• Henriette Mendelssohn to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Paris · Place of Destination: Unknown · Date: 5. Dezember [1810]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Henriette Mendelssohn
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Paris
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 5. Dezember [1810]
  • Notations: Datum (Jahr) sowie Absendeort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 184‒186.
  • Incipit: „[1] [Paris] d 5ten Dezember [1810]
    Wenn Sie auch nicht an mich denken wollen mein theurer Freund, so soll mich dies doch [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-7
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,27,15
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U. Henriette M.
  • Format: 18,7 x 11,8 cm
[1] [Paris] d 5ten Dezember [1810]
Wenn Sie auch nicht an mich denken wollen mein theurer Freund, so soll mich dies doch nicht abhalten Sie an mich zu erinnern. Sie haben mehrere meiner Briefe unbeantwortet gelaßen, und mir seit langer Zeit kein Lebenszeichen gegeben, daß ichs Ihnen verzeihe davon sind diese Zeilen ein Beweis, wie mich aber dies gänzliche Vergessen schmerzt, das können Ihnen keine Worte sagen! – Wie und wo leben Sie? einige sagen in Lausanne, Humbold soll es gesagt haben. haben Sie keine frische frohe Plane, für das nächste Frühjahr? herzlich würde ich Sie bedauern wenn Ihnen das bald sich erneuende Jahr, so wie mir keine Hoffnungen und Aussichten brächte! Ich habe sonst eigentlich nie solche KalenderEmpfindungen gehabt, aber bei zunehmenden Jahren hat ein Zurückblicken auf die verfloßne Zeit etwas wehmüthiges, es liegt die ganze [2] Weissagung der Zukunft darinn!
Seit vielen Monaten habe ich keine Nachricht von unsern Freunden aus Wien, und von keinem der dort lebenden gehabt, haben Sie mir keine mitzutheilen? ich hoffe Friedrich hat Ihren Brief erhalten und beantwortet! Sind Ihre Arbeiten bald vollendet und haben Sie Sich wieder gesammelt nach der lezten gewaltsamen Störung? Wo hat sich Chamisso hingezogen, kein Mensch kann mir etwas von ihm sagen. Auch Helmina schreibt mir nicht, doch habe ich gehört daß es ihr wohl geht in Heidelberg, wo sie und mehrere berühmte Frauen, unter andern die gewesene Imhof, sich um den alten Voß versammeln! – Ich lese jezt Müllers Weltgeschichte, es ist ein vortreffliches Freskogemählde, aber zuweilen etwas mühsam wie Tacitus, und seine deutsche Prosa ist freilich etwas anders als die [3] Ihrige! – Ich vermuthe daß es Ihr eifrigster Wunsch ist, Genf zu verlaßen, und so denken Sie Sich den meinigen, in der Nähe Ihres stillen Seeʼs zu leben. Paris wird täglich verhaßter, und obschon ich in meinem kleinen Hause, wie in einer etwas größeren Tonne lebe, so ist doch das wenige was zu mir gelangt empörend genug, und für einen graden Sinn nirgend eine Erholung zu finden. – So ist unter andern die GemähldeAusstellung ein 14 bis 15 hundert mahl wiederholter Beweis wie leer und verzerrt diese Nation ist! Gerard hat sich wieder einmal rühmlich ausgezeichnet, aber freilich mußte er auch dem Götzen opfern, und Kanonen, Blut, und Elend darstellen. – Könnte ich doch mit Ihnen einen Gang durch diese buntbehauste Säle machen!
Sie haben jezt eine recht liebenswürdige Frau in Ihrer Nähe, deren Bekanntschaft [4] ich kurz vor ihrer Abreise aus Paris machte, es ist die Gräfin Ega, das Leben und widrige Verhältniße mögen auch manches in ihr zerstört haben, aber Sie kommt mir doch wie eine äußerst zarte und liebliche Erscheinung vor! Sie gehört uns gewißermaßen an, ihr Vater war ein Deutscher. – Haben Sie Gelegenheit sie von mir zu grüßen, so bitte ich Sie recht sehr lieber Freund es nicht zu vergeßen.
