• August Wilhelm von Schlegel to Georg Andreas Reimer

  • Place of Dispatch: Bonn · Place of Destination: Unknown · Date: 29.12.1838 bis 31.12.1838
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
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  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Georg Andreas Reimer
  • Place of Dispatch: Bonn
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 29.12.1838 bis 31.12.1838
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • Bibliography: Hirzel, Georg: Ungedruckte Briefe an Georg Andreas Reimer. In: Deutsche Revue 18 (Oktober‒Dezember 1893), H. 4, S. 247‒252.
  • Incipit: „Bonn, d. 29.–31. Decemb. 1838.
    Mein hochgeehrter Freund!
    Sie sind gewiß der einzige Buchhändler in Deutschland, der den Shakespeare im Original gründlich genug [...]“
Bonn, d. 29.–31. Decemb. 1838.
Mein hochgeehrter Freund!
Sie sind gewiß der einzige Buchhändler in Deutschland, der den Shakespeare im Original gründlich genug versteht, um schätzbare Varianten zu einer Übersetzung liefern zu können. Ich bedaure, die Ihrigen für jetzt beiseit legen zu müssen, weil meine Rechnung mit dem König Johann bereits abgeschlossen ist.
Ich lade Sie ein, im 2. Bande meiner Indischen Bibliothek pag. 254–258 nachzulesen und zu beherzigen. Die Kunst, worüber ich dort einige leichte Andeutungen hinwarf, habe ich nun seit einem halben Jahrhundert (ganz wörtlich zu verstehen, seit genau gezählten fünfzig Jahren) auf die mannichfaltige Art ausgeübt, und beträchtliche Zeiträume hindurch meinen ganzen Fleiß darauf verwandt.
Ich habe keine Abschrift von meinen Correkturen zurückbehalten und kann deswegen die Vergleichung nicht anstellen. Aber bei einigen ihrer Vorschläge habe ich die Gründe gleich zur Hand, warum ich sie nicht annehmbar finde. „Antwortst – antwort’ geziemend – Verbrecherisch Scheusal“ sind Härten, die ich möglichst vermeide. Glauben Sie mir, ich habe viel über diese Dinge nachgedacht und könnte leicht eine Abhandlung blos über die Elision kurzer Worte und den Gebrauch des Apostrophs schreiben, in welchen Fällen nämlich die Verkürzung dem Wohllaut sogar förderlich, oder erlaubt, oder unzulässig sey.
Alle möglichen Varianten erschöpfend erörtern zu wollen, wäre endlos. Es thäte noth, man hätte eine Goldwage, eine poetische, rhetorische, logische, grammatische, synonymische, metrische Goldwage, um Sylben und Wörter, Ausdrücke und Bilder, Auslassungen und Zusätze, Wortfügungen und Wortstellungen, endlich Verse, Sylbenfüsse, männliche und weibliche Schlüsse der Jamben, Reime und Verstheilungen gegen einander abzuwägen.
Ich habe kein Monopol, jedermann hat das Recht den Shakespeare zu übersetzen.
... Auch corrigiren kann jeder meinen Shakspeare: entweder handschriftlich am Rande seines Exemplars, oder gedruckt, in Beurtheilungen u. s. w. Aber in meine Uebersetzung hinein corrigiren, das darf Niemand ohne meine ausdrückliche Erlaubniß.
Ein großer Dichter, ein geistreicher und liebenswürdiger Mann, mein alter Jugendfreund, kurz Ludwig Tieck, hat sich diese Freiheit genommen. Wie es ausgefallen, mögen unparteiische Kenner prüfen. Wenn ich meine alten Lesearten wieder herstelle, so darf mein Freund sich dadurch nicht gekränkt finden: er kann sich sagen, ich sey nur meinem individuellen Gefühle gefolgt.
Hierin liegt die wichtigste Bedenklichkeit gegen alle fremden Correkturen. „Jeder hat seine eigne Manier, seine Art, die Sprache und den Vers zu brauchen. Änderungen können Fehler und Mißverständnisse tilgen, aber nicht Colorit, Sprache und das Wesen der Arbeit selbst zu bedeutend ändern, wenn nicht zu großer Widerstreit und Ungleichheit in dem Werke selbst entstehen soll.“ So drückt sich Tieck in der Vorrede zum dritten Theile aus, und ich stimme ihm vollkommen bei.
Sehr frühzeitig habe ich hierüber eine Erfahrung gemacht, da ich es unternahm den Sommernachtstraum mit Bürger gemeinschaftlich zu übersetzen. Er besaß gewiß große Gewandtheit in Behandlung der Sprache und Versifikation, hatte aber zugleich eine stark ausgeprägte, oft übertreibende Manier. Ich sah bald ein, daß ich die von ihm ausgearbeiteten Stücke gänzlich bei Seite legen mußte, weil sonst ein schreiender Contrast zwischen seinem und meinem Antheil entstanden wäre.
