• August Wilhelm von Schlegel to Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling

  • Place of Dispatch: Coppet · Place of Destination: München · Date: 03.06.1811
Edition Status: Newly transcribed and labelled; double collated
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling
  • Place of Dispatch: Coppet
  • Place of Destination: München
  • Date: 03.06.1811
  • Notations: Die ersten vier Seiten befinden sich in der SLUB Dresden, die letzten beiden im Goethe-Museum Düsseldorf. – Da der Brief im Druck nur teilweise wiedergegeben ist, wurde er neu transkribiert. – Empfänger sowie Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Moirandat Company AG (Hg.): Auktion 12. Autographen aus allen Gebieten dabei zahlreiche von Frauenhand. Auktion in Basel. Freitag, 30. Oktober 2015, Basel 2015, S. 58–59.
  • Weitere Drucke: J. A. Stargardt, Autographenhandlung (Hg.): Katalog 704. Berlin 2017, S. 102, Nr. 214.
  • Incipit: „[1] Coppet d. 3 Jun 1811.
    Ihren freundschaftlichen Brief vom 15ten Mai fand ich hier bey meiner Zurückkunft von einer kleinen Reise [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • Classification Number: SLUB Dresden: Mscr.Dresd.Aut.2842.b; Goethe-Museum Düsseldorf: 774/1963
  • Number of Pages: SLUB Dresden: 4 S. auf Doppelbl., eigenh. o. U.; Goethe-Museum Düsseldorf: 1 einfaches Blatt, 1 S. 2 Zeilen beschrieben
  • Format: 18,5 x 11,4 cm
  • Editors: Bamberg, Claudia · Varwig, Olivia
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[1] Coppet d. 3 Jun 1811.
Ihren freundschaftlichen Brief vom 15ten Mai fand ich hier bey meiner Zurückkunft von einer kleinen Reise nach den Bädern in Savoyen vor, u danke Ihnen, mein werthester Freund, von ganzem Herzen dafür. So etwas ist immer sehr erquicklich.
Zuvörderst melde ich, daß ich hoffen darf, den Rest des Capitals nebst den Zinsen baldigst abzutragen, indem sich Mohr u Zimmer doch noch auf den Verlag meiner Gedichte eingerichtet haben, u der Druck vielleicht schon angefangen ist.
Von Tieck habe ich seit einiger Zeit keine Nachricht, u weiß daher nicht, ob er noch in Zürich oder schon unterweges ist. Er wollte den kleinen Umweg nach Unterwalden machen, weil ihm der Kr. P. von Baiern axx das Bildniß des Nicolaus von der Flühe zu fertigen aufgetragen, u der Schädel dieses verehrten Einsiedlers dort aufbewahrt wird.
Glauben Sie mir, Tieck ist ehrlich; wenn er seine Versprechungen nicht hält, so ist es weil ihn andre auch mit vergeblichen Versprechungen Hoffnungen hingehalten. Und dann kann einem die Noth manches abnöthigen. Gleich anfangs [2] hätte man ihn allerdings mit etwa 20 Carol. von Zürich nach Rom hinhelfen können. Sein gezwungner Aufenthalt dort hat die Sache schwieriger gemacht: er hat gezehrt, freylich so wenig als möglich, ohne erwarten zu können. Ich habe ihm kümmerlich durch den Winter zu helfen gesucht. Wäre ich vorigen Frühling nicht so weit entfernt gewesen, so hätte ich ihn sogleich xxx bewogen von Zürich hierher zu kommen, u ihn dann vielleicht weiterfördern können. Ich war auch etwas verdrießlich, daß er mir versprochne Arbeiten vernachläßigt hatte. –
Ihre Ungeduld muß ich ganz natürlich finden. Indessen ermahne ich Sie doch, mit einem andern Künstler nicht zu schnell abzuschließen, falls es nicht schon geschehen: schwerlich liefert ein Andrer die Arbeit zugleich so gut u so wohlfeil. Sein Basrelief auf Neckers Grabe ist wirklich vortrefflich, u fiel Hrn. von Ramdohr ungemein auf. Auch wird schwerlich ein Andrer die Büste auf solche Art copiren können, daß sie ähnlich bleibt.
