• Charlotte Ernst to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Pillnitz · Place of Destination: Unknown · Date: 14.08.1810
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
  • XML
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Charlotte Ernst
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Pillnitz
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 14.08.1810
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 156‒159.
  • Incipit: „[1] Pillnitz d. 14. Aug. 1810.
    Liebster Bruder
    Es ist eine so geraume Zeit verstrichen daß ich Deinen letzten Brief empfangen habe, daß [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-5
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,18,11
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 20,3 x 12,7 cm
[1] Pillnitz d. 14. Aug. 1810.
Liebster Bruder
Es ist eine so geraume Zeit verstrichen daß ich Deinen letzten Brief empfangen habe, daß ich zweifelhaft bin ob Dich mein Brief noch in Frankreich treffen wird, doch will ich es frisch darauf wagen. Ein gewisser Gelehrter Martini Laguna sagte mir er hätte gehört die Fr.[au] v. Stael hätte ihre Reise aufgegeben, ist dieses wahr? Es ist unrecht von mir da ich so begierig oft und vil von Dir zu hören, daß ich nicht schneller Antworte aber es ist einmal wie ein Verhängniß ich kann nie zum Schreiben kommen, die Hauptsache ist wohl daß bey mir ein eigner apparat dazu gehört, wodurch ich von der gewöhnlichen Lebensweise abweiche, erst muß ich dazu allein seyn, dann muß es früh geschehen, denn ist der Tag einmal in seinem Umtrieb denn komt es nie dazu, es muß ein Schreibtisch dazu etablirt werden etc. Es ist sonderbar daß in einer so Schreibelustigen Familie, ich grade so federscheu bin. Die Fr.[au] v. Vi[e]th ist dieses Frühjahr wohl auf 8 Wochen bey mir gewesen, es wär mir äußerst angenehm, es ist sonderbar wie sich diese Frau conservirt, sie kann noch eben die Ansprüche machen die sie vor 6 bis 8 Jahren machte, sie hat sich ehr noch verjüngt, ihre äußerste Zartheit hatte für mich noch eben den Reiz den er sonst hatte. Sie hat eine so ächte feine Lebensart daß man nie in seinem Hause mit ihr genirt ist und ob sie gleich völlig die feine Dame macht, so gieng es doch alles ruhig und gelassen mit meinem einen Mädchen vor wie nach. Sie hat in dieser Zeit vil gelitten, ihr Mann ist ohne Pension zurückgeschickt worden, und [hat] nun gar nichts, er muß ganz von dem Ihrigen leben, doch ist dadurch keine merkliche Veränderung in ihrer Lebensart entstanden, und sie hat sich dadurch nicht niederdrücken lassen, es war mir äußerst wohl, mit dieser liebenswürdigen Frau so ganz vereint zu leben. Während dieses Aufenthalts verließ mich mein Mann nach Pohlen zu reisen, er war noch vorher krank, welches mich sehr beunruhigte, und ich mußte noch dazu sein eigner Artzt seyn, dabey hatte er dringende Geschäfte, es war eine böse Zeit! Doch habe ich ihn so curirt daß er mich zu seinem Leibartzt erheben wird. er reißte zwar noch sehr schwach weg, doch das Uebel gehoben, und keine von den [2] übeln Folgen, die gewöhnlich bey der Behandlung eines Artztes sind der sich nun einmal obstinirt ihm spiritueuse Sachen zu geben. mein Mann sein Körper ist nun einmal in völliger Oposition mit dem Braunschen System. Die Reise währte dieses mal nicht so lange, also bald nach der Viethen ihrer Abreise, und nachdem daß Haus wieder in Ordnung gebracht war kam er wieder, von einer äußerst beschwerlichen Reise, in 7 Tagen nur einmal ins Bette, in der Hitze nichts ordentliches zu essen, nichts zu trinken wie Wein, von Staub bald erstickt, den 80 Pferde in einer sandigen Gegend aufwühlten, unter beständigem Gezänke mit den Postmeister und Postilions, also wie sich