Demnach wünsche ich, wenn unter der jetzigen Sündflut von Sh.-Uebersetzungen etwas von der meinigen auf die Nachwelt kommen sollte, es möge ganz von meiner eigenen Hand sein, und die Uebersetzung möge den Titel: übersetzt v. Schl. mit vollem Rechte führen.
Jetzt komme ich auf den eigentlichen Zweck dieses Briefes: nämlich einiges in unserer Verabredung näher zu bestimmen, was bei der Kürze Ihres Aufenthaltes nicht gehörig erwogen werden konnte...
Wir wollen dies einzeln durch gehen.
1. Hoffentlich hat Tieck nicht die Absicht, seine beiden Vorreden unverändert wieder abdrucken zu lassen. Er hat selbst schon manches zurücknehmen müssen; namentlich das Versprechen der schleunigen Beendigung und die Ankündigung der von ihm selbst übersetzten Stücke.
In der ersten Vorrede äußert er, zwar in sehr mildernden Ausdrücken, er könne meine Uebersetzung nicht nur verbessern, sondern auch berichtigen, weil er den Sh. sprachlich besser verstehe. – Dies habe ich damals stillschweigend hingehen lassen; wenn Tieck es aber jetzt wiederholte, so müßte ich nachdrücklich protestieren und zwar durch die That, indem ich seine Mißverständnisse nachweise.
2. Ich will gern glauben, daß die Auslassung meines Namens auf dem Titel der einzelnen Stücke unabsichtlich und gewissermaßen zufällig war. Man befolgte bei dem neuen Abdrucke die bisherige Form, ohne zu bedenken, daß nun eine nähere Bezeichnung nötig geworden sey. Diese wird man auch in den Anmerkungen vergeblich suchen. Erst am Schlusse des neunten Bandes, im Epilog sagt mein Freund: „Schlegels Arbeiten sind bekannt.“ – Und ich sage: Nichts weniger! ganz unbekannt sind sie heut zu Tage. Das ältere Publicum hat sie vergessen und das jüngere noch nicht kennen gelernt. Wenn nun mein unvollständiger Sh. nicht wieder gedruckt wird, wie soll ein künftiger Antiquar unserer Litteratur meinen Antheil ausmitteln? Doch ja! durch Subtraction wäre es möglich. Die von den beiden Mitarbeitern gelieferten Stücke werden am Schlusse des Epilogs aufgezählt. Man darf also nur die Tabelle der stämmtlichen 36 Stücke anfertigen, und die Buchstaben Gr(af) B(audissin) oder D(orothea) T(ieck) beifügen, wo sie hingehören. Der Rest ist = Schlegel.
... 3. Sie legen in Ihrer Ankündigung ein großes Gewicht auf T–’s Anmerkungen und sind auch als Verleger berechtigt es zu thun. Allein ich kann Ihnen nicht beistimmen. Mich dünkt, man dürfe von einem Manne wie Tieck etwas weit bedeutenderes erwarten. Ich finde das allgemeine unbefriedigend, und das einzelne großentheils unzweckmäßig.
Ich bin wohl berechtigt, hier mitzusprechen. Auch ich habe über den großen Dichter geschrieben, und zwar mit dem glänzendsten Erfolge. Das litterarische Europa weiß es von Cadiz bis Edinburg, Stockholm und Sct. Petersburg. Jenseits des Atlantischen Meeres weiß man es auch; die Englische Uebersetzung meines Buches über dramatische Kunst und Litteratur ist in Nord-Amerika viermal nachgedruckt worden. Und mein Freund Tieck scheint nichts davon zu wissen. – Als das Buch nach dem Frieden erst in den höheren Kreisen durch die Französische Uebersetzung, dann allgemein durch die Englische in dem Vaterlande des Dichters bekannt geworden war, schrieb mir mein verewigter Freund Sir James Mackintosh: If reputation in this country be agreeable to you, I may congratulate you ou having fairly earned it, without the help of artifice or cabal. I know no book so generally read and followed or opposed, as your Lectures ou Dramatic Poetry. You are become our National Critic. –
Ich glaube allerdings, daß gute erläuternde Anmerkungen und besonders Einleitungen, eine sehr ersprießliche Begleitung des Deutschen Sh. seyn würden. Der gemeine Leser, der über hundert halb oder gar nicht verstandene Stellen gedankenlos hinweg liest, würde dadurch aus seiner Dumpfheit geweckt. Der denkende Leser erkennt die Schwierigkeiten, und wenn er den nackten Text vor sich hat, sieht er sich vergeblich nach Hülfe um.
