• August Wilhelm von Schlegel to Caroline de La Motte-Fouqué

  • Place of Dispatch: Genf · Place of Destination: Nennhausen · Date: November 1804 und 1. März 1806
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
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  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Caroline de La Motte-Fouqué
  • Place of Dispatch: Genf
  • Place of Destination: Nennhausen
  • Date: November 1804 und 1. März 1806
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam
  • Classification Number: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Rep. 37 Gut Jahnsfelde Nr. 160
  • Number of Pages: 23 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Incipit: „[1] Genf d. Nov. 4
    sage 1804
    Werden Sie mir verzeihen wollen, meine liebenswürdige Freundin, wenn ich mich erst jetzt zu Ende [...]“
  • Editors: Bamberg, Claudia · Varwig, Olivia
[1] Genf d. Nov. 4
sage 1804
Werden Sie mir verzeihen wollen, meine liebenswürdige Freundin, wenn ich mich erst jetzt zu Ende des Herbstes entschuldige, daß ich zu Anfange des Frühlings ausgeblieben bin? Darüber bin ich wohl gerechtfertigt, daß ich Ihnen nicht im Augenblicke meiner plötzlichen Abreise bezeugen konnte, wie leid es mir that den schönen Plan zu einem ruhigen Aufenthalt in Ihrem gastfreundlichen Nennhausen aufgeben zu müssen; ich hatte nur einen Nachmittag und eine Nacht Zeit um alle meine Geschäfte in Berlin in Ordnung zu bringen u habe selbst den nächsten Freunden nicht Lebewohl gesagt. Seitdem sind freylich viele Monate verflossen, aber die Versäumniß ist eigentlich nur dadurch verursacht, daß ich mir zu oft vorgenommen zu schreiben und meinen Brief gern recht unterhaltend habe machen wollen. In Weimar blieb ich zehn Tage u sah während derselben meine dortigen Freunde, Goethe u den Bildhauer Tieck häufig. Doch eilte ich einem andern Lande u einer [2] neuen Lebensweise entgegen, u wollte Ihnen gern etwas näheres hierüber melden. Franken u Schwaben habe ich nachher schnell durchreist, nur in Würzburg u Ulm sind wir einen halben Tag geblieben. Im Ganzen ging mein Weg dem Frühlinge u den schöneren Gegende[n] entgegen, durch Schaffhausen trat ich in die Schweiz ein, sah den Rheinfall, machte dann von Zürich aus einen Umweg über Luzern u eine Fahrt auf dem Luzerner See, alsdann lenkte ich auf Bern ein, u so von Lausanne an längs dem Genfer See nach Coppet. Dieß ist ein geräumiges stattliches Schloß, ein Landsmann von Ihnen ein Graf zu Dohna hat es zu Anfang des vorigen Jahrhunderts erbaut, u der berühmte Bayle hat nachher als Hauslehrer darin gewohnt, aber – worin ich ihn nicht nachahmen können, über Langeweile geklagt: vermuthlich war dieser eben nicht idyllische Gelehrte, wenig für schöne Natur empfänglich, u die Ausbeute aus dem Städtchen Coppet, an literarischen Anekdoten daß nur zu dicht unter dem Schlosse liegt, mochte nicht die ergiebigste seyn. Für sein Wörterbuch hat er dort wohl wenig gesammelt. – Aus meinem [3] Zimmer, ja aus meinem Bett beym Erwachen genoß ich die Aussicht auf den See, die fast immer, wenn das Wetter nicht ganz trübe ist, einen großen Reichthum darbietet, besonders aber durch das mannichfaltige Spiel der Farben an den Bergen gegenüber u auf dem lieblichen Wasserspiegel, fast zu jeder Tageszeit anders u unter wechselnden Beleuchtungen, bey Sonnen oder Mondenschein, unter einem heitern oder wolkigen Himmel, im Morgenduft oder im Widerschein der Abendröthe, beym Gewitter, bey Windstille oder bewegten Wellen, oft bis zur Überraschung neu erscheint. An den Schloßhof stößt ein Park der zwar nicht mit so sinnreichem Fleiße angebaut ist wie der in Nennhausen, aber desto mehr von der Natur begünstigt: ein frischer reißender Bach schlingt sich unter dem Schatten alter Bäume hin[durch], einige kleine Anhöhen gewähren Ausblicke in die Ferne, u hinter einer durchgehauenen Öffnung, die gerade auf das Schloß stößt, erblickt man den Jura. Den Montblanc gegenüber sieht man vom Balcon des Schlosses nicht, aber höher an den Hügeln hinaus [4] die dahinter liegen. Wir kamen einen Monat nachdem ich Berlin verlassen hatte, in Coppet an, u blieben drittehalb Monate bis Ende Augusts dort, dann gingen wir nach Genf u brachten bis Ende Octobers in der Stadt zu. Von hieraus wollte ich Ihnen nicht schreiben, weil ich nicht so poetisch datiren konnte wie in Coppet: zwischen dem Jura u Montblanc; denn zwischen Saleve u Jura, die ich hier aus meinem Fenster sehe, das klingt doch lange nicht so gut. Bey der Rückkehr aufs Land bis in die Mitte Novembers bin ich durch eine angenehme Zerstreuung abgehalten worden Briefe zu schreiben, u Sie erhalten diesen doch von dem prosaischen Genf aus, das ich die Hauptstadt der Nützlichkeit u die Burgveste der Eingeschränktheit nennen möchte, u wo einem Rousseauʼs emphatisches citoyen de Genève sehr lächerlich vorkommt, besonders wenn man sich erinnert daß er in den unteren schmutzigen Gassen der Stadt gebohren worden, wo die gemeinen Bürgerclassen wohnen. Die Lage zwischen dem See u der Savoyischen [5] Landschaft ist die anmuthigste die sich denken läßt, allein man sieht deutlich daß dieses gewerbsame Volk nie daran gedacht, sie zum Genuß u zur Erhebung des Gemüths zu verwenden. Der See, wo er in die Stadt eintritt, ist von garstigen Hütten umgeben, u zerlappte Hemden sind häufig daran ausgehängt; den herrlichen Rhonefluß nehmen, so wie er mit seinen dunkelblauen Wellen u einer Klarheit ohne Gleichen daraus hervorstürzt, nehmen alte Waschweiber in Beschlag. Das einzige öffentliche Denkmal ist eine kolossale Büste von Rousseau, die wie der Kopf eines Faunen aussieht, u ungeschickter Weise auf eine viereckige Säule gestellt ist. So gehn sie mit ihren großen Männern um: im Leben verfolgt u nach dem Tode dergestalt abgebildet! Die Städte in der Deutschen Schweiz haben mir unendlich viel besser gefallen, das Ehrenfeste Zürich, das stattliche Bern, u besonders das stille beynah klösterliche Lucern, an seinem von hohen Alpen eingefaßten See. Dort herum sind auch die Trachten der Bäuerinnen, unter allen die ich gesehen, am meisten mahlerisch, überhaupt alles sauber verziert, u die [6] Gegend wie ein Garten angebaut. In die kleinen Cantone habe ich nur hinaus geblickt, kaum den Fuß gesetzt, nämlich bey Küßnacht, wo ich zu Tells Kappelle gewandert, u dann von einer Anhöhe den Zuger See u die Glarner Alpen betrachtet. Ich will Ihnen doch die Aufschrift der Kapelle genau wie sie geschrieben steht hersetzen; ich weiß nicht ob schon ein andrer Reisender ihr poetisches Verdienst wie ich erkannt, u es der Mühe werth gefunden sie aufzuzeichnen. Unter einem schlecht gemahlten Bilde von Tells Leben u Thaten steht auf der einen Seite:
Hier Ist Grisslers Hochmuoth vom Thäll erschossen
Und Die Schweitzer Edle Freyheith entsprossen.
u auf der andern:
Wie Lang Wird Aber Solche währen?
