• Friedrich von Gentz to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Prag · Place of Destination: Unknown · Date: 27.08.1813
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
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    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Gentz
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Prag
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 27.08.1813
    Printed Text
  • Bibliography: Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe Nr. 332, Samstag, 3. Dezember 1966, Bl. 20v.
  • Incipit: „Prag den 27. August 1813
    Ich schreite endlich zur Tilgung einer alten und schweren Schuld. Ihre überaus interessanten Briefe, mein teurer Freund, [...]“
    Manuscript
  • Number of Pages: 6 Bl., F: 226mm x 182mm; 11 eighd. beschr. Seiten
Prag den 27. August 1813
Ich schreite endlich zur Tilgung einer alten und schweren Schuld. Ihre überaus interessanten Briefe, mein teurer Freund, sind mir sämtlich zugekommen; der erste noch in Wien, der zweite während der Periode, wo ich mit Graf Metternich von einem böhmischen Schlosse zum andern, in großer Ungewißheit des endlichen Ausganges, herumwanderte; der dritte – vom 6. Juni – äußerst spät, erst vor 8 Tagen, unter einem solchen Getümmel und Wirrwarr von Menschen und Geschäften, daß ich mich durchaus nicht erinnern kann, wer mir ihn eigentlich gegeben hat. Vermutlich war es der schwedische Binder, den ich bei seiner Durchreise nach Wien nicht gesehen habe, und der jenen Brief wieder aus Wien zurückgebracht haben mag, welches ich jedoch näher zu prüfen vergaß.
Ich habe in den letzten zwei Monaten großen Teil an den schwierigen und verwickelten Verhandlungen gehabt, welche der erklärten Teilnahme unsers Hofes an dem großen Kriege voran gingen. Seit dem 8. Juni bin ich von Wien entfernt; vier bis 5 Wochen habe ich zwischen Gitschin, Opotschna, Ratiborziz, Reichenbach und wie alle die obskuren Orte sonst lauten, die durch eine sonderbare Verkettung von Umständen einen Monat lang wichtiger geworden waren als die ersten Residenzen von Europa, zugebracht. Dann war ich in Prag während der ganzen Dauer des Mock-Kongresses, wie der Engländer es nennen würde, und in der kritischen und furchtbaren Periode, wo eigentlich das Entscheidende zur Reife kam. Seit dem 21. dieses Monats bin ich allein in Prag. An diesem Tage ging Graf Metternich dem Kaiser nach und ließ mich, meinem sehnlichen Wunsche gemäß, hier, als eine Art von Intermediär-Posten zwischen dem Kriegsschauplatz und Wien, in einer angenehmen Lage und mir äußerst willkommenen Bestimmung zurück. Ich bin nun zwar nichts weniger als untätig oder frei, aber doch in einem gewissen Grade Herr und Meister meiner Zeitverteilung und besonders wieder Herr meines eigenen Kopfes, über welchen ich in den letzten Wochen, von ungeheuren Verhältnissen, Sorgen und Geschäften fast erdrückt, beinahe jede Gewalt, mit andern und klarern Worten, die Besinnung verloren hatte. Diesen Zeitpunkt komparativer Ruhe benutze ich, um Ihnen zu schreiben. Warum ich Ihnen deutsch schreibe, werden Sie aus dem Inhalt meines Briefes bald erraten.
Ihre erste große Depesche erhielt ich zu einer Zeit, wo über das von Oesterreich ergriffene politische System notwendig noch ein Schleier verbreitet bleiben mußte. Graf M., dem ich diese sowie die beiden folgenden mitteilte, und der sie, welches ich Ihnen bestimmt versichern kann, mit großer Aufmerksamkeit gelesen hat, wollte schon aus dieser Ursache nicht, daß ich Ihnen abermals antworten sollte. Hinzu kam, daß weder er, noch ich zu jener Zeit mit unsern Ideen über den Kronprinzen aufs Reine gekommen waren, daß wir das norwegische Projekt durchaus mißbilligten und daß wie Sie im Verdacht eines zu weit getriebenen Enthusiasmus hatten. Der letzte Umstand wurde durch einige an mich gerichtete, mehr noch platte als rasende Briefe der Frau v. St. – denn so muß ich sie noch jetzt charakterisieren – und durch Ihre enge Verbindung mit General Neipperg, den wir, bei allen seinen rühmlichen Eigenschaften, auf einer sehr falschen diplomatischen Linie glaubten und mit welchem wir äußerst unzufrieden waren, mehr als durch Ihre eigenen direkten Aeußerungen begründet.
