• Amalie Wolper to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Lingen (Ems) · Place of Destination: Bonn · Date: 30.12.1839
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
  • XML
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Amalie Wolper
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Lingen (Ems)
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 30.12.1839
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34336
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.29,Nr.54
  • Number of Pages: 4S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 22,3 x 13,9 cm
  • Incipit: „[1] Lingen d. 30sten Decbr.
    1839.
    Geliebtester Oheim!
    Gestern spät Abends erhielt ich Ihren lieben Brief und eile, denselben gleich heute zu beantworten. [...]“
  • Editors: Bamberg, Claudia · Varwig, Olivia · Zeil, Sophia
[1] Lingen d. 30sten Decbr.
1839.
Geliebtester Oheim!
Gestern spät Abends erhielt ich Ihren lieben Brief und eile, denselben gleich heute zu beantworten. Schon früher würde ich geschrieben haben, doch da ich glaubte, daß bereits Nachrichten von meiner Mutter bei Ihnen eingetroffen wären, so wartete ich absichtlich, um Ihnen nicht Wiederholungen mitzutheilen. Sie müssen ihr deßhalb nicht zürnen, weil sie etwas gezögert hat, denn die gute Mutter ist alt und schwach und leidet an manchen Beschwerden, so unter andern hat sie ganz krumme Finger von der Gicht, wobei man sich wundern muß, daß sie die Feder noch damit führen kann, und dennoch muß sie jetzt so viel schreiben.
Neuere Nachrichten über das Schicksal meines unglücklichen Bruders kann ich Ihnen nun freilich heute nicht mittheilen, da meine zuletzt erhaltenen Briefe ungefähr von demselben Datum sind, als der bei Ihnen eingetroffene. Mein Herz treibt mich aber dazu, Ihnen meinen [2] innigsten, wärmsten Dank auszusprechen, für Ihre unendliche Güte und die wahrhaft edelmüthigen Anerbietungen, die Sie uns bei dieser traurigen Veranlassung machen. Sein Sie versichert, daß ich ganz die Größe des Opfers zu erkennen und zu schätzen weiß, welches Sie uns, die sehr bedeutenden Kosten abgerechnet, auch noch dadurch bringen wollten, daß Sie sich von Ihrem treuen Heinrich so lange trennten, an den Sie so sehr gewöhnt sind. Leider kann es ja nun nicht zur Ausführung kommen, obwohl es meiner Ansicht nach gewiß das Beste für August und uns Alle gewesen wäre. Wenn man in Hannover doch nun auch endlich die Sache zum Schluß brächte, damit er in Hildesheim aufgenommen werden könnte, solche Dinge leiden ja nicht so langen Aufschub. –
Allerdings wäre es für meine Mutter von unendlichem Werth gewesen, wenn Sie, theuerster Oheim, ihr bei dieser schweren Prüfung mit Ihrer Einsicht und Ihren guten Rathschlägen nah gewesen wären. Jetzt steht sie so ganz hülflos und allein, Niemand nimmt sich ihrer thätig an. Aus der Ferne kann man aber mit dem besten Willen nicht so wirken, das fühle auch ich. Im Anfange schrieb ich gleich an Madame Engels (Aug: Hauswirthinn) und bat sie dringend, mir doch dann und wann einige Nachricht zukommen zu lassen, habe aber keine Zeile von ihr erhalten. Der guten Frau wird das Schreiben auch [3] wohl sauer und sie beschränkt sich deßhalb auf das nothwendigste. Auch bei dem Ober-Schul-Rath Kohlrausch habe ich mich durch den Superintendenten Jüngst für August verwandt, doch auch von dorther ist mir bis jetzt keine Antwort geworden.
Meine Reise nach Harburg habe ich aufgegeben, da Mutter es durchaus nicht zulassen wollte, daß ich in dieser Jahrszeit den weiten und beschwerlichen Weg machte. Ich schickte nun vor ungefähr 8 Tagen meiner Schwester 4 Louisd’or von Ihrem gütigen Geschenke zu, um ihr eine Weihnachtsfreude zu machen und einige Erleichterung für den Winter zu verschaffen. Es thut mir leid, daß Sie dieses mißbilligen, hätte ich das vermuthen können, so würde ich mir die Freude versagt haben. Glauben Sie mir aber, lieber Oheim, die Arme ist sehr zu beklagen, vielleicht eben so sehr, als in diesem Augenblicke mein unglücklicher Bruder, der von seinem eignen Elende und den Jammer, den er über uns gebracht, keinen klaren Begriff hat. Jahre lang mit drückenden Nahrungssorgen kämpfen, sich jede Bequemlichkeit, jede Annehmlichkeit des Lebens versagen zu müssen, ist wahrlich ein hartes Loos, ihre Gesundheit ist dadurch zerstört, ihr Geist niedergedrückt. Ich weiß nicht, wodurch sie sich Ihr Mißfallen zugezogen hat und möchte Ihnen so gern eine bessere Meinung von ihr beibringen. Sie fühlt so tief unser Unglück, möchte so gern helfen, kann aber bei ihrer eignen Schwäche und Hülflosigkeit nicht. Zum Beleg schicke ich Ihnen einige Stellen aus [4] ihren Briefen mit, bitte Sie aber, dieselben gleich zu verbrennen, da sie mir im engsten, schwesterlichen Vertrauen geschrieben sind.
