• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Leipzig · Place of Destination: Unknown · Date: [Januar 1792]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Leipzig
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: [Januar 1792]
  • Notations: Datum erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 37‒41.
  • Incipit: „In der langen Zwischenzeit zwischen Deinem vorletzten und letzten Brief war ich in beständiger Erwartung – und eben diese hinderte mich [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34186
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.a,Nr.8
  • Number of Pages: 6S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 22,8 x 19,1 cm
    Language
  • German
In der langen Zwischenzeit zwischen Deinem vorletzten und letzten Brief war ich in beständiger Erwartung – und eben diese hinderte mich zu schreiben. Denn von gleichgiltigen Dingen konnte ich vorher nicht schreiben. Nun endlich kommt ein erwünschter Brief mit einem neuen Beweise Deines unbedingten Zutrauens. Dieß fordert Erwiederung – und ich will über alles ohne Rückhalt meine Meinung sagen in so fern es nützlich seyn kann. Sehe ich die Sache nicht in dem richtigen Gesichtspuncte an so ist die Schuld darin daß Du mich noch immer zum halben Vertrauten gemacht hast. –
Zuerst und vor allen Dingen bitte ich Dich meinen letzten Brief nicht so zu verkennen, als wenn eigennützige Absichten dabey zum Grunde lägen. Er war ganz auf die Vermuthung berechnet, daß Deine dortigen Unterhandlungen nicht zu Deiner Zufriedenheit zu Stande kommen würden; diese Vermuthung gründete sich auf einige Ausdrücke aus hannöv[erschen] Briefen die ich zu ernstlich genommen. – In diesem Fall wiederhohle ich meine Bitte, und die Hindernisse die unserem Umgange dann im Wege stehen könnten, müssen dann schon weggeräumt werden. Ich überlasse es der Zärtlichkeit des Weibes, den Freund aus Eigennutz zu einem gewagten Schritt zu verleiten – diese kann ja noch mehr sie kann durch alle Künste zu einer Handlung verführen die die völlige Entadelung der Natur ihres Freundes zur unvermeidlichen Folge hat. – Aber sie sagt selbst sehr richtig daß der Mann der Liebe jedes Opfer bringen könne ausser eins – sein Selbstgefühl – diesem bringe er jedes Opfer oder eigentlich keins. Und so hast Du Dich gezeigt; und ich glaube, daß sie Dich höher darum achten muß, wenn sie es gleich verbirgt. – Warum beleidigst Du sie aber, wenn Du nicht wahre Verachtung gegen sie fühlst? – und wenn das, so war es genung zu schweigen. Dieß hättest Du schon nach dem zweiten Brief thun mögen, oder statt der Antwort ihn zurückschicken. Schonung verdiente ein Weib nicht die Dir unbesonnen eine Verschreibung auf Dein Glück giebt, und bald diese ganz unbefangen zerreißt, aus keinem Grunde, als weil sie fühlt daß es so <tief> in ihr liegt. Daß Du auf ihren <dritten> Brief eine andere als eine solche Antwort nöthig gefunden hast, darüber wunderst Du Dich mit Recht selbst, noch mehr wundre ich mich aber über ihre Ankündigung einer gleichgültigen Correspondenz die Du doch wohl unerbrochen lassen wirst, als wäre eine geistreiche Correspondenz so was seltnes daß die Qual die es euch beiden machen wird nicht dagegen in Anschlag kommt. Euer Bund ist ganz zu Ende und Dein Anerbieten der Freundschaft halte ich nicht für Ernst. Euer Bund ist ganz zu Ende, denn Deine Liebe zu ihr war nur Mittel zu einem hohen Zweck <den das Mittel zu zerstöhren droht>. Dieß zeigst Du indem Dir der Zweck mehr galt als das Mittel. – Du hast sie nur gebraucht, und mit Recht wirfst Du sie weg da sie Dir schädlich wird. Oder weißt Du etwa nicht daß Du in ihr Dein eignes Ideal der Größe liebtest? In einigen Jahren mußt Du einsehen daß der Grund Deiner Erhöhung in den letzten Jahren in Dir selbst lag: sie war nur der Anlaß. Und doch versichert sie Dich ganz naiv, dieß sey ganz ihr Werk. Bey einer persönlichen Zusammenkunft hätte sie vielleicht Mittel gehabt es glauben zu machen. –
