• Alexander von Humboldt to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Potsdam · Place of Destination: Bonn · Date: 27.10.1836
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Alexander von Humboldt
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Potsdam
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 27.10.1836
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-33865
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.11,Nr.35
  • Number of Pages: 3S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 25,3 x 22,3 cm
  • Incipit: „[1] Ich schreibe Ihnen, Verehrtester Freund, unter den Leiden der sich häufenden Festlichkeiten, mit dem König auf einen Tag nur [...]“
    Language
  • German
    Editors
  • Alexander von Humboldt auf Reisen – Wissenschaft aus der Bewegung (Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften)
  • Varwig, Olivia
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[1] Ich schreibe Ihnen, Verehrtester Freund, unter den Leiden der sich häufenden Festlichkeiten, mit dem König auf einen Tag nur nach Potsdam geflohen. Sie sehen aus der Anlage, dass der Min. von Altenstein Ihren Wunsch zu erfüllen sehr bereit ist. Einer Empfehlung von Ihnen ist leicht Eingang zu verschaffen und als der älteste Ihrer Freunde in Deutschland, fühle ich mich immer geehrt, das Organ Ihrer Wünsche zu sein. Möge Herr Menn seine wichtigen Zwekke erreichen. Ich war bei dem grossen Schauspiel in Jena, nur in so weit wichtig, als es die, einzig gerettete intellectuelle Einheit Deutscher Volksstämme, representirt. Ich habe mitgespielt und habe zwei mal zum Wettlauf angesezt. Da ich ein Stuck der Propedeutik meines Kosmos (über die Verschiedenartigkeit des Naturgenusses, bald aus reiner Anschauung der freien Natur, bald nach bestimmtem Naturcharacter einer Gegend, bald nach eigenen Gemüths Zuständen, bald mit Einsicht in das Wirken der Kräfte, bei Erkenntnis der Naturprozesse) vorgelesen, so bin ich seitdem wieder auf ein schon von mir halb ausgearbeitetes Capitel Landschaft Malerei und poesie descriptive (den Alten fast unbekannt) zurükgekommen. Ueberall Selbst in den kläglichen Versen ex Ponto suchte ich vergebens Schilderung der (Tomischen) Steppen Natur. Die erste individuelle Naturschilderung und zwar eine herrliche (Beschreibung eines einsamen Berggipfels, Ansicht der tieferliegenden Flur und nächtliche Freude „an den Blüthen des Himmels“ dem Sternenheer, finde ich beim Heiligen Basilius in der 5ten u 6ten Homilie und in dem 14ten [2] Briefe: Gregorio Sodali. Basilii Opp (ed. Par. 1721.) T I p 38. 50. T III p 95 Das ist die ganze Romantik der neuen Welt, nach dem längst dahin geschwunden war die aramaeische, hellenische u ächt römische Herrlichkeit Bei Indern u Persern scheint das Naturgefühl kräftiger, als bei den Westlandern. Bei den Griechen ist das Handelnde Handeln die Hauptsache. Menschliche Figuren bewegen sich vor dem Hintergrunde der Landschaft. So der prächtige Chor wenn Oedipus sich dem Haine der Eumeniden naht. Aber Ihre Inder waren doch auch sehr leidenschaftlich. Hat die Stärke und Ueppigkeit der Natur Kräfte ihnen dabei das Naturgefühl erhalten. Ich streite dem Homer und Virgil nicht Naturgefühl ab, aber ein Werk wie die „wandernde Wolke“ die Schilderung der Dürre u Regenzeit in Kalidas Mêghadûta würde keiner von beiden hervorgebracht, ja nur mitgefühlt haben. Bei den Waldeinsiedlern (sie heissen ja wohl Vanaprasthen) muss sich eine Stimmung, wie bei den christl. Einsiedlern erzeugt haben. Im Ramayana ist ja ein ganzer Waldgesang höre ich. Wollen Sie, Reichbegabter, reich durch Wissen und Phantasie, mir nicht einige deutsche Strophen aus dem Ind. Epos für mein Werk schenken; so wie ich Sie brauche, Strophen von einer individuellen Naturansicht (nicht die allgemeine des Dante, dessen ganzes Gedicht eine Weltanschauung ist). Machen Sie mich doch auch auf einige Stellen der Classiker aufmerksam die mir entgangen wären. Was wir romantische Scenen nennen, gewährte den westlichen Alten keinen Genuss. Alpen waren ihnen schlechte Wege u Koth. Nie eine Freude an einem Schneeberge der sich gegen die Bläue des Himmels anhebt: nur die sanfte cultivirte Natur, die wohnliche (ein halbes Kunstprodukt) gefiel ihnen, *so die etwas nüchternen Beschreibungen der Plinianischen Villen Laurentinum u Tuscum, so Aelians, wahrscheinlich dem Dicaerchos nachgebildete Beschreibung des Thales von Tempe. Der Mensch musste sich ihnen in der Natur offenbaren und abspiegeln.
