• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wien · Place of Destination: Unknown · Date: 20.10.1813
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wien
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 20.10.1813
    Printed Text
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: 362613826
  • Bibliography: Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm. Hg. v. Oskar Walzel. Berlin 1890, S. 544‒547.
  • Incipit: „Wien, den 20ten Oktober 1813.
    Geliebter Bruder, Ich bin sehr betrübt darüber daß Du mir gar nicht schreibst und auch wohl mit [...]“
    Manuscript
  • Provider: Dresden, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek
  • OAI Id: DE-1a-34288
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.d,Nr.196
  • Number of Pages: 7S., hs. m. U.
  • Format: 19,3 x 11,8 cm; 7,8 x 11,8
    Language
  • German
Wien, den 20ten Oktober 1813.
Geliebter Bruder, Ich bin sehr betrübt darüber daß Du mir gar nicht schreibst und auch wohl mit Recht sehr böse. Du scheinst mich ganz vergessen zu haben, da ich doch vorigen Winter und auch diesen Sommer jede Gelegenheit ergriff, Dir Nachricht von mir zu geben. Sogar von Berlin aus, wo Du warst, wie ich erst nachher erfuhr, hast Du mir nicht geschrieben, und wenn Du jetzt auch viel zu thun hast, so entschuldigt Dich dieß doch keineswegs, da man immer Zeit findet, einige Zeilen zu schreiben. An Genz hast Du doch noch neuerdings geschrieben, ich habe aber leider von diesem Briefe nichts zu sehen bekommen, da er schon in Böhmen war, und weiß nur daß der übersandte Aufsatz (oder war es der Brief selbst, den man seiner Ausführlichkeit wegen so benannte?) sehr gefallen hat; da er aber in das große Chaos der ministeriellen Papiere gerathen, so ist gar keine Hoffnung ihn jemals wieder zu sehen zu bekommen. Wir sollten jetzt um so weniger so getrennt von einander seyn, da ich grade jetzt mit sehr wichtigen Aufträgen und Arbeiten für den politischen Zustand von Deutschland beschäftigt bin. Um so mehr wünschte ich auch wohl Deine Ideen darüber zu wissen und den Aufsatz zu sehen, welchen Du früher darüber niedergeschrieben hast. Meine Gedanken und Vorschläge haben zum Theil auch Beyfall gefunden, besonders die über Bayern, dessen Beitritt ich für wichtiger halte als 10 gewonnene Schlachten. Nun ist unsre Sache erst eine allgemeine Deutsche. Die schwedischen Bülletins finden hier viel Beifall, ungeachtet manche Ansichten und Aeußerungen darin, wie natürlich eben nur schwedisch sind. Aber Sprache und Gesinnung ist frey und frank und so gefallen sie leicht. Hast Du Antheil daran oder Einfluß darauf, so sorge nur ja das Deutsche Interesse überall so sehr hinein zu verflechten, als es nur irgend möglich ist. ‒ Unser redliches, altes Hannover wird jetzt, wenn ich nicht irre, noch eine sehr bedeutende Rolle in Deutschland erhalten und behaupten; bist Du auch dieser Meynung? Was hältst Du von den Preußen, ich meine nicht ihre Armee und ihre patriotische Aufopferung; die sind untadelich und Muster für alle andren Völker: aber ihre politischen Ideen? Hier scheinen sie mir noch in allerley Uebel befangen. Aus mancherley früheren Äußerungen von Dir gegen mich und Genz zu schließen seht Ihr dort alle nicht hinlänglich die unvermeidliche Nothwendigkeit ein, daß Deutschland eine durchaus neue (wenn gleich an das Alte sich anschließende) Verfassung haben muß. Das alte Reichsgerumpel ist völlig unbrauchbar für die Zukunft. ‒
Da ich nun gegenwärtig auch eine politisch wichtige Person bin, so hoffe ich Du wirst Dich vielleicht in so weit überwinden, daß Du mir einmal wieder Nachricht von Dir giebst. Daß Du es so lange unterlassen hast, kann ich Dir in der That kaum verzeihen.