denken läßt, auch unter sich nicht in der besten Laune. Pohlen macht vil Beschwerde. – Gleich nach seiner Ankunft gieng es nach Pillnitz, hier ist mir nun alles doppelt reizend da ich anderthalb Jahr nicht hier gewesen, die liebliche Gegend, die Ruhe; ich genieße das alles recht! Gleich wie wir in Pillnitz waren kam die Kayserinn, ein Ideal einer liebenswürdigen Frau, ihr habt sie freylich eben so nahe gesehen, aber nicht so abgesondert von den Umgebungen. Es ist ein wahrer Geist in ihr, innre Thätigkeit, und ein schön Menschenliebendes Herz, ihre Empfindungskraft ist wahrscheinlich durch ihre Kränklichkeit noch mehr angesprochen als gewöhnlich. Dabey ist sie völlig natürlich, keine affectirte Lächeln habe ich an ihr gesehn, es ist ein wahrer Ausfluß ihrer Gutmüthigkeit. Doch vermischt sie nie Leutseligkeit mit Familiarität, und vergißt nie die Kayserinn. Es thut so wohl ein solches Wesen auf den Thron zu sehen. Aber sie verzehrt sich und ist nicht glücklich ! – – Mein Mann hat eine schöne geschmackvolle Dose von ihr bekommen, es ist ein hübsches Miniatur Gemälde nach der Angelika Kaufmanninn darauf. Ich habe noch ein Mittel gefunden der ohne dieß schon flüchtigen Zeit völlige Flügel zu geben, ich bin halb in Pillnitz halb in Dresden, wenn es schön Wetter ist mache ich und mein Gustchen den Weg zu Fuße, zwey Tage sind wir drinnen der Stunden wegen, dann geht es wieder heraus, und ist ein beständiges Einrichten für unsre Bequemlichkeit an beiden Orten, und so kann ich sagen entwischt mir die Zeit unter den Händen. sonst würde mir das ganz unmöglich geschienen haben, aber wenn es das Kind [3] betrift, so fragt man sich gar nicht ob es ein Opfer ist oder nicht. Das Zeichnen scheint nun das zu seyn, was ihr Geist mit den meisten Ernst ergreift, und ich gebe ihm allen möglichen Fortgang, sie hat jetzt bey dem Professor Matthäi Stunde, unstreitig der beste Lehrer den wir hier haben, es haben ihn einige Damen schon zu trocken und streng gefunden, aber mein Gustchen thut das nicht, ein Beweiß daß sie in das Wesen der Sache eingeht. Auch hat ihr Auge schon vil an Präcision bey ihm gewonnen. Spielen thut sie auch recht artig, doch ist das mehr eine Fertigkeit als ein Talent, das tanzen ruht weil unser bisheriger maitre gestorben. In der Religion unterrichte ich sie selbst, und das recht gründlich nach meines Vaters System, welches ich das Gründlichste gefunden. Von den sogenannten Aufgeklärten scheint es mir nur eine Soße zu seyn, wo die eigentliche Speise fehlt. – Kaatz ist an einer 5 monathlichen traurigen Krankheit gestorben, die Kunst hat vil an ihn verloren, er war noch immer im Steigen, seine letzte Landschaft, ich nenne es seinen Schwanengesang war die herrlichste, es war der Golf von Neapel. Hatte ich Geld genug so mußte ich diese Landschaft besitzen; nun hat sie Kügelchen gekauft, für mich wäre es zugleich ein Denkmal meines Freundes gewesen. Hardenberg ist vor einem Vierteljahre hier gewesen, es ist ein guter lieber Mann, aber ich kann mich in seinem Ideengange nicht finden, es scheint mir er macht Sprünge, die er selbst nicht bemerkt, und so kann ich nicht gut mit ihm disputiren, ich bin alle Augenblicke deroutirt. Für die Albertin müßen wir alle Respect haben, man könnte fast sagen sie ist eine Heilige. Sie war in einer bequemen Lage sie lebte bey einer Fürstinn die sie liebte und gut war, das alles hat sie verlassen, und ist in einer Stiftung wo ihr ewiges Geschäft Krankenpflege ist, ihr geistlicher der ein außerordentliches Werkzeug an ihr gefunden haben mag hat sie zur Obersten gemacht, dadurch sind ihre Verpflichtungen vil schwerer, sie hat es nicht annehmen wollen, er hat aber darauf bestanden, und nun bringt sie ihr Leben in