Noch Lang, Wan Wir Die alte währen.
Damit ich nichts von meinen Reisen vergesse, so bin ich auch noch auf dem Gipfel des Jura gewesen, auf einem Berge welcher die Dole heißt, von dessen Zinnen man wie Moses vom Nebo zwey Länder vor sich hat, auf den hinter dem Jura Frank[7]reich, daß sich hier ziemlich unansehnlich ausnimmt, vor ihm den See, seitwärts andre Schweizergegenden, u jenseits dem See die ganze Kette der Savoyischen Schneegebirge; dann brachte ich einige Tage in Lausanne zu u fuhr von da auf dem See nach Vevey; endlich bin ich auch zum Montblanc von hieraus gereist, das heist ich bin am Fuße desselben im Thal von Chamouny, auf dem Montanvert u an seinem Eismeer herumgekrochen. Was ich noch sonst in der Schweiz zu sehen habe, bleibt dem künftigen Sommer vorbehalten.
Von den Annehmlichkeiten des geselligen Lebens, das ich hier führe, ist es mir schwer Ihnen eine Vorstellung zu machen, da Sie die Hauptperson nicht kennen, die eine ganz eigne Gabe hat, das Gespräch zu beleben u auch weniger interessanten Menschen etwas unterhaltendes abzulocken. Ich schlug Fouqué vor, als er in Berlin war, ihn bey Frau von Staël einzuführen; er hatte aber keine Lust, was mich eigentlich ein wenig verdroß. Er hätte in Bezug auf [8] mich wohl so viel Neugierde haben können, u hat es sich nun selbst zuzuschreiben, daß
((Hier folgt eine große Parenthese, bestehend aus meiner Reise nach Italien, einem zweyten Sommeraufenthalt in Coppet und dem in Genf zugebrachten Winter; ich habe die Klammern, weil sie einen Zeitraum von 15 Monaten mit so wenigen Umständen in die Mitte nehmen, als die Ewigkeit mit unserm zeitlichen Daseyn macht, als einen zertheilten Schlangenreif abgebildet und fahre hierauf ohne weiteres in dem angefangnen Satze fort:))
Genf d. 1 März. 1806. – er sich jetzt von den Verhältnissen, unter denen ich lebe, und die auf mein Glück den bedeutendsten Einfluß haben, eine weit weniger anschauliche Vorstellung machen kann. Tieck der Dichter, hatte damals denselben Eigensinn, die Bekanntschaft meiner neuen Freundin nicht machen zu wollen; seit dem hat es ihn genug gereut, u er wird, wenn er wieder mit ihr zusammentreffen sollte, die Gelegenheit sie kennen zu lernen, eben so eifrig benutzen als er sie in Berlin vermied. Allein Tieck wurde durch seine Frau abgehalten, welche sehr triftige Gründe hatte, darauf zu bestehen, daß ihr ehelicher Gemahl sich mit andern Frauen von glänzendem Verstande weit vom [9] Schusse halten sollte. Dieß fiel bey Fouqué nun gänzlich weg, denn Sie, meine schöne, liebenswürdige und geistreiche Freundin, haben nichts dabey zu befahren, wenn ihm eine andre Frau sollte gefallen wollen, und wäre sie so schön wie ein Engel und so witzig wie der Teufel.
Ich kann aber doch nicht so fortfahren, ich muß zuvor versuchen mein geängstetes Gewissen zu entladen, Ihnen einen Fußfall thun und so lange Bitten, bis ich Ihre Verzeihung für mein unerhörtes Stillschweigen erlangt habe und wieder zu Huld und Gnade aufgenommen bin. Könnte ich nur neben Ihnen auf dem Divan in Ihrem allerliebsten Zimmer sitzen und vertraulich schwatzen wie ehemals, ich wollte es Ihnen schon begreiflich machen, wie ein Mensch wie ich bey dem lebhaftesten freundschaftlichen Andenken dazu kommen kann, keine Sylbe von sich vernehmen zu lassen. Unbeschreibliche Anwandlungen habe ich gehabt an Sie und Fouqué zu schreiben, auf der ganzen Italiänischen Reise von Lyon an, auf dem Mont Cenis bis nach Neapel hinunter, auf dem V[e]suv, in den Lagunen von Venedig und wo nicht alles; und jedesmal schreckte mich die Größe des Unternehmens da ich so viel wieder gut zu machen hatte, und dann kamen wieder neue Zerstreuungen dazwischen.
[10] Erst beträchtliche Zeit nach meiner Zurückkunft aus Italien kam mir Pellegrins Zueignung von den Schauspielen zu Gesichte, die mich innigst erfreute und rührte; nun sollte es mit einem Gedichte geantwortet seyn, ich war eben mit meiner Elegie über Rom beschäftigt, nachher befriedigte ich mich selbst nicht; und seit dem Eintritt in das prosaische Genf seit Anfang November hat mich die poetische Stimmung ganz verlassen, das einzige Lebenszeichen, was ich Ihnen sowie den meisten übrigen Freunden in Deutschland unterdessen gegeben habe, meine Elegie über Rom, haben Sie hoffentlich erhalten, wenigstens hat es an meinem angelegentlichsten Auftrage dazu nicht gefehlt. Ich schmeichle mir mit einer freundlichen Aufnahme dieses Lieblingsgedichtes bei Ihnen. Es kann Ihnen gewissermaßen die Stelle einer Reisebeschreibung vertreten, da es die bedeutendsten Eindrücke von Rom, welches immer der Mittelpunkt bleibt, zu Einem Bilde vereinigt; auch über meine persönlichen Verhältniss[e] wird es Ihnen manches gesagt haben.
Ich bin in der ersten Hälfte meines Briefes vielleicht auf eine ermüdende Art mit der Beschreibung meiner Reisen ins einzelne und kleine gegangen, ich will jetzt damit nicht fortfahren, es würde [11] meinen ganzen Brief einnehmen; ich will Sie lieber vertraulicher, und, wenn ich noch auf Ihre Theilnahme rechnen darf, anziehender von meiner Lebensweise, meinem Thun und Lassen, meinen Planen und Aussichten, meinen Verbindungen und Verhältnissen, kurz allem, was mich am nächsten persönlich angeht, unterhalten.
