• Henriette Mendelssohn to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Paris · Place of Destination: Unknown · Date: 9. August [1810]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Henriette Mendelssohn
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Paris
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 9. August [1810]
  • Notations: Datum (Jahr) sowie Absendeort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 154‒156.
  • Incipit: „[1] [Paris] d 9ten August [1810]
    Wenn ich hätte hoffen können den bedrohten Besuch von Ihnen abzuwenden, hätte ich Sie allerdings schon [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: APP2712-Bd-7
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,27,12
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl. u. 2 S., hs. m. U. Henriette
  • Format: 19,6 x 11,8 cm
    Language
  • German
[1] [Paris] d 9ten August [1810]
Wenn ich hätte hoffen können den bedrohten Besuch von Ihnen abzuwenden, hätte ich Sie allerdings schon seit einigen Wochen darauf vorbereitet, denn so lange ist es, daß mir der Plan angekündigt worden ist, ich dachte wohl daß es Ihnen höchst unangenehm sein würde, aber bei allem Mitleid mit der Besuchenden, konnte ich mich des Lachens nicht erwehren, wie ich eben Ihren Brief und die Einlage erhielt, grade eine solche Ergiessung ihrer Angst, schrieben mir Ihr Bruder und Dorothea vor einiger Zeit! Noch ist Helmina in Montmorency, aber freilich scheint sie mir ganz entschloßen, zu Ihnen zu gehn, und alle meine leise und auch wohl bestimmte Äußerungen dagegen haben nichts gefruchtet. Es ist höchst lächerlich und unleidlich, besonders die Erklärung dabei, nicht aufs Schloß wohnen zu wollen, aber wer so etwas nicht fühlt, dem kann man es auch nicht begreiflich machen! – Im Vertrauen, will ich Ihnen eine Vermuthung über den eigentlichen Grund dieser Reise sagen [2] den mir Helminens Äußerungen in ihrem Briefe an Sie, noch zu bestätigen scheinen. Ich fürchte nehmlich, sie ist in der gewißen Freundlichkeit Ihres Betragens, etwas zu weit gegangen, und hat nun die Folgen vor ihrem Manne zu verbergen! unbegreiflich wäre es freilich daß sie dan in Ihrer Nähe leben wollte, indeß bringt mich dies von meiner Vermuthung nicht ab, und Sie begreifen wohl daß unter solchen Umständen, jeder Rath von meiner Seite ganz vergeblich ist. – Laßen Sie dies ganz unter uns bleiben, der unbegreifliche Leichtsinn dieser Frau, droht, sie so unglücklich zu machen, daß ich Sie ungern noch dazu betrüben möchte! – Noch scheint übrigens, irgend ein Hinderniß sich dieser Reise entgegenzusetzen, sollte es aber dazu kommen, so muß ich Sie mein theurer Freund wirklich bedauern, ich sehe voraus, daß Sie Sich der unangenehmen Zudringlichkeit nur durch Härte werden erwehren können, und diese wird Ihnen weher thun als Helminaʼn.
Ihr Brief ist gestern mit einem Courier [3] abgegangen. Es hat mich aufrichtig gefreut, die Bestätigung darinn zu finden, daß auch Sie an jene große Reise nicht glauben, mir ist sie nie recht klar geworden, und in den Äußerungen des Herrn v. Constant der mich lezt besuchte habe ich bestimmte Hoffungen für das Hierbleiben gefunden. Warum ist Ihnen doch grade jezt wo alles so unbestimmt und schwankend durcheinander treibt Ihre Lebensweise doppelt zuwider? wer schaft denn jezt in einem bestimmten Wirkungskreise? muß nicht jeder die Hände in den Schooß legen, und die wüthenden Elemente gewähren laßen? – Hier heißt es seit einigen Tagen der König von Preußen, wolle die Regierung niederlegen. Daß nach aller Schmach die über ihn gekommen, erst der Tod der Gemahlin ihn dazu bewegt hätte, wäre auch ein Zeichen der Zeit!
Ich habe einige recht peinliche Wochen verlebt, und noch bin ich nicht ohne Unruhe! Ich habe Ihnen von dem wichtigen und empörenden Prozeß gesprochen den der Vater meiner jungen Deutschen hier führt, ich bin auf die unangenehmste Weise [4] darinn verwickelt worden, habe öffentlich vor dem fürchterlichsten Tribunal auftreten, meinen Namen in den Memoires sehen müßen, und von Richtern, Klägern und Advokaten wiederholen gehört. Dies ist die mich betreffende Unannehmlichkeit, die warlich nicht gering ist, dazu kommt meine Unruh über den endlichen Ausgang dieser Sache, die für den Vater meines Mädchens sehr unglücklich zu werden droht! – Daß in meinem unverworrnen und monotonen Leben und Gemüth, sich so etwas ereignen konnte, beweist doch wohl, daß nicht wir selbst unser Leben leiten!
