• August Wilhelm von Schlegel to Christian Friedrich Tieck

  • Place of Dispatch: Paris · Place of Destination: Carrara · Date: 11.09.1817
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Christian Friedrich Tieck
  • Place of Dispatch: Paris
  • Place of Destination: Carrara
  • Date: 11.09.1817
  • Notations: Empfangsort erschlossen. Satzfehler korrigiert.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 36283637X
  • Bibliography: Dreihundert Briefe aus zwei Jahrhunderten. Hg. v. Karl von Holtei. Bd. 2. Hannover 1872, S. 97‒100.
  • Incipit: „Paris den 11ten Sept. 1817.
    Geliebter Freund!
    Du wirst es mir gewiß verzeihen, daß ich Dir erst jetzt schreibe, wenn Du erfährst wie [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-37187
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XX,Bd.7,Nr.66(74)
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl. u. 1 S., hs.
  • Format: 17,9 x 11,7 cm
Paris den 11ten Sept. 1817.
Geliebter Freund!
Du wirst es mir gewiß verzeihen, daß ich Dir erst jetzt schreibe, wenn Du erfährst wie traurig ich meine Zeit hingebracht habe. Fünf Monate lang war meine Freundin krank und hat unsäglich gelitten. Diese ganze Zeit über habe ich das Haus fast nicht verlassen, um zu allen Stunden Nachricht zu haben und Gesellschaft zu leisten so oft es sich fügte. Vom Anfang an ahnete ich den unglücklichen Ausgang, lange sah ich ihn mit verzweiflungsvoller Gewißheit voraus; nur in wenigen Zwischenräumen hatte ich wieder eine zweifelnde Hoffnung gefaßt. Drey Tage nach dem Tode reiste ich mit dem Sohne ab, um den Wagen, welcher den Sarg enthielt, nach Coppet zu begleiten: wir waren zehn Tage unterwegs, da wir nur Schritt fuhren, und wachten wechselsweise bey den geheiligten Resten. Am 28ten Julius wurde sie feyerlich in dem Grabmahle der Eltern beygesetzt. Das Wehklagen muß denn freylich zuletzt ein Ende nehmen, aber das Gefühl eines unersetzlichen Verlustes bleibt.
Wenn wir uns einmal wiedersehen, werde ich Dir manches erzählen. Ich habe so lange, von Todesgedanken und Todesschrecknissen umgeben, gelebt, so manchem erschütterndem Auftritte beygewohnt, daß ich mich von diesen schmerzlichen Erinnerungen abwenden muß.
Ich wollte Dir von Coppet aus schreiben, aber der Aufenthalt war sehr kurz: Wir alle wurden durch Geschäfte wieder hierher gerufen. Meine Freundin hat mir aufgetragen, ihr letztes Werk herauszugeben; dieß bindet mich für den Winter an Paris. Für die weitere Zukunft habe ich noch keine bestimmten Plane.
Deine beiden letzten Briefe vom 2ten und 19ten August habe ich erhalten; der letzte ist mir hierher nachgeschickt worden, denn ich war schon am 20ten Aug. von Coppet abgereist. Mein Freund, Deine Vorschläge finden jetzt keinen Eingang, und ich gestehe es, auch bey mir nicht. Zuvörderst würde der Werth der Statue durch den eingesetzten Kopf sehr verringert werden. Dieß ist immer nur Flickwerk. Ferner: eine schlafende Figur mochte sehr schicklich seyn für die Königin von Preußen; eine wegen ihrer Schönheit aber nicht wegen ihres Geistes (?) berühmte Frau. Wo aber die ganze Bedeutung eines Bildnisses auf dem beseelten Ausdruck der Physiognomie beruht, da würden, däucht mich, geschlossene Augen und die im Schlaf oder Tod abgespannten Züge alle Aehnlichkeit aufheben, und man müßte ganz ins idealische gehen. Die Kinder aber legen natürlich bloß auf ähnliche Bildnisse einen Werth.
Ferner: wozu noch ein Cenotaph? Das wahrhafte Denkmal ist ja ganz fertig: es ist das Grabgewölbe im Garten, wo sie neben ihren Eltern ruht, und die Gestalten aller Drey, sind auf Deinem Basrelief abgebildet. Um diesem Grabmal die gehörige Würde zu geben, ist nichts nöthig, als eine Façade von geglätteten schwarzen Marmorplatten nach einer einfachen Zeichnung anzufügen, und dieß hoffe ich soll nächsten Sommer geschehen. Es ist eine stark vorspringende Corniche über dem Basrelief nöthig, um es auf die Dauer vor dem Wetter zu schützen; noch hat es nicht gelitten.