Deine Deutsche Schrift gegen die Dänen habe ich mit vielem Vergnügen gelesen; fast hat sie mir noch besser gefallen als die französische. Du hättest wegen Holstein noch bemerken können, daß der König von Dänemark grade der Wahl der Stände, die er jetzt widerrechtlicher Weise aufgehoben hat, Holstein verdankt; diese Wahl geschah 1459 und ward von Kaiser Friedrich IV bestätigt; obwohl die Wahl der Stände nun ohne Kaiserliche Bestätigung nicht zureichend gewesen seyn würde, so ist jene Thatsache doch immer merkwürdig. ‒ Auch Schleswig verdankt Dänemark nur der Großmuth des russischen Hofes. Das Haus Holstein-Gottorp hatte die unbezweifeltsten und gerechtesten Ansprüche darauf, die Kaiser Peter III (aus selbigem Hause) geltend machen wollte, was er freylich leicht gekonnt hätte. Dieß war 1766; im Jahre 1773 trat Großfürst Paul (nachher Kaiser, Vater von Alexander) seinen Antheil von Holstein nebst dem Anspruch auf ganz Schleswig gegen Oldenburg an Dänemark ab; was in der That ein äußerst großmüthiger Tausch war. ‒ Vergiß auch nicht, es den Dänen bey Gelegenheit unter die Nase zu reiben, daß ihre Un-Verfassung eine durchaus undeutsche ist; die schwedische dagegen eine wahrhaft alte und rein-deutsche. Ergreife ja nur überhaupt jede Gelegenheit, der Aufrechthaltung oder Wiedereinsetznng der Landstände in allen Deutschen Ländern auf das kräftigste das Wort zu reden; denn das ist die eigentliche Grundlage Deutscher Verfassung und Deutscher Lebenseinrichtung. ‒ In einem schwedischen Bulletin stand neulich: der Kampf für die Unabhängigkeit der Fürsten und die Freyheit von Deutschland. Besser hätte es geheißen, für die Abhängigkeit der Fürsten und Freyheit der Deutschen Nation: denn eben daß die Canaillen so unabhängig waren, hat uns ja um die Freyheit gebracht: und dafür muß gesorgt werden, daß sie nicht wieder ungestraft solche Dummheiten und solchen Hochverrath begehen können.
Antworte mir nur ja bald; ich werde dann auch nicht saumselig seyn. ‒ Ich bin nun zwar wieder in politischer Thätigkeit, aber sonst nichts weniger als zufrieden. Ich bin ungeduldig hier, und da ich vor der Hand von meinen Arbeiten noch keinen Vortheil ziehe, so bin ich in einer schlechten Lage, was das äußre betrift; so daß es mir eigentlich im höchsten Grade übel geht. Schreibe nur gelegentlich an Genz in den stärksten Ausdrücken darüber, wie schändlich es doch ist, daß man hier so gar nichts für mich thut. Desgl. an Sickingen, doch an Genz ist wichtiger. Wenn er etwas für mich hätte thun wollen, so hätte er es schon längst gekonnt. ‒ Schreibe doch auch an Pilat der jetzt im Hauptquartier beym Grafen Metternich ist; er hat sich in der letzten Zeit recht freundschaftlich gegen mich gezeigt. Es wäre gut, wenn Du in Verbindung mit ihm ständest. ‒ Schreibe mir nur ja bald.
Dein Friedrich Schlegel.
Ich habe hier mit einem Engländer Mackenzie Bekanntschaft gemacht, der mir sehr gefällt*). Er hat unter allen Engländern die ich kenne am meisten Sinn für Deutschland, und erfreute sich sehr an dem was ich ihm davon erzählte. Er war der Meynnng, das Systeme Continental sey von der Staël; ich habe ihn darüber eines bessern belehrt. Dasselbe sagten mir auch mehrere andre. Besonders aus England scheint sich dieser Irrthum zu verbreiten. Hat sie sich denn dessen angemaßt? Schreib mir doch auch, was Du von ihr weißt und ob sie das Werk über Deutsche Litteratur wird in England drucken lassen. ‒ Wäre jene irrige Meynung in England allgemein verbreitet, so müßte man es doch zu widerlegen suchen. ‒
*) Sein Nahmen wird Dir wohl bekannt seyn, da er zu mehreren diplomatischen Missionen gebraucht worden.