beständigen Werken der Liebe zu, und ist dabey glücklich sie hat nun endlich den Ruhepunkt für ihre Sele gefunden [4] ich habe erst anfänglich sehen wollen wie das Ding abläuft, da es nun aber villeicht schon 3 Jahr ist, und sie sich immer glücklicher fühlt, so ist dieß keine Täuschung nicht sondern Wahrheit. Hardenberg hat sie gesprochen, sie hat gesagt, sie wünschte wohl einmal alle ihre Freunde besuchen zu können. Sie hat mich auch kürzlich grüßen laßen. Ein Gelübde hat sie nicht gethan. – Von Tiek lauten die Nachrichten desto übler, er wäre durch eine Krankheit ganz contract, und wie auf eine Seite gelähmt, und so wie er meynte wäre keine Hofnung zur Beßerung, doch meynte seine Frau daß es sich gäbe. Uebrigens redete Hardenberg äußerst ungern, von ihm und seiner Schwester, er sagte er sähe gar keinen andern weg wie diesen Leuten geholfen werden könnte als daß sie alle untergiengen, ist es denn so gar tief böse mit ihrem Schuldenwesen? Hardenberg hat auch wahrscheinlich sehr dabey zugesetzt weil er so ungern davon spricht. Sage mir einmal, ist eine gewiße Stransky (so glaube ich hieß sie) noch bey der Bernhardin? Diese war für Friedrich recht ernsthaft gefährlich, darum drang ich so gewaltsam auf die Reise der Frau und diese anscheinend übereilte Reise, hat Friedrichen villeicht von unvorsichtigen Schritten zurückgehalten; denke Dir das Unglück wenn Friedrich sich in München in das Unglückliche Wesen mit verstrickt hätte. ich verbiete Dir aber irgend einen Menschen ein Wort davon zu sagen, wenn Dir Friedrich selbst nie etwas davon erwähnt, auch der Frau v. St.[aël] nicht, ich hätte Dir dieß damals gleich gesagt, wenn ich diese Furcht nicht gehabt hätte. Die Frau hatte ihn tief ergriffen, und er stand villeicht am Scheidewege. – Die Tieck ist lange hier gewesen mit Burgsdorfs, ihr jüngstes Kind ist ein getreues Abbild von Burgstorf, und auch läugnet sie nicht ihr Verhältniß, wer von ihren Freunden sie darum frägt, ich habe es umgangen, Burgstorf habe gewiß für sie gesorgt auch wenn er sterben sollte hat sie gegen jemand gesagt. Uebrigens liebt er seine Frau sehr zärtlich, ihr ist auch wohl, sie scheint gar nicht in einer gepreßten Lage, kurz es ist alles zufrieden durch ein ander, als wenn es so seyn müßte. Ich möchte Dich noch bitten mir von den Wahlverwandschaften etwas zu sagen, doch fürchte ich mich beynahe daß Du nicht einerley Meynung mit mir, die allgemeine Stimme ist wieder dieses Buch. Riquet ist der einzige der mit mir und meinen Mann überein denkt doch hat er uns nicht gestimt weil wir es früher gelesen, ich nahm es mit einer ungünstigen Meynung in die Hand aber es hat mich tief ergriffen, es ist große tragische Poesie darinn, wie ich sie fast noch nicht bey ihm gefunden, ich möchte Stundenlang mit Dir über dieses Werk reden. Wohl wird es mir thun wenn Du mir sagtest auch Du schätztest es, es ist einem ordentlichen traurig wenn man mit einer Meynung ganz allein steht. Die Schlegeln geht in ihrem Urtheile den allgemeinen Strome nach. Daß er dieses Werk für wichtig hält weiß ich, er ist die ganze Zeit über in einer begeisternden Stimmung gewesen. Doch kann ich nicht läugnen daß etwas Sinistres in diesem Werke ist, es berührt einen gewaltsam aber oft nicht angenehm. Dieses Buch hat für mich ordentlich Epoque gemacht, es ergriff mein ganzes Wesen, es ist wahr, er wezt sich mit etwas profaner Hand, an dem Schleyer, der die Tiefen unsres innersten Wesens verbirgt, doch versenkte es mich mehrmals in ein Nachdenken über die Tiefen und das unergründliche der menschlichen Natur daß ich um meinen Schlaf kam. Nun lebe wohl, geliebtester Bruder, dieß war ein langer Brief, schreibe ja bald, wie erfahre ich es nur ob Du ihn auch wirklich bekommen.