Doch einen solchen Commentar zu schreiben, fühle ich mich nicht berufen; mir war es einzig darum zu thun, den Dichter in seiner wahren Gestalt aufzustellen. Auch war ich nicht gehörig mit Hilfsmitteln ausgerüstet. Ich hatte keine Shakespeare-Bibliothek, wie Eschenburg sie besaß; die Anschaffung einer solchen hätte leicht das doppelte und dreifache des Honorars für die Übersetzung verschlungen, wiewohl die Masse der dahin gehörigen Bücher bei weitem noch nicht so angewachsen war, wie jetzt nach vierzig Jahren.
Concepte aus den Englischen Ausgaben cum notis variorum, wie sie Eschenburg giebt, wären leicht zu machen, aber damit wäre wenig ausgerichtet, Der Deutsche Leser hat ganz andre Bedürfnisse als der Englische. Freilich, wer erklären will, muß sich der Herablassung nicht schämen. Z. B. bei den historischen Stücken wären Erinnerungen über die Aussprache der Englischen Namen sehr nützlich: sonst wird der unkundige Vorleser oder Schauspieler manche Verse verderben. Für den, der Gaunt nach der Deutschen Gattung der Buchstaben ausspricht, sind die Wortspiele mit seinem Namen verloren. Die Aussprache schwankte in Sh.’s Zeit. Worcester soll meistens Wûster lauten; doch gebraucht er es nach Bequemlichkeit auch dreisylbig. Doch dieß sind Kleinigkeiten. Ich begehre zu denselben Stücken chronologische, biographische und geographische Anmerkungen. Ich will es nur gestehen: so vertraut ich mit Richard II. war, so bin ich doch bei dieser Durchsicht erst zu einer deutlichen Vorstellung von Bolingbroke’s Zuge gelangt, und dieß ist doch für das Verständnis der Handlung wesentlich.
... Sh. ist voller Dunkelheiten. Einige sind wo nicht absichtlich, doch ursprünglich und zum Theil charakteristisch: sie entstehen aus der gedrängten Kürze, den kühnen Licenzen, dem raschen Uebergange von einer Metapher zur andern. Andre Dunkelheiten sind im Verlaufe der Zeit zufällig entstanden, vornämlich durch den veränderten Sprachgebrauch. Hier darf der Uebersetzer, jedoch ohne Abschwächung oder Pharaphrase, gelinde zur Deutlichkeit einlenken, und gewissermaßen ein praktischer Commentator werden.
Was ist der Zweck einer dichterischen Nachbildung? Ich denke, denen, für die das Original unzugänglich ist, dessen Genuß so rein und ungestört wie möglich zu verschaffen. Folglich muß der Uebersetzer die Schwierigkeiten, die er im Texte beseitigt hat, nicht von neuem in Noten vorbringen. Wozu sollen dem unbefangenen Freunde der Poesie die Mühseligkeiten der Wortkritik, Varianten, Conjecturen, Emendationen? Die wenigen gelehrten Leser, die eine Vergleichung anstellen können, werden auf den ersten Blick sehen, welche Leseart der Uebersetzer befolgt hat.
Also nur Sacherklärungen für den gebildeten aber nicht gelehrten Leser, entweder unter dem Text, oder mit einer Nachweisung am Schlusse des Schauspiels. Wer wird sie im dritten Bande suchen? Ein weit wichtigeres Bedürfniß würde durch Einleitungen befriedigt werden, in der Art wie ich eine zu Romeo und Julia versucht habe. Bei jedem Schauspiel Sh.’s sieht man sich in eine fremde Welt versetzt, wo man erst einheimisch werden muß. Nichts kann die tiefsinnige Kunst des Dichters und die schöpferische Kraft seines Genius in ein helleres Licht setzen, als wenn man den Stoff seiner Dichtungen, sey es nun wahre oder apokryphische Geschichte, Novelle, Feen- oder Zaubermärchen, Volkssage u. s. w. mit dem zu vergleichen, was dieser poetische Alchymist daraus gemacht hat. Steevens und Malone haben mit großem Fleiß den Quellen Sh.’s nachgespürt, und viel unbekanntes ans Licht gezogen. Hier müßte man meines Erachtens das Papier nicht sparen, und z.B. bei den Stücken aus der englischen Geschichte ganze Stellen aus dem Holinshed wörtlich übersetzt oder im Auszuge geben. Zuweilen ist die Quelle bekannt, wie bei den Römischen Stücken; aber wenige Leser werden wohl den Plutarch so gut im Gedächtnisse haben, daß ihnen gleich bei Winke des Biographen beifallen, die Sh. für seine Charakteristik benutzt oder entwickelt hat. Manchmal möchte es eben so anziehend als belehrend seyn, nicht bei der nächsten Quelle stehen zu bleiben, sondern bis auf die entfernteste zurückzugehen; z.B. beim König Lear. Welches ist denn die erste Quelle dieser apokryphischen Geschichten? Fragen Sie einmal herum, ob viele Leser die Antwort darauf zu geben wissen.
