• Sophie Bernhardi to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: München · Place of Destination: Unknown · Date: 01.03.1811
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
  • XML
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Sophie Bernhardi
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: München
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 01.03.1811
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 189‒191.
  • Incipit: „[1] München den 1ten März 1811
    Theuerster Freund
    Ihr Brief welchen ich gestern erhielt, hat mich mit großer Wehmuth erfült, theils weil ich [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-5
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,20,12
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. Paraphe
  • Format: 23 x 18,4 cm
[1] München den 1ten März 1811
Theuerster Freund
Ihr Brief welchen ich gestern erhielt, hat mich mit großer Wehmuth erfült, theils weil ich lebhaft den Schmerz mit empfand der Ihr Herz betroffen hat, theils weil er mich lebhaft an alles erinnerte, waß ich verlohr, ich erhielt ihn gestern an meinem Geburts, und an meines Kindes Todestage, also war es wohl natürlich daß es mich mit doppelter Wehmuth ergrif, weil ich um desto lebhafter erinnert [wurde] welche zärtliche Theilnahme Sie mir an diesem schrecklichen Tage, wie in so vielen unglücklichen Ereignissen bewiesen haben, und ich that mir von neuen das Gelübde, daß keine Zeit keine Entfernung, jemals die innige Liebe und Dankbarkeit in meinem Herzen verlöschen soll. Sie mein theurer Freund haben bei Ihrem Verlust doch die Beruhigung daß Ihre geliebte Mutter das Ziel ihres Lebens erreicht hat, und daß Sie so glücklich waren ihr thätig Ihre Liebe und Danckbarkeit zu beweisen, worin sie das zärtlichste Herz eines edlen liebevollen Sohnes erkennen mußte, ich habe solche Beruhigung nicht erfahren, und da Sie gewiß mit mir fühlen daß es das Schmerzlichste ist für erwiesene thätige Liebe, immer nur Danck ohne Erwiederung [2] biehten zu können, so bitte ich Sie rauben Sie mir nicht die Hoffnung daß noch einmal die Zeit kommen kann, wo Sie mir vergönnen meine Kräfte auf zu biehten um etwaß zur erheiterung und verschönerung Ihres Lebens beizutragen, und so thätig eine unendliche Danckbarkeit zu zeigen.
Ihr Brief hat mich in vieler Rücksicht sehr bewegt, ich habe von Ihnen keine Antwort erhalten auf meinen langen Brief worin ich Ihnen die äusserliche Veränderung meiner Lage meldete, nebst vielen Beschlüssen in Rücksicht auf Felix, und es war mir wohl zu verzeihen daß ich anfieng zu befürchten Sie hätten mir Ihre Freundschaft, ja sogar Ihre Theilnahme entzogen, und so verlohr ich mich in trübseeligen Grübeln womit ich mir dies Unglück zugezogen hätte, daß ich gar nicht wieder zu schreiben wagte, dan kam Felix sehr gefährliche Kranckheit, so daß ich mich endlich dem Glauben überließ der Himmel wolle durch alle heftige Erschütterungen meines Lebens mich dem Grabe zu führen. Daß ich bei meiner eignen Schwäche in Felix gefährlicher Kranckheit sehr gelitten habe können Sie wohl dencken, doch ist mir keine Zerstöhrung meiner Gesundheit so schmerzlich als der beinahe gänzliche Verlust des Gesichts, ich hoffe immer noch es soll sich bessern [3] aber zuweilen verliehre ich den Muth. Als ich Wilhelm verlohr konte ich meinen Schmerz nicht bezwingen auch war kein Mensch in meiner Nähe dessen Liebe mich getröstet hätte, und so weinte ich einsam vierzehn Tage und Nächte, dadurch zog ich einen heftigen Gichtschmerz in meine Augen, und ob ich gleich weiß daß jede Thräne mich dem Erblinden schneller zuführt, so fliessen sie dennoch auch jezt bei der Erinnerung von neuen, ich kann seit den Verlust dieses Kindes nicht wieder heiter und glücklich sein. Dieser heftige Schmerz in den Augen komt periodisch Monathlich wieder, und hält jedes mal länger an, in dieser Zeit kann ich gar nichts schreiben oder lesen, und da ich jezt allein bin muß mir dan Felix vorlesen auch die Briefe, welches auch unangenehm ist, denn er bekomt dadurch etwaß altkluges, und spricht ganz ernsthaft über alle meine Angelegenheiten mit.