Charlotte Ernst
[1] Pillnitz d. 14. Aug. 1810.
Liebster Bruder
Es ist eine so geraume Zeit verstrichen daß ich Deinen letzten Brief empfangen habe, daß ich zweifelhaft bin ob Dich mein Brief noch in Frankreich treffen wird, doch will ich es frisch darauf wagen. Ein gewisser Gelehrter Martini Laguna sagte mir er hätte gehört die Fr.[au] v. Stael hätte ihre Reise aufgegeben, ist dieses wahr? Es ist unrecht von mir da ich so begierig oft und vil von Dir zu hören, daß ich nicht schneller Antworte aber es ist einmal wie ein Verhängniß ich kann nie zum Schreiben kommen, die Hauptsache ist wohl daß bey mir ein eigner apparat dazu gehört, wodurch ich von der gewöhnlichen Lebensweise abweiche, erst muß ich dazu allein seyn, dann muß es früh geschehen, denn ist der Tag einmal in seinem Umtrieb denn komt es nie dazu, es muß ein Schreibtisch dazu etablirt werden etc. Es ist sonderbar daß in einer so Schreibelustigen Familie, ich grade so federscheu bin. Die Fr.[au] v. Vi[e]th ist dieses Frühjahr wohl auf 8 Wochen bey mir gewesen, es wär mir äußerst angenehm, es ist sonderbar wie sich diese Frau conservirt, sie kann noch eben die Ansprüche machen die sie vor 6 bis 8 Jahren machte, sie hat sich ehr noch verjüngt, ihre äußerste Zartheit hatte für mich noch eben den Reiz den er sonst hatte. Sie hat eine so ächte feine Lebensart daß man nie in seinem Hause mit ihr genirt ist und ob sie gleich völlig die feine Dame macht, so gieng es doch alles ruhig und gelassen mit meinem einen Mädchen vor wie nach. Sie hat in dieser Zeit vil gelitten, ihr Mann ist ohne Pension zurückgeschickt worden, und [hat] nun gar nichts, er muß ganz von dem Ihrigen leben, doch ist dadurch keine merkliche Veränderung in ihrer Lebensart entstanden, und sie hat sich dadurch nicht niederdrücken lassen, es war mir äußerst wohl, mit dieser liebenswürdigen Frau so ganz vereint zu leben. Während dieses Aufenthalts verließ mich mein Mann nach Pohlen zu reisen, er war noch vorher krank, welches mich sehr beunruhigte, und ich mußte noch dazu sein eigner Artzt seyn, dabey hatte er dringende Geschäfte, es war eine böse Zeit! Doch habe ich ihn so curirt daß er mich zu seinem Leibartzt erheben wird. er reißte zwar noch sehr schwach weg, doch das Uebel gehoben, und keine von den [2] übeln Folgen, die gewöhnlich bey der Behandlung eines Artztes sind der sich nun einmal obstinirt ihm spiritueuse Sachen zu geben. mein Mann sein Körper ist nun einmal in völliger Oposition mit dem Braunschen System. Die Reise währte dieses mal nicht so lange, also bald nach der Viethen ihrer Abreise, und nachdem daß Haus wieder in Ordnung gebracht war kam er wieder, von einer äußerst beschwerlichen Reise, in 7 Tagen nur einmal ins Bette, in der Hitze nichts ordentliches zu essen, nichts zu trinken wie Wein, von Staub bald erstickt, den 80 Pferde in einer sandigen Gegend aufwühlten, unter beständigem Gezänke mit den Postmeister und Postilions, also wie sich denken läßt, auch unter sich nicht in der besten Laune. Pohlen macht vil Beschwerde. – Gleich nach seiner Ankunft gieng es nach Pillnitz, hier ist mir nun alles doppelt reizend da ich anderthalb Jahr nicht hier gewesen, die liebliche Gegend, die Ruhe; ich genieße das alles recht! Gleich wie wir in Pillnitz waren kam die Kayserinn, ein Ideal einer liebenswürdigen Frau, ihr habt sie freylich eben so nahe gesehen, aber nicht so abgesondert von den Umgebungen. Es ist ein wahrer Geist in ihr, innre Thätigkeit, und ein schön