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Februar [1812] <br>Liebe Freundin! Sie jagen mir einen großen Schrecken wegen Ihres Befindens ein. Ich hoffe nur, Sie beobachten gewissenhaft alle ärztlichen Vorschriften und haben außer Jurine und Butini noch Odier konsultiert. Das bestärkt mich in meiner Meinung, Sie müßten im Frühjahr Mineralbäder nehmen; ich glaube auch, daß Sie sich Bewegung machen, also täglich viel spazieren gehen sollten, sobald es die Jahreszeit erlaubt. Leider haben wir hier wieder Winter, keine andauernde Kälte, aber Schnee und sehr schlechtes Wetter. Das wird aber nicht lange dauern, und mein Gepäck wird bald in Ordnung sein, um aufs Land zu gehen, sobald ich dort nicht allein zu sein brauche. Ich möchte so gern dazu beitragen, Ihnen die traurigen Gedanken zu vertreiben, aber leider vermag ich ja so wenig dazu zu tun.<br>Sie schreiben mir nichts über Alberts Befinden. Ich hoffe, er ist in der Genesung begriffen. Er macht recht früh schon unangenehme Erfahrungen. <br>An Ihrem Plan eines epischen Gedichtes nehme ich lebhaften Anteil. Sie wissen recht gut, wenn es sich um Stoff für eine Dichtung handelt, erscheint mir nichts zu wunderlich oder zu gewagt. Ich würde mir ein Vergnügen daraus machen, die Quellen neuer Dichtungsstoffe für Sie auszubeuten. <br>Sie schreiben mir sehr amüsante und charakteristische Anekdoten. Ich möchte gern Gleiches mit Gleichem vergelten, aber ich weiß nur von ganz gewöhnlichen Neuigkeiten zu berichten, die auf Hörensagen beruhen. Was Sie über große Kriegsvorbereitungen sagen, scheint mir durchaus begründet; die ungewöhnliche Getreideteuerung berechtigt zu der Annahme, daß man diesmal Magazine anlegt. Die Schweizer Regimenter, die nach Deutschland marschieren, bilden mit den Bayern eine Division. Man glaubt sich so sicher, daß Preußen angesichts seiner Lage für Frankreich Partei ergreifen wird, daß man bereits Davoust als künftigen Befehlshaber der preußischen Truppen bezeichnet. Auf das Zeugnis eines angeblich Münchener Briefes hin versichert man, Österreich habe die Erklärung abgegeben, es wolle neutral bleiben und werde sich gegen jede Macht wenden, die es zum Kriege zwingen wolle. Indessen geht der österreichische Wechselkurs wieder zum Teufel – zweifellos unter dem Einfluß der Aussicht auf neue Stürme. Die Equipagen des Kaisers sind von Paris fortgeschafft, und zwar nicht nur die Kriegswagen, sondern auch die Galawagen, die bei feierlichen Gelegenheiten benutzt werden. Ein deutscher Kutscher erzählte mir das, und da diese Neuigkeit in den Bereich des Kutscherhorizontes gehört, kann man sie wohl glauben.<br>Was literarische Neuigkeiten betrifft, so scheint mir die Auseinandersetzung Schelling-Jacobi recht lebhaft zu werden. Sie werfen sich gegenseitig Atheismus vor, als wenn sie miteinander Ball spielten. Ihre Schriften selber habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen. Es war vorauszusehen, daß das Buch meines Bruders <span class="slant-italic ">Über die neuere Geschichte </span>heftige Angriffe aus dem Lager seiner Gegner zur Folge haben würde. Soeben lese ich einen ungemein langen Auszug in der Hallenser <span class="slant-italic ">Allgemeinen Litteraturzeitung</span>, in der man nichts übergangen hat, was den Eindruck abzuschwächen imstande ist, den es etwa hervorrufen könnte. Mir scheint, diese Kritik hat Herrn Rehberg, unsern Landsmann, zum Verfasser, der schon über die französische Revolution, gegen Rousseau, über Macchiavelli und mehrere andere philosophische und politische Themen Ausgezeichnetes geschrieben hat. Der Angriff ist übrigens in einem würdigen, gemäßigten Ton gehalten – der Verfasser sieht sich gezwungen, meinem Bruder viele Zugeständnisse zu machen.