Daß ein Denkmal, wie Du es vorschlägst, von allen Reisenden besucht werden würde, ist keine Frage. Aber es ist keinesweges die Gesinnung der Kinder, wie es auch nicht die der Mutter war. Unserem Cachet (? wahrscheinlich der Name eines die Aufsicht in Coppet führenden Dieners?) sind oft von reisenden Engländern bedeutende Summen geboten worden, um sie einzulassen, aber es wurde nie verstattet, und bleibt auch jetzt bei dieser Anordnung.
Gerard, der bey der letzten Ausstellung durch sein großes Gemählde vom Einzuge Heinrichs des vierten auf den Gipfel des Ruhmes und der Gunst gelangt ist, hat sich dazu verstanden, ein Bildniß von Frau von Stael zu unternehmen. Man hat ihm dazu alle Materialien geliefert, auch Deine Büste. Ich selbst habe ihn noch nicht gesprochen, ich höre aber, daß er sie sehr gelobt hat.
Melde mir, wie weit es mit der Statue Neckers ist, fördre sie bestens, und schicke mir eine Abschrift des Vertrages darüber, auch eine Angabe, wie viel Geld Du schon empfangen: es wird sich dieß unter den hiesigen Papieren finden, aber wir können es jetzt nicht aufsuchen. Die Statue wird ja wohl auf den nächsten Frühling fertig. Das beste würde seyn, den großen Saal auf Italienische Weise decoriren zu lassen, und die Statue an dem einen Ende aufzustellen. Gegenüber die Statue der Tochter, sitzend; ‒ das wäre freylich schön, und ich rathe dazu, habe aber noch keinen Eingang damit gefunden. Wer weiß, in der Folge! Sie müssen freylich auch ihre Mittel zu Rathe ziehen.
Da die Geschwister den nächsten Frühling nach Coppet zu gehn gedenken, so mache nur, daß sie die Gipsbüsten vorfinden. Die Haarflechten der Herzogin sind nun bloß in Deiner Büste vorhanden, sie hat sie gleich in der ersten Trauer abgeschnitten, ohne jemanden ein Wort zu sagen.
Deinen Bruder habe ich verfehlt, er ist gerade während meiner Abwesenheit, und auf sehr kurze Zeit hier gewesen. So recht genaue Nachrichten von ihm habe ich mir nicht verschaffen können. Er soll durch die Folgen der Gicht und rheumatischen Plagen ganz schief geworden seyn, in England und hier alles getadelt haben. Er mag in der langen Einsamkeit, von Menschen umgeben, die auf seine Worte schwören, ein wunderlicher Kauz geworden seyn. Seinen „Fortunat“ hast Du wohl gesehen: er ist leicht weggearbeitet, hübsche Sachen; allein auf eine höhere Stufe hat er sich freylich nicht gehoben.
Hier ist erschienen: Mariae Krönung und die Wunder des heil. Dominicus, in 15 Blättern, gezeichnet von W. Ternite. Nebst einer Nachricht vom Leben des Mahlers, und Erklärung der Gemählde von A. W. von Schlegel.“ ‒ Prächtig gedruckt in gr. Fol. Die Umrisse sind vortrefflich gezeichnet und gestochen. Der Zeichner ist ein Preußischer Officier, dem ich aus Gefälligkeit den Text dazu vorigen Winter geschrieben habe. Eine französische Uebersetzung, die der ehemalige Buchhändler, jetzige Preuß. Legationsrath Schoell veranstaltet hat, ist während meiner Abwesenheit gedruckt worden und leider sehr schlecht ausgefallen, so daß ich das letzte Blatt, das besonders entstellende Misverständnisse enthielt, eben umdrucken lasse. Das Werk kostet anderthalb Carolin. Ich wollte Du könntest es sehen.
Was wird denn endlich aus meiner Büste? ‒ Wann denkst Du nach Rom zu gehen? Es ist mir unbegreiflich, daß Du über ökonomische Sorgen klagst, da Du doch immer vollauf zu thun hast.