Als Sie mich in Nennhausen über meine neue Bekanntschaft mit Frau von Stael neckten, dachten Sie wohl nicht, daß sie auf meine Schicksale einen so wichtigen Einfluß haben und ihnen eine ganz andre Richtung geben würde. Fr. v. St. zeichnete mich mitten unter dem Getümmel der g[r]oßen Welt, das sich in Berlin um sie her drängte, aus; grade damit beschäftigt, die Deutsche Literatur kennen zu lernen, gab sie mir Gelegenheit ihr über vieles meine Ansichten darzustellen, und sie schrieb mir vielleicht alles ihr neue tiefere und eigenthümlichere in Gedanken und Gesichten zu, was ich selbst nur der allgemeinen Richtung, welche die Deutsche Bildung genommen, verdankte. Sie äußerte dieß mit der ihr eignen schönen enthusiastischen Lebhaftigkeit, und gewiß nie habe ich eine beredtere Fürsprecherin bey allen die mich herabsetzten oder nicht anerkannten, gefunden. [12] Sehr bald schlug sie mir vor, sie nach der Schweiz zu begleiten, den Sommer auf ihrem Landgute zuzubringen, und ihr bey den Studien zu einer Schrift über Deutsche Literatur und Philosophie, wozu sie den Plan hatte zu Hülfe zu kommen. Sonderbar genug fügte es sich, daß eben das Band was mich an in Berlin hielt, aufgelöst war, da Madam Bernhardi die Absicht hatte es zu verlassen, und auch der übrige Kreis von Freunden sich ziemlich zerstreut hatte. Ich ging also diesen Vorschlag ein, und hatte schon mein Wort gegeben, als plötzlich die unglückliche Nachricht von Neckers Tode eintraf. Nur seine Krankheit wurde ihr zuerst gemeldet, sie war in dem beklagenswerthesten Zustande, ich werde es nie vergessen wie ich sie fand, als sie mich rufen ließ um mich zu fragen, ob ich sogleich mit ihr reisen könne, um im Nothfalle, wenn falls sie sich unterwegs bewogen fände Tag und Nacht zu reisen, die Sorge für ihre Kinder zu übernehmen, und langsamer nachzukommen. Bis nach Weimar hielt ich sie künstlich mit Verbergung der Nachricht hin, die ihr tödlich hätte werden können, wenn sie sie plötzlich erfahren hätte. Dort war ein seit vielen Jahren ihr ergebner Freund, Ben[13]jamin Constant, ihr zu diesem traurigen Geschäfte entgegengekommen. Nein, keine Worte sind vermögend die Heftigkeit und Tiefe ihres Schmerzes zu schildern, nicht bloß im ersten Augenblicke, sondern bey jeder anregenden Veranlassung, bey der Annäherung an die Schweiz, bey dem Wiedersehen der Freunde die ihren Vater auf dem Todbette umgeben hatten, bey der Ankunft in ihrem Schloß, in welches sie mehr todt als lebend hineingetragen ward. Noch lange kehrten diese heftigen Auftritte wieder, und es gehörte in der That eine so xxx starke Gesundheit dazu als die ihrige, um nicht darunter zu erliegen. Xx Die Zärtlichkeit, die Anbetung für ihren Vater war allerdings das herrschendste Gefühl ihres Lebens, allein es ließ sich doch an diesem Maßstabe sehen, mit welcher Innigkeit ihr Gemüth die Gegenstände seiner Zuneigung in jedem Verhältnisse umfassen müsse; und der Zeuge dieser Trauer gewesen zu seyn, wie ich es vom ersten Augenblicke an war, hätte allein hingereicht, ihr meine Anhänglichkeit für immer zu sichern. Aber seit beynah zwey Jahren, daß ich auf den vertraulichsten Fuß in ihrem Hause lebe, habe ich so manche herrliche Eigenschaften [14] an dieser edlen Frau bewährt gefunden, daß ich es für den glücklichsten Zufall meines bisherigen Lebens erklären muß, sie kennengelernt zu haben, und mit Überzeugung sagen kann, dieser Freundschaftsbund sey für alle mir noch gegönnten Jahre unauflöslich.
Ich muß Sie zuvörderst bitten, alles was Sie in Berlin oder sonst über Fr. v. St. haben sagen hören zu vergessen. Ein berühmter Name, eine glänzende Lage, ein ausgezeichneter und kühner Geist müssen immer viel unberufene Urtheile über eine Frau ans Licht rufen bringen. Aber bey meiner Freundin ist dieß umso mehr der Fall, da es unmöglich ist wahrer, offner, freyer von jeder Spur des Angekünstelten, ja unvorsichtiger hingegeben zu seyn; sie spielt gleichsam mit offnen Karten und da kann sich die mistrauische Welt nicht bereden, daß dahinter keine List stecken sollte. Unter dem Anschein der Raschheit, der Veränderlichkeit, und der Liebe zur Zerstreuung, die nur auf der Oberfläche ihres Wesens spielt, hegt sie ein tiefes Gemüth, ein treues Herz, ja eine unerschütterliche Anhänglichkeit und Standhaftigkeit in der Freundschaft und dem Eifer für das einmal der Begeisterung würdig erkannte. Ungestüm [15] und leidenschaftlich, ist sie dennoch die Güte, ja ich darf sagen die Sanftmuth selbst, unfähig die Fortdauer irgend eines mishelligen Verhältnisses zu ertragen. Ihre Ansicht der Menschen überhaupt ist vielleicht allzu vertrauend; nie habe ich ein engeres und wo sich irgend eine Gelegenheit darbietet ein thätigeres Mitleid mit dem Unglück jeder Art, eine schonendere Hand in dessen Berührung gesehen. Dennoch verwechselt sie nie den allgemeinen Verkehr zu Linderung oder Genuß mit dem was ihre auserwählten Freunde ihr sind, oder sie ihnen ist. Es heißt wenig gesagt, daß sie mit Freuden ihr Leben für sie wagen würde; dieß hat sie in den Schreckenszeiten häufig Schon gethan. Schon der Gedanke ihres eines solchen Verlustes setzt sie in gewaltsame Bewegung, und ihre Einbildungskraft ist besonders von dieser Seite leicht zu erschüttern. Ich habe sie fast außer sich, bloß von ihrer Kammerfrau begleitet, in den schon dunkeln Straßen von Genf umherirren sehen, da ich mich auf einem Spaziergange verirrt hatte, so daß sie glaubte mir sey ein Unglück zugestoßen, und alle Leute des Hauses nach mir ausschickte. Ich will Ihnen auch gern gestehen, daß ich mich, als ihr Kleid vor dem Kamin Feuer gefaßt hatte, so daß die Flammen über ihren Kopf emporschlugen, [16] so rasch auf sie warf, daß alles gelöscht war, eh jemand anders zu Hülfe kommen konnte, und ich meine über und über verbrannten Hände als Ehrenzeichen davon trug.
Ich erzähle Ihnen diese Züge nur, damit Sie sehen, wie aus dem Scherz zu Nennhausen der heiligste Ernst geworden, xxx und wie es billig und natürlich ist, daß ich xx durchaus keine Plane für meine Zukunft hinter dem Rücken einer so gestifteten und so oft bestätigten Verbindung schließe.
Da das Verhältniß einen bestimmten Namen haben mußte, wenn ich fortdauernd in dem Hause leben sollte, und ich selbst wünschte, das meinige für eine mir so gastfreundliche Familie zu thun, so übernahm ich gleich von Anfange an die Erziehung der Kinder. Dieß ist aber auf einen solchen Fuß gesetzt, daß es nur einen kleinen Theil meiner Zeit fodert. Bis nach der Zurükkunft in Italien haben wir beyde Söhne bey uns gehabt; seit dem Sommer befindet sich der Älteste, der sehr verständig und für sehr sein Alter schon sehr unterrichtet ist, in Paris, besonders um die Mathematik und die physikal. Wissenschaften zu erlernen. Der jüngste, ein aufgeweckter und liebenswürdiger, aber etwas flüchtiger Knabe ist bey mir. Bald wird dieß vielleicht umgetauscht, der ältere wieder ins Haus genommen, und der zweyte [17] nach Deutschland in eine Pension geschickt. In drey bis vier Jahren wird dieß ganze Geschäft beendigt seyn: der älteste wird seine Studien auf einer schottischen oder Deutschen Universität vollenden und der jüngste vermuthlich ins Militär gehen. Alsdann ist noch eine kleine Tochter da, von acht Jahren, die am meisten von dem Geist ihrer Mutter und auch ihre schönen Augen geerbt hat, zu deren Bildung ich, wenn sie erst empfänglicher dafür seyn wird, beyzutragen suchen werde, was grade nicht durch andre Lehrer und selbst durch den Unterricht ihrer Mutter geleistet werden kann; doch dieß ist mehr eine Unterhaltung, als eine Arbeit zu nennen.