<br>Was Sie über Herrn von Chamisso schreiben, erinnert mich daran, daß ich vor einiger Zeit einen Brief von Frau Chézy hatte, recht gefühlvoll, mit rosenroten Wölkchen. Das Kind, das sie zur Welt gebracht hat, ist bald nach seiner Geburt gestorben. Sie meint, das Dasein dieses Kindes habe sie über die Ungerechtigkeit der Menschen und die Treulosigkeit von Freunden getröstet, auf die sie im Leben wie im Tode gerechnet hatte. Man muß doch sagen, daß die deutschen Frauen ebenso leichthin und wortreich über Herzenssachen sprechen wie die französischen Männer über Politik; dennoch kann ich nicht begreifen, wie man eine Frau, so leichtsinnig sie auch sein mag, in eine solche Lage bringen und dann schutzlos durch die Welt irren lassen kann.<br>Leben Sie wohl, liebe Freundin! Ungeduldig warte ich auf Nachricht von Ihnen. Glauben Sie an meine ständige, unerschütterliche Ergebenheit; ich habe glückliche, glänzende Tage bei Ihnen verlebt, ich werde Sie in traurigeren Zeiten nicht verlassen. Ich hoffe noch immer, der Horizont wird sich bald aufklären. Man darf sich nicht deprimieren lassen, sonst wird das Leben völlig sinnlos. 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Sie heiratete 1786 den schwedischen Diplomaten Erik Magnus von Staël-Holstein in Paris. Die Eheleute lebten von Anfang an getrennt. Zu ihren ersten Veröffentlichungen zählten die „Lettres sur les ecrits et le charactère de J.-J. Rousseau“, die 1788 erschienen. Neben der Tätigkeit als Schriftstellerin wurde Germaine de Staël-Holstein als einflussreiche Salonnière berühmt. Unter ihrem politischen Einfluss stand u.a. Benjamin Constant, mit dem sie eine langjährige Beziehung führte und der der Vater ihrer Tochter Albertine war. Ihr politischer Liberalismus und die Befürwortung einer konstitutionellen Monarchie führten 1792 zu ihrer Verbannung ins schweizerische Exil. Gemeinsam mit ihren Kindern bezog sie Schloss Coppet am Genfer See, das nun zum Treffpunkt Intellektueller und Künstler ganz Europas avancierte. Nur selten war der Schriftstellerin der Aufenthalt in Frankreich gestattet. Während ausgedehnter Reisen in den Folgejahren nach Deutschland (1803/04 und 1808) und Italien (1805) war sie zumeist in Begleitung ihres Freundes und Hauslehrers AWS sowie Benjamin Constants. Großen Erfolg hatte sie mit ihrem Werk „De LʼAllemagne“ (1810) sowie mit ihrem Roman „Corinne ou LʼItalie“ (1807) und politischen Schriften. Die Verfolgung durch die französische Regierung veranlasste Germaine de Staël-Holstein am 23. Mai 1812 zur Flucht über die Schweiz nach Österreich, Russland und schließlich Schweden. Anschließend hielten sie sich von 1813 bis 1814 in London auf. Nach der Rückkehr in die Schweiz heiratete de Staël-Holstein 1816 den Vater ihres jüngsten Kindes, John Rocca.', '39_quellen' => 'WBIS@http://db.saur.de/WBIS/basicSearch.jsf@D834-624-6@ extern@Roger Paulin: August Wilhelm Schlegel. Cosmopolitan of Art and Poetry. Cambridge 2016.@ extern@Briefe von und an August Wilhelm Schlegel. Ges. u. erl. d. Josef Körner. 2. Bd. Die Erläuterungen. Zürich u.a. 1930, S. 121, 138. 138-139.