Nichts desto weniger fand ich Ihre Schrift über das Système continental, bis auf ein paar Stellen, die ich anders gewünscht hätte, vortrefflich; und Graf M. dem ich den größten Teil derselben vorlas, trat, ungeachtet eines kleinen Vorurteils, welches jene Stellen, auf die er gerade zuerst gefallen war, ihm eingeflößt hatten, zuletzt meiner Meinung vollkommen bei. Sie werden bei Ihrer Ankunft in Deutschland unstreitig gehört haben, daß die Urteile über diese Schrift, die allenthalben große und gerechte Sensation gemacht hat, sehr verschieden waren, und daß einige bedeutende Stimmen, worunter sich selbst die Ihres Bruders befand, Ihnen aus der Publikation derselben einen Vorwurf machten. Die Majorität, und zwar die der kompetentesten Richter, war aber auf Ihrer Seite; und ich habe mich bei jeder Gelegenheit laut und stark dafür erklärt. Unter anderm fand ich sie meisterhaft geschrieben, welches mich denn schon entscheidend besticht. Für eine erste politische Arbeit, und obendrein in einer fremden Sprache, verdiente sie Bewunderung; das nil molitur inepte war mir lange nicht so anschaulich geworden; und ich habe mich mit Ihrem Bruder einige Male darüber gezankt, daß er über der Schönheit des Ganzen, seine – vielleicht nicht ganz ungegründeten – Beschwerden gegen einzelne Stellen nicht vergessen wollte.
Auf Ihre zweite Depesche weiß ich mich nicht mehr genug zu erinnern, weil ich sie, nach einer ersten flüchtigen Lektüre, dem Grafen M. zugestellt und von diesem, bei dem herumirrenden Leben, welches wir damals führten, und einiger davon unzertrennlichen Unordnung unter den Papieren nie wieder zurück erhalten konnte. Das weiß ich wohl, daß gerade die Seite, die auch in dem Briefe des Grafen Münster besonders berührt war, uns eben nicht sehr ansprach. Wir fanden das Mißtrauen gegen eine Macht, die noch auf lange Zeiten hinaus mit ihrer eignen Wiederherstellung viel zu sehr beschäftiget sein wird, um ungebührliche Ansprüche gegen andere geltend machen zu wollen, ebenso grundlos als gefährlich. Wir glaubten darin einen neuen Keim zur Zwietracht unter den Alliierten zu bemerken, der uns nicht wenig erschreckte. Wir wußten außerdem über diese – wenn es mir erlaubt ist, sie so zu bezeichnen – Ultra-Hannöversche Politik gewisse Dinge, die höchst wahrscheinlich nie zu Ihrer Kenntnis gelangt sind, und begriffen daher den Münsterschen Brief, der uns sonst in Erstaunen gesetzt haben würde, nur gar zu gut. – Das Benehmen Ihres Prinzen, den Sie fortdauernd bis zum Himmel erhoben, erschien gerade in jenem Zeitpunkte in einem bedenklichen Lichte; und es wird Ihnen nicht unbekannt sein, wie im russischen und preußischen Kabinett, wo man früher mit so großer Vorliebe von ihm geredet hatte, damals über ihn gedacht wurde. Diese zweite Depesche schien uns im ganzen die Schutzschrift eines geschickten Advokaten, der eine ihn selbst einigermaßen zweifelhaft stimmende Sache mit wohlgewählten Argumenten verteidigt.