Rocca ist nach Italien gereist, er wird aber wohl schwerlich in der Gegend von Carrara vorbeykommen, sondern geradezu nach Rom gehen.
Du hast schon viel dadurch eingebüßt, daß Du verwichenen Winter nicht in Rom gewesen bist. Ich hätte Dich damals Englischen Familien empfehlen können, deren Bekanntschaft Dir vortheilhaft gewesen wäre. Nun weiß ich keine in Italien.
Lebe wohl und schreibe mir bald wieder.
Paris den 11ten Sept. 1817.
Geliebter Freund!
Du wirst es mir gewiß verzeihen, daß ich Dir erst jetzt schreibe, wenn Du erfährst wie traurig ich meine Zeit hingebracht habe. Fünf Monate lang war meine Freundin krank und hat unsäglich gelitten. Diese ganze Zeit über habe ich das Haus fast nicht verlassen, um zu allen Stunden Nachricht zu haben und Gesellschaft zu leisten so oft es sich fügte. Vom Anfang an ahnete ich den unglücklichen Ausgang, lange sah ich ihn mit verzweiflungsvoller Gewißheit voraus; nur in wenigen Zwischenräumen hatte ich wieder eine zweifelnde Hoffnung gefaßt. Drey Tage nach dem Tode reiste ich mit dem Sohne ab, um den Wagen, welcher den Sarg enthielt, nach Coppet zu begleiten: wir waren zehn Tage unterwegs, da wir nur Schritt fuhren, und wachten wechselsweise bey den geheiligten Resten. Am 28ten Julius wurde sie feyerlich in dem Grabmahle der Eltern beygesetzt. Das Wehklagen muß denn freylich zuletzt ein Ende nehmen, aber das Gefühl eines unersetzlichen Verlustes bleibt.
Wenn wir uns einmal wiedersehen, werde ich Dir manches erzählen. Ich habe so lange, von Todesgedanken und Todesschrecknissen umgeben, gelebt, so manchem erschütterndem Auftritte beygewohnt, daß ich mich von diesen schmerzlichen Erinnerungen abwenden muß.
Ich wollte Dir von Coppet aus schreiben, aber der Aufenthalt war sehr kurz: Wir alle wurden durch Geschäfte wieder hierher gerufen. Meine Freundin hat mir aufgetragen, ihr letztes Werk herauszugeben; dieß bindet mich für den Winter an Paris. Für die weitere Zukunft habe ich noch keine bestimmten Plane.
Deine beiden letzten Briefe vom 2ten und 19ten August habe ich erhalten; der letzte ist mir hierher nachgeschickt worden, denn ich war schon am 20ten Aug. von Coppet abgereist. Mein Freund, Deine Vorschläge finden jetzt keinen Eingang, und ich gestehe es, auch bey mir nicht. Zuvörderst würde der Werth der Statue durch den eingesetzten Kopf sehr verringert werden. Dieß ist immer nur Flickwerk. Ferner: eine schlafende Figur mochte sehr schicklich seyn für die Königin von Preußen; eine wegen ihrer Schönheit aber nicht wegen ihres Geistes (?) berühmte Frau. Wo aber die ganze Bedeutung eines Bildnisses auf dem beseelten Ausdruck der Physiognomie beruht, da würden, däucht mich, geschlossene Augen und die im Schlaf oder Tod abgespannten Züge alle Aehnlichkeit aufheben, und man müßte ganz ins idealische gehen. Die Kinder aber legen natürlich bloß auf ähnliche Bildnisse einen Werth.
Ferner: wozu noch ein Cenotaph? Das wahrhafte Denkmal ist ja ganz fertig: es ist das Grabgewölbe im Garten, wo sie neben ihren Eltern ruht, und die Gestalten aller Drey, sind auf Deinem Basrelief abgebildet. Um diesem Grabmal die gehörige Würde zu geben, ist nichts nöthig, als eine Façade von geglätteten schwarzen Marmorplatten nach einer einfachen Zeichnung anzufügen, und dieß hoffe ich soll nächsten Sommer geschehen. Es ist eine stark vorspringende Corniche über dem Basrelief nöthig, um es auf die Dauer vor dem Wetter zu schützen; noch hat es nicht gelitten.
