• August Wilhelm von Schlegel to Anne Louise Germaine de Staël-Holstein

  • Place of Dispatch: Coppet · Place of Destination: Unknown · Date: [1809]
Edition Status: Single collated printed full text without registry labelling not including a registry
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Anne Louise Germaine de Staël-Holstein
  • Place of Dispatch: Coppet
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: [1809]
  • Notations: Aus rechtlichen Gründen wird vorerst die deutsche Übersetzung angezeigt.
    Printed Text
  • Bibliography: Pange, Pauline de: August Wilhelm Schlegel und Frau von Staël. Eine schicksalhafte Begegnung. Nach unveröffentlichten Briefen erzählt von Pauline Gräfin de Pange. Dt. Ausg. von Willy Grabert. Hamburg 1940, S. 197–198.
  • Incipit: „Liebe Freundin!
    Ich habe Ihnen nicht die geringste Neuigkeit zu berichten und habe keinen einzigen Brief bekommen. Sie sind rührend gut, an [...]“
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Liebe Freundin!
Ich habe Ihnen nicht die geringste Neuigkeit zu berichten und habe keinen einzigen Brief bekommen. Sie sind rührend gut, an meine Gesundheit zu denken: es geht mir recht gut, und ich hätte Lebenskraft für tausend Jahre, wenn ich innerlich froh wäre. Ich muß unbedingt wieder anfangen zu dichten, ich muß mein Rittergedicht wieder vornehmen oder Dramen schreiben. Diese kritischen Arbeiten, diese literarischen Untersuchungen sind im Grunde traurige Sachen; es macht einem das Herz nicht warm, es ist ein Wiederkäuen dessen, was andere gesagt haben, ohne daß man selbst etwas schafft.
Mich ärgerte in diesen Tagen besonders, daß meine Tinte zu dick ist. Ich mag meine Feder ausspritzen, wie ich will: eine Masse guter Gedanken bleiben auf dem Grund meines Tintenfasses, ohne sich zu lösen und lebendig zu werden. Versuchen Sie doch, mir Tinte nach einem Rezept herstellen zu lassen, daß man ein Buch in acht Tagen beenden kann. Aber ohne Scherz: die Arbeit über Shakespeare und das englische Theater quält mich Tag und Nacht. Der Gedanke einer Übersetzung davon ins Englische kommt mir nicht aus dem Kopf. Ich sehe, daß das für meinen literarischen Ruf in England entscheidend werden muß; es ist eben doch etwas ganz anderes als bei den Franzosen, die zu ärgern mir manchmal Vergnügen macht. Ich will mich nicht mit den Kommentatoren Shakespeares, weder mit der philosophischen noch der dichterischen Kritik, in Widerspruch bringen. So muß denn meine Arbeit zugleich tiefer begründet und glänzender geschrieben sein als alles, was vorher über Shakes[peare] gesagt ist. Ich muß die Frage der fälschlich verworfenen Stücke anschneiden, und habe sie nicht einmal hier. Ich schreibe an Favre, um sie vielleicht auf der Bibliothek zu bekommen. Miss Randall würde mich sehr verpflichten, wenn sie sich unter ihren Freunden, die englisch können, umsähe, ob nicht jemand in Genf die beiden Ergänzungsbände hat, die die ›unechten Stücke‹ enthalten.
Leben Sie wohl, liebe Freundin, ich lese sorgsam Ihre Druckbogen und bin morgen um 3 Uhr bereit, in die Stadt zu fahren.
Sie brauchen sie nicht von Herrn Turetini zu erbitten. Ich habe sein Exemplar, aber in ihm sind sie nicht enthalten. Ich hatte mir früher einmal vorgenommen, als erstes Werk in Englisch ein Pamphlet Irrtümer und Fehler der Kommentatoren Shakespeares zu veröffentlichen, aber diese lustigen Jugendpläne sind vorbei, und heute begnüge ich mich mit den Feinden, die ich mir unvermeidlich schaffe. Ich werde ihnen also in aller Höflichkeit sagen, daß sie Esel sind und nichts von dem Dichter verstehen, den sie kritisiert haben. Albert war sehr vernünftig; ich kann ihn nur loben.
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Liebe Freundin!
Ich habe Ihnen nicht die geringste Neuigkeit zu berichten und habe keinen einzigen Brief bekommen. Sie sind rührend gut, an meine Gesundheit zu denken: es geht mir recht gut, und ich hätte Lebenskraft für tausend Jahre, wenn ich innerlich froh wäre. Ich muß unbedingt wieder anfangen zu dichten, ich muß mein Rittergedicht wieder vornehmen oder Dramen schreiben. Diese kritischen Arbeiten, diese literarischen Untersuchungen sind im Grunde traurige Sachen; es macht einem das Herz nicht warm, es ist ein Wiederkäuen dessen, was andere gesagt haben, ohne daß man selbst etwas schafft.
Mich ärgerte in diesen Tagen besonders, daß meine Tinte zu dick ist. Ich mag meine Feder ausspritzen, wie ich will: eine Masse guter Gedanken bleiben auf dem Grund meines Tintenfasses, ohne sich zu lösen und lebendig zu werden. Versuchen Sie doch, mir Tinte nach einem Rezept herstellen zu lassen, daß man ein Buch in acht Tagen beenden kann. Aber ohne Scherz: die Arbeit über Shakespeare und das englische Theater quält mich Tag und Nacht. Der Gedanke einer Übersetzung davon ins Englische kommt mir nicht aus dem Kopf. Ich sehe, daß das für meinen literarischen Ruf in England entscheidend werden muß; es ist eben doch etwas ganz anderes als bei den Franzosen, die zu ärgern mir manchmal Vergnügen macht. Ich will mich nicht mit den Kommentatoren Shakespeares, weder mit der philosophischen noch der dichterischen Kritik, in Widerspruch bringen. So muß denn meine Arbeit zugleich tiefer begründet und glänzender geschrieben sein als alles, was vorher über Shakes[peare] gesagt ist. Ich muß die Frage der fälschlich verworfenen Stücke anschneiden, und habe sie nicht einmal hier. Ich schreibe an Favre, um sie vielleicht auf der Bibliothek zu bekommen. Miss Randall würde mich sehr verpflichten, wenn sie sich unter ihren Freunden, die englisch können, umsähe, ob nicht jemand in Genf die beiden Ergänzungsbände hat, die die ›unechten Stücke‹ enthalten.
Leben Sie wohl, liebe Freundin, ich lese sorgsam Ihre Druckbogen und bin morgen um 3 Uhr bereit, in die Stadt zu fahren.
Sie brauchen sie nicht von Herrn Turetini zu erbitten. Ich habe sein Exemplar, aber in ihm sind sie nicht enthalten. Ich hatte mir früher einmal vorgenommen, als erstes Werk in Englisch ein Pamphlet Irrtümer und Fehler der Kommentatoren Shakespeares zu veröffentlichen, aber diese lustigen Jugendpläne sind vorbei, und heute begnüge ich mich mit den Feinden, die ich mir unvermeidlich schaffe. Ich werde ihnen also in aller Höflichkeit sagen, daß sie Esel sind und nichts von dem Dichter verstehen, den sie kritisiert haben. Albert war sehr vernünftig; ich kann ihn nur loben.
· Original , [1809]
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