Geben Sie mir doch ja so schnell als möglich was Sie mir über Warner mitzutheilen versprochen, ich bin äußerst begierig es zu wißen, ich sehe diesen jezt sehr oft, die Einsamkeit in Paris führt ihn zu mir, und mir gefällt er recht wohl. – Bei dieser Gelegenheit darf ich Sie wohl bitten, wenn es sich grade ereignet die Frau v. Staël zu versichern, daß der Bericht den man ihr von meiner Lebensweise gemacht hat, wenigstens falsch ist. ich lebe ein[5]sam, was sollte auch wohl die Gesellschaft zu mir führen, da gehören Eigenschaften und äußere Bedingungen dazu, die mir durchaus fehlen! übrigens war es eben diese Einsamkeit die mich fürchten ließ Albertine würde sich nicht daran gewöhnen können. Ich bin recht gerührt und dankbar für das Vertrauen der Frau v. Staël, und es sollte mich recht schmerzen, wenn der aufgegebne Reiseplan, ihren Entschluß änderte, wenn Sie lieber Freund etwas dazu beitragen können, sie in dem früheren Vorsaz zu erhalten, so thun Sie es doch, ich habe eine recht herzliche Liebe zur Fräulein Albertine, und ein kurzer Aufenthalt in Paris, könnte ihr doch auf keine Weise schaden!
Daß ich bis hierher mit meinem Schreiben gelangt bin, ist warhaftig ein Meisterstück! In einem Zimmer mit 6 Kindern, die meist zugleich, und jedes etwas andres frägt, da muß man so gern an Jemand denken, als ich an Sie um zu schreiben!
Leben Sie recht wohl mein theurer Freund, ich erwarte ungeduldig Ihren nächsten Brief, ver[6]gessen Sie Warner nicht, was machen Sie aus seinem Freund Chamisso? er ist doch entsezlich schwerfällig, wenn er in seinem Innern auch einen Schatz enthalten sollte, so muß man doch gar zu mühsam die Lasten vom Eingang wegwälzen, um sich am Gefundnen zu begnügen. – Freilich muß Ihnen die Uebersetzung auf diese Weise ungeheure Mühe machen, ich fürchte sehr daß es am Ende nicht einmahl zu Stande kömmt! Werden Sie an mich denken, wenn Ihr dritter Band erscheint, beim Shakespear erwarte ich Sie recht!
Leben Sie tausendmahl wohl
Henriette

Uebernehmen Sie gütig meine Entschuldigung bei Frau v. Staël daß ich ihren lezten Brief nicht beantworte in diesem Augenblick.
[1] [Paris] d 9ten August [1810]
Wenn ich hätte hoffen können den bedrohten Besuch von Ihnen abzuwenden, hätte ich Sie allerdings schon seit einigen Wochen darauf vorbereitet, denn so lange ist es, daß mir der Plan angekündigt worden ist, ich dachte wohl daß es Ihnen höchst unangenehm sein würde, aber bei allem Mitleid mit der Besuchenden, konnte ich mich des Lachens nicht erwehren, wie ich eben Ihren Brief und die Einlage erhielt, grade eine solche Ergiessung ihrer Angst, schrieben mir Ihr Bruder und Dorothea vor einiger Zeit! Noch ist Helmina in Montmorency, aber freilich scheint sie mir ganz entschloßen, zu Ihnen zu gehn, und alle meine leise und auch wohl bestimmte Äußerungen dagegen haben nichts gefruchtet. Es ist höchst lächerlich und unleidlich, besonders die Erklärung dabei, nicht aufs Schloß wohnen zu wollen, aber wer so etwas nicht fühlt, dem kann man es auch nicht begreiflich machen! – Im Vertrauen, will ich Ihnen eine Vermuthung über den eigentlichen Grund dieser Reise sagen [2] den mir Helminens Äußerungen in ihrem Briefe an Sie, noch zu bestätigen scheinen. Ich fürchte nehmlich, sie ist in der gewißen Freundlichkeit Ihres Betragens, etwas zu weit gegangen, und hat nun die Folgen vor ihrem Manne zu verbergen! unbegreiflich wäre es freilich daß sie dan in Ihrer Nähe leben wollte, indeß bringt mich dies von meiner Vermuthung nicht ab, und Sie begreifen wohl daß unter solchen Umständen, jeder Rath von meiner Seite ganz vergeblich ist. – Laßen Sie dies ganz unter uns bleiben, der unbegreifliche Leichtsinn dieser Frau, droht, sie so unglücklich zu machen, daß ich Sie ungern noch dazu betrüben möchte! – Noch scheint übrigens, irgend ein Hinderniß sich dieser Reise entgegenzusetzen, sollte es aber dazu kommen, so muß ich Sie mein theurer Freund wirklich bedauern, ich sehe voraus, daß Sie Sich der unangenehmen Zudringlichkeit nur durch Härte werden erwehren können, und diese wird Ihnen weher thun als Helminaʼn.