Auf Ihren Vorschlag, selbst die Betreibung des Werkes zu übernehmen und dafür gut zu sagen, kann ich nicht eingehn, so gern ich wollte. Dazu müßte ich die Aussicht haben, auf den Herbst nach Italien zu gehen; um an Ort [3] u Stelle zu seyn, welches aber gar nicht der Fall ist. Die Wandelbarkeit meines Wohnortes u die häufigen Reisen machen, daß ich zu einem solchen Geschäft weniger im Stande bin, als irgend wer. Ich vermag weiter nichts, als Tieck aufs dringendste zur Beschleunigung auffodern, wenn ihm die Sache noch aufgetragen bleibt.
Daß Ihnen das Lied der Nibelungen einen großen Eindruck gemacht hat, wundert mich nicht: es macht ihn auf alle, die Tiefe des Gemüthes haben. Aber ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr mich Ihre lebhafte Theilnahme bey dieser Arbeit aufmuntert. Ich werde alle meine Kräfte daran setzen, um über dieß herrlichste Denkmal unsrer Vorzeit meine Landsleute aus ihrem Todtenschlaf zu wecken. Sie haben mir durch Besorgung meines Auftrags einen wichtigen Dienst geleistet. Docen ist der geschickteste Mann zur Vergleichung einer altdeutschen Handschrift, es freut mich sehr, daß er es übernehmen will, ich werde ihm seine Mühe nach Vermögen u Billigkeit vergüten. Ich bin so frey, einen weitläuftigen Brief an ihn offen einzulegen, da der fleißige Mann in einer gedrückten Lage ist, so muß man um so mehr ihn aufzumuntern [4] suchen. Ich habe ihm allerley Bemerkungen über sein gedrucktes Sendschreiben vorgelegt.
Fichte’s neue Schriften lese ich seit geraumer Zeit nicht mehr, xxxxxxxxxxxxxxx, nachdem ich gemerkt habe, daß es immer wieder die alten wissenschaftlichen Purzelbaume sind, nur schwerfälliger, weil er mit dem Fortgange der Jahre steif geworden und ganz in seinem engen Gedankenkreise eingerostet ist. Sollte ich ihn adeln, so würde ich ihm das Bernische Wappen mit einiger Veränderung ertheilen: nämlich einen Bären, der an seinen eigenen Tatzen saugt. Die verachtete Natur, die vernachläßigte Geschichte haben sich schlimm an ihm gerochen.
Die Parabel vom Eulenspiegel soll kein Geheimniß seyn, ich rücke sie eben so wohl als die Philosophische Lection in die neue Sammlung meiner Gedichte ein. Dieser möchte ich gern etwas neues vorbehalten, doch will ich Ihnen, wenn noch Zeit vor Abgang der Post ist, diese possenhafte Kleinigkeit abschreiben, die Sie vielleicht in einem verlohrnen Augenblicke unterhalten kann.
Auf Ihre Gespräche über die Weltalter bin ich unendlich begierig. Sie sind bis jetzt der [5] einzige von unsern Denkern, der sich der Schulsprache entledigt, u einen würdigen und einen Ausdruck für die höheren Wahrheiten gefunden hat. Denn leider schreibt auch Bader, von dem mein Bruder versichert, daß er vortrefflich u mit großer Klarheit spreche, auf eine verworrene u ungenießbare Weise.
Was aber Fichteʼs Anhhänger zu Markte bringen, das ist unglaublich; haben Sie unter andern die Schriften eines Grafen Kalkreuth gesehen?