Mein lieber, ich verkenne sie nicht. – Und sie hat Recht wer nichts als die Buhlerin in ihr sieht, der verdient Verachtung. Sie ist mir noch dieselbe die sie mir war. Aber ich frage nur nach dem was sie für Dich ist nicht was sie an sich ist. Und da hast Du vortreflich entschieden. Wenn sie Dich liebte und dieß ist möglich so galt ihr ihr Eigendünkel und ihre weibliche Herschbegierde mehr als Du. – Einzelne sehr große Züge verkenne ich nicht an ihr; ich wünschte doch daß sie mit der schonungslosen Aufrichtigkeit, deren sie sich rühmt auch nur einmal in ihr Innres blickte. – Ist denn die Größe – so begierig Superiorität fühlen zu lassen? spricht sie ohne Unterlaß; ich bin die Größe? und glaubt sich selbst nicht sondern bedarf jemand der sie von ihrer Größe unterhält? – Wer nicht in dem Bewußtseyn seiner unendlichen Kraft – von dem Gefühl seiner Geringfügigkeit durchdrungen ist, dessen Blick muß wenigstens etwas kurz seyn. – Hinter den Aussprüchen ihres Gefühls, die die Dunkelheit und die Anmaßung der Orakelsprüche haben als – es liegt so in mir – ich sage wie es ist nicht wie es seyn sollte – ich fühle das – es ist muß – ich darf was ich muß – hinter diesen scheinbaren Gestalten möchten vielleicht andre Dinge im Hintergrund lauern als sie selbst ahndet. – Es ist nicht unmöglich daß sie ihren Schritt einmal bereuet; sie fühlt Deinen Verlust tief. – Der arme Betrogene wird einmal fürchterlich erwachen – gewiß ohne Dein Zuthun. Deine Schilderung im vorletzten deutet auf einen Mann, von dem ich aber nicht begreifen kann, daß sie ihn grade ietzt wieder gesehn und einige andre Umstände. Ein Mann von vieler Klugheit – der sich in frostigem Eigendünkel in sich und aus sich selbst nährt. – Ich wünschte doch Aufschluß darüber. –
Ihr Urtheil über Deinen sittlichen Werth ist Dir nach Deinem letzten von großer Wichtigkeit – ein beleidigtes Weib ist wohl nicht kalte Richterin – und sie hat Dir ja in ihrem letzten Brief bewiesen daß sie auch gegen ihr Gefühl Dir Verachtung blicken lassen wird. Ueber noch einen Punct muß ich reden, den ich nicht für so ganz unwichtig halte. Sie versichert Dich in dem Briefe, wo sie Dein Kommen ablehnt Du würdest kein großer Schriftsteller werden. (Es fehlt in der That dem Brief Nro 2 nichts, als daß sie Dich wiederum auf ihr Wort versicherte, Du würdest es werden.) Ihr Urtheil hierüber gilt mir nicht so viel als sonst – es könnte aber doch Einfluß auf Dich haben – und da ich glaube es würde Dir gut seyn Dich grade ietzt durch Werke zu zerstreuen – so behalte ich mir vor einen eigenen Brief darüber zu schreiben. – Ihre verstellte Verachtung muß Dich auch nicht einen Augenblick unmuthig machen. Ich denke wenn ich abziehe, was sie dadurch daß sie Weib ist bey Dir voraus hat, die lange Gewohnheit der angemaßten Superiorität, ferner was längre Erfahrung ist wirklich vorausgiebt, und in Betreff der Trennung der Umstand daß sie aus dem Besitz eines andern redet – sie müßte in der That sehr tief unter Dir stehen wenn sie nicht ein scheinbares Uebergewicht haben sollte.