Ich werde mich in meinem nächsten Briefe danach erkundigen, ob mein Bruder nicht gut mit Wäsche versehen ist und ihm dann sofort ein Dutzend Hemden schicken. Ich habe nämlich noch zwei Dutzend von meinem seeligen Manne liegen, so gut wie neu, die ich freilich für Hermann aufsparen wollte, doch bei dieser Gelegenheit gebe ich sie gern her. Sollte es ihm auch übrigens an anständiger und warmer Kleidung fehlen, so bin ich erbötig, die 6 Louisd’or von Ihnen dazu zu verwenden. Mehr kann ich leider bei meiner beschränkten Lage nicht für ihn thun, da meine kleine Einnahme nur eben hinreicht, bei äußerster Einschränkung auszukommen. – Mein Bruder ist, glaube ich, den 10ten October 52 Jahre alt geworden, genau weiß ich es nicht, ich werde bei Mutter darum anfragen. Seine Einnahme belief sich auf 410 Thaler, so schreibt mir Mutter, er selbst hat es mir nie mitgetheilt. Doch nun genug davon.
Wie innig beklage ich es, daß Sie, theurer Oheim, oft unwohl sind und es Ihnen nicht so gut geht, wie ich es von ganzem Herzen wünsche. Möchte doch bald jedes Übelbefinden schwinden! – Auch Mamsell Marie war ernstlich krank, was mir recht leid thut, doch hoffe ich, daß bei ihrer sonst so vortrefflichen Gesundheit sie sich bald völlig erholen und kein solcher Zufall wiederkehren wird.
Sie können sich sicher darauf verlassen, daß wenn sich in dem Schicksal meines Bruders etwas ändert, ich es Ihnen sogleich mittheile.
Meine besten Wünsche für das neue Jahr! Ihre
Sie aufrichtig liebende
Nichte Amalie Wolper.
[1] beantw. d. 6 Jan. 40.
III.
[1] Lingen d. 30sten Decbr.
1839.
Geliebtester Oheim!
Gestern spät Abends erhielt ich Ihren lieben Brief und eile, denselben gleich heute zu beantworten. Schon früher würde ich geschrieben haben, doch da ich glaubte, daß bereits Nachrichten von meiner Mutter bei Ihnen eingetroffen wären, so wartete ich absichtlich, um Ihnen nicht Wiederholungen mitzutheilen. Sie müssen ihr deßhalb nicht zürnen, weil sie etwas gezögert hat, denn die gute Mutter ist alt und schwach und leidet an manchen Beschwerden, so unter andern hat sie ganz krumme Finger von der Gicht, wobei man sich wundern muß, daß sie die Feder noch damit führen kann, und dennoch muß sie jetzt so viel schreiben.
Neuere Nachrichten über das Schicksal meines unglücklichen Bruders kann ich Ihnen nun freilich heute nicht mittheilen, da meine zuletzt erhaltenen Briefe ungefähr von demselben Datum sind, als der bei Ihnen eingetroffene. Mein Herz treibt mich aber dazu, Ihnen meinen [2] innigsten, wärmsten Dank auszusprechen, für Ihre unendliche Güte und die wahrhaft edelmüthigen Anerbietungen, die Sie uns bei dieser traurigen Veranlassung machen. Sein Sie versichert, daß ich ganz die Größe des Opfers zu erkennen und zu schätzen weiß, welches Sie uns, die sehr bedeutenden Kosten abgerechnet, auch noch dadurch bringen wollten, daß Sie sich von Ihrem treuen Heinrich so lange trennten, an den Sie so sehr gewöhnt sind. Leider kann es ja nun nicht zur Ausführung kommen, obwohl es meiner Ansicht nach gewiß das Beste für August und uns Alle gewesen wäre. Wenn man in Hannover doch nun auch endlich die Sache zum Schluß brächte, damit er in Hildesheim aufgenommen werden könnte, solche Dinge leiden ja nicht so langen Aufschub. –
Allerdings wäre es für meine Mutter von unendlichem Werth gewesen, wenn Sie, theuerster Oheim, ihr bei dieser schweren Prüfung mit Ihrer Einsicht und Ihren guten Rathschlägen nah gewesen wären. Jetzt steht sie so ganz hülflos und allein, Niemand nimmt sich ihrer thätig an. Aus der Ferne kann man aber mit dem besten Willen nicht so wirken, das fühle auch ich. Im Anfange schrieb ich gleich an Madame Engels (Aug: Hauswirthinn) und bat sie dringend, mir doch dann und wann einige Nachricht zukommen zu lassen, habe aber keine Zeile von ihr erhalten. Der guten Frau wird das Schreiben auch [3] wohl sauer und sie beschränkt sich deßhalb auf das nothwendigste. Auch bei dem Ober-Schul-Rath Kohlrausch habe ich mich durch den Superintendenten Jüngst für August verwandt, doch auch von dorther ist mir bis jetzt keine Antwort geworden.