Dergleichen Untersuchungen stehen in der Mitte zwischen Wortkritik, und der künstlerischen Beurteilung der Werke im ganzen; sie können die letzte allerdings vorbereiten helfen.
Ludwig Tieck ist ein Geistesverwandter Sh.’s. Ich bin gewiß, der große Meister hätte seinen Fortunat bewundert, wenn er ihn hätte lesen können. Tiecks Dichterleben ist eine unvergleichliche Darstellung: es sind Porträte, aus der Idee gemalt, aber von einer so individuellen Wahrheit, daß man schwören sollte, die Personen hätten ihm dazu gesessen.
Wer würde nicht gern unsern Lieblingsdichter den großen Genius in seiner Werkstätte belauschen sehen? Wer möchte ihn nicht über die tiefsinnige Anlage reden hören, über die schöne Gliederung des Ganzen und das Verhältniß der Theile, über den raschen Wechsel der Scenen, über die theatralische Perspective, über die Gruppirung der Charaktere, endlich über die Bewirkung eines großen Gesammteindrucks, der aus allen noch so grellen Contrasten hervorgeht? – Aber hierüber hat Tieck nur ausnahmsweise und bei wenigen Stücken etwas gesagt. Dagegen hat er sich ganz in die philologische Kritik geworfen, und zwar in die speciellste Art, die Wortkritik: seine Anmerkungen handeln allermeist von Lesearten, Varianten, verwerflichen Emendationen, von neuen und alten Ausgaben, Quarto’s und Folio, u. s. w. Wenn nun diese Anmerkungen noch so vortrefflich wären, so frage ich doch: Für wen sind sie bestimmt? Unter hundert Lesern des deutschen Sh. verstehen kaum zehn etwas Englisch; unter den Zehnen wird man kaum Einen finden, der den Sh. gründlich versteht. Und auch dieser Eine kann die Noten nicht benutzen, ohne das Original zu vergleichen; und zwar nicht einen compacten Reise-Shakspeare, sondern eine von jenen bändereichen theuern Ausgaben, worin dergleichen ausführlich erörtert wird. Wie viele Deutsche Leser sind mit allen diesen Kenntnissen und Mitteln ausgestattet?
... Und wozu nun die unaufhörlich wegwerfende Polemik gegen die Editoren für Deutsche Leser, denen sie ganz unbekannt sind? Niemand denkt daran, diese Leute als Kunstrichter zu seinen Führern zu wählen: das ist eine längst abgethane Sache, auch in England; und dort noch mehr seit Erscheinung meiner Charakteristik Sh.’s. Dennoch möchte ich einem Pope oder Johnson den Namen Kunstrichter nicht so ganz absprechen; besonders Johnson’s Lebensbeschreibungen Englischer Dichter enthalten viele scharfsinnige Bemerkungen und treffende Urtheile. Nur Sh. war ihnen manchmal zu hoch und zu tief, wie eine irrationale Gleichung dem, der nur die gewöhnliche Rechenkunst gelernt hat. Aber die neueren Herausgeber: Steevens, Malone und Reed traten gar nicht als Kunstrichter auf. Ihr Geschäft ist die Wortkritik und die Auslegung. Und eben in dieser Beziehung findet sie Tieck ganz verwerflich. Ich hingegen fühle mich diesen wackern Männern, und so vielen andern, die ihnen Beiträge dazu geliefert haben, zu großem Dank verpflichtet; denn ich habe viel von ihnen gelernt, was ich auf keine andre Weise hätte lernen können. Sie haben mit unermüdlichem Fleiß aus gleichzeitigen oder älteren Schriften hervorgesucht, was irgend zur Aufklärung dienen konnte.
Tieck erklärt alle bisherigen Angaben Sh.’s, die seit einem Jahrhundert erschienen sind, für schlecht, und sagt, es sey endlich Zeit, aus der Verderbniß den ächten Text wieder herzustellen. Ich wäre neugierig, diesen ächten Text zu sehen. Er behauptet mit Zuversicht, er verstehe die Englische Sprache weit besser, als alle jene gelehrten Engländer. Nun, wenn er dieses auf einem öffentlichen Kampfplatze, ich meyne, durch eine Englisch abgefaßte, und in England gedruckte Schrift durchfechten kann, so wünsche ich ihm Glück dazu.