Wenn ich daran denke wie Dein Geist, grade itzt da er gewaltsam von dem Gegenstand an dem er ganz hing abgerissen ist, öde und einsam von der äußern Lage ganz dem bittren Schmerz Preiß gegeben ist, in dem er so lange gefoltert werden wird, bis er durch Leiden gestählt und veredelt durch eigne Kraft sich aufschwingt – so blutet mir das Herz daß ich nicht bey Dir seyn darf, daß ich nicht alle meine Kräfte zusammenraffen darf zu Deiner Erheiterung. Es sind Ausdrücke in Deinen Briefen, die mich fürchten lassen, daß Du sogar in Kleinmuth sinken könntest. Aber wehe Dir, wenn Du nicht bald – ruhig und glücklich bist. Sonst wäre Dir besser gewesen, und Deiner Natur angemeßner in ewger Dienerschaft zu huldigen. – Du trägst den schönen Namen Mensch mit Ehren; der Quell der Liebe und Freude in Deiner Brust ist zu rein und stark als daß niedrer Unmuth und unwürdiger Trotz ihn auf lange Zeit trüben und zurückpressen könnte. – Betrachte doch nur mit Ernst das große Ziel – Ewige unwandelbare Ruhe in Dir selbst, und zahllose geistige Freuden, aus deren jeder wieder zahllose neue entspringen – und dieß erreichst Du sicher und leicht wenn Du nur erst <einmal> alle Deine Kräfte aufs äusserste anspannst; – und nun siehe wie geringfügig ist das was Dich Deiner großen Bestimmung verlustig machen könnte – ein kurzer Schmerz, Verzagtheit und zweckloses Hadern mit dem tauben Schicksal. – Ich wünschte sehr das was so feurig in mir glüht, in den todten Buchstaben gießen zu können – die Größe, die ich weiß daß Du sie erreichen kannst, wenn Du mit Ernst willst – aber ich fühle tief wie nichts daß alles itzt für Dich ist. Mit der gewissesten Einsicht wie es seyn müßte und seyn könnte, zu wissen daß man nichts helfen kann, das ist etwas wobey nichts übrig bleibt als die armseelige Genugthuung den Gott zu verfluchen der seinen blutigen Spott mit uns treibt.
Alles was mich selbst betrifft behalte ich für den nächsten Brief. Nur von einem muß ich doch erzählen: Das Schicksal hat einen jungen Mann in meine Hand gegeben, aus dem Alles werden kann. – Er gefiel mir sehr wohl und ich kam ihm entgegen; da er mir denn bald das Heiligthum seines Herzens weit öffnete. Darin habe ich nun meinen Sitz aufgeschlagen und forsche. – Ein noch sehr junger Mensch – von schlanker guter Bildung, sehr feinem Gesicht mit schwarzen Augen, von herrlichen Ausdruck wenn er mit Feuer von etwas schönem redet – unbeschreiblich viel Feuer – er redet dreymal mehr und dreymal schneller wie wir andre – die schnellste Fassungskraft und Empfänglichkeit. Das Studium der Philosophie hat ihm üppige Leichtigkeit gegeben, schöne philosophische Gedanken zu bilden – er geht nicht auf das wahre sondern auf das schöne – seine Lieblingsschriftsteller sind Plato und Hemsterhuys – mit wildem Feuer trug er mir einen der ersten Abende seine Meinung vor – es sey gar nichts böses in der Welt – und alles nahe sich wieder dem goldenen Zeitalter. Nie sah ich so die Heiterkeit der Jugend. Seine Empfindung hat eine gewisse Keuschheit die ihren Grund in der Seele hat nicht in Unerfahrenheit. Denn er ist schon sehr viel in Gesellschaft gewesen <er wird gleich mit jedermann bekannt> ein Jahr in Jena wo er die schönen Geister und Philosophen wohl gekannt besonders Schiller. Doch ist er auch in Jena ganz Student gewesen, und hat sich wie ich höre oft geschlagen. – Er ist sehr fröhlich sehr weich und nimmt für itzt noch jede Form an, die ihm aufgedrückt wird. –
Die schöne Heiterkeit seines Geistes drückt er selbst am besten aus da er in einem Gedichte sagt „die Natur hätte ihm gegeben immer freundlich himmelwärts zu schauen“. Dieses Gedicht ist ein Sonnett welches er an Dich gemacht, weil er Deine Gedichte sehr liebt. – Es ist aber schon vor einigen Jahren gemacht und Du mußt sein Talent nicht danach beurtheilen. – Ich habe seine Werke durchgesehn: die äußerste Unreife der Sprache und Versification, ständige unruhige Abschweifungen von dem eigentlichen Gegenstand, zu großes Maaß der Länge, und <üppiger> Ueberfluß an halbvollendeten Bildern, so wie beym Uebergang des Chaos in Welt nach dem Ovid – verhindern mich nicht das in ihm zu wittern, was den guten vielleicht den großen lyrischen Dichter machen kann – eine originelle und schöne Empfindungsweise, und Empfänglichkeit für alle Töne der Empfindung. – Im Merkur April 1791 stehn Klagen eines Jünglings von ihm. Die Sonnette hat er mir versprochen und kann ich sie vielleicht beylegen. Sein Name ist von Hardenberg.