Seit den Konferenzen zu Trachenberg ist nun alles aufgeklärt, berichtigt, harmonisch geordnet. Von der einen Seite hat der Prinz dort seine Grundsätze, Ansichten und Motive mit so vieler Freimütigkeit, und zugleich mit so vieler Weisheit und Mäßigung ausgesprochen, daß Oesterreich ebenso zufrieden mit ihm sein mußte und wirklich gewesen ist als alle übrigen verbündeten Mächte. Von der andern Seite ist bei jenen Konferenzen ein echt-militärischer, wirksamer, groß gedachter Operationsplan festgesetzt worden, der die schönsten Resultate verspricht. Was Sie in Ihrem Schreiben vom 6. Juni über die Ursachen der Untätigkeit des Kronprinzen bis zum Waffenstillstande sagen, ist, für mich wenigstens, vollkommen befriedigend. Auch war ich längst Ihrer Meinung über die Unzulänglichkeit der Mittel und den Leichtsinn, mit welchem die Expedition nach Hamburg entworfen und unternommen wurde. Solche Operationen konnten einen einsichtsvollen General, der weiter sieht als bis zum morgenden Tage, unmöglich zur Teilnahme reizen.
Ich habe neulich auch Ihre Schrift über die dänische Politik gelesen. Ich müßte den Verfasser erkannt haben, wenn ich auch nicht auf Graf Stadions Exemplar Ihre Schriftzüge erblickt hätte; sie ist von Anfang bis zu Ende höchst beifallswürdig, wahr und stark, (mit Ausnahme der Kritik der letzten Sendung des Grafen Bernstorff nach England, weil man erstens seine Bedingungen in London gar nicht angehört hat und zweitens keinesweges erwiesen ist, daß sie „überspannt und lächerlich“ gewesen wären) in dem Hauptpunkte – der Darstellung und Würdigung der dänischen Neutralität – durchaus siegreich und unendlich schön geschrieben. Mit allem Respekt für Ihre jetzige Lage wünschte ich Ihnen doch einen höhern und zentralern Standpunkt; Sie sind ganz unverkennbar zum ersten politischen Schriftsteller unter uns berufen.
Mit Oesterreich werden Sie hoffentlich jetzt zufrieden sein. Ich möchte wissen, ob Frau v. St. sich nicht etwas schämt, wenn es ihr einfällt, in welchem Tone sie über die österreichische Politik gesprochen und geschrieben hat und mit welcher blinden Hartnäckigkeit sie meine wohlgemeinten Fingerzeige – die ich damals nicht deutlicher machen durfte – in den Wind geschlagen hat. Ihre Aeußerungen über Graf M. kann sie in der Tat vor Gott nicht verantworten; denn bei so großen und verwickelten Fragen schweigt man doch wenigstens, wenn man sie in Dunkel gehüllt sieht, und vermißt sich nicht, sie durch ein paar erbärmliche Gemeinsprüche und noch erbärmlichere bon-mots für abgetan zu halten. Auch Neipperg ist ein großer Sünder gewesen. Doch es gab ja deren Tansende selbst in Wien, selbst in der Klasse, wo man mit ganz gewöhnlicher Bescheidenheit längst hätte ahnden sollen, daß das System des Hofes etwas ganz andres war, als Phantasten und unwissende Deklamatoren glauben machten. Graf M. ist einer von den Charakteren, die um so schwerer zu entziffern sind, je leichter man sie beim ersten Anblick fassen zu können vermeint. Es ist in seiner Feinheit eine Tiefe, die selbst geübten Augen entgeht, und in seiner Ruhe etwas Undurchdringliches, was aber leidenschaftliche Gemüter zur Verzweiflung bringen muß. Wie oft habe ich selbst, wenn die abgeschmacktesten und ärgerlichsten Urteile über ihn zirkulierten und ich wußte, daß es in seiner Gewalt stand, sie mit einem Worte zu Boden zu schlagen, ihn dringend gebeten, das Wort, manchmal ein ganz harmloses, von sich zu geben. „Lassen wir sie reden; das Werk muß den Meister loben“ – dies war seine beständige Antwort. Glauben Sie mir: man muß wissen, welch ein Kunststück es war, aus Oesterreich in sechs Monaten zu machen, was es jetzt geworden ist, um diesem Minister Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Der Feldzug ist aufs glänzendste eröffnet, Napoleon vollständig in die Irre geführt, zu ungeheuren Resultaten ein guter Grund gelegt. Es wird zeitig genug heißen, das sei alles Moreaus Verdienst. Ich aber sage Ihnen, daß der Operationsplan vollkommen festgesetzt, ja zur Hälfte schon ausgeführt war, als Moreau in Prag erschien. Wie dieser Plan eigentlich entstanden ist, wird man dereinst nicht ohne Verwunderung erfahren. Uebrigens hat diesmal – bis jetzt wenigstens – jeder seine Schuldigkeit getan, und darum werden wir auch siegen.