... Bei den unter Tiecks Leitung übersetzten Stücken muß er völlig freie Hand behalten. Von den Uebersetzungen habe ich nur weniges theilweise gelesen: ich glaube, daß sie sehr verdienstlich sind. Die Anmerkungen dazu habe ich bei weitem nicht alle geprüft, aber gegen einige hege ich starke Zweifel.
Dies war es ungefähr, mein verehrter Freund, was ich über die Einrichtung Ihrer neuen Ausgabe zu erinnern hatte. Leben Sie recht wohl.
Bonn, d. 29.–31. Decemb. 1838.
Mein hochgeehrter Freund!
Sie sind gewiß der einzige Buchhändler in Deutschland, der den Shakespeare im Original gründlich genug versteht, um schätzbare Varianten zu einer Übersetzung liefern zu können. Ich bedaure, die Ihrigen für jetzt beiseit legen zu müssen, weil meine Rechnung mit dem König Johann bereits abgeschlossen ist.
Ich lade Sie ein, im 2. Bande meiner Indischen Bibliothek pag. 254–258 nachzulesen und zu beherzigen. Die Kunst, worüber ich dort einige leichte Andeutungen hinwarf, habe ich nun seit einem halben Jahrhundert (ganz wörtlich zu verstehen, seit genau gezählten fünfzig Jahren) auf die mannichfaltige Art ausgeübt, und beträchtliche Zeiträume hindurch meinen ganzen Fleiß darauf verwandt.
Ich habe keine Abschrift von meinen Correkturen zurückbehalten und kann deswegen die Vergleichung nicht anstellen. Aber bei einigen ihrer Vorschläge habe ich die Gründe gleich zur Hand, warum ich sie nicht annehmbar finde. „Antwortst – antwort’ geziemend – Verbrecherisch Scheusal“ sind Härten, die ich möglichst vermeide. Glauben Sie mir, ich habe viel über diese Dinge nachgedacht und könnte leicht eine Abhandlung blos über die Elision kurzer Worte und den Gebrauch des Apostrophs schreiben, in welchen Fällen nämlich die Verkürzung dem Wohllaut sogar förderlich, oder erlaubt, oder unzulässig sey.
Alle möglichen Varianten erschöpfend erörtern zu wollen, wäre endlos. Es thäte noth, man hätte eine Goldwage, eine poetische, rhetorische, logische, grammatische, synonymische, metrische Goldwage, um Sylben und Wörter, Ausdrücke und Bilder, Auslassungen und Zusätze, Wortfügungen und Wortstellungen, endlich Verse, Sylbenfüsse, männliche und weibliche Schlüsse der Jamben, Reime und Verstheilungen gegen einander abzuwägen.
Ich habe kein Monopol, jedermann hat das Recht den Shakespeare zu übersetzen.
... Auch corrigiren kann jeder meinen Shakspeare: entweder handschriftlich am Rande seines Exemplars, oder gedruckt, in Beurtheilungen u. s. w. Aber in meine Uebersetzung hinein corrigiren, das darf Niemand ohne meine ausdrückliche Erlaubniß.
Ein großer Dichter, ein geistreicher und liebenswürdiger Mann, mein alter Jugendfreund, kurz Ludwig Tieck, hat sich diese Freiheit genommen. Wie es ausgefallen, mögen unparteiische Kenner prüfen. Wenn ich meine alten Lesearten wieder herstelle, so darf mein Freund sich dadurch nicht gekränkt finden: er kann sich sagen, ich sey nur meinem individuellen Gefühle gefolgt.
Hierin liegt die wichtigste Bedenklichkeit gegen alle fremden Correkturen. „Jeder hat seine eigne Manier, seine Art, die Sprache und den Vers zu brauchen. Änderungen können Fehler und Mißverständnisse tilgen, aber nicht Colorit, Sprache und das Wesen der Arbeit selbst zu bedeutend ändern, wenn nicht zu großer Widerstreit und Ungleichheit in dem Werke selbst entstehen soll.“ So drückt sich Tieck in der Vorrede zum dritten Theile aus, und ich stimme ihm vollkommen bei.
Sehr frühzeitig habe ich hierüber eine Erfahrung gemacht, da ich es unternahm den Sommernachtstraum mit Bürger gemeinschaftlich zu übersetzen. Er besaß gewiß große Gewandtheit in Behandlung der Sprache und Versifikation, hatte aber zugleich eine stark ausgeprägte, oft übertreibende Manier. Ich sah bald ein, daß ich die von ihm ausgearbeiteten Stücke gänzlich bei Seite legen mußte, weil sonst ein schreiender Contrast zwischen seinem und meinem Antheil entstanden wäre.
Demnach wünsche ich, wenn unter der jetzigen Sündflut von Sh.-Uebersetzungen etwas von der meinigen auf die Nachwelt kommen sollte, es möge ganz von meiner eigenen Hand sein, und die Uebersetzung möge den Titel: übersetzt v. Schl. mit vollem Rechte führen.
