwart zu entrükken. Fast mit allen Deinen Ansichten stimme ich völlig überein. Dem alten würdigen Heyne habe ich alles gesagt, was Du mir an ihn aufgetragen. Er war sehr gerührt. Ungeachtet er jetzt genöthiget ist, den Orden der Westphälischen Krone im Knopfloche zu tragen, ist er doch noch ganz unverändert derselbe, und trauert tief am Grabe der europäischen Cultur. Er läßt Dir durch mich sagen, daß er Dich recht innig schätze, und daß er sehr gekämpft habe, daß alles das Vortreffliche Deines Buches in der Recension nach Verdienst möchte anerkannt werden. Lebe wohl, bester Bruder, und behalte uns in brüderlichem Andenken. Die Meinigen empfehlen sich Dir mit wehmuthsvoller Herzlichkeit.
Der Deinige
K.[arl] A.[ugust] M.[oritz] Schlegel

Deinem Verlangen gemäß melde ich meinem Bruder in Hannover meine kleine Auslagen für die Anlagen.

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