Mein Schicksall hat sich etwaß anders gewendet als wie Sie voraussetzen, ich werde jezt nicht nach Italien sondern sehr bald nach Rußland reisen. Knorring hat seinen Vater so alt und schwach gefunden daß er gar nicht mehr das Vermögen verwalten kann, er will also Knorring die Güter übergeben, dadurch wird aber dort ein etwaß längerer Auffenthalt nöhtig, und Sie sehen wohl selbst ein wie gut es ist wenn Knorring schon jezt die Güter bekömt, weil wir dadurch am leichtesten im Stande allen Pflichten ein Genüge zu leisten, auch [4] würde ich es grausam finden den lezten Wunsch eines so alten Mannes zu täuschen. Er hat mir sehr dringend und zärtlich schreiben lassen, vor seinem Ende noch zu ihm zu kommen, ich hoffe also sehr bald abzureisen, denn ich erwarte in kurzen daß dazu nöhtige Geld, welches freilich nach jetzigen Russischen Cours eine starke Summe beträgt, weil ich allein für meinen Bruder gegen 3000 Rubles brauche, damit der seine Reise fortsetzen kann. Dieser schlechte Cours ist jezt ein wahres Unglück. Auch für Ihre treue brüderliche Liebe welche Sie von neuen für meinen Bruder bewiesen haben, sage ich Ihnen den wärmsten Danck, gebe nur Gott daß noch einmal die Zeit komt wo ich Ihnen beweisen kann wie sehr ich Ihre Liebe erkenne.
Wenn Sie mir die Freude machen wollen daß ich hier noch einen Brief von Ihnen erhalte so müssen Sie diesen sehr bald beantworten, denn die nächsten Briefe von Knorring hoffe ich werden meine Abreise bestimmen. Ihr Verleger handelt recht feindselig gegen mich, denn ich habe nichts von ihm erhalten. An Flora und Blantscheflur habe ich nichts in meiner traurigen Lage arbeiten können. Leben Sie recht wohl und glücklich mein theuerster Freund.
S[ophie]
[1] München den 1ten März 1811
Theuerster Freund
Ihr Brief welchen ich gestern erhielt, hat mich mit großer Wehmuth erfült, theils weil ich lebhaft den Schmerz mit empfand der Ihr Herz betroffen hat, theils weil er mich lebhaft an alles erinnerte, waß ich verlohr, ich erhielt ihn gestern an meinem Geburts, und an meines Kindes Todestage, also war es wohl natürlich daß es mich mit doppelter Wehmuth ergrif, weil ich um desto lebhafter erinnert [wurde] welche zärtliche Theilnahme Sie mir an diesem schrecklichen Tage, wie in so vielen unglücklichen Ereignissen bewiesen haben, und ich that mir von neuen das Gelübde, daß keine Zeit keine Entfernung, jemals die innige Liebe und Dankbarkeit in meinem Herzen verlöschen soll. Sie mein theurer Freund haben bei Ihrem Verlust doch die Beruhigung daß Ihre geliebte Mutter das Ziel ihres Lebens erreicht hat, und daß Sie so glücklich waren ihr thätig Ihre Liebe und Danckbarkeit zu beweisen, worin sie das zärtlichste Herz eines edlen liebevollen Sohnes erkennen mußte, ich habe solche Beruhigung nicht erfahren, und da Sie gewiß mit mir fühlen daß es das Schmerzlichste ist für erwiesene thätige Liebe, immer nur Danck ohne Erwiederung [2] biehten zu können, so bitte ich Sie rauben Sie mir nicht die Hoffnung daß noch einmal die Zeit kommen kann, wo Sie mir vergönnen meine Kräfte auf zu biehten um etwaß zur erheiterung und verschönerung Ihres Lebens beizutragen, und so thätig eine unendliche Danckbarkeit zu zeigen.