Sie wissen nun, mein teurer Freund, wo ich zu finden bin. Schreiben Sie mir recht bald; unsere Korrespondenz soll fernerhin nicht einseitig bleiben. Vielleicht führen günstige Umstände uns früher oder später auf einen und denselben Punkt. Denn, wenn der Krieg recht glücklich geht und sich weit von Prag entfernt so ist meines Bleibens hier nicht. Ich habe übrigens in den letzten Monaten das Interessanteste und Größte erlebt, was ich mir je denken konnte; und nachdem die Nacht – wo den Franzosen der Krieg erklärt worden – und der Tag – wo die drei Souverains auf dem Prager Schloß zusammen kamen – und einige frühere Nächte und Tage, die diese großen Begebenheiten vorbereiteten, vorüber waren, ging in mir das Gefühl einer gewissen Sehnsucht nach Ruhe, das mir schon ganz fremd geworden war, wieder auf, und ich sehe nun, obschon mit höchstem Interesse, doch mit einem sehr behaglichen Gleichmut, der Auflösung dieses großen Dramas, die mir kaum mehr zweifelhaft ist, entgegen.
Leben Sie wohl, und erfreuen Sie uns oft mit den Werken Ihres Geistes. Sie, nicht ich, mögen über das künftige Schicksal Deutschlands sprechen. Vergessen Sie aber nicht, daß es eine überaus kritische Aufgabe ist!
G.
Prag den 27. August 1813
Ich schreite endlich zur Tilgung einer alten und schweren Schuld. Ihre überaus interessanten Briefe, mein teurer Freund, sind mir sämtlich zugekommen; der erste noch in Wien, der zweite während der Periode, wo ich mit Graf Metternich von einem böhmischen Schlosse zum andern, in großer Ungewißheit des endlichen Ausganges, herumwanderte; der dritte – vom 6. Juni – äußerst spät, erst vor 8 Tagen, unter einem solchen Getümmel und Wirrwarr von Menschen und Geschäften, daß ich mich durchaus nicht erinnern kann, wer mir ihn eigentlich gegeben hat. Vermutlich war es der schwedische Binder, den ich bei seiner Durchreise nach Wien nicht gesehen habe, und der jenen Brief wieder aus Wien zurückgebracht haben mag, welches ich jedoch näher zu prüfen vergaß.