Meine Reise nach Harburg habe ich aufgegeben, da Mutter es durchaus nicht zulassen wollte, daß ich in dieser Jahrszeit den weiten und beschwerlichen Weg machte. Ich schickte nun vor ungefähr 8 Tagen meiner Schwester 4 Louisd’or von Ihrem gütigen Geschenke zu, um ihr eine Weihnachtsfreude zu machen und einige Erleichterung für den Winter zu verschaffen. Es thut mir leid, daß Sie dieses mißbilligen, hätte ich das vermuthen können, so würde ich mir die Freude versagt haben. Glauben Sie mir aber, lieber Oheim, die Arme ist sehr zu beklagen, vielleicht eben so sehr, als in diesem Augenblicke mein unglücklicher Bruder, der von seinem eignen Elende und den Jammer, den er über uns gebracht, keinen klaren Begriff hat. Jahre lang mit drückenden Nahrungssorgen kämpfen, sich jede Bequemlichkeit, jede Annehmlichkeit des Lebens versagen zu müssen, ist wahrlich ein hartes Loos, ihre Gesundheit ist dadurch zerstört, ihr Geist niedergedrückt. Ich weiß nicht, wodurch sie sich Ihr Mißfallen zugezogen hat und möchte Ihnen so gern eine bessere Meinung von ihr beibringen. Sie fühlt so tief unser Unglück, möchte so gern helfen, kann aber bei ihrer eignen Schwäche und Hülflosigkeit nicht. Zum Beleg schicke ich Ihnen einige Stellen aus [4] ihren Briefen mit, bitte Sie aber, dieselben gleich zu verbrennen, da sie mir im engsten, schwesterlichen Vertrauen geschrieben sind.
Ich werde mich in meinem nächsten Briefe danach erkundigen, ob mein Bruder nicht gut mit Wäsche versehen ist und ihm dann sofort ein Dutzend Hemden schicken. Ich habe nämlich noch zwei Dutzend von meinem seeligen Manne liegen, so gut wie neu, die ich freilich für Hermann aufsparen wollte, doch bei dieser Gelegenheit gebe ich sie gern her. Sollte es ihm auch übrigens an anständiger und warmer Kleidung fehlen, so bin ich erbötig, die 6 Louisd’or von Ihnen dazu zu verwenden. Mehr kann ich leider bei meiner beschränkten Lage nicht für ihn thun, da meine kleine Einnahme nur eben hinreicht, bei äußerster Einschränkung auszukommen. – Mein Bruder ist, glaube ich, den 10ten October 52 Jahre alt geworden, genau weiß ich es nicht, ich werde bei Mutter darum anfragen. Seine Einnahme belief sich auf 410 Thaler, so schreibt mir Mutter, er selbst hat es mir nie mitgetheilt. Doch nun genug davon.
Wie innig beklage ich es, daß Sie, theurer Oheim, oft unwohl sind und es Ihnen nicht so gut geht, wie ich es von ganzem Herzen wünsche. Möchte doch bald jedes Übelbefinden schwinden! – Auch Mamsell Marie war ernstlich krank, was mir recht leid thut, doch hoffe ich, daß bei ihrer sonst so vortrefflichen Gesundheit sie sich bald völlig erholen und kein solcher Zufall wiederkehren wird.
Sie können sich sicher darauf verlassen, daß wenn sich in dem Schicksal meines Bruders etwas ändert, ich es Ihnen sogleich mittheile.
Meine besten Wünsche für das neue Jahr! Ihre
Sie aufrichtig liebende
Nichte Amalie Wolper.
[1] beantw. d. 6 Jan. 40.
III.
×