Daß ein Denkmal, wie Du es vorschlägst, von allen Reisenden besucht werden würde, ist keine Frage. Aber es ist keinesweges die Gesinnung der Kinder, wie es auch nicht die der Mutter war. Unserem Cachet (? wahrscheinlich der Name eines die Aufsicht in Coppet führenden Dieners?) sind oft von reisenden Engländern bedeutende Summen geboten worden, um sie einzulassen, aber es wurde nie verstattet, und bleibt auch jetzt bei dieser Anordnung.
Gerard, der bey der letzten Ausstellung durch sein großes Gemählde vom Einzuge Heinrichs des vierten auf den Gipfel des Ruhmes und der Gunst gelangt ist, hat sich dazu verstanden, ein Bildniß von Frau von Stael zu unternehmen. Man hat ihm dazu alle Materialien geliefert, auch Deine Büste. Ich selbst habe ihn noch nicht gesprochen, ich höre aber, daß er sie sehr gelobt hat.
Melde mir, wie weit es mit der Statue Neckers ist, fördre sie bestens, und schicke mir eine Abschrift des Vertrages darüber, auch eine Angabe, wie viel Geld Du schon empfangen: es wird sich dieß unter den hiesigen Papieren finden, aber wir können es jetzt nicht aufsuchen. Die Statue wird ja wohl auf den nächsten Frühling fertig. Das beste würde seyn, den großen Saal auf Italienische Weise decoriren zu lassen, und die Statue an dem einen Ende aufzustellen. Gegenüber die Statue der Tochter, sitzend; ‒ das wäre freylich schön, und ich rathe dazu, habe aber noch keinen Eingang damit gefunden. Wer weiß, in der Folge! Sie müssen freylich auch ihre Mittel zu Rathe ziehen.
Da die Geschwister den nächsten Frühling nach Coppet zu gehn gedenken, so mache nur, daß sie die Gipsbüsten vorfinden. Die Haarflechten der Herzogin sind nun bloß in Deiner Büste vorhanden, sie hat sie gleich in der ersten Trauer abgeschnitten, ohne jemanden ein Wort zu sagen.
Deinen Bruder habe ich verfehlt, er ist gerade während meiner Abwesenheit, und auf sehr kurze Zeit hier gewesen. So recht genaue Nachrichten von ihm habe ich mir nicht verschaffen können. Er soll durch die Folgen der Gicht und rheumatischen Plagen ganz schief geworden seyn, in England und hier alles getadelt haben. Er mag in der langen Einsamkeit, von Menschen umgeben, die auf seine Worte schwören, ein wunderlicher Kauz geworden seyn. Seinen „Fortunat“ hast Du wohl gesehen: er ist leicht weggearbeitet, hübsche Sachen; allein auf eine höhere Stufe hat er sich freylich nicht gehoben.
Hier ist erschienen: Mariae Krönung und die Wunder des heil. Dominicus, in 15 Blättern, gezeichnet von W. Ternite. Nebst einer Nachricht vom Leben des Mahlers, und Erklärung der Gemählde von A. W. von Schlegel.“ ‒ Prächtig gedruckt in gr. Fol. Die Umrisse sind vortrefflich gezeichnet und gestochen. Der Zeichner ist ein Preußischer Officier, dem ich aus Gefälligkeit den Text dazu vorigen Winter geschrieben habe. Eine französische Uebersetzung, die der ehemalige Buchhändler, jetzige Preuß. Legationsrath Schoell veranstaltet hat, ist während meiner Abwesenheit gedruckt worden und leider sehr schlecht ausgefallen, so daß ich das letzte Blatt, das besonders entstellende Misverständnisse enthielt, eben umdrucken lasse. Das Werk kostet anderthalb Carolin. Ich wollte Du könntest es sehen.
Was wird denn endlich aus meiner Büste? ‒ Wann denkst Du nach Rom zu gehen? Es ist mir unbegreiflich, daß Du über ökonomische Sorgen klagst, da Du doch immer vollauf zu thun hast.
Rocca ist nach Italien gereist, er wird aber wohl schwerlich in der Gegend von Carrara vorbeykommen, sondern geradezu nach Rom gehen.
Du hast schon viel dadurch eingebüßt, daß Du verwichenen Winter nicht in Rom gewesen bist. Ich hätte Dich damals Englischen Familien empfehlen können, deren Bekanntschaft Dir vortheilhaft gewesen wäre. Nun weiß ich keine in Italien.
Lebe wohl und schreibe mir bald wieder.
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