[3] Dazu xxx ein so unbegreiflicher Mangel von Auffassungsgabe der Landschaft, dass nicht einmal der Säulen eines Basaltberges, deren die Römer so viele sahen, je erwähnt wird. (Die sogenannten Hermessäulen bei Strabo, als er nach Philae reiset, sind Granitfelsen!) Noch einmal: können kommen Sie meiner classischen Unwissenheit zu Hülfe; schreiben Sie mir etwas von Ihren Ansichten denen ich immer die meinigen gern aufopfere; schenken Sie mir einige schöne deut verdeutschte Stellen (wenn auch in Ihrer edeln Prosa) aus der Indischen Naturwelt und fällt Ihnen von griech. u. röm. Classikern etwas, mir leicht entgangenes ein, so citiren Sie mir bloss die Capitel od pag. einer Ausgabe. Ich schlage alles selbst nach. Es soll dies alles einen Theil meines Werks verschönern den ich „Anregungen zum Naturstudium“ nenne und der (ich sage es muthvoll) das weniger Schlechte ist, was ich je geschrieben habe (Anregungen dreierlei Art: Naturbeschreibung nur bei modernen Völkern ein eigener oft kranker Zweig der Litteratur; Landschaftmahlerei, die sich auch nur bei den Neuen entwikkeln konnte; pittoreske Pflanzungen, Gruppirung exotischer Gewächse, Vorgenuss einer sudlichen Welt im kalten Norden, Abglanz uns ferner Natur) Sie sehen, mein edler Freund, aus der Sylva Sylvarum und dem elenden Style dieses Briefes (die Hoffêten reinigen den Styl eben nicht, es erschallen in solcher Leere nur Pontica Verba wie zu Tomi) dass es mir noch immer nicht an Muth fehlt, etwas hervorzubringen.
Mit alter dankbarer Freundschaft Ihnen gleich ergeben aber immer gleich unleserlich,
Ihr
AlHumboldt.
Potsdam
den 27 Oct
1836
Wie ist es
hier so öde um mich her, seitdem der Einzige fehlt der mich hieher zog. Sandig, öde, gemüthlos, stets von einer nüchternen Gegenwart bedrängt... Aber der Mensch ist biegsam und kann viel erleiden
[4] [leer]
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[1] Ich schreibe Ihnen, Verehrtester Freund, unter den Leiden der sich häufenden Festlichkeiten, mit dem König auf einen Tag nur nach Potsdam geflohen. Sie sehen aus der Anlage, dass der Min. von Altenstein Ihren Wunsch zu erfüllen sehr bereit ist. Einer Empfehlung von Ihnen ist leicht Eingang zu verschaffen und als der älteste Ihrer Freunde in Deutschland, fühle ich mich immer geehrt, das Organ Ihrer Wünsche zu sein. Möge Herr Menn seine wichtigen Zwekke erreichen. Ich war bei dem grossen Schauspiel in Jena, nur in so weit wichtig, als es die, einzig gerettete intellectuelle Einheit Deutscher Volksstämme, representirt. Ich habe mitgespielt und habe zwei mal zum Wettlauf angesezt. Da ich ein Stuck der Propedeutik meines Kosmos (über die Verschiedenartigkeit des Naturgenusses, bald aus reiner Anschauung der freien Natur, bald nach bestimmtem Naturcharacter einer Gegend, bald nach eigenen Gemüths Zuständen, bald mit Einsicht in das Wirken der Kräfte, bei Erkenntnis der Naturprozesse) vorgelesen, so bin ich seitdem wieder auf ein schon von mir halb ausgearbeitetes Capitel Landschaft Malerei und poesie descriptive (den Alten fast unbekannt) zurükgekommen. Ueberall Selbst in den kläglichen Versen ex Ponto suchte ich vergebens Schilderung der (Tomischen) Steppen Natur. Die erste individuelle Naturschilderung und zwar eine herrliche (Beschreibung eines einsamen Berggipfels, Ansicht der tieferliegenden Flur und nächtliche Freude „an den Blüthen des Himmels“ dem Sternenheer, finde ich beim Heiligen Basilius in der 5ten u 6ten Homilie und in dem 14ten [2] Briefe: Gregorio Sodali. Basilii Opp (ed. Par. 1721.) T I p 38. 