@ extern@Hofmann, Etienne „Staël, Germaine de“, URL: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/f/F16051.php@ Wikipedia@http://de.wikipedia.org/wiki/Anne_Louise_Germaine_de_Sta%C3%ABl@', '39_beziehung' => 'AWS machte gegen Ende des Jahres 1804 in Berlin die persönliche Bekanntschaft mit Germaine de Staël-Holstein. Als Hauslehrer ihrer Kinder gehörte er zum Coppeter Zirkel. Er begleitete Mme de Staël-Holstein auf ihren zahlreichen Reisen und war auch als ihr Berater im Hinblick auf die deutsche Literatur tätig; sein wichtiger Anteil an ihrem bedeutendsten Werk „De LʼAllemagne“ (1810) ist heute unbestritten. Auch Friedrich von Schlegel gehörte zu den zahlreichen Gästen auf Schloss Coppet. In Zeiten des politischen Umbruches begleitete AWS die Familie de Staël-Holstein durch Europa. Den Kindern Mme de Staël-Holsteins blieb AWS auch nach ihrem Tod verbunden. 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Bern, den 27. Februar [1812]
Liebe Freundin! Sie jagen mir einen großen Schrecken wegen Ihres Befindens ein. Ich hoffe nur, Sie beobachten gewissenhaft alle ärztlichen Vorschriften und haben außer Jurine und Butini noch Odier konsultiert. Das bestärkt mich in meiner Meinung, Sie müßten im Frühjahr Mineralbäder nehmen; ich glaube auch, daß Sie sich Bewegung machen, also täglich viel spazieren gehen sollten, sobald es die Jahreszeit erlaubt. Leider haben wir hier wieder Winter, keine andauernde Kälte, aber Schnee und sehr schlechtes Wetter. Das wird aber nicht lange dauern, und mein Gepäck wird bald in Ordnung sein, um aufs Land zu gehen, sobald ich dort nicht allein zu sein brauche. Ich möchte so gern dazu beitragen, Ihnen die traurigen Gedanken zu vertreiben, aber leider vermag ich ja so wenig dazu zu tun.
Sie schreiben mir nichts über Alberts Befinden. Ich hoffe, er ist in der Genesung begriffen. Er macht recht früh schon unangenehme Erfahrungen.
An Ihrem Plan eines epischen Gedichtes nehme ich lebhaften Anteil. Sie wissen recht gut, wenn es sich um Stoff für eine Dichtung handelt, erscheint mir nichts zu wunderlich oder zu gewagt. Ich würde mir ein Vergnügen daraus machen, die Quellen neuer Dichtungsstoffe für Sie auszubeuten.
Sie schreiben mir sehr amüsante und charakteristische Anekdoten. Ich möchte gern Gleiches mit Gleichem vergelten, aber ich weiß nur von ganz gewöhnlichen Neuigkeiten zu berichten, die auf Hörensagen beruhen. Was Sie über große Kriegsvorbereitungen sagen, scheint mir durchaus begründet; die ungewöhnliche Getreideteuerung berechtigt zu der Annahme, daß man diesmal Magazine anlegt. Die Schweizer Regimenter, die nach Deutschland marschieren, bilden mit den Bayern eine Division. Man glaubt sich so sicher, daß Preußen angesichts seiner Lage für Frankreich Partei ergreifen wird, daß man bereits Davoust als künftigen Befehlshaber der preußischen Truppen bezeichnet. Auf das Zeugnis eines angeblich Münchener Briefes hin versichert man, Österreich habe die Erklärung abgegeben, es wolle neutral bleiben und werde sich gegen jede Macht wenden, die es zum Kriege zwingen wolle. Indessen geht der österreichische Wechselkurs wieder zum Teufel – zweifellos unter dem Einfluß der Aussicht auf neue Stürme. Die Equipagen des Kaisers sind von Paris fortgeschafft, und zwar nicht nur die Kriegswagen, sondern auch die Galawagen, die bei feierlichen Gelegenheiten benutzt werden. Ein deutscher Kutscher erzählte mir das, und da diese Neuigkeit in den Bereich des Kutscherhorizontes gehört, kann man sie wohl glauben.