Ihr Brief ist gestern mit einem Courier [3] abgegangen. Es hat mich aufrichtig gefreut, die Bestätigung darinn zu finden, daß auch Sie an jene große Reise nicht glauben, mir ist sie nie recht klar geworden, und in den Äußerungen des Herrn v. Constant der mich lezt besuchte habe ich bestimmte Hoffungen für das Hierbleiben gefunden. Warum ist Ihnen doch grade jezt wo alles so unbestimmt und schwankend durcheinander treibt Ihre Lebensweise doppelt zuwider? wer schaft denn jezt in einem bestimmten Wirkungskreise? muß nicht jeder die Hände in den Schooß legen, und die wüthenden Elemente gewähren laßen? – Hier heißt es seit einigen Tagen der König von Preußen, wolle die Regierung niederlegen. Daß nach aller Schmach die über ihn gekommen, erst der Tod der Gemahlin ihn dazu bewegt hätte, wäre auch ein Zeichen der Zeit!
Ich habe einige recht peinliche Wochen verlebt, und noch bin ich nicht ohne Unruhe! Ich habe Ihnen von dem wichtigen und empörenden Prozeß gesprochen den der Vater meiner jungen Deutschen hier führt, ich bin auf die unangenehmste Weise [4] darinn verwickelt worden, habe öffentlich vor dem fürchterlichsten Tribunal auftreten, meinen Namen in den Memoires sehen müßen, und von Richtern, Klägern und Advokaten wiederholen gehört. Dies ist die mich betreffende Unannehmlichkeit, die warlich nicht gering ist, dazu kommt meine Unruh über den endlichen Ausgang dieser Sache, die für den Vater meines Mädchens sehr unglücklich zu werden droht! – Daß in meinem unverworrnen und monotonen Leben und Gemüth, sich so etwas ereignen konnte, beweist doch wohl, daß nicht wir selbst unser Leben leiten!
Geben Sie mir doch ja so schnell als möglich was Sie mir über Warner mitzutheilen versprochen, ich bin äußerst begierig es zu wißen, ich sehe diesen jezt sehr oft, die Einsamkeit in Paris führt ihn zu mir, und mir gefällt er recht wohl. – Bei dieser Gelegenheit darf ich Sie wohl bitten, wenn es sich grade ereignet die Frau v. Staël zu versichern, daß der Bericht den man ihr von meiner Lebensweise gemacht hat, wenigstens falsch ist. ich lebe ein[5]sam, was sollte auch wohl die Gesellschaft zu mir führen, da gehören Eigenschaften und äußere Bedingungen dazu, die mir durchaus fehlen! übrigens war es eben diese Einsamkeit die mich fürchten ließ Albertine würde sich nicht daran gewöhnen können. Ich bin recht gerührt und dankbar für das Vertrauen der Frau v. Staël, und es sollte mich recht schmerzen, wenn der aufgegebne Reiseplan, ihren Entschluß änderte, wenn Sie lieber Freund etwas dazu beitragen können, sie in dem früheren Vorsaz zu erhalten, so thun Sie es doch, ich habe eine recht herzliche Liebe zur Fräulein Albertine, und ein kurzer Aufenthalt in Paris, könnte ihr doch auf keine Weise schaden!
Daß ich bis hierher mit meinem Schreiben gelangt bin, ist warhaftig ein Meisterstück! In einem Zimmer mit 6 Kindern, die meist zugleich, und jedes etwas andres frägt, da muß man so gern an Jemand denken, als ich an Sie um zu schreiben!
Leben Sie recht wohl mein theurer Freund, ich erwarte ungeduldig Ihren nächsten Brief, ver[6]gessen Sie Warner nicht, was machen Sie aus seinem Freund Chamisso? er ist doch entsezlich schwerfällig, wenn er in seinem Innern auch einen Schatz enthalten sollte, so muß man doch gar zu mühsam die Lasten vom Eingang wegwälzen, um sich am Gefundnen zu begnügen. – Freilich muß Ihnen die Uebersetzung auf diese Weise ungeheure Mühe machen, ich fürchte sehr daß es am Ende nicht einmahl zu Stande kömmt! Werden Sie an mich denken, wenn Ihr dritter Band erscheint, beim Shakespear erwarte ich Sie recht!
Leben Sie tausendmahl wohl
Henriette

Uebernehmen Sie gütig meine Entschuldigung bei Frau v. Staël daß ich ihren lezten Brief nicht beantworte in diesem Augenblick.
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