Wien, den 20ten Oktober 1813.
Geliebter Bruder, Ich bin sehr betrübt darüber daß Du mir gar nicht schreibst und auch wohl mit Recht sehr böse. Du scheinst mich ganz vergessen zu haben, da ich doch vorigen Winter und auch diesen Sommer jede Gelegenheit ergriff, Dir Nachricht von mir zu geben. Sogar von Berlin aus, wo Du warst, wie ich erst nachher erfuhr, hast Du mir nicht geschrieben, und wenn Du jetzt auch viel zu thun hast, so entschuldigt Dich dieß doch keineswegs, da man immer Zeit findet, einige Zeilen zu schreiben. An Genz hast Du doch noch neuerdings geschrieben, ich habe aber leider von diesem Briefe nichts zu sehen bekommen, da er schon in Böhmen war, und weiß nur daß der übersandte Aufsatz (oder war es der Brief selbst, den man seiner Ausführlichkeit wegen so benannte?) sehr gefallen hat; da er aber in das große Chaos der ministeriellen Papiere gerathen, so ist gar keine Hoffnung ihn jemals wieder zu sehen zu bekommen. Wir sollten jetzt um so weniger so getrennt von einander seyn, da ich grade jetzt mit sehr wichtigen Aufträgen und Arbeiten für den politischen Zustand von Deutschland beschäftigt bin. Um so mehr wünschte ich auch wohl Deine Ideen darüber zu wissen und den Aufsatz zu sehen, welchen Du früher darüber niedergeschrieben hast. Meine Gedanken und Vorschläge haben zum Theil auch Beyfall gefunden, besonders die über Bayern, dessen Beitritt ich für wichtiger halte als 10 gewonnene Schlachten. Nun ist unsre Sache erst eine allgemeine Deutsche. Die schwedischen Bülletins finden hier viel Beifall, ungeachtet manche Ansichten und Aeußerungen darin, wie natürlich eben nur schwedisch sind. Aber Sprache und Gesinnung ist frey und frank und so gefallen sie leicht. Hast Du Antheil daran oder Einfluß darauf, so sorge nur ja das Deutsche Interesse überall so sehr hinein zu verflechten, als es nur irgend möglich ist. ‒ Unser redliches, altes Hannover wird jetzt, wenn ich nicht irre, noch eine sehr bedeutende Rolle in Deutschland erhalten und behaupten; bist Du auch dieser Meynung? Was hältst Du von den Preußen, ich meine nicht ihre Armee und ihre patriotische Aufopferung; die sind untadelich und Muster für alle andren Völker: aber ihre politischen Ideen? Hier scheinen sie mir noch in allerley Uebel befangen. Aus mancherley früheren Äußerungen von Dir gegen mich und Genz zu schließen seht Ihr dort alle nicht hinlänglich die unvermeidliche Nothwendigkeit ein, daß Deutschland eine durchaus neue (wenn gleich an das Alte sich anschließende) Verfassung haben muß. Das alte Reichsgerumpel ist völlig unbrauchbar für die Zukunft. ‒
Da ich nun gegenwärtig auch eine politisch wichtige Person bin, so hoffe ich Du wirst Dich vielleicht in so weit überwinden, daß Du mir einmal wieder Nachricht von Dir giebst. Daß Du es so lange unterlassen hast, kann ich Dir in der That kaum verzeihen.