Eine andre Schülerin habe ich, um die ich wohl beneidet zu werden verdiene, Frau von Stael selbst, mit der ich häufig Deutsch gelesen, auch zuweilen Vorlesungen über Philosophie und xxxx die Theorie der schönen Künste gehalten habe. Italien hat sie etwas von den Deutschen Studien abgeführt, die sie aber bald mit Wärme wieder ergreifen wird.
Es versteht sich, daß meine Freundin sich ausbedungen, ich solle auch nach vollendeter Erziehung ihrer Kinder ihr Haus nicht verlassen, zu von dem sie mich als ein unentbehrliches Mitglied [18] betrachtet. Die Umstände müßten sich außerordentlich ändern, wenn dieß von einer von beyden Seiten zurückgenommen werden sollte, so wie ich auch, wenn ihr Vermögen nicht ganz unerwartete Stöße erleidet, für das, was ich bedarf, nicht weiter zu sorgen habe. Ich sage ihr oft, daß ich lange xxx vergeblich auf einen Fürsten gewartet der mich großmüthig in Stand setzen möchte, einzig für die Kunst und Poesie ohne Sorge zu leben; daß ich nun an ihr diese Fürstin gefunden, die ich daher höher achte als alle Potentaten Europaʼs, welche überdieß jetzt sehr in Abnahme kommen.
Wer so günstig von mir denkt, sich von meinen ferneren Geistesarbeiten einigen Genuß verspricht zu versprechen, darf nicht besorgt seyn, als ob xxxx meine sie durch meine Lage und Entfernung von Deutschland ins Stocken gerathen würde. Vielmehr habe ich xxx die Aussicht bald in ganz freyer Muße und mit heiterm Gemüth an Werken zu arbeiten, die, wo möglich, meinen Namen auf die Nachwelt bringen möchten.
Bis jetzt bin ich zwar sehr abgehalten worden. Dieß ist zum Theil die Schuld neuer Gewöhnungen die ich annehmen mußte, dann des häufig veränderten Aufenthaltes, hauptsächlich aber der Reisen, die mir aber theils durch so viel anziehende u große Gegenstände, die ich kennen [19] lerne, theils durch die Bekanntschaft mit merkwürdigen Menschen, von denen das Haus meiner Freundin immer der Mittelpunkt ist, sehr zu Statten kommen müssen. Xxxx Dann ist es natürlich, daß ich, seit ich bey ihr lebe, viele Stunden thxx der geselligen Aufheiterung widmen mußte. Denn ihre Lage ist in der That sehr beklagenswerth. Sie hat an ihrem Vater den vertrautesten Freund, den besorgtesten und einsichtsvollsten Beschützer verlohren. Seitdem sind viele ihr neue und verdrießliche Geschäfte zur Verwaltung ihres Vermögens auf sie gefallen. Ihre Verbannung aus Paris, ihrer Vaterstadt und dem Aufenthalte, welchen sie jedem andern vorzieht, dauert immer noch fort. In Mailand geschahen so lebhafte und dringende Verwendungen deßhalb bey dem KaiserAlpinorgos von Majorca, daß wir einige Hoffnung faßten, der Bann würde aufgehoben werden, seitdem aber ist alles unverrückt bey den alten Verboten geblieben. Man verweigert ihr die Zahlung einer Schuldfoderung von drey Millionen an den franz. Nationalschatz, die, noch so sehr durch Finanzkünste auf den dritten ganz oder gar auf den sechsten Theil herabgesetzt, immer einen sehr bedeutenden Zuwachs zu ihrem Vermögen aus[20]machen würde. – In einer Provinzstadt Frankreichs zu leben, ist das unerfreulichste, einförmigste und für Geist und Talent ertödtendste, was sich denken läßt. Um das Landleben auf die Länge auszuhalten, ist sie zu gesellig, Genf u die ganze hiesige Gegend (das heißt die Menschen) misfallen ihr mit Recht aufs äußerste. Unvermeidlich ist daher eine große Unschlüßigkeit in ihren Planen für die Zukunft, da sie in einer so unglücklichen Abhängigkeit von einer ungünstig gesinnten Regierug steht. Den Sommer geht sie nun ihrer Geschäfte halber nach Frankreich, was mir Gelegenheit geben wird, Paris wenigstens auf kurze Zeit zu besuchen; den nächsten Winter, je nachdem die Umstände sind, vielleicht wieder nach Italien; wird Frieden, so dürfte eine Reise nach England gemacht werden. Der Himmel gebe, daß diese unstete Lebensart bald ein Ende finden möge. Nicht als ob ich dem Reisen an sich xxx feindx wäre. xxx bin ich gleich nicht voll von so weitläuftigen Planen wie Flemming:
Mir lag Arabien und Syrien im Sinne,
Aegypten zog mich an, ich war wie fast darinne;
so denke ich doch noch manche zu machen, und namentlich nach Spanien. Allein man muß einen festen Wohnsitz haben, von wo man ausfliegt, wohin man zurückkehrt, worauf man [21] alles bezieht, und den man als sichern und ruhigen Zufluchtsort nicht aus den Augen verliert. Doch wer darf klagen, daß es ihm daran fehlt, da ganz Europa drüber und drunter geht? Wie sich meine Zukunft auch weiter fügen mag, so seyn Sie gewiß, liebe Freundin, daß ich unter jedem Himmelstrich ein deutsches Herz in mir tragen und meine Freunde in der alten Heimath nie vergessen werde. Mit der Ich nehme die ersten Gelegenheit wahr, einen Besuch in Deutschland zu machen, und dann komme ich zuverläßig auch nach Nennhausen, und hohle das im Frühlinge vor zwey Jahren versäumte nach.
Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen so weitläuftig über mich selbst geschrieben habe. Es muß Ihnen beweisen, daß das Bedürfniß vertraulicher Mittheilung gegen Sie ungeachtet der langen Entwöhnung bey mir nicht abgenommen hat. Sie sehen, wenn ich lange zögre, ehe ich zu reden anfange, daß es eben so schwer fält mir Einhalt zu thun, wenn ich einmal im Zuge bin. Erwiedern Sie es mir nun recht freygebig mit den genauesten Nachrichten von Ihrem eignen Befinden, u von allem was die Ihrigen angeht. Fouqué, dem ebenfalls ein langer Brief zugedacht ist, wird dieß denn durch Nachrichten von seinen Beschäftigungen und Studien, von [22] literarischen Studien, von den Bekannten in Berlin, endlich von den Gesinnungen unsrer Landsleute über die öffentlichen Begebenheiten und was sich in dieser Hinsicht ferner erwarten läßt, ergänzen.
Empfehlen Sie mich aufs angelegentlichste Ihrem würdigen Herrn Vater, an den ich nie ohne dankbare Verehrung denke. Hoffentlich genießt er immer einer gleichen Gesundheit, und ist noch eben so sehr zur heitern Geselligkeit gestimmt wie sonst, und so hoffe ich auch unsre Schachpartie wieder vorzunehmen, wenn ich nach Nennhausen komme. Ich habe mich seither in dieser Kunst ziemlich geübt. – Meine besten Empfehlungen an Frau von Briest und Fräulein von Luck. Ihre Kinder umarme ich herzlich und küsse Ihnen in Gedanken die Hand.
Ganz Ihr
AWSchlegel.