So eben erhielt ich die Vorlesungen meines Bruders über die neuere Geschichte, u bin sehr begierig zu wissen, wie man sie in Deutschland aufnehmen wird.
Mit Goetheʼs Farbenlehre haben Sie wohl Recht: allein was wollen Sie? Er ist einmal in der Sinnenwelt zu Hause. Es kommt ihm draußen kalt und unbehaglich vor, und er mag von jeher an seinem Körper einen ziemlich warmen Pelz gehabt haben. Er ist gesinnt wie der alte Homer, welcher sagt: die Seelen der Helden seyen in den Orkus hinabgewandert, sie selbst aber den Hunden u Vögeln zum Raube geworden.
[6] Verzeihen Sie mein Geschwätz, leben Sie recht wohl u lassen mich bald wieder von sich hören.
Ihr
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[1] Coppet d. 3 Jun 1811.
Ihren freundschaftlichen Brief vom 15ten Mai fand ich hier bey meiner Zurückkunft von einer kleinen Reise nach den Bädern in Savoyen vor, u danke Ihnen, mein werthester Freund, von ganzem Herzen dafür. So etwas ist immer sehr erquicklich.
Zuvörderst melde ich, daß ich hoffen darf, den Rest des Capitals nebst den Zinsen baldigst abzutragen, indem sich Mohr u Zimmer doch noch auf den Verlag meiner Gedichte eingerichtet haben, u der Druck vielleicht schon angefangen ist.
Von Tieck habe ich seit einiger Zeit keine Nachricht, u weiß daher nicht, ob er noch in Zürich oder schon unterweges ist. Er wollte den kleinen Umweg nach Unterwalden machen, weil ihm der Kr. P. von Baiern axx das Bildniß des Nicolaus von der Flühe zu fertigen aufgetragen, u der Schädel dieses verehrten Einsiedlers dort aufbewahrt wird.
Glauben Sie mir, Tieck ist ehrlich; wenn er seine Versprechungen nicht hält, so ist es weil ihn andre auch mit vergeblichen Versprechungen Hoffnungen hingehalten. Und dann kann einem die Noth manches abnöthigen. Gleich anfangs [2] hätte man ihn allerdings mit etwa 20 Carol. von Zürich nach Rom hinhelfen können. Sein gezwungner Aufenthalt dort hat die Sache schwieriger gemacht: er hat gezehrt, freylich so wenig als möglich, ohne erwarten zu können. Ich habe ihm kümmerlich durch den Winter zu helfen gesucht. Wäre ich vorigen Frühling nicht so weit entfernt gewesen, so hätte ich ihn sogleich xxx bewogen von Zürich hierher zu kommen, u ihn dann vielleicht weiterfördern können. Ich war auch etwas verdrießlich, daß er mir versprochne Arbeiten vernachläßigt hatte. –
Ihre Ungeduld muß ich ganz natürlich finden. Indessen ermahne ich Sie doch, mit einem andern Künstler nicht zu schnell abzuschließen, falls es nicht schon geschehen: schwerlich liefert ein Andrer die Arbeit zugleich so gut u so wohlfeil. Sein Basrelief auf Neckers Grabe ist wirklich vortrefflich, u fiel Hrn. von Ramdohr ungemein auf. Auch wird schwerlich ein Andrer die Büste auf solche Art copiren können, daß sie ähnlich bleibt.
Auf Ihren Vorschlag, selbst die Betreibung des Werkes zu übernehmen und dafür gut zu sagen, kann ich nicht eingehn, so gern ich wollte. Dazu müßte ich die Aussicht haben, auf den Herbst nach Italien zu gehen; um an Ort [3] u Stelle zu seyn, welches aber gar nicht der Fall ist. Die Wandelbarkeit meines Wohnortes u die häufigen Reisen machen, daß ich zu einem solchen Geschäft weniger im Stande bin, als irgend wer. Ich vermag weiter nichts, als Tieck aufs dringendste zur Beschleunigung auffodern, wenn ihm die Sache noch aufgetragen bleibt.
