• Henriette Mendelssohn to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Paris · Place of Destination: Unknown · Date: 26. August [1810]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Henriette Mendelssohn
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Paris
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 26. August [1810]
  • Notations: Datum (Jahr) erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 159‒161.
  • Incipit: „[1] Paris d 26 August [1810]
    Wenn Sie Sich Ihres lezten Briefes an mich noch entsinnen und der darin versprochnen Mittheilungen, im [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-7
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,27,13
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U. Henriette
  • Format: 19,5 x 11,7 cm
[1] Paris d 26 August [1810]
Wenn Sie Sich Ihres lezten Briefes an mich noch entsinnen und der darin versprochnen Mittheilungen, im Fall ich Ihnen schriebe, so müßen Sie es für einen Troz oder für eine schwererrungene Verstellung halten, daß ich der Neugier wiederstehn konnte! Dem ist aber nicht so mein theurer Freund, ich rühme mich gar nicht beßer als andre zu sein, und ohne eine Unpäßlichkeit die mich mehrere Tage lang, auf eine sehr unangenehme Weise mit mir selbst beschäftigte, hätte ich Sie unverzüglich an mich erinnert, und nun hoffe ich werden Sie mich nicht länger um den Lohn dienen laßen, sondern mir unverzüglich sowohl das versprochne lustige von Werner, an den ich in jenem Augenblick eben weniger als an Warner dachte, und auch das wichtigere mittheilen welches Sie mir anvertrauen wollten!
Sie sind unterdessen einer großen [2] Sorge los geworden. Helmina hat nehmlich ihr Vorhaben nach Blois zu gehn, aufgegeben, und trifft die ernstesten Anstalten in kurzem nach Deutschland abzureisen, wo sie in der Gegend von Heidelberg zu bleiben denkt. Die angefangne Arbeit will sie dort fortsetzen. Freilich aber wird dies sehr zerstückelt, und langsam vor sich gehn, bis jezt ist sie sehr fleißig gewesen, wie Sie mir sagt. – Wenn ich mit meinem ängstlichen Sinn und Wesen das verworrne Leben dieser armen Frau betrachte, begreife ich nicht wie sie es trägt, doch hat freilich ein jeder seine eigne Noth, und auch den gehörigen Muth! Ich sende Ihnen wieder einige Blätter, die mir Ihr Bruder zugeschickt, mit den feierlichsten Beschwörungen ihm Nachrichten von Ihnen zu geben, da aber während der Zeit Ihr Brief wohl angelangt sein muß, so werde ich eben nicht schnell antworten, wenn Sie daher schreiben wollen so kann ich Ihren Brief zugleich abschicken.
Die Auszüge aus Müller in diesen Blättern [3] haben mir großes Vergnügen gewährt, es ist mir in den lezten Zeiten ganz undeutlich geworden, daß Müller wirklich so redliche Gesinnungen und das Bedürfniß sie zu äußern gehabt. – Wie finden Sie die Stanzen?
Uebrigens will ich Ihnen, aber recht im Vertrauen, meine Furcht und Vermuthungen in Ansehung dieser Blätter mittheilen, ich glaube nehmlich das Pilat sobald er nur nach Wien gehn wird, sich dort ein großes Ansehn geben, und Ihren Bruder etwas chikaniren wird, das wäre bei seiner jezigen Stimmung, vollends unleidlich. Freilich läßt sich dem aber nicht vorbeugen, und ihn darauf vorzubereiten, hieße das Uebel ärger machen! Ihr Bruder ist sehr begierig das Werk der Frau v. Staël zu erhalten. Sie werden wohl dafür sorgen, es ihm zu senden.
Wir haben einen guten braven Freund verloren! Der arme Klinger ist am 4ten August nach einer langen schmerzenvollen Krankheit verschieden. Er starb bei völligem Bewußtsein und in den besten Gesinnungen. Mir geht sein Verlust recht nahe! so wird es [4] immer einsamer um uns, mitten im leeren WeltGetümmel!
Gestern am Fest der Kaiserin hat die Mars, in einem dazu verfertigten Stücke, deutsche Verse zu einer beliebten Wiener Melodie gesungen! Die Verse sind von Pilat, und sollen eben nicht erbaulich sein, ich werde sie Ihnen mittheilen sobald ich sie habe. Sagen Sie mir doch Ihre Meinung lieber Freund, ob es dem ältesten Sohne meiner Schwester zu rathen wäre, hieherzukommen, um bei Gérard zu arbeiten. Mich dünkt daß dieser seit dem Belisaire nichts hervorgebracht, daß irgend einen Fortschritt in der Kunst bezeichnete. Auch beschäftigt er sich ausschließend mit Bildern, und so vortrefflich diese auch sein mögen, ist es doch wohl einem jungen Mann der das rechte will, nicht zu rathen, diesen Weg einzuschlagen. Meine Schwester hat Vorliebe für Gérard, eben wegen des Belisaire, und frägt mich um meine Meinung, die ich nun durch die Ihrige gern berichtigen möchte. Leben Sie wohl und meiner eingedenk.