Ich bitte Sie, von allem was ich Ihnen über meine persönlichen Verhältnissen geschrieben nichts über den vertrautesten Zirkel hinaus sich verirren zu lassen. Es ist nöthig daß gleichgültige Menschen, die durchaus keinen wahren Antheil nehmen, xxx an meiner Lage nehmen, darüber unterrichtet seyen. – Auch kann es nicht xxx schaden, wenn eine [23] gewisse Classe in der Meynung erhalten wird daß ich bald für beständig nach Deutschland zurückkommen dürfte.
[24] An
Frau Baronesse de la Motte-Fouqué
geb. von Briest.
[1] Genf d. Nov. 4
sage 1804
Werden Sie mir verzeihen wollen, meine liebenswürdige Freundin, wenn ich mich erst jetzt zu Ende des Herbstes entschuldige, daß ich zu Anfange des Frühlings ausgeblieben bin? Darüber bin ich wohl gerechtfertigt, daß ich Ihnen nicht im Augenblicke meiner plötzlichen Abreise bezeugen konnte, wie leid es mir that den schönen Plan zu einem ruhigen Aufenthalt in Ihrem gastfreundlichen Nennhausen aufgeben zu müssen; ich hatte nur einen Nachmittag und eine Nacht Zeit um alle meine Geschäfte in Berlin in Ordnung zu bringen u habe selbst den nächsten Freunden nicht Lebewohl gesagt. Seitdem sind freylich viele Monate verflossen, aber die Versäumniß ist eigentlich nur dadurch verursacht, daß ich mir zu oft vorgenommen zu schreiben und meinen Brief gern recht unterhaltend habe machen wollen. In Weimar blieb ich zehn Tage u sah während derselben meine dortigen Freunde, Goethe u den Bildhauer Tieck häufig. Doch eilte ich einem andern Lande u einer [2] neuen Lebensweise entgegen, u wollte Ihnen gern etwas näheres hierüber melden. Franken u Schwaben habe ich nachher schnell durchreist, nur in Würzburg u Ulm sind wir einen halben Tag geblieben. Im Ganzen ging mein Weg dem Frühlinge u den schöneren Gegende[n] entgegen, durch Schaffhausen trat ich in die Schweiz ein, sah den Rheinfall, machte dann von Zürich aus einen Umweg über Luzern u eine Fahrt auf dem Luzerner See, alsdann lenkte ich auf Bern ein, u so von Lausanne an längs dem Genfer See nach Coppet. Dieß ist ein geräumiges stattliches Schloß, ein Landsmann von Ihnen ein Graf zu Dohna hat es zu Anfang des vorigen Jahrhunderts erbaut, u der berühmte Bayle hat nachher als Hauslehrer darin gewohnt, aber – worin ich ihn nicht nachahmen können, über Langeweile geklagt: vermuthlich war dieser eben nicht idyllische Gelehrte, wenig für schöne Natur empfänglich, u die Ausbeute aus dem Städtchen Coppet, an literarischen Anekdoten daß nur zu dicht unter dem Schlosse liegt, mochte nicht die ergiebigste seyn. Für sein Wörterbuch hat er dort wohl wenig gesammelt. – Aus meinem [3] Zimmer, ja aus meinem Bett beym Erwachen genoß ich die Aussicht auf den See, die fast immer, wenn das Wetter nicht ganz trübe ist, einen großen Reichthum darbietet, besonders aber durch das mannichfaltige Spiel der Farben an den Bergen gegenüber u auf dem lieblichen Wasserspiegel, fast zu jeder Tageszeit anders u unter wechselnden Beleuchtungen, bey Sonnen oder Mondenschein, unter einem heitern oder wolkigen Himmel, im Morgenduft oder im Widerschein der Abendröthe, beym Gewitter, bey Windstille oder bewegten Wellen, oft bis zur Überraschung neu erscheint. An den Schloßhof stößt ein Park der zwar nicht mit so sinnreichem Fleiße angebaut ist wie der in Nennhausen, aber desto mehr von der Natur begünstigt: ein frischer reißender Bach schlingt sich unter dem Schatten alter Bäume hin[durch], einige kleine Anhöhen gewähren Ausblicke in die Ferne, u hinter einer durchgehauenen Öffnung, die gerade auf das Schloß stößt, erblickt man den Jura. Den Montblanc gegenüber sieht man vom Balcon des Schlosses nicht, aber höher an den Hügeln hinaus [4] die dahinter liegen. Wir kamen einen Monat nachdem ich Berlin verlassen hatte, in Coppet an, u blieben drittehalb Monate bis Ende Augusts dort, dann gingen wir nach Genf u brachten bis Ende Octobers in der Stadt zu. Von hieraus wollte ich Ihnen nicht schreiben, weil ich nicht so poetisch datiren konnte wie in Coppet: zwischen dem Jura u Montblanc; denn zwischen Saleve u Jura, die ich hier aus meinem Fenster sehe, das klingt doch lange nicht so gut. Bey der Rückkehr aufs Land bis in die Mitte Novembers bin ich durch eine angenehme Zerstreuung abgehalten worden Briefe zu schreiben, u Sie erhalten diesen doch von dem prosaischen Genf aus, das ich die Hauptstadt der Nützlichkeit u die Burgveste der Eingeschränktheit nennen möchte, u wo einem Rousseauʼs emphatisches citoyen de Genève sehr lächerlich vorkommt, besonders wenn man sich erinnert daß er in den unteren schmutzigen Gassen der Stadt gebohren worden, wo die gemeinen Bürgerclassen wohnen. Die Lage zwischen dem See u der Savoyischen [5] Landschaft ist die anmuthigste die sich denken läßt, allein man sieht deutlich daß dieses gewerbsame Volk nie daran gedacht, sie zum Genuß u zur Erhebung des Gemüths zu verwenden. Der See, wo er in die Stadt eintritt, ist von garstigen Hütten umgeben, u zerlappte Hemden sind häufig daran ausgehängt; den herrlichen Rhonefluß nehmen, so wie er mit seinen dunkelblauen Wellen u einer Klarheit ohne Gleichen daraus hervorstürzt, nehmen alte Waschweiber in Beschlag. Das einzige öffentliche Denkmal ist eine kolossale Büste von Rousseau, die wie der Kopf eines Faunen aussieht, u ungeschickter Weise auf eine viereckige Säule gestellt ist. So gehn sie mit ihren großen Männern um: im Leben verfolgt u nach dem Tode dergestalt abgebildet! Die Städte in der Deutschen Schweiz haben mir unendlich viel besser gefallen, das Ehrenfeste Zürich, das stattliche Bern, u besonders das stille beynah klösterliche Lucern, an seinem von hohen Alpen eingefaßten See. Dort herum sind auch die Trachten der Bäuerinnen, unter allen die ich gesehen, am meisten mahlerisch, überhaupt alles sauber verziert, u die [6] Gegend wie ein Garten angebaut. In die kleinen Cantone habe ich nur hinaus geblickt, kaum den Fuß gesetzt, nämlich bey Küßnacht, wo ich zu Tells Kappelle gewandert, u dann von einer Anhöhe den Zuger See u die Glarner Alpen betrachtet. Ich will Ihnen doch die Aufschrift der Kapelle genau wie sie geschrieben steht hersetzen; ich weiß nicht ob schon ein andrer Reisender ihr poetisches Verdienst wie ich erkannt, u es der Mühe werth gefunden sie aufzuzeichnen. Unter einem schlecht gemahlten Bilde von Tells Leben u Thaten steht auf der einen Seite:
Hier Ist Grisslers Hochmuoth vom Thäll erschossen
Und Die Schweitzer Edle Freyheith entsprossen.
u auf der andern:
Wie Lang Wird Aber Solche währen?
Noch Lang, Wan Wir Die alte währen.