Leben Sie wohl mein verehrter Freund, und laßen Sie mich nicht vergebens auf ein freundliches Schreiben hoffen, ich habe der Welt, ja allen meinen Freunden entsagt, und schreibe keinem, also mögen Sie diese Zeilen für etwas halten! Ich grüße und umarme Sie.
Henriette
[1] [Paris] d 5ten Dezember [1810]
Wenn Sie auch nicht an mich denken wollen mein theurer Freund, so soll mich dies doch nicht abhalten Sie an mich zu erinnern. Sie haben mehrere meiner Briefe unbeantwortet gelaßen, und mir seit langer Zeit kein Lebenszeichen gegeben, daß ichs Ihnen verzeihe davon sind diese Zeilen ein Beweis, wie mich aber dies gänzliche Vergessen schmerzt, das können Ihnen keine Worte sagen! – Wie und wo leben Sie? einige sagen in Lausanne, Humbold soll es gesagt haben. haben Sie keine frische frohe Plane, für das nächste Frühjahr? herzlich würde ich Sie bedauern wenn Ihnen das bald sich erneuende Jahr, so wie mir keine Hoffnungen und Aussichten brächte! Ich habe sonst eigentlich nie solche KalenderEmpfindungen gehabt, aber bei zunehmenden Jahren hat ein Zurückblicken auf die verfloßne Zeit etwas wehmüthiges, es liegt die ganze [2] Weissagung der Zukunft darinn!
Seit vielen Monaten habe ich keine Nachricht von unsern Freunden aus Wien, und von keinem der dort lebenden gehabt, haben Sie mir keine mitzutheilen? ich hoffe Friedrich hat Ihren Brief erhalten und beantwortet! Sind Ihre Arbeiten bald vollendet und haben Sie Sich wieder gesammelt nach der lezten gewaltsamen Störung? Wo hat sich Chamisso hingezogen, kein Mensch kann mir etwas von ihm sagen. Auch Helmina schreibt mir nicht, doch habe ich gehört daß es ihr wohl geht in Heidelberg, wo sie und mehrere berühmte Frauen, unter andern die gewesene Imhof, sich um den alten Voß versammeln! – Ich lese jezt Müllers Weltgeschichte, es ist ein vortreffliches Freskogemählde, aber zuweilen etwas mühsam wie Tacitus, und seine deutsche Prosa ist freilich etwas anders als die [3] Ihrige! – Ich vermuthe daß es Ihr eifrigster Wunsch ist, Genf zu verlaßen, und so denken Sie Sich den meinigen, in der Nähe Ihres stillen Seeʼs zu leben. Paris wird täglich verhaßter, und obschon ich in meinem kleinen Hause, wie in einer etwas größeren Tonne lebe, so ist doch das wenige was zu mir gelangt empörend genug, und für einen graden Sinn nirgend eine Erholung zu finden. – So ist unter andern die GemähldeAusstellung ein 14 bis 15 hundert mahl wiederholter Beweis wie leer und verzerrt diese Nation ist! Gerard hat sich wieder einmal rühmlich ausgezeichnet, aber freilich mußte er auch dem Götzen opfern, und Kanonen, Blut, und Elend darstellen. – Könnte ich doch mit Ihnen einen Gang durch diese buntbehauste Säle machen!
Sie haben jezt eine recht liebenswürdige Frau in Ihrer Nähe, deren Bekanntschaft [4] ich kurz vor ihrer Abreise aus Paris machte, es ist die Gräfin Ega, das Leben und widrige Verhältniße mögen auch manches in ihr zerstört haben, aber Sie kommt mir doch wie eine äußerst zarte und liebliche Erscheinung vor! Sie gehört uns gewißermaßen an, ihr Vater war ein Deutscher. – Haben Sie Gelegenheit sie von mir zu grüßen, so bitte ich Sie recht sehr lieber Freund es nicht zu vergeßen.
Leben Sie wohl mein verehrter Freund, und laßen Sie mich nicht vergebens auf ein freundliches Schreiben hoffen, ich habe der Welt, ja allen meinen Freunden entsagt, und schreibe keinem, also mögen Sie diese Zeilen für etwas halten! Ich grüße und umarme Sie.
Henriette
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