Jetzt komme ich auf den eigentlichen Zweck dieses Briefes: nämlich einiges in unserer Verabredung näher zu bestimmen, was bei der Kürze Ihres Aufenthaltes nicht gehörig erwogen werden konnte...
Wir wollen dies einzeln durch gehen.
1. Hoffentlich hat Tieck nicht die Absicht, seine beiden Vorreden unverändert wieder abdrucken zu lassen. Er hat selbst schon manches zurücknehmen müssen; namentlich das Versprechen der schleunigen Beendigung und die Ankündigung der von ihm selbst übersetzten Stücke.
In der ersten Vorrede äußert er, zwar in sehr mildernden Ausdrücken, er könne meine Uebersetzung nicht nur verbessern, sondern auch berichtigen, weil er den Sh. sprachlich besser verstehe. – Dies habe ich damals stillschweigend hingehen lassen; wenn Tieck es aber jetzt wiederholte, so müßte ich nachdrücklich protestieren und zwar durch die That, indem ich seine Mißverständnisse nachweise.
2. Ich will gern glauben, daß die Auslassung meines Namens auf dem Titel der einzelnen Stücke unabsichtlich und gewissermaßen zufällig war. Man befolgte bei dem neuen Abdrucke die bisherige Form, ohne zu bedenken, daß nun eine nähere Bezeichnung nötig geworden sey. Diese wird man auch in den Anmerkungen vergeblich suchen. Erst am Schlusse des neunten Bandes, im Epilog sagt mein Freund: „Schlegels Arbeiten sind bekannt.“ – Und ich sage: Nichts weniger! ganz unbekannt sind sie heut zu Tage. Das ältere Publicum hat sie vergessen und das jüngere noch nicht kennen gelernt. Wenn nun mein unvollständiger Sh. nicht wieder gedruckt wird, wie soll ein künftiger Antiquar unserer Litteratur meinen Antheil ausmitteln? Doch ja! durch Subtraction wäre es möglich. Die von den beiden Mitarbeitern gelieferten Stücke werden am Schlusse des Epilogs aufgezählt. Man darf also nur die Tabelle der stämmtlichen 36 Stücke anfertigen, und die Buchstaben Gr(af) B(audissin) oder D(orothea) T(ieck) beifügen, wo sie hingehören. Der Rest ist = Schlegel.
... 3. Sie legen in Ihrer Ankündigung ein großes Gewicht auf T–’s Anmerkungen und sind auch als Verleger berechtigt es zu thun. Allein ich kann Ihnen nicht beistimmen. Mich dünkt, man dürfe von einem Manne wie Tieck etwas weit bedeutenderes erwarten. Ich finde das allgemeine unbefriedigend, und das einzelne großentheils unzweckmäßig.
Ich bin wohl berechtigt, hier mitzusprechen. Auch ich habe über den großen Dichter geschrieben, und zwar mit dem glänzendsten Erfolge. Das litterarische Europa weiß es von Cadiz bis Edinburg, Stockholm und Sct. Petersburg. Jenseits des Atlantischen Meeres weiß man es auch; die Englische Uebersetzung meines Buches über dramatische Kunst und Litteratur ist in Nord-Amerika viermal nachgedruckt worden. Und mein Freund Tieck scheint nichts davon zu wissen. – Als das Buch nach dem Frieden erst in den höheren Kreisen durch die Französische Uebersetzung, dann allgemein durch die Englische in dem Vaterlande des Dichters bekannt geworden war, schrieb mir mein verewigter Freund Sir James Mackintosh: If reputation in this country be agreeable to you, I may congratulate you ou having fairly earned it, without the help of artifice or cabal. I know no book so generally read and followed or opposed, as your Lectures ou Dramatic Poetry. You are become our National Critic. –
Ich glaube allerdings, daß gute erläuternde Anmerkungen und besonders Einleitungen, eine sehr ersprießliche Begleitung des Deutschen Sh. seyn würden. Der gemeine Leser, der über hundert halb oder gar nicht verstandene Stellen gedankenlos hinweg liest, würde dadurch aus seiner Dumpfheit geweckt. Der denkende Leser erkennt die Schwierigkeiten, und wenn er den nackten Text vor sich hat, sieht er sich vergeblich nach Hülfe um.
Doch einen solchen Commentar zu schreiben, fühle ich mich nicht berufen; mir war es einzig darum zu thun, den Dichter in seiner wahren Gestalt aufzustellen. Auch war ich nicht gehörig mit Hilfsmitteln ausgerüstet. Ich hatte keine Shakespeare-Bibliothek, wie Eschenburg sie besaß; die Anschaffung einer solchen hätte leicht das doppelte und dreifache des Honorars für die Übersetzung verschlungen, wiewohl die Masse der dahin gehörigen Bücher bei weitem noch nicht so angewachsen war, wie jetzt nach vierzig Jahren.