Damit ich nichts von meinen Reisen vergesse, so bin ich auch noch auf dem Gipfel des Jura gewesen, auf einem Berge welcher die Dole heißt, von dessen Zinnen man wie Moses vom Nebo zwey Länder vor sich hat, auf den hinter dem Jura Frank[7]reich, daß sich hier ziemlich unansehnlich ausnimmt, vor ihm den See, seitwärts andre Schweizergegenden, u jenseits dem See die ganze Kette der Savoyischen Schneegebirge; dann brachte ich einige Tage in Lausanne zu u fuhr von da auf dem See nach Vevey; endlich bin ich auch zum Montblanc von hieraus gereist, das heist ich bin am Fuße desselben im Thal von Chamouny, auf dem Montanvert u an seinem Eismeer herumgekrochen. Was ich noch sonst in der Schweiz zu sehen habe, bleibt dem künftigen Sommer vorbehalten.
Von den Annehmlichkeiten des geselligen Lebens, das ich hier führe, ist es mir schwer Ihnen eine Vorstellung zu machen, da Sie die Hauptperson nicht kennen, die eine ganz eigne Gabe hat, das Gespräch zu beleben u auch weniger interessanten Menschen etwas unterhaltendes abzulocken. Ich schlug Fouqué vor, als er in Berlin war, ihn bey Frau von Staël einzuführen; er hatte aber keine Lust, was mich eigentlich ein wenig verdroß. Er hätte in Bezug auf [8] mich wohl so viel Neugierde haben können, u hat es sich nun selbst zuzuschreiben, daß
((Hier folgt eine große Parenthese, bestehend aus meiner Reise nach Italien, einem zweyten Sommeraufenthalt in Coppet und dem in Genf zugebrachten Winter; ich habe die Klammern, weil sie einen Zeitraum von 15 Monaten mit so wenigen Umständen in die Mitte nehmen, als die Ewigkeit mit unserm zeitlichen Daseyn macht, als einen zertheilten Schlangenreif abgebildet und fahre hierauf ohne weiteres in dem angefangnen Satze fort:))
Genf d. 1 März. 1806. – er sich jetzt von den Verhältnissen, unter denen ich lebe, und die auf mein Glück den bedeutendsten Einfluß haben, eine weit weniger anschauliche Vorstellung machen kann. Tieck der Dichter, hatte damals denselben Eigensinn, die Bekanntschaft meiner neuen Freundin nicht machen zu wollen; seit dem hat es ihn genug gereut, u er wird, wenn er wieder mit ihr zusammentreffen sollte, die Gelegenheit sie kennen zu lernen, eben so eifrig benutzen als er sie in Berlin vermied. Allein Tieck wurde durch seine Frau abgehalten, welche sehr triftige Gründe hatte, darauf zu bestehen, daß ihr ehelicher Gemahl sich mit andern Frauen von glänzendem Verstande weit vom [9] Schusse halten sollte. Dieß fiel bey Fouqué nun gänzlich weg, denn Sie, meine schöne, liebenswürdige und geistreiche Freundin, haben nichts dabey zu befahren, wenn ihm eine andre Frau sollte gefallen wollen, und wäre sie so schön wie ein Engel und so witzig wie der Teufel.
Ich kann aber doch nicht so fortfahren, ich muß zuvor versuchen mein geängstetes Gewissen zu entladen, Ihnen einen Fußfall thun und so lange Bitten, bis ich Ihre Verzeihung für mein unerhörtes Stillschweigen erlangt habe und wieder zu Huld und Gnade aufgenommen bin. Könnte ich nur neben Ihnen auf dem Divan in Ihrem allerliebsten Zimmer sitzen und vertraulich schwatzen wie ehemals, ich wollte es Ihnen schon begreiflich machen, wie ein Mensch wie ich bey dem lebhaftesten freundschaftlichen Andenken dazu kommen kann, keine Sylbe von sich vernehmen zu lassen. Unbeschreibliche Anwandlungen habe ich gehabt an Sie und Fouqué zu schreiben, auf der ganzen Italiänischen Reise von Lyon an, auf dem Mont Cenis bis nach Neapel hinunter, auf dem V[e]suv, in den Lagunen von Venedig und wo nicht alles; und jedesmal schreckte mich die Größe des Unternehmens da ich so viel wieder gut zu machen hatte, und dann kamen wieder neue Zerstreuungen dazwischen.
[10] Erst beträchtliche Zeit nach meiner Zurückkunft aus Italien kam mir Pellegrins Zueignung von den Schauspielen zu Gesichte, die mich innigst erfreute und rührte; nun sollte es mit einem Gedichte geantwortet seyn, ich war eben mit meiner Elegie über Rom beschäftigt, nachher befriedigte ich mich selbst nicht; und seit dem Eintritt in das prosaische Genf seit Anfang November hat mich die poetische Stimmung ganz verlassen, das einzige Lebenszeichen, was ich Ihnen sowie den meisten übrigen Freunden in Deutschland unterdessen gegeben habe, meine Elegie über Rom, haben Sie hoffentlich erhalten, wenigstens hat es an meinem angelegentlichsten Auftrage dazu nicht gefehlt. Ich schmeichle mir mit einer freundlichen Aufnahme dieses Lieblingsgedichtes bei Ihnen. Es kann Ihnen gewissermaßen die Stelle einer Reisebeschreibung vertreten, da es die bedeutendsten Eindrücke von Rom, welches immer der Mittelpunkt bleibt, zu Einem Bilde vereinigt; auch über meine persönlichen Verhältniss[e] wird es Ihnen manches gesagt haben.
Ich bin in der ersten Hälfte meines Briefes vielleicht auf eine ermüdende Art mit der Beschreibung meiner Reisen ins einzelne und kleine gegangen, ich will jetzt damit nicht fortfahren, es würde [11] meinen ganzen Brief einnehmen; ich will Sie lieber vertraulicher, und, wenn ich noch auf Ihre Theilnahme rechnen darf, anziehender von meiner Lebensweise, meinem Thun und Lassen, meinen Planen und Aussichten, meinen Verbindungen und Verhältnissen, kurz allem, was mich am nächsten persönlich angeht, unterhalten.