Das Verhältniß mit einem jüngern als ich, gewährt mir eine neue Wollust, der ich mich überlassen.
Das Gedicht das nächstemal.
In der langen Zwischenzeit zwischen Deinem vorletzten und letzten Brief war ich in beständiger Erwartung – und eben diese hinderte mich zu schreiben. Denn von gleichgiltigen Dingen konnte ich vorher nicht schreiben. Nun endlich kommt ein erwünschter Brief mit einem neuen Beweise Deines unbedingten Zutrauens. Dieß fordert Erwiederung – und ich will über alles ohne Rückhalt meine Meinung sagen in so fern es nützlich seyn kann. Sehe ich die Sache nicht in dem richtigen Gesichtspuncte an so ist die Schuld darin daß Du mich noch immer zum halben Vertrauten gemacht hast. –
Zuerst und vor allen Dingen bitte ich Dich meinen letzten Brief nicht so zu verkennen, als wenn eigennützige Absichten dabey zum Grunde lägen. Er war ganz auf die Vermuthung berechnet, daß Deine dortigen Unterhandlungen nicht zu Deiner Zufriedenheit zu Stande kommen würden; diese Vermuthung gründete sich auf einige Ausdrücke aus hannöv[erschen] Briefen die ich zu ernstlich genommen. – In diesem Fall wiederhohle ich meine Bitte, und die Hindernisse die unserem Umgange dann im Wege stehen könnten, müssen dann schon weggeräumt werden. Ich überlasse es der Zärtlichkeit des Weibes, den Freund aus Eigennutz zu einem gewagten Schritt zu verleiten – diese kann ja noch mehr sie kann durch alle Künste zu einer Handlung verführen die die völlige Entadelung der Natur ihres Freundes zur unvermeidlichen Folge hat. – Aber sie sagt selbst sehr richtig daß der Mann der Liebe jedes Opfer bringen könne ausser eins – sein Selbstgefühl – diesem bringe er jedes Opfer oder eigentlich keins. Und so hast Du Dich gezeigt; und ich glaube, daß sie Dich höher darum achten muß, wenn sie es gleich verbirgt. – Warum beleidigst Du sie aber, wenn Du nicht wahre Verachtung gegen sie fühlst? – und wenn das, so war es genung zu schweigen. Dieß hättest Du schon nach dem zweiten Brief thun mögen, oder statt der Antwort ihn zurückschicken. Schonung verdiente ein Weib nicht die Dir unbesonnen eine Verschreibung auf Dein Glück giebt, und bald diese ganz unbefangen zerreißt, aus keinem Grunde, als weil sie fühlt daß es so <tief> in ihr liegt. Daß Du auf ihren <dritten> Brief eine andere als eine solche Antwort nöthig gefunden hast, darüber wunderst Du Dich mit Recht selbst, noch mehr wundre ich mich aber über ihre Ankündigung einer gleichgültigen Correspondenz die Du doch wohl unerbrochen lassen wirst, als wäre eine geistreiche Correspondenz so was seltnes daß die Qual die es euch beiden machen wird nicht dagegen in Anschlag kommt. Euer Bund ist ganz zu Ende und Dein Anerbieten der Freundschaft halte ich nicht für Ernst. Euer Bund ist ganz zu Ende, denn Deine Liebe zu ihr war nur Mittel zu einem hohen Zweck <den das Mittel zu zerstöhren droht>. Dieß zeigst Du indem Dir der Zweck mehr galt als das Mittel. – Du hast sie nur gebraucht, und mit Recht wirfst Du sie weg da sie Dir schädlich wird. Oder weißt Du etwa nicht daß Du in ihr Dein eignes Ideal der Größe liebtest? In einigen Jahren mußt Du einsehen daß der Grund Deiner Erhöhung in den letzten Jahren in Dir selbst lag: sie war nur der Anlaß. Und doch versichert sie Dich ganz naiv, dieß sey ganz ihr Werk. Bey einer persönlichen Zusammenkunft hätte sie vielleicht Mittel gehabt es glauben zu machen. –