Deine Deutsche Schrift gegen die Dänen habe ich mit vielem Vergnügen gelesen; fast hat sie mir noch besser gefallen als die französische. Du hättest wegen Holstein noch bemerken können, daß der König von Dänemark grade der Wahl der Stände, die er jetzt widerrechtlicher Weise aufgehoben hat, Holstein verdankt; diese Wahl geschah 1459 und ward von Kaiser Friedrich IV bestätigt; obwohl die Wahl der Stände nun ohne Kaiserliche Bestätigung nicht zureichend gewesen seyn würde, so ist jene Thatsache doch immer merkwürdig. ‒ Auch Schleswig verdankt Dänemark nur der Großmuth des russischen Hofes. Das Haus Holstein-Gottorp hatte die unbezweifeltsten und gerechtesten Ansprüche darauf, die Kaiser Peter III (aus selbigem Hause) geltend machen wollte, was er freylich leicht gekonnt hätte. Dieß war 1766; im Jahre 1773 trat Großfürst Paul (nachher Kaiser, Vater von Alexander) seinen Antheil von Holstein nebst dem Anspruch auf ganz Schleswig gegen Oldenburg an Dänemark ab; was in der That ein äußerst großmüthiger Tausch war. ‒ Vergiß auch nicht, es den Dänen bey Gelegenheit unter die Nase zu reiben, daß ihre Un-Verfassung eine durchaus undeutsche ist; die schwedische dagegen eine wahrhaft alte und rein-deutsche. Ergreife ja nur überhaupt jede Gelegenheit, der Aufrechthaltung oder Wiedereinsetznng der Landstände in allen Deutschen Ländern auf das kräftigste das Wort zu reden; denn das ist die eigentliche Grundlage Deutscher Verfassung und Deutscher Lebenseinrichtung. ‒ In einem schwedischen Bulletin stand neulich: der Kampf für die Unabhängigkeit der Fürsten und die Freyheit von Deutschland. Besser hätte es geheißen, für die Abhängigkeit der Fürsten und Freyheit der Deutschen Nation: denn eben daß die Canaillen so unabhängig waren, hat uns ja um die Freyheit gebracht: und dafür muß gesorgt werden, daß sie nicht wieder ungestraft solche Dummheiten und solchen Hochverrath begehen können.
Antworte mir nur ja bald; ich werde dann auch nicht saumselig seyn. ‒ Ich bin nun zwar wieder in politischer Thätigkeit, aber sonst nichts weniger als zufrieden. Ich bin ungeduldig hier, und da ich vor der Hand von meinen Arbeiten noch keinen Vortheil ziehe, so bin ich in einer schlechten Lage, was das äußre betrift; so daß es mir eigentlich im höchsten Grade übel geht. Schreibe nur gelegentlich an Genz in den stärksten Ausdrücken darüber, wie schändlich es doch ist, daß man hier so gar nichts für mich thut. Desgl. an Sickingen, doch an Genz ist wichtiger. Wenn er etwas für mich hätte thun wollen, so hätte er es schon längst gekonnt. ‒ Schreibe doch auch an Pilat der jetzt im Hauptquartier beym Grafen Metternich ist; er hat sich in der letzten Zeit recht freundschaftlich gegen mich gezeigt. Es wäre gut, wenn Du in Verbindung mit ihm ständest. ‒ Schreibe mir nur ja bald.
Dein Friedrich Schlegel.
Ich habe hier mit einem Engländer Mackenzie Bekanntschaft gemacht, der mir sehr gefällt*). Er hat unter allen Engländern die ich kenne am meisten Sinn für Deutschland, und erfreute sich sehr an dem was ich ihm davon erzählte. Er war der Meynnng, das Systeme Continental sey von der Staël; ich habe ihn darüber eines bessern belehrt. Dasselbe sagten mir auch mehrere andre. Besonders aus England scheint sich dieser Irrthum zu verbreiten. Hat sie sich denn dessen angemaßt? Schreib mir doch auch, was Du von ihr weißt und ob sie das Werk über Deutsche Litteratur wird in England drucken lassen. ‒ Wäre jene irrige Meynung in England allgemein verbreitet, so müßte man es doch zu widerlegen suchen. ‒
*) Sein Nahmen wird Dir wohl bekannt seyn, da er zu mehreren diplomatischen Missionen gebraucht worden.
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