Als Sie mich in Nennhausen über meine neue Bekanntschaft mit Frau von Stael neckten, dachten Sie wohl nicht, daß sie auf meine Schicksale einen so wichtigen Einfluß haben und ihnen eine ganz andre Richtung geben würde. Fr. v. St. zeichnete mich mitten unter dem Getümmel der g[r]oßen Welt, das sich in Berlin um sie her drängte, aus; grade damit beschäftigt, die Deutsche Literatur kennen zu lernen, gab sie mir Gelegenheit ihr über vieles meine Ansichten darzustellen, und sie schrieb mir vielleicht alles ihr neue tiefere und eigenthümlichere in Gedanken und Gesichten zu, was ich selbst nur der allgemeinen Richtung, welche die Deutsche Bildung genommen, verdankte. Sie äußerte dieß mit der ihr eignen schönen enthusiastischen Lebhaftigkeit, und gewiß nie habe ich eine beredtere Fürsprecherin bey allen die mich herabsetzten oder nicht anerkannten, gefunden. [12] Sehr bald schlug sie mir vor, sie nach der Schweiz zu begleiten, den Sommer auf ihrem Landgute zuzubringen, und ihr bey den Studien zu einer Schrift über Deutsche Literatur und Philosophie, wozu sie den Plan hatte zu Hülfe zu kommen. Sonderbar genug fügte es sich, daß eben das Band was mich an in Berlin hielt, aufgelöst war, da Madam Bernhardi die Absicht hatte es zu verlassen, und auch der übrige Kreis von Freunden sich ziemlich zerstreut hatte. Ich ging also diesen Vorschlag ein, und hatte schon mein Wort gegeben, als plötzlich die unglückliche Nachricht von Neckers Tode eintraf. Nur seine Krankheit wurde ihr zuerst gemeldet, sie war in dem beklagenswerthesten Zustande, ich werde es nie vergessen wie ich sie fand, als sie mich rufen ließ um mich zu fragen, ob ich sogleich mit ihr reisen könne, um im Nothfalle, wenn falls sie sich unterwegs bewogen fände Tag und Nacht zu reisen, die Sorge für ihre Kinder zu übernehmen, und langsamer nachzukommen. Bis nach Weimar hielt ich sie künstlich mit Verbergung der Nachricht hin, die ihr tödlich hätte werden können, wenn sie sie plötzlich erfahren hätte. Dort war ein seit vielen Jahren ihr ergebner Freund, Ben[13]jamin Constant, ihr zu diesem traurigen Geschäfte entgegengekommen. Nein, keine Worte sind vermögend die Heftigkeit und Tiefe ihres Schmerzes zu schildern, nicht bloß im ersten Augenblicke, sondern bey jeder anregenden Veranlassung, bey der Annäherung an die Schweiz, bey dem Wiedersehen der Freunde die ihren Vater auf dem Todbette umgeben hatten, bey der Ankunft in ihrem Schloß, in welches sie mehr todt als lebend hineingetragen ward. Noch lange kehrten diese heftigen Auftritte wieder, und es gehörte in der That eine so xxx starke Gesundheit dazu als die ihrige, um nicht darunter zu erliegen. Xx Die Zärtlichkeit, die Anbetung für ihren Vater war allerdings das herrschendste Gefühl ihres Lebens, allein es ließ sich doch an diesem Maßstabe sehen, mit welcher Innigkeit ihr Gemüth die Gegenstände seiner Zuneigung in jedem Verhältnisse umfassen müsse; und der Zeuge dieser Trauer gewesen zu seyn, wie ich es vom ersten Augenblicke an war, hätte allein hingereicht, ihr meine Anhänglichkeit für immer zu sichern. Aber seit beynah zwey Jahren, daß ich auf den vertraulichsten Fuß in ihrem Hause lebe, habe ich so manche herrliche Eigenschaften [14] an dieser edlen Frau bewährt gefunden, daß ich es für den glücklichsten Zufall meines bisherigen Lebens erklären muß, sie kennengelernt zu haben, und mit Überzeugung sagen kann, dieser Freundschaftsbund sey für alle mir noch gegönnten Jahre unauflöslich.
Ich muß Sie zuvörderst bitten, alles was Sie in Berlin oder sonst über Fr. v. St. haben sagen hören zu vergessen. Ein berühmter Name, eine glänzende Lage, ein ausgezeichneter und kühner Geist müssen immer viel unberufene Urtheile über eine Frau ans Licht rufen bringen. Aber bey meiner Freundin ist dieß umso mehr der Fall, da es unmöglich ist wahrer, offner, freyer von jeder Spur des Angekünstelten, ja unvorsichtiger hingegeben zu seyn; sie spielt gleichsam mit offnen Karten und da kann sich die mistrauische Welt nicht bereden, daß dahinter keine List stecken sollte. Unter dem Anschein der Raschheit, der Veränderlichkeit, und der Liebe zur Zerstreuung, die nur auf der Oberfläche ihres Wesens spielt, hegt sie ein tiefes Gemüth, ein treues Herz, ja eine unerschütterliche Anhänglichkeit und Standhaftigkeit in der Freundschaft und dem Eifer für das einmal der Begeisterung würdig erkannte. Ungestüm [15] und leidenschaftlich, ist sie dennoch die Güte, ja ich darf sagen die Sanftmuth selbst, unfähig die Fortdauer irgend eines mishelligen Verhältnisses zu ertragen. Ihre Ansicht der Menschen überhaupt ist vielleicht allzu vertrauend; nie habe ich ein engeres und wo sich irgend eine Gelegenheit darbietet ein thätigeres Mitleid mit dem Unglück jeder Art, eine schonendere Hand in dessen Berührung gesehen. Dennoch verwechselt sie nie den allgemeinen Verkehr zu Linderung oder Genuß mit dem was ihre auserwählten Freunde ihr sind, oder sie ihnen ist. Es heißt wenig gesagt, daß sie mit Freuden ihr Leben für sie wagen würde; dieß hat sie in den Schreckenszeiten häufig Schon gethan. Schon der Gedanke ihres eines solchen Verlustes setzt sie in gewaltsame Bewegung, und ihre Einbildungskraft ist besonders von dieser Seite leicht zu erschüttern. Ich habe sie fast außer sich, bloß von ihrer Kammerfrau begleitet, in den schon dunkeln Straßen von Genf umherirren sehen, da ich mich auf einem Spaziergange verirrt hatte, so daß sie glaubte mir sey ein Unglück zugestoßen, und alle Leute des Hauses nach mir ausschickte. Ich will Ihnen auch gern gestehen, daß ich mich, als ihr Kleid vor dem Kamin Feuer gefaßt hatte, so daß die Flammen über ihren Kopf emporschlugen, [16] so rasch auf sie warf, daß alles gelöscht war, eh jemand anders zu Hülfe kommen konnte, und ich meine über und über verbrannten Hände als Ehrenzeichen davon trug.
Ich erzähle Ihnen diese Züge nur, damit Sie sehen, wie aus dem Scherz zu Nennhausen der heiligste Ernst geworden, xxx und wie es billig und natürlich ist, daß ich xx durchaus keine Plane für meine Zukunft hinter dem Rücken einer so gestifteten und so oft bestätigten Verbindung schließe.
Da das Verhältniß einen bestimmten Namen haben mußte, wenn ich fortdauernd in dem Hause leben sollte, und ich selbst wünschte, das meinige für eine mir so gastfreundliche Familie zu thun, so übernahm ich gleich von Anfange an die Erziehung der Kinder. Dieß ist aber auf einen solchen Fuß gesetzt, daß es nur einen kleinen Theil meiner Zeit fodert. Bis nach der Zurükkunft in Italien haben wir beyde Söhne bey uns gehabt; seit dem Sommer befindet sich der Älteste, der sehr verständig und für sehr sein Alter schon sehr unterrichtet ist, in Paris, besonders um die Mathematik und die physikal. Wissenschaften zu erlernen. Der jüngste, ein aufgeweckter und liebenswürdiger, aber etwas flüchtiger Knabe ist bey mir. Bald wird dieß vielleicht umgetauscht, der ältere wieder ins Haus genommen, und der zweyte [17] nach Deutschland in eine Pension geschickt. In drey bis vier Jahren wird dieß ganze Geschäft beendigt seyn: der älteste wird seine Studien auf einer schottischen oder Deutschen Universität vollenden und der jüngste vermuthlich ins Militär gehen. Alsdann ist noch eine kleine Tochter da, von acht Jahren, die am meisten von dem Geist ihrer Mutter und auch ihre schönen Augen geerbt hat, zu deren Bildung ich, wenn sie erst empfänglicher dafür seyn wird, beyzutragen suchen werde, was grade nicht durch andre Lehrer und selbst durch den Unterricht ihrer Mutter geleistet werden kann; doch dieß ist mehr eine Unterhaltung, als eine Arbeit zu nennen.
Eine andre Schülerin habe ich, um die ich wohl beneidet zu werden verdiene, Frau von Stael selbst, mit der ich häufig Deutsch gelesen, auch zuweilen Vorlesungen über Philosophie und xxxx die Theorie der schönen Künste gehalten habe. Italien hat sie etwas von den Deutschen Studien abgeführt, die sie aber bald mit Wärme wieder ergreifen wird.