Ich habe in den letzten zwei Monaten großen Teil an den schwierigen und verwickelten Verhandlungen gehabt, welche der erklärten Teilnahme unsers Hofes an dem großen Kriege voran gingen. Seit dem 8. Juni bin ich von Wien entfernt; vier bis 5 Wochen habe ich zwischen Gitschin, Opotschna, Ratiborziz, Reichenbach und wie alle die obskuren Orte sonst lauten, die durch eine sonderbare Verkettung von Umständen einen Monat lang wichtiger geworden waren als die ersten Residenzen von Europa, zugebracht. Dann war ich in Prag während der ganzen Dauer des Mock-Kongresses, wie der Engländer es nennen würde, und in der kritischen und furchtbaren Periode, wo eigentlich das Entscheidende zur Reife kam. Seit dem 21. dieses Monats bin ich allein in Prag. An diesem Tage ging Graf Metternich dem Kaiser nach und ließ mich, meinem sehnlichen Wunsche gemäß, hier, als eine Art von Intermediär-Posten zwischen dem Kriegsschauplatz und Wien, in einer angenehmen Lage und mir äußerst willkommenen Bestimmung zurück. Ich bin nun zwar nichts weniger als untätig oder frei, aber doch in einem gewissen Grade Herr und Meister meiner Zeitverteilung und besonders wieder Herr meines eigenen Kopfes, über welchen ich in den letzten Wochen, von ungeheuren Verhältnissen, Sorgen und Geschäften fast erdrückt, beinahe jede Gewalt, mit andern und klarern Worten, die Besinnung verloren hatte. Diesen Zeitpunkt komparativer Ruhe benutze ich, um Ihnen zu schreiben. Warum ich Ihnen deutsch schreibe, werden Sie aus dem Inhalt meines Briefes bald erraten.
Ihre erste große Depesche erhielt ich zu einer Zeit, wo über das von Oesterreich ergriffene politische System notwendig noch ein Schleier verbreitet bleiben mußte. Graf M., dem ich diese sowie die beiden folgenden mitteilte, und der sie, welches ich Ihnen bestimmt versichern kann, mit großer Aufmerksamkeit gelesen hat, wollte schon aus dieser Ursache nicht, daß ich Ihnen abermals antworten sollte. Hinzu kam, daß weder er, noch ich zu jener Zeit mit unsern Ideen über den Kronprinzen aufs Reine gekommen waren, daß wir das norwegische Projekt durchaus mißbilligten und daß wie Sie im Verdacht eines zu weit getriebenen Enthusiasmus hatten. Der letzte Umstand wurde durch einige an mich gerichtete, mehr noch platte als rasende Briefe der Frau v. St. – denn so muß ich sie noch jetzt charakterisieren – und durch Ihre enge Verbindung mit General Neipperg, den wir, bei allen seinen rühmlichen Eigenschaften, auf einer sehr falschen diplomatischen Linie glaubten und mit welchem wir äußerst unzufrieden waren, mehr als durch Ihre eigenen direkten Aeußerungen begründet.
Nichts desto weniger fand ich Ihre Schrift über das Système continental, bis auf ein paar Stellen, die ich anders gewünscht hätte, vortrefflich; und Graf M. dem ich den größten Teil derselben vorlas, trat, ungeachtet eines kleinen Vorurteils, welches jene Stellen, auf die er gerade zuerst gefallen war, ihm eingeflößt hatten, zuletzt meiner Meinung vollkommen bei. Sie werden bei Ihrer Ankunft in Deutschland unstreitig gehört haben, daß die Urteile über diese Schrift, die allenthalben große und gerechte Sensation gemacht hat, sehr verschieden waren, und daß einige bedeutende Stimmen, worunter sich selbst die Ihres Bruders befand, Ihnen aus der Publikation derselben einen Vorwurf machten. Die Majorität, und zwar die der kompetentesten Richter, war aber auf Ihrer Seite; und ich habe mich bei jeder Gelegenheit laut und stark dafür erklärt. Unter anderm fand ich sie meisterhaft geschrieben, welches mich denn schon entscheidend besticht. Für eine erste politische Arbeit, und obendrein in einer fremden Sprache, verdiente sie Bewunderung; das nil molitur inepte war mir lange nicht so anschaulich geworden; und ich habe mich mit Ihrem Bruder einige Male darüber gezankt, daß er über der Schönheit des Ganzen, seine – vielleicht nicht ganz ungegründeten – Beschwerden gegen einzelne Stellen nicht vergessen wollte.