Menschenliebendes Herz, ihre Empfindungskraft ist wahrscheinlich durch ihre Kränklichkeit noch mehr angesprochen als gewöhnlich. Dabey ist sie völlig natürlich, keine affectirte Lächeln habe ich an ihr gesehn, es ist ein wahrer Ausfluß ihrer Gutmüthigkeit. Doch vermischt sie nie Leutseligkeit mit Familiarität, und vergißt nie die Kayserinn. Es thut so wohl ein solches Wesen auf den Thron zu sehen. Aber sie verzehrt sich und ist nicht glücklich ! – – Mein Mann hat eine schöne geschmackvolle Dose von ihr bekommen, es ist ein hübsches Miniatur Gemälde nach der Angelika Kaufmanninn darauf. Ich habe noch ein Mittel gefunden der ohne dieß schon flüchtigen Zeit völlige Flügel zu geben, ich bin halb in Pillnitz halb in Dresden, wenn es schön Wetter ist mache ich und mein Gustchen den Weg zu Fuße, zwey Tage sind wir drinnen der Stunden wegen, dann geht es wieder heraus, und ist ein beständiges Einrichten für unsre Bequemlichkeit an beiden Orten, und so kann ich sagen entwischt mir die Zeit unter den Händen. sonst würde mir das ganz unmöglich geschienen haben, aber wenn es das Kind [3] betrift, so fragt man sich gar nicht ob es ein Opfer ist oder nicht. Das Zeichnen scheint nun das zu seyn, was ihr Geist mit den meisten Ernst ergreift, und ich gebe ihm allen möglichen Fortgang, sie hat jetzt bey dem Professor Matthäi Stunde, unstreitig der beste Lehrer den wir hier haben, es haben ihn einige Damen schon zu trocken und streng gefunden, aber mein Gustchen thut das nicht, ein Beweiß daß sie in das Wesen der Sache eingeht. Auch hat ihr Auge schon vil an Präcision bey ihm gewonnen. Spielen thut sie auch recht artig, doch ist das mehr eine Fertigkeit als ein Talent, das tanzen ruht weil unser bisheriger maitre gestorben. In der Religion unterrichte ich sie selbst, und das recht gründlich nach meines Vaters System, welches ich das Gründlichste gefunden. Von den sogenannten Aufgeklärten scheint es mir nur eine Soße zu seyn, wo die eigentliche Speise fehlt. – Kaatz ist an einer 5 monathlichen traurigen Krankheit gestorben, die Kunst hat vil an ihn verloren, er war noch immer im Steigen, seine letzte Landschaft, ich nenne es seinen Schwanengesang war die herrlichste, es war der Golf von Neapel. Hatte ich Geld genug so mußte ich diese Landschaft besitzen; nun hat sie Kügelchen gekauft, für mich wäre es zugleich ein Denkmal meines Freundes gewesen. Hardenberg ist vor einem Vierteljahre hier gewesen, es ist ein guter lieber Mann, aber ich kann mich in seinem Ideengange nicht finden, es scheint mir er macht Sprünge, die er selbst nicht bemerkt, und so kann ich nicht gut mit ihm disputiren, ich bin alle Augenblicke deroutirt. Für die Albertin müßen wir alle Respect haben, man könnte fast sagen sie ist eine Heilige. Sie war in einer bequemen Lage sie lebte bey einer Fürstinn die sie liebte und gut war, das alles hat sie verlassen, und ist in einer Stiftung wo ihr ewiges Geschäft Krankenpflege ist, ihr geistlicher der ein außerordentliches Werkzeug an ihr gefunden haben mag hat sie zur Obersten gemacht, dadurch sind ihre Verpflichtungen vil schwerer, sie hat es nicht annehmen wollen, er hat aber darauf bestanden, und nun bringt sie ihr Leben in beständigen Werken der Liebe zu, und ist dabey glücklich sie hat nun endlich den Ruhepunkt für ihre Sele gefunden [4] ich habe erst anfänglich sehen wollen wie das Ding abläuft, da es nun aber villeicht schon 3 Jahr ist, und sie sich immer glücklicher fühlt, so ist dieß keine