Concepte aus den Englischen Ausgaben cum notis variorum, wie sie Eschenburg giebt, wären leicht zu machen, aber damit wäre wenig ausgerichtet, Der Deutsche Leser hat ganz andre Bedürfnisse als der Englische. Freilich, wer erklären will, muß sich der Herablassung nicht schämen. Z. B. bei den historischen Stücken wären Erinnerungen über die Aussprache der Englischen Namen sehr nützlich: sonst wird der unkundige Vorleser oder Schauspieler manche Verse verderben. Für den, der Gaunt nach der Deutschen Gattung der Buchstaben ausspricht, sind die Wortspiele mit seinem Namen verloren. Die Aussprache schwankte in Sh.’s Zeit. Worcester soll meistens Wûster lauten; doch gebraucht er es nach Bequemlichkeit auch dreisylbig. Doch dieß sind Kleinigkeiten. Ich begehre zu denselben Stücken chronologische, biographische und geographische Anmerkungen. Ich will es nur gestehen: so vertraut ich mit Richard II. war, so bin ich doch bei dieser Durchsicht erst zu einer deutlichen Vorstellung von Bolingbroke’s Zuge gelangt, und dieß ist doch für das Verständnis der Handlung wesentlich.
... Sh. ist voller Dunkelheiten. Einige sind wo nicht absichtlich, doch ursprünglich und zum Theil charakteristisch: sie entstehen aus der gedrängten Kürze, den kühnen Licenzen, dem raschen Uebergange von einer Metapher zur andern. Andre Dunkelheiten sind im Verlaufe der Zeit zufällig entstanden, vornämlich durch den veränderten Sprachgebrauch. Hier darf der Uebersetzer, jedoch ohne Abschwächung oder Pharaphrase, gelinde zur Deutlichkeit einlenken, und gewissermaßen ein praktischer Commentator werden.
Was ist der Zweck einer dichterischen Nachbildung? Ich denke, denen, für die das Original unzugänglich ist, dessen Genuß so rein und ungestört wie möglich zu verschaffen. Folglich muß der Uebersetzer die Schwierigkeiten, die er im Texte beseitigt hat, nicht von neuem in Noten vorbringen. Wozu sollen dem unbefangenen Freunde der Poesie die Mühseligkeiten der Wortkritik, Varianten, Conjecturen, Emendationen? Die wenigen gelehrten Leser, die eine Vergleichung anstellen können, werden auf den ersten Blick sehen, welche Leseart der Uebersetzer befolgt hat.
Also nur Sacherklärungen für den gebildeten aber nicht gelehrten Leser, entweder unter dem Text, oder mit einer Nachweisung am Schlusse des Schauspiels. Wer wird sie im dritten Bande suchen? Ein weit wichtigeres Bedürfniß würde durch Einleitungen befriedigt werden, in der Art wie ich eine zu Romeo und Julia versucht habe. Bei jedem Schauspiel Sh.’s sieht man sich in eine fremde Welt versetzt, wo man erst einheimisch werden muß. Nichts kann die tiefsinnige Kunst des Dichters und die schöpferische Kraft seines Genius in ein helleres Licht setzen, als wenn man den Stoff seiner Dichtungen, sey es nun wahre oder apokryphische Geschichte, Novelle, Feen- oder Zaubermärchen, Volkssage u. s. w. mit dem zu vergleichen, was dieser poetische Alchymist daraus gemacht hat. Steevens und Malone haben mit großem Fleiß den Quellen Sh.’s nachgespürt, und viel unbekanntes ans Licht gezogen. Hier müßte man meines Erachtens das Papier nicht sparen, und z.B. bei den Stücken aus der englischen Geschichte ganze Stellen aus dem Holinshed wörtlich übersetzt oder im Auszuge geben. Zuweilen ist die Quelle bekannt, wie bei den Römischen Stücken; aber wenige Leser werden wohl den Plutarch so gut im Gedächtnisse haben, daß ihnen gleich bei Winke des Biographen beifallen, die Sh. für seine Charakteristik benutzt oder entwickelt hat. Manchmal möchte es eben so anziehend als belehrend seyn, nicht bei der nächsten Quelle stehen zu bleiben, sondern bis auf die entfernteste zurückzugehen; z.B. beim König Lear. Welches ist denn die erste Quelle dieser apokryphischen Geschichten? Fragen Sie einmal herum, ob viele Leser die Antwort darauf zu geben wissen.