Auf Ihre zweite Depesche weiß ich mich nicht mehr genug zu erinnern, weil ich sie, nach einer ersten flüchtigen Lektüre, dem Grafen M. zugestellt und von diesem, bei dem herumirrenden Leben, welches wir damals führten, und einiger davon unzertrennlichen Unordnung unter den Papieren nie wieder zurück erhalten konnte. Das weiß ich wohl, daß gerade die Seite, die auch in dem Briefe des Grafen Münster besonders berührt war, uns eben nicht sehr ansprach. Wir fanden das Mißtrauen gegen eine Macht, die noch auf lange Zeiten hinaus mit ihrer eignen Wiederherstellung viel zu sehr beschäftiget sein wird, um ungebührliche Ansprüche gegen andere geltend machen zu wollen, ebenso grundlos als gefährlich. Wir glaubten darin einen neuen Keim zur Zwietracht unter den Alliierten zu bemerken, der uns nicht wenig erschreckte. Wir wußten außerdem über diese – wenn es mir erlaubt ist, sie so zu bezeichnen – Ultra-Hannöversche Politik gewisse Dinge, die höchst wahrscheinlich nie zu Ihrer Kenntnis gelangt sind, und begriffen daher den Münsterschen Brief, der uns sonst in Erstaunen gesetzt haben würde, nur gar zu gut. – Das Benehmen Ihres Prinzen, den Sie fortdauernd bis zum Himmel erhoben, erschien gerade in jenem Zeitpunkte in einem bedenklichen Lichte; und es wird Ihnen nicht unbekannt sein, wie im russischen und preußischen Kabinett, wo man früher mit so großer Vorliebe von ihm geredet hatte, damals über ihn gedacht wurde. Diese zweite Depesche schien uns im ganzen die Schutzschrift eines geschickten Advokaten, der eine ihn selbst einigermaßen zweifelhaft stimmende Sache mit wohlgewählten Argumenten verteidigt.
Seit den Konferenzen zu Trachenberg ist nun alles aufgeklärt, berichtigt, harmonisch geordnet. Von der einen Seite hat der Prinz dort seine Grundsätze, Ansichten und Motive mit so vieler Freimütigkeit, und zugleich mit so vieler Weisheit und Mäßigung ausgesprochen, daß Oesterreich ebenso zufrieden mit ihm sein mußte und wirklich gewesen ist als alle übrigen verbündeten Mächte. Von der andern Seite ist bei jenen Konferenzen ein echt-militärischer, wirksamer, groß gedachter Operationsplan festgesetzt worden, der die schönsten Resultate verspricht. Was Sie in Ihrem Schreiben vom 6. Juni über die Ursachen der Untätigkeit des Kronprinzen bis zum Waffenstillstande sagen, ist, für mich wenigstens, vollkommen befriedigend. Auch war ich längst Ihrer Meinung über die Unzulänglichkeit der Mittel und den Leichtsinn, mit welchem die Expedition nach Hamburg entworfen und unternommen wurde. Solche Operationen konnten einen einsichtsvollen General, der weiter sieht als bis zum morgenden Tage, unmöglich zur Teilnahme reizen.
Ich habe neulich auch Ihre Schrift über die dänische Politik gelesen. Ich müßte den Verfasser erkannt haben, wenn ich auch nicht auf Graf Stadions Exemplar Ihre Schriftzüge erblickt hätte; sie ist von Anfang bis zu Ende höchst beifallswürdig, wahr und stark, (mit Ausnahme der Kritik der letzten Sendung des Grafen Bernstorff nach England, weil man erstens seine Bedingungen in London gar nicht angehört hat und zweitens keinesweges erwiesen ist, daß sie „überspannt und lächerlich“ gewesen wären) in dem Hauptpunkte – der Darstellung und Würdigung der dänischen Neutralität – durchaus siegreich und unendlich schön geschrieben. Mit allem Respekt für Ihre jetzige Lage wünschte ich Ihnen doch einen höhern und zentralern Standpunkt; Sie sind ganz unverkennbar zum ersten politischen Schriftsteller unter uns berufen.