50. T III p 95 Das ist die ganze Romantik der neuen Welt, nach dem längst dahin geschwunden war die aramaeische, hellenische u ächt römische Herrlichkeit Bei Indern u Persern scheint das Naturgefühl kräftiger, als bei den Westlandern. Bei den Griechen ist das Handelnde Handeln die Hauptsache. Menschliche Figuren bewegen sich vor dem Hintergrunde der Landschaft. So der prächtige Chor wenn Oedipus sich dem Haine der Eumeniden naht. Aber Ihre Inder waren doch auch sehr leidenschaftlich. Hat die Stärke und Ueppigkeit der Natur Kräfte ihnen dabei das Naturgefühl erhalten. Ich streite dem Homer und Virgil nicht Naturgefühl ab, aber ein Werk wie die „wandernde Wolke“ die Schilderung der Dürre u Regenzeit in Kalidas Mêghadûta würde keiner von beiden hervorgebracht, ja nur mitgefühlt haben. Bei den Waldeinsiedlern (sie heissen ja wohl Vanaprasthen) muss sich eine Stimmung, wie bei den christl. Einsiedlern erzeugt haben. Im Ramayana ist ja ein ganzer Waldgesang höre ich. Wollen Sie, Reichbegabter, reich durch Wissen und Phantasie, mir nicht einige deutsche Strophen aus dem Ind. Epos für mein Werk schenken; so wie ich Sie brauche, Strophen von einer individuellen Naturansicht (nicht die allgemeine des Dante, dessen ganzes Gedicht eine Weltanschauung ist). Machen Sie mich doch auch auf einige Stellen der Classiker aufmerksam die mir entgangen wären. Was wir romantische Scenen nennen, gewährte den westlichen Alten keinen Genuss. Alpen waren ihnen schlechte Wege u Koth. Nie eine Freude an einem Schneeberge der sich gegen die Bläue des Himmels anhebt: nur die sanfte cultivirte Natur, die wohnliche (ein halbes Kunstprodukt) gefiel ihnen, *so die etwas nüchternen Beschreibungen der Plinianischen Villen Laurentinum u Tuscum, so Aelians, wahrscheinlich dem Dicaerchos nachgebildete Beschreibung des Thales von Tempe. Der Mensch musste sich ihnen in der Natur offenbaren und abspiegeln.
[3] Dazu xxx ein so unbegreiflicher Mangel von Auffassungsgabe der Landschaft, dass nicht einmal der Säulen eines Basaltberges, deren die Römer so viele sahen, je erwähnt wird. (Die sogenannten Hermessäulen bei Strabo, als er nach Philae reiset, sind Granitfelsen!) Noch einmal: können kommen Sie meiner classischen Unwissenheit zu Hülfe; schreiben Sie mir etwas von Ihren Ansichten denen ich immer die meinigen gern aufopfere; schenken Sie mir einige schöne deut verdeutschte Stellen (wenn auch in Ihrer edeln Prosa) aus der Indischen Naturwelt und fällt Ihnen von griech. u. röm. Classikern etwas, mir leicht entgangenes ein, so citiren Sie mir bloss die Capitel od pag. einer Ausgabe. Ich schlage alles selbst nach. Es soll dies alles einen Theil meines Werks verschönern den ich „Anregungen zum Naturstudium“ nenne und der (ich sage es muthvoll) das weniger Schlechte ist, was ich je geschrieben habe (Anregungen dreierlei Art: Naturbeschreibung nur bei modernen Völkern ein eigener oft kranker Zweig der Litteratur; Landschaftmahlerei, die sich auch nur bei den Neuen entwikkeln konnte; pittoreske Pflanzungen, Gruppirung exotischer Gewächse, Vorgenuss einer sudlichen Welt im kalten Norden, Abglanz uns ferner Natur) Sie sehen, mein edler Freund, aus der Sylva Sylvarum und dem elenden Style dieses Briefes (die Hoffêten reinigen den Styl eben nicht, es erschallen in solcher Leere nur Pontica Verba wie zu Tomi) dass es mir noch immer nicht an Muth fehlt, etwas hervorzubringen.
Mit alter dankbarer Freundschaft Ihnen gleich ergeben aber immer gleich unleserlich,
Ihr
AlHumboldt.
Potsdam
den 27 Oct
1836
Wie ist es
hier so öde um mich her, seitdem der Einzige fehlt der mich hieher zog. Sandig, öde, gemüthlos, stets von einer nüchternen Gegenwart bedrängt... Aber der Mensch ist biegsam und kann viel erleiden
[4] [leer]
· Beiliegender Brief Dritte an Dritte , 19.10.1836
· Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
· Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.2(2),Nr.53
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