Täuschung nicht sondern Wahrheit. Hardenberg hat sie gesprochen, sie hat gesagt, sie wünschte wohl einmal alle ihre Freunde besuchen zu können. Sie hat mich auch kürzlich grüßen laßen. Ein Gelübde hat sie nicht gethan. – Von Tiek lauten die Nachrichten desto übler, er wäre durch eine Krankheit ganz contract, und wie auf eine Seite gelähmt, und so wie er meynte wäre keine Hofnung zur Beßerung, doch meynte seine Frau daß es sich gäbe. Uebrigens redete Hardenberg äußerst ungern, von ihm und seiner Schwester, er sagte er sähe gar keinen andern weg wie diesen Leuten geholfen werden könnte als daß sie alle untergiengen, ist es denn so gar tief böse mit ihrem Schuldenwesen? Hardenberg hat auch wahrscheinlich sehr dabey zugesetzt weil er so ungern davon spricht. Sage mir einmal, ist eine gewiße Stransky (so glaube ich hieß sie) noch bey der Bernhardin? Diese war für Friedrich recht ernsthaft gefährlich, darum drang ich so gewaltsam auf die Reise der Frau und diese anscheinend übereilte Reise, hat Friedrichen villeicht von unvorsichtigen Schritten zurückgehalten; denke Dir das Unglück wenn Friedrich sich in München in das Unglückliche Wesen mit verstrickt hätte. ich verbiete Dir aber irgend einen Menschen ein Wort davon zu sagen, wenn Dir Friedrich selbst nie etwas davon erwähnt, auch der Frau v. St.[aël] nicht, ich hätte Dir dieß damals gleich gesagt, wenn ich diese Furcht nicht gehabt hätte. Die Frau hatte ihn tief ergriffen, und er stand villeicht am Scheidewege. – Die Tieck ist lange hier gewesen mit Burgsdorfs, ihr jüngstes Kind ist ein getreues Abbild von Burgstorf, und auch läugnet sie nicht ihr Verhältniß, wer von ihren Freunden sie darum frägt, ich habe es umgangen, Burgstorf habe gewiß für sie gesorgt auch wenn er sterben sollte hat sie gegen jemand gesagt. Uebrigens liebt er seine Frau sehr zärtlich, ihr ist auch wohl, sie scheint gar nicht in einer gepreßten Lage, kurz es ist alles zufrieden durch ein ander, als wenn es so seyn müßte. Ich möchte Dich noch bitten mir von den Wahlverwandschaften etwas zu sagen, doch fürchte ich mich beynahe daß Du nicht einerley Meynung mit mir, die allgemeine Stimme ist wieder dieses Buch. Riquet ist der einzige der mit mir und meinen Mann überein denkt doch hat er uns nicht gestimt weil wir es früher gelesen, ich nahm es mit einer ungünstigen Meynung in die Hand aber es hat mich tief ergriffen, es ist große tragische Poesie darinn, wie ich sie fast noch nicht bey ihm gefunden, ich möchte Stundenlang mit Dir über dieses Werk reden. Wohl wird es mir thun wenn Du mir sagtest auch Du schätztest es, es ist einem ordentlichen traurig wenn man mit einer Meynung ganz allein steht. Die Schlegeln geht in ihrem Urtheile den allgemeinen Strome nach. Daß er dieses Werk für wichtig hält weiß ich, er ist die ganze Zeit über in einer begeisternden Stimmung gewesen. Doch kann ich nicht läugnen daß etwas Sinistres in diesem Werke ist, es berührt einen gewaltsam aber oft nicht angenehm. Dieses Buch hat für mich ordentlich Epoque gemacht, es ergriff mein ganzes Wesen, es ist wahr, er wezt sich mit etwas profaner Hand, an dem Schleyer, der die Tiefen unsres innersten Wesens verbirgt, doch versenkte es mich mehrmals in ein Nachdenken über die Tiefen und das unergründliche der menschlichen Natur daß ich um meinen Schlaf kam. Nun lebe wohl, geliebtester Bruder, dieß war ein langer Brief, schreibe ja bald, wie erfahre ich es nur ob Du ihn auch wirklich bekommen.
Charlotte Ernst
×
×