Es versteht sich, daß meine Freundin sich ausbedungen, ich solle auch nach vollendeter Erziehung ihrer Kinder ihr Haus nicht verlassen, zu von dem sie mich als ein unentbehrliches Mitglied [18] betrachtet. Die Umstände müßten sich außerordentlich ändern, wenn dieß von einer von beyden Seiten zurückgenommen werden sollte, so wie ich auch, wenn ihr Vermögen nicht ganz unerwartete Stöße erleidet, für das, was ich bedarf, nicht weiter zu sorgen habe. Ich sage ihr oft, daß ich lange xxx vergeblich auf einen Fürsten gewartet der mich großmüthig in Stand setzen möchte, einzig für die Kunst und Poesie ohne Sorge zu leben; daß ich nun an ihr diese Fürstin gefunden, die ich daher höher achte als alle Potentaten Europaʼs, welche überdieß jetzt sehr in Abnahme kommen.
Wer so günstig von mir denkt, sich von meinen ferneren Geistesarbeiten einigen Genuß verspricht zu versprechen, darf nicht besorgt seyn, als ob xxxx meine sie durch meine Lage und Entfernung von Deutschland ins Stocken gerathen würde. Vielmehr habe ich xxx die Aussicht bald in ganz freyer Muße und mit heiterm Gemüth an Werken zu arbeiten, die, wo möglich, meinen Namen auf die Nachwelt bringen möchten.
Bis jetzt bin ich zwar sehr abgehalten worden. Dieß ist zum Theil die Schuld neuer Gewöhnungen die ich annehmen mußte, dann des häufig veränderten Aufenthaltes, hauptsächlich aber der Reisen, die mir aber theils durch so viel anziehende u große Gegenstände, die ich kennen [19] lerne, theils durch die Bekanntschaft mit merkwürdigen Menschen, von denen das Haus meiner Freundin immer der Mittelpunkt ist, sehr zu Statten kommen müssen. Xxxx Dann ist es natürlich, daß ich, seit ich bey ihr lebe, viele Stunden thxx der geselligen Aufheiterung widmen mußte. Denn ihre Lage ist in der That sehr beklagenswerth. Sie hat an ihrem Vater den vertrautesten Freund, den besorgtesten und einsichtsvollsten Beschützer verlohren. Seitdem sind viele ihr neue und verdrießliche Geschäfte zur Verwaltung ihres Vermögens auf sie gefallen. Ihre Verbannung aus Paris, ihrer Vaterstadt und dem Aufenthalte, welchen sie jedem andern vorzieht, dauert immer noch fort. In Mailand geschahen so lebhafte und dringende Verwendungen deßhalb bey dem KaiserAlpinorgos von Majorca, daß wir einige Hoffnung faßten, der Bann würde aufgehoben werden, seitdem aber ist alles unverrückt bey den alten Verboten geblieben. Man verweigert ihr die Zahlung einer Schuldfoderung von drey Millionen an den franz. Nationalschatz, die, noch so sehr durch Finanzkünste auf den dritten ganz oder gar auf den sechsten Theil herabgesetzt, immer einen sehr bedeutenden Zuwachs zu ihrem Vermögen aus[20]machen würde. – In einer Provinzstadt Frankreichs zu leben, ist das unerfreulichste, einförmigste und für Geist und Talent ertödtendste, was sich denken läßt. Um das Landleben auf die Länge auszuhalten, ist sie zu gesellig, Genf u die ganze hiesige Gegend (das heißt die Menschen) misfallen ihr mit Recht aufs äußerste. Unvermeidlich ist daher eine große Unschlüßigkeit in ihren Planen für die Zukunft, da sie in einer so unglücklichen Abhängigkeit von einer ungünstig gesinnten Regierug steht. Den Sommer geht sie nun ihrer Geschäfte halber nach Frankreich, was mir Gelegenheit geben wird, Paris wenigstens auf kurze Zeit zu besuchen; den nächsten Winter, je nachdem die Umstände sind, vielleicht wieder nach Italien; wird Frieden, so dürfte eine Reise nach England gemacht werden. Der Himmel gebe, daß diese unstete Lebensart bald ein Ende finden möge. Nicht als ob ich dem Reisen an sich xxx feindx wäre. xxx bin ich gleich nicht voll von so weitläuftigen Planen wie Flemming:
Mir lag Arabien und Syrien im Sinne,
Aegypten zog mich an, ich war wie fast darinne;
so denke ich doch noch manche zu machen, und namentlich nach Spanien. Allein man muß einen festen Wohnsitz haben, von wo man ausfliegt, wohin man zurückkehrt, worauf man [21] alles bezieht, und den man als sichern und ruhigen Zufluchtsort nicht aus den Augen verliert. Doch wer darf klagen, daß es ihm daran fehlt, da ganz Europa drüber und drunter geht? Wie sich meine Zukunft auch weiter fügen mag, so seyn Sie gewiß, liebe Freundin, daß ich unter jedem Himmelstrich ein deutsches Herz in mir tragen und meine Freunde in der alten Heimath nie vergessen werde. Mit der Ich nehme die ersten Gelegenheit wahr, einen Besuch in Deutschland zu machen, und dann komme ich zuverläßig auch nach Nennhausen, und hohle das im Frühlinge vor zwey Jahren versäumte nach.
Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen so weitläuftig über mich selbst geschrieben habe. Es muß Ihnen beweisen, daß das Bedürfniß vertraulicher Mittheilung gegen Sie ungeachtet der langen Entwöhnung bey mir nicht abgenommen hat. Sie sehen, wenn ich lange zögre, ehe ich zu reden anfange, daß es eben so schwer fält mir Einhalt zu thun, wenn ich einmal im Zuge bin. Erwiedern Sie es mir nun recht freygebig mit den genauesten Nachrichten von Ihrem eignen Befinden, u von allem was die Ihrigen angeht. Fouqué, dem ebenfalls ein langer Brief zugedacht ist, wird dieß denn durch Nachrichten von seinen Beschäftigungen und Studien, von [22] literarischen Studien, von den Bekannten in Berlin, endlich von den Gesinnungen unsrer Landsleute über die öffentlichen Begebenheiten und was sich in dieser Hinsicht ferner erwarten läßt, ergänzen.
Empfehlen Sie mich aufs angelegentlichste Ihrem würdigen Herrn Vater, an den ich nie ohne dankbare Verehrung denke. Hoffentlich genießt er immer einer gleichen Gesundheit, und ist noch eben so sehr zur heitern Geselligkeit gestimmt wie sonst, und so hoffe ich auch unsre Schachpartie wieder vorzunehmen, wenn ich nach Nennhausen komme. Ich habe mich seither in dieser Kunst ziemlich geübt. – Meine besten Empfehlungen an Frau von Briest und Fräulein von Luck. Ihre Kinder umarme ich herzlich und küsse Ihnen in Gedanken die Hand.
Ganz Ihr
AWSchlegel.
Ich bitte Sie, von allem was ich Ihnen über meine persönlichen Verhältnissen geschrieben nichts über den vertrautesten Zirkel hinaus sich verirren zu lassen. Es ist nöthig daß gleichgültige Menschen, die durchaus keinen wahren Antheil nehmen, xxx an meiner Lage nehmen, darüber unterrichtet seyen. – Auch kann es nicht xxx schaden, wenn eine [23] gewisse Classe in der Meynung erhalten wird daß ich bald für beständig nach Deutschland zurückkommen dürfte.
[24] An
Frau Baronesse de la Motte-Fouqué
geb. von Briest.
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Notizen

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