Dergleichen Untersuchungen stehen in der Mitte zwischen Wortkritik, und der künstlerischen Beurteilung der Werke im ganzen; sie können die letzte allerdings vorbereiten helfen.
Ludwig Tieck ist ein Geistesverwandter Sh.’s. Ich bin gewiß, der große Meister hätte seinen Fortunat bewundert, wenn er ihn hätte lesen können. Tiecks Dichterleben ist eine unvergleichliche Darstellung: es sind Porträte, aus der Idee gemalt, aber von einer so individuellen Wahrheit, daß man schwören sollte, die Personen hätten ihm dazu gesessen.
Wer würde nicht gern unsern Lieblingsdichter den großen Genius in seiner Werkstätte belauschen sehen? Wer möchte ihn nicht über die tiefsinnige Anlage reden hören, über die schöne Gliederung des Ganzen und das Verhältniß der Theile, über den raschen Wechsel der Scenen, über die theatralische Perspective, über die Gruppirung der Charaktere, endlich über die Bewirkung eines großen Gesammteindrucks, der aus allen noch so grellen Contrasten hervorgeht? – Aber hierüber hat Tieck nur ausnahmsweise und bei wenigen Stücken etwas gesagt. Dagegen hat er sich ganz in die philologische Kritik geworfen, und zwar in die speciellste Art, die Wortkritik: seine Anmerkungen handeln allermeist von Lesearten, Varianten, verwerflichen Emendationen, von neuen und alten Ausgaben, Quarto’s und Folio, u. s. w. Wenn nun diese Anmerkungen noch so vortrefflich wären, so frage ich doch: Für wen sind sie bestimmt? Unter hundert Lesern des deutschen Sh. verstehen kaum zehn etwas Englisch; unter den Zehnen wird man kaum Einen finden, der den Sh. gründlich versteht. Und auch dieser Eine kann die Noten nicht benutzen, ohne das Original zu vergleichen; und zwar nicht einen compacten Reise-Shakspeare, sondern eine von jenen bändereichen theuern Ausgaben, worin dergleichen ausführlich erörtert wird. Wie viele Deutsche Leser sind mit allen diesen Kenntnissen und Mitteln ausgestattet?
... Und wozu nun die unaufhörlich wegwerfende Polemik gegen die Editoren für Deutsche Leser, denen sie ganz unbekannt sind? Niemand denkt daran, diese Leute als Kunstrichter zu seinen Führern zu wählen: das ist eine längst abgethane Sache, auch in England; und dort noch mehr seit Erscheinung meiner Charakteristik Sh.’s. Dennoch möchte ich einem Pope oder Johnson den Namen Kunstrichter nicht so ganz absprechen; besonders Johnson’s Lebensbeschreibungen Englischer Dichter enthalten viele scharfsinnige Bemerkungen und treffende Urtheile. Nur Sh. war ihnen manchmal zu hoch und zu tief, wie eine irrationale Gleichung dem, der nur die gewöhnliche Rechenkunst gelernt hat. Aber die neueren Herausgeber: Steevens, Malone und Reed traten gar nicht als Kunstrichter auf. Ihr Geschäft ist die Wortkritik und die Auslegung. Und eben in dieser Beziehung findet sie Tieck ganz verwerflich. Ich hingegen fühle mich diesen wackern Männern, und so vielen andern, die ihnen Beiträge dazu geliefert haben, zu großem Dank verpflichtet; denn ich habe viel von ihnen gelernt, was ich auf keine andre Weise hätte lernen können. Sie haben mit unermüdlichem Fleiß aus gleichzeitigen oder älteren Schriften hervorgesucht, was irgend zur Aufklärung dienen konnte.
Tieck erklärt alle bisherigen Angaben Sh.’s, die seit einem Jahrhundert erschienen sind, für schlecht, und sagt, es sey endlich Zeit, aus der Verderbniß den ächten Text wieder herzustellen. Ich wäre neugierig, diesen ächten Text zu sehen. Er behauptet mit Zuversicht, er verstehe die Englische Sprache weit besser, als alle jene gelehrten Engländer. Nun, wenn er dieses auf einem öffentlichen Kampfplatze, ich meyne, durch eine Englisch abgefaßte, und in England gedruckte Schrift durchfechten kann, so wünsche ich ihm Glück dazu.
... Bei den unter Tiecks Leitung übersetzten Stücken muß er völlig freie Hand behalten. Von den Uebersetzungen habe ich nur weniges theilweise gelesen: ich glaube, daß sie sehr verdienstlich sind. Die Anmerkungen dazu habe ich bei weitem nicht alle geprüft, aber gegen einige hege ich starke Zweifel.
Dies war es ungefähr, mein verehrter Freund, was ich über die Einrichtung Ihrer neuen Ausgabe zu erinnern hatte. Leben Sie recht wohl.
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