Mein lieber, ich verkenne sie nicht. – Und sie hat Recht wer nichts als die Buhlerin in ihr sieht, der verdient Verachtung. Sie ist mir noch dieselbe die sie mir war. Aber ich frage nur nach dem was sie für Dich ist nicht was sie an sich ist. Und da hast Du vortreflich entschieden. Wenn sie Dich liebte und dieß ist möglich so galt ihr ihr Eigendünkel und ihre weibliche Herschbegierde mehr als Du. – Einzelne sehr große Züge verkenne ich nicht an ihr; ich wünschte doch daß sie mit der schonungslosen Aufrichtigkeit, deren sie sich rühmt auch nur einmal in ihr Innres blickte. – Ist denn die Größe – so begierig Superiorität fühlen zu lassen? spricht sie ohne Unterlaß; ich bin die Größe? und glaubt sich selbst nicht sondern bedarf jemand der sie von ihrer Größe unterhält? – Wer nicht in dem Bewußtseyn seiner unendlichen Kraft – von dem Gefühl seiner Geringfügigkeit durchdrungen ist, dessen Blick muß wenigstens etwas kurz seyn. – Hinter den Aussprüchen ihres Gefühls, die die Dunkelheit und die Anmaßung der Orakelsprüche haben als – es liegt so in mir – ich sage wie es ist nicht wie es seyn sollte – ich fühle das – es ist muß – ich darf was ich muß – hinter diesen scheinbaren Gestalten möchten vielleicht andre Dinge im Hintergrund lauern als sie selbst ahndet. – Es ist nicht unmöglich daß sie ihren Schritt einmal bereuet; sie fühlt Deinen Verlust tief. – Der arme Betrogene wird einmal fürchterlich erwachen – gewiß ohne Dein Zuthun. Deine Schilderung im vorletzten deutet auf einen Mann, von dem ich aber nicht begreifen kann, daß sie ihn grade ietzt wieder gesehn und einige andre Umstände. Ein Mann von vieler Klugheit – der sich in frostigem Eigendünkel in sich und aus sich selbst nährt. – Ich wünschte doch Aufschluß darüber. –
Ihr Urtheil über Deinen sittlichen Werth ist Dir nach Deinem letzten von großer Wichtigkeit – ein beleidigtes Weib ist wohl nicht kalte Richterin – und sie hat Dir ja in ihrem letzten Brief bewiesen daß sie auch gegen ihr Gefühl Dir Verachtung blicken lassen wird. Ueber noch einen Punct muß ich reden, den ich nicht für so ganz unwichtig halte. Sie versichert Dich in dem Briefe, wo sie Dein Kommen ablehnt Du würdest kein großer Schriftsteller werden. (Es fehlt in der That dem Brief Nro 2 nichts, als daß sie Dich wiederum auf ihr Wort versicherte, Du würdest es werden.) Ihr Urtheil hierüber gilt mir nicht so viel als sonst – es könnte aber doch Einfluß auf Dich haben – und da ich glaube es würde Dir gut seyn Dich grade ietzt durch Werke zu zerstreuen – so behalte ich mir vor einen eigenen Brief darüber zu schreiben. – Ihre verstellte Verachtung muß Dich auch nicht einen Augenblick unmuthig machen. Ich denke wenn ich abziehe, was sie dadurch daß sie Weib ist bey Dir voraus hat, die lange Gewohnheit der angemaßten Superiorität, ferner was längre Erfahrung ist wirklich vorausgiebt, und in Betreff der Trennung der Umstand daß sie aus dem Besitz eines andern redet – sie müßte in der That sehr tief unter Dir stehen wenn sie nicht ein scheinbares Uebergewicht haben sollte.