Henriette
[1] Paris d 26 August [1810]
Wenn Sie Sich Ihres lezten Briefes an mich noch entsinnen und der darin versprochnen Mittheilungen, im Fall ich Ihnen schriebe, so müßen Sie es für einen Troz oder für eine schwererrungene Verstellung halten, daß ich der Neugier wiederstehn konnte! Dem ist aber nicht so mein theurer Freund, ich rühme mich gar nicht beßer als andre zu sein, und ohne eine Unpäßlichkeit die mich mehrere Tage lang, auf eine sehr unangenehme Weise mit mir selbst beschäftigte, hätte ich Sie unverzüglich an mich erinnert, und nun hoffe ich werden Sie mich nicht länger um den Lohn dienen laßen, sondern mir unverzüglich sowohl das versprochne lustige von Werner, an den ich in jenem Augenblick eben weniger als an Warner dachte, und auch das wichtigere mittheilen welches Sie mir anvertrauen wollten!
Sie sind unterdessen einer großen [2] Sorge los geworden. Helmina hat nehmlich ihr Vorhaben nach Blois zu gehn, aufgegeben, und trifft die ernstesten Anstalten in kurzem nach Deutschland abzureisen, wo sie in der Gegend von Heidelberg zu bleiben denkt. Die angefangne Arbeit will sie dort fortsetzen. Freilich aber wird dies sehr zerstückelt, und langsam vor sich gehn, bis jezt ist sie sehr fleißig gewesen, wie Sie mir sagt. – Wenn ich mit meinem ängstlichen Sinn und Wesen das verworrne Leben dieser armen Frau betrachte, begreife ich nicht wie sie es trägt, doch hat freilich ein jeder seine eigne Noth, und auch den gehörigen Muth! Ich sende Ihnen wieder einige Blätter, die mir Ihr Bruder zugeschickt, mit den feierlichsten Beschwörungen ihm Nachrichten von Ihnen zu geben, da aber während der Zeit Ihr Brief wohl angelangt sein muß, so werde ich eben nicht schnell antworten, wenn Sie daher schreiben wollen so kann ich Ihren Brief zugleich abschicken.
Die Auszüge aus Müller in diesen Blättern [3] haben mir großes Vergnügen gewährt, es ist mir in den lezten Zeiten ganz undeutlich geworden, daß Müller wirklich so redliche Gesinnungen und das Bedürfniß sie zu äußern gehabt. – Wie finden Sie die Stanzen?
Uebrigens will ich Ihnen, aber recht im Vertrauen, meine Furcht und Vermuthungen in Ansehung dieser Blätter mittheilen, ich glaube nehmlich das Pilat sobald er nur nach Wien gehn wird, sich dort ein großes Ansehn geben, und Ihren Bruder etwas chikaniren wird, das wäre bei seiner jezigen Stimmung, vollends unleidlich. Freilich läßt sich dem aber nicht vorbeugen, und ihn darauf vorzubereiten, hieße das Uebel ärger machen! Ihr Bruder ist sehr begierig das Werk der Frau v. Staël zu erhalten. Sie werden wohl dafür sorgen, es ihm zu senden.
Wir haben einen guten braven Freund verloren! Der arme Klinger ist am 4ten August nach einer langen schmerzenvollen Krankheit verschieden. Er starb bei völligem Bewußtsein und in den besten Gesinnungen. Mir geht sein Verlust recht nahe! so wird es [4] immer einsamer um uns, mitten im leeren WeltGetümmel!
Gestern am Fest der Kaiserin hat die Mars, in einem dazu verfertigten Stücke, deutsche Verse zu einer beliebten Wiener Melodie gesungen! Die Verse sind von Pilat, und sollen eben nicht erbaulich sein, ich werde sie Ihnen mittheilen sobald ich sie habe. Sagen Sie mir doch Ihre Meinung lieber Freund, ob es dem ältesten Sohne meiner Schwester zu rathen wäre, hieherzukommen, um bei Gérard zu arbeiten. Mich dünkt daß dieser seit dem Belisaire nichts hervorgebracht, daß irgend einen Fortschritt in der Kunst bezeichnete. Auch beschäftigt er sich ausschließend mit Bildern, und so vortrefflich diese auch sein mögen, ist es doch wohl einem jungen Mann der das rechte will, nicht zu rathen, diesen Weg einzuschlagen. Meine Schwester hat Vorliebe für Gérard, eben wegen des Belisaire, und frägt mich um meine Meinung, die ich nun durch die Ihrige gern berichtigen möchte. Leben Sie wohl und meiner eingedenk.
Henriette
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