Mit Oesterreich werden Sie hoffentlich jetzt zufrieden sein. Ich möchte wissen, ob Frau v. St. sich nicht etwas schämt, wenn es ihr einfällt, in welchem Tone sie über die österreichische Politik gesprochen und geschrieben hat und mit welcher blinden Hartnäckigkeit sie meine wohlgemeinten Fingerzeige – die ich damals nicht deutlicher machen durfte – in den Wind geschlagen hat. Ihre Aeußerungen über Graf M. kann sie in der Tat vor Gott nicht verantworten; denn bei so großen und verwickelten Fragen schweigt man doch wenigstens, wenn man sie in Dunkel gehüllt sieht, und vermißt sich nicht, sie durch ein paar erbärmliche Gemeinsprüche und noch erbärmlichere bon-mots für abgetan zu halten. Auch Neipperg ist ein großer Sünder gewesen. Doch es gab ja deren Tansende selbst in Wien, selbst in der Klasse, wo man mit ganz gewöhnlicher Bescheidenheit längst hätte ahnden sollen, daß das System des Hofes etwas ganz andres war, als Phantasten und unwissende Deklamatoren glauben machten. Graf M. ist einer von den Charakteren, die um so schwerer zu entziffern sind, je leichter man sie beim ersten Anblick fassen zu können vermeint. Es ist in seiner Feinheit eine Tiefe, die selbst geübten Augen entgeht, und in seiner Ruhe etwas Undurchdringliches, was aber leidenschaftliche Gemüter zur Verzweiflung bringen muß. Wie oft habe ich selbst, wenn die abgeschmacktesten und ärgerlichsten Urteile über ihn zirkulierten und ich wußte, daß es in seiner Gewalt stand, sie mit einem Worte zu Boden zu schlagen, ihn dringend gebeten, das Wort, manchmal ein ganz harmloses, von sich zu geben. „Lassen wir sie reden; das Werk muß den Meister loben“ – dies war seine beständige Antwort. Glauben Sie mir: man muß wissen, welch ein Kunststück es war, aus Oesterreich in sechs Monaten zu machen, was es jetzt geworden ist, um diesem Minister Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Der Feldzug ist aufs glänzendste eröffnet, Napoleon vollständig in die Irre geführt, zu ungeheuren Resultaten ein guter Grund gelegt. Es wird zeitig genug heißen, das sei alles Moreaus Verdienst. Ich aber sage Ihnen, daß der Operationsplan vollkommen festgesetzt, ja zur Hälfte schon ausgeführt war, als Moreau in Prag erschien. Wie dieser Plan eigentlich entstanden ist, wird man dereinst nicht ohne Verwunderung erfahren. Uebrigens hat diesmal – bis jetzt wenigstens – jeder seine Schuldigkeit getan, und darum werden wir auch siegen.
Sie wissen nun, mein teurer Freund, wo ich zu finden bin. Schreiben Sie mir recht bald; unsere Korrespondenz soll fernerhin nicht einseitig bleiben. Vielleicht führen günstige Umstände uns früher oder später auf einen und denselben Punkt. Denn, wenn der Krieg recht glücklich geht und sich weit von Prag entfernt so ist meines Bleibens hier nicht. Ich habe übrigens in den letzten Monaten das Interessanteste und Größte erlebt, was ich mir je denken konnte; und nachdem die Nacht – wo den Franzosen der Krieg erklärt worden – und der Tag – wo die drei Souverains auf dem Prager Schloß zusammen kamen – und einige frühere Nächte und Tage, die diese großen Begebenheiten vorbereiteten, vorüber waren, ging in mir das Gefühl einer gewissen Sehnsucht nach Ruhe, das mir schon ganz fremd geworden war, wieder auf, und ich sehe nun, obschon mit höchstem Interesse, doch mit einem sehr behaglichen Gleichmut, der Auflösung dieses großen Dramas, die mir kaum mehr zweifelhaft ist, entgegen.
Leben Sie wohl, und erfreuen Sie uns oft mit den Werken Ihres Geistes. Sie, nicht ich, mögen über das künftige Schicksal Deutschlands sprechen. Vergessen Sie aber nicht, daß es eine überaus kritische Aufgabe ist!
G.
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