Was literarische Neuigkeiten betrifft, so scheint mir die Auseinandersetzung Schelling-Jacobi recht lebhaft zu werden. Sie werfen sich gegenseitig Atheismus vor, als wenn sie miteinander Ball spielten. Ihre Schriften selber habe ich noch nicht zu Gesicht bekommen. Es war vorauszusehen, daß das Buch meines Bruders Über die neuere Geschichte heftige Angriffe aus dem Lager seiner Gegner zur Folge haben würde. Soeben lese ich einen ungemein langen Auszug in der Hallenser Allgemeinen Litteraturzeitung, in der man nichts übergangen hat, was den Eindruck abzuschwächen imstande ist, den es etwa hervorrufen könnte. Mir scheint, diese Kritik hat Herrn Rehberg, unsern Landsmann, zum Verfasser, der schon über die französische Revolution, gegen Rousseau, über Macchiavelli und mehrere andere philosophische und politische Themen Ausgezeichnetes geschrieben hat. Der Angriff ist übrigens in einem würdigen, gemäßigten Ton gehalten – der Verfasser sieht sich gezwungen, meinem Bruder viele Zugeständnisse zu machen.
Was Sie über Herrn von Chamisso schreiben, erinnert mich daran, daß ich vor einiger Zeit einen Brief von Frau Chézy hatte, recht gefühlvoll, mit rosenroten Wölkchen. Das Kind, das sie zur Welt gebracht hat, ist bald nach seiner Geburt gestorben. Sie meint, das Dasein dieses Kindes habe sie über die Ungerechtigkeit der Menschen und die Treulosigkeit von Freunden getröstet, auf die sie im Leben wie im Tode gerechnet hatte. Man muß doch sagen, daß die deutschen Frauen ebenso leichthin und wortreich über Herzenssachen sprechen wie die französischen Männer über Politik; dennoch kann ich nicht begreifen, wie man eine Frau, so leichtsinnig sie auch sein mag, in eine solche Lage bringen und dann schutzlos durch die Welt irren lassen kann.
Leben Sie wohl, liebe Freundin! Ungeduldig warte ich auf Nachricht von Ihnen. Glauben Sie an meine ständige, unerschütterliche Ergebenheit; ich habe glückliche, glänzende Tage bei Ihnen verlebt, ich werde Sie in traurigeren Zeiten nicht verlassen. Ich hoffe noch immer, der Horizont wird sich bald aufklären. Man darf sich nicht deprimieren lassen, sonst wird das Leben völlig sinnlos. Es hat nur dann einen Wert, wenn man etwas will und unternimmt.
Liebe Freundin! Sie jagen mir einen großen Schrecken wegen Ihres Befindens ein. Ich hoffe nur, Sie beobachten gewissenhaft alle ärztlichen Vorschriften und haben außer Jurine und Butini noch Odier konsultiert. Das bestärkt mich in meiner Meinung, Sie müßten im Frühjahr Mineralbäder nehmen; ich glaube auch, daß Sie sich Bewegung machen, also täglich viel spazieren gehen sollten, sobald es die Jahreszeit erlaubt. Leider haben wir hier wieder Winter, keine andauernde Kälte, aber Schnee und sehr schlechtes Wetter. Das wird aber nicht lange dauern, und mein Gepäck wird bald in Ordnung sein, um aufs Land zu gehen, sobald ich dort nicht allein zu sein brauche. Ich möchte so gern dazu beitragen, Ihnen die traurigen Gedanken zu vertreiben, aber leider vermag ich ja so wenig dazu zu tun.
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Was Sie über Herrn von Chamisso schreiben, erinnert mich daran, daß ich vor einiger Zeit einen Brief von Frau Chézy hatte, recht gefühlvoll, mit rosenroten Wölkchen. Das Kind, das sie zur Welt gebracht hat, ist bald nach seiner Geburt gestorben. Sie meint, das Dasein dieses Kindes habe sie über die Ungerechtigkeit der Menschen und die Treulosigkeit von Freunden getröstet, auf die sie im Leben wie im Tode gerechnet hatte. Man muß doch sagen, daß die deutschen Frauen ebenso leichthin und wortreich über Herzenssachen sprechen wie die französischen Männer über Politik; dennoch kann ich nicht begreifen, wie man eine Frau, so leichtsinnig sie auch sein mag, in eine solche Lage bringen und dann schutzlos durch die Welt irren lassen kann.
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· Original , 27.02.1812
· Pange, Pauline de: Auguste-Guillaume Schlegel et Madame de Staël d’apres des documents inédits. Paris 1938, S. 366‒368.
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