Ihr Brief hat mich in vieler Rücksicht sehr bewegt, ich habe von Ihnen keine Antwort erhalten auf meinen langen Brief worin ich Ihnen die äusserliche Veränderung meiner Lage meldete, nebst vielen Beschlüssen in Rücksicht auf Felix, und es war mir wohl zu verzeihen daß ich anfieng zu befürchten Sie hätten mir Ihre Freundschaft, ja sogar Ihre Theilnahme entzogen, und so verlohr ich mich in trübseeligen Grübeln womit ich mir dies Unglück zugezogen hätte, daß ich gar nicht wieder zu schreiben wagte, dan kam Felix sehr gefährliche Kranckheit, so daß ich mich endlich dem Glauben überließ der Himmel wolle durch alle heftige Erschütterungen meines Lebens mich dem Grabe zu führen. Daß ich bei meiner eignen Schwäche in Felix gefährlicher Kranckheit sehr gelitten habe können Sie wohl dencken, doch ist mir keine Zerstöhrung meiner Gesundheit so schmerzlich als der beinahe gänzliche Verlust des Gesichts, ich hoffe immer noch es soll sich bessern [3] aber zuweilen verliehre ich den Muth. Als ich Wilhelm verlohr konte ich meinen Schmerz nicht bezwingen auch war kein Mensch in meiner Nähe dessen Liebe mich getröstet hätte, und so weinte ich einsam vierzehn Tage und Nächte, dadurch zog ich einen heftigen Gichtschmerz in meine Augen, und ob ich gleich weiß daß jede Thräne mich dem Erblinden schneller zuführt, so fliessen sie dennoch auch jezt bei der Erinnerung von neuen, ich kann seit den Verlust dieses Kindes nicht wieder heiter und glücklich sein. Dieser heftige Schmerz in den Augen komt periodisch Monathlich wieder, und hält jedes mal länger an, in dieser Zeit kann ich gar nichts schreiben oder lesen, und da ich jezt allein bin muß mir dan Felix vorlesen auch die Briefe, welches auch unangenehm ist, denn er bekomt dadurch etwaß altkluges, und spricht ganz ernsthaft über alle meine Angelegenheiten mit.
Mein Schicksall hat sich etwaß anders gewendet als wie Sie voraussetzen, ich werde jezt nicht nach Italien sondern sehr bald nach Rußland reisen. Knorring hat seinen Vater so alt und schwach gefunden daß er gar nicht mehr das Vermögen verwalten kann, er will also Knorring die Güter übergeben, dadurch wird aber dort ein etwaß längerer Auffenthalt nöhtig, und Sie sehen wohl selbst ein wie gut es ist wenn Knorring schon jezt die Güter bekömt, weil wir dadurch am leichtesten im Stande allen Pflichten ein Genüge zu leisten, auch [4] würde ich es grausam finden den lezten Wunsch eines so alten Mannes zu täuschen. Er hat mir sehr dringend und zärtlich schreiben lassen, vor seinem Ende noch zu ihm zu kommen, ich hoffe also sehr bald abzureisen, denn ich erwarte in kurzen daß dazu nöhtige Geld, welches freilich nach jetzigen Russischen Cours eine starke Summe beträgt, weil ich allein für meinen Bruder gegen 3000 Rubles brauche, damit der seine Reise fortsetzen kann. Dieser schlechte Cours ist jezt ein wahres Unglück. Auch für Ihre treue brüderliche Liebe welche Sie von neuen für meinen Bruder bewiesen haben, sage ich Ihnen den wärmsten Danck, gebe nur Gott daß noch einmal die Zeit komt wo ich Ihnen beweisen kann wie sehr ich Ihre Liebe erkenne.
Wenn Sie mir die Freude machen wollen daß ich hier noch einen Brief von Ihnen erhalte so müssen Sie diesen sehr bald beantworten, denn die nächsten Briefe von Knorring hoffe ich werden meine Abreise bestimmen. Ihr Verleger handelt recht feindselig gegen mich, denn ich habe nichts von ihm erhalten. An Flora und Blantscheflur habe ich nichts in meiner traurigen Lage arbeiten können. Leben Sie recht wohl und glücklich mein theuerster Freund.
S[ophie]
×
×