Wenn ich daran denke wie Dein Geist, grade itzt da er gewaltsam von dem Gegenstand an dem er ganz hing abgerissen ist, öde und einsam von der äußern Lage ganz dem bittren Schmerz Preiß gegeben ist, in dem er so lange gefoltert werden wird, bis er durch Leiden gestählt und veredelt durch eigne Kraft sich aufschwingt – so blutet mir das Herz daß ich nicht bey Dir seyn darf, daß ich nicht alle meine Kräfte zusammenraffen darf zu Deiner Erheiterung. Es sind Ausdrücke in Deinen Briefen, die mich fürchten lassen, daß Du sogar in Kleinmuth sinken könntest. Aber wehe Dir, wenn Du nicht bald – ruhig und glücklich bist. Sonst wäre Dir besser gewesen, und Deiner Natur angemeßner in ewger Dienerschaft zu huldigen. – Du trägst den schönen Namen Mensch mit Ehren; der Quell der Liebe und Freude in Deiner Brust ist zu rein und stark als daß niedrer Unmuth und unwürdiger Trotz ihn auf lange Zeit trüben und zurückpressen könnte. – Betrachte doch nur mit Ernst das große Ziel – Ewige unwandelbare Ruhe in Dir selbst, und zahllose geistige Freuden, aus deren jeder wieder zahllose neue entspringen – und dieß erreichst Du sicher und leicht wenn Du nur erst <einmal> alle Deine Kräfte aufs äusserste anspannst; – und nun siehe wie geringfügig ist das was Dich Deiner großen Bestimmung verlustig machen könnte – ein kurzer Schmerz, Verzagtheit und zweckloses Hadern mit dem tauben Schicksal. – Ich wünschte sehr das was so feurig in mir glüht, in den todten Buchstaben gießen zu können – die Größe, die ich weiß daß Du sie erreichen kannst, wenn Du mit Ernst willst – aber ich fühle tief wie nichts daß alles itzt für Dich ist. Mit der gewissesten Einsicht wie es seyn müßte und seyn könnte, zu wissen daß man nichts helfen kann, das ist etwas wobey nichts übrig bleibt als die armseelige Genugthuung den Gott zu verfluchen der seinen blutigen Spott mit uns treibt.
Alles was mich selbst betrifft behalte ich für den nächsten Brief. Nur von einem muß ich doch erzählen: Das Schicksal hat einen jungen Mann in meine Hand gegeben, aus dem Alles werden kann. – Er gefiel mir sehr wohl und ich kam ihm entgegen; da er mir denn bald das Heiligthum seines Herzens weit öffnete. Darin habe ich nun meinen Sitz aufgeschlagen und forsche. – Ein noch sehr junger Mensch – von schlanker guter Bildung, sehr feinem Gesicht mit schwarzen Augen, von herrlichen Ausdruck wenn er mit Feuer von etwas schönem redet – unbeschreiblich viel Feuer – er redet dreymal mehr und dreymal schneller wie wir andre – die schnellste Fassungskraft und Empfänglichkeit. Das Studium der Philosophie hat ihm üppige Leichtigkeit gegeben, schöne philosophische Gedanken zu bilden – er geht nicht auf das wahre sondern auf das schöne – seine Lieblingsschriftsteller sind Plato und Hemsterhuys – mit wildem Feuer trug er mir einen der ersten Abende seine Meinung vor – es sey gar nichts böses in der Welt – und alles nahe sich wieder dem goldenen Zeitalter. Nie sah ich so die Heiterkeit der Jugend. Seine Empfindung hat eine gewisse Keuschheit die ihren Grund in der Seele hat nicht in Unerfahrenheit. Denn er ist schon sehr viel in Gesellschaft gewesen <er wird gleich mit jedermann bekannt> ein Jahr in Jena wo er die schönen Geister und Philosophen wohl gekannt besonders Schiller. Doch ist er auch in Jena ganz Student gewesen, und hat sich wie ich höre oft geschlagen. – Er ist sehr fröhlich sehr weich und nimmt für itzt noch jede Form an, die ihm aufgedrückt wird. –
Die schöne Heiterkeit seines Geistes drückt er selbst am besten aus da er in einem Gedichte sagt „die Natur hätte ihm gegeben immer freundlich himmelwärts zu schauen“. Dieses Gedicht ist ein Sonnett welches er an Dich gemacht, weil er Deine Gedichte sehr liebt. – Es ist aber schon vor einigen Jahren gemacht und Du mußt sein Talent nicht danach beurtheilen. – Ich habe seine Werke durchgesehn: die äußerste Unreife der Sprache und Versification, ständige unruhige Abschweifungen von dem eigentlichen Gegenstand, zu großes Maaß der Länge, und <üppiger> Ueberfluß an halbvollendeten Bildern, so wie beym Uebergang des Chaos in Welt nach dem Ovid – verhindern mich nicht das in ihm zu wittern, was den guten vielleicht den großen lyrischen Dichter machen kann – eine originelle und schöne Empfindungsweise, und Empfänglichkeit für alle Töne der Empfindung. – Im Merkur April 1791 stehn Klagen eines Jünglings von ihm. Die Sonnette hat er mir versprochen und kann ich sie vielleicht beylegen. Sein Name ist von Hardenberg.
Das Verhältniß mit einem jüngern als ich, gewährt mir eine neue Wollust, der ich mich überlassen.
Das Gedicht das nächstemal.
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