Daß Ihnen das Lied der Nibelungen einen großen Eindruck gemacht hat, wundert mich nicht: es macht ihn auf alle, die Tiefe des Gemüthes haben. Aber ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr mich Ihre lebhafte Theilnahme bey dieser Arbeit aufmuntert. Ich werde alle meine Kräfte daran setzen, um über dieß herrlichste Denkmal unsrer Vorzeit meine Landsleute aus ihrem Todtenschlaf zu wecken. Sie haben mir durch Besorgung meines Auftrags einen wichtigen Dienst geleistet. Docen ist der geschickteste Mann zur Vergleichung einer altdeutschen Handschrift, es freut mich sehr, daß er es übernehmen will, ich werde ihm seine Mühe nach Vermögen u Billigkeit vergüten. Ich bin so frey, einen weitläuftigen Brief an ihn offen einzulegen, da der fleißige Mann in einer gedrückten Lage ist, so muß man um so mehr ihn aufzumuntern [4] suchen. Ich habe ihm allerley Bemerkungen über sein gedrucktes Sendschreiben vorgelegt.
Fichte’s neue Schriften lese ich seit geraumer Zeit nicht mehr, xxxxxxxxxxxxxxx, nachdem ich gemerkt habe, daß es immer wieder die alten wissenschaftlichen Purzelbaume sind, nur schwerfälliger, weil er mit dem Fortgange der Jahre steif geworden und ganz in seinem engen Gedankenkreise eingerostet ist. Sollte ich ihn adeln, so würde ich ihm das Bernische Wappen mit einiger Veränderung ertheilen: nämlich einen Bären, der an seinen eigenen Tatzen saugt. Die verachtete Natur, die vernachläßigte Geschichte haben sich schlimm an ihm gerochen.
Die Parabel vom Eulenspiegel soll kein Geheimniß seyn, ich rücke sie eben so wohl als die Philosophische Lection in die neue Sammlung meiner Gedichte ein. Dieser möchte ich gern etwas neues vorbehalten, doch will ich Ihnen, wenn noch Zeit vor Abgang der Post ist, diese possenhafte Kleinigkeit abschreiben, die Sie vielleicht in einem verlohrnen Augenblicke unterhalten kann.
Auf Ihre Gespräche über die Weltalter bin ich unendlich begierig. Sie sind bis jetzt der [5] einzige von unsern Denkern, der sich der Schulsprache entledigt, u einen würdigen und einen Ausdruck für die höheren Wahrheiten gefunden hat. Denn leider schreibt auch Bader, von dem mein Bruder versichert, daß er vortrefflich u mit großer Klarheit spreche, auf eine verworrene u ungenießbare Weise.
Was aber Fichteʼs Anhhänger zu Markte bringen, das ist unglaublich; haben Sie unter andern die Schriften eines Grafen Kalkreuth gesehen?
So eben erhielt ich die Vorlesungen meines Bruders über die neuere Geschichte, u bin sehr begierig zu wissen, wie man sie in Deutschland aufnehmen wird.
Mit Goetheʼs Farbenlehre haben Sie wohl Recht: allein was wollen Sie? Er ist einmal in der Sinnenwelt zu Hause. Es kommt ihm draußen kalt und unbehaglich vor, und er mag von jeher an seinem Körper einen ziemlich warmen Pelz gehabt haben. Er ist gesinnt wie der alte Homer, welcher sagt: die Seelen der Helden seyen in den Orkus hinabgewandert, sie selbst aber den Hunden u Vögeln zum Raube geworden.
[6] Verzeihen Sie mein Geschwätz, leben Sie recht wohl u lassen mich bald wieder von sich hören.
Ihr
AWS
· Beilage , [3. Juni 1811]
· Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
· Mscr.Dresd.Aut.2842.a
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