• Ludwig Tieck to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Jena · Date: [März/April 1799]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Ludwig Tieck
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Jena
  • Date: [März/April 1799]
  • Notations: Datum erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 38‒39.
  • Incipit: „[1] [Berlin, März/April 1799]
    Liebster Freund,
    Sie werden mir am Ende im vollen Ernste böse, und ich weiß in der That nicht, ob [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-36934
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.28,Nr.63
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,9 x 11,7 cm
[1] [Berlin, März/April 1799]
Liebster Freund,
Sie werden mir am Ende im vollen Ernste böse, und ich weiß in der That nicht, ob ich mich hinlänglich entschuldigen kann; ich möchte Sie lieber anklagen, um dadurch das Recht einigermassen auf meine Seite zu ziehn. Daß Sie nicht nach Berlin kommen, hat mich und alle auf lange verstimmt. Und wenn ich nur einigermassen die Ursach einsehn könnte! Nun soll gar Beschort (wie ich gehört habe) den Hamlet übernehmen, und er wird sich gewiß stellen, wie Costard sich für Pomponius den Dicken in Loveʼs labours lost stellt, und das Ganze ist gewiß labour lost. – Mit der Rezension bin ich ganz unentschuldbar, wenn ich Ihnen auch einige Krankheit, Niederkunft meiner Frau und dergl. herrechnen wollte. Aber lassen Sie sich eine kurze Anekdote vom Professor Schlegel erzählen. Als dieser Schlegel eines Abends mit Tieck durch die Gassen der Stadt Berlin ging, fragte ihn dieser, ob er nicht vielleicht gesonnen sei, den so eben erschienenen Sternbald in der Literaturzeitung anzuzeigen, worauf Schlegel diese Antwort gab: Ei, mein Freund, Sie müsten [2] ja nun längst über Lob und Tadel der Literaturzeitung hinaus sein! – Ich will Ihnen nichts Ähnliches antworten, ob ich gleich überzeugt bin, daß das mit Ihnen 1000 mal mehr der Fall ist, sondern ich verspreche im Gegentheil nunmehr feierlich, die Recension binnen 6 Wochen gewiß abzuschicken. Es ist mir nur so gegangen, daß ich immer furchtsamer wurde, je mehr ich daran arbeitete. Auch sollen Sie gewiß zum Athenäum Beiträge erhalten, wenn Sie sie nur annehmen wollen.
Was unsern Kalender betrifft, so bin ich mehr Ihres Bruders Meinung. 1.) Daß er in diesem Jahre wegen der bekannten Umstände erscheinen müste, was er auch könnte, wenn Sie sich der Sache einigermassen annehmen; die Ideen haben Sie gewiß, ich habe eine Menge, Ihr Bruder macht sich zu 6 Bogen anheischig, Bernhardi liefert wohl einen oder 2 Bogen. Ich gebe Ihnen zwei Stücke hinein, einen Herkules am Scheidewege, modern, der Dichter zwischen dem wahren und falschen Ruhme, sehr komisch, wennʼs [3] geräth, in Versen, und ein Stück, allegorisch, wofür mir nur noch der Titel fehlt, dann einige Gesänge eines Gedichtes über Berlin in Stanzen, in komischen, und mehr dergleichen. 2) daß der Calender nicht durchaus spaßhaft sein müste. Machen Sie so viel Spaß Sie wollen, ja er kann fast durchaus daraus bestehn, nur müsten sich wohl einige Spuren ernster Poesie darinnen finden, mich dünkt, der Spaß erhält dadurch mehr Gewicht, und eben, daß die Fortsetzung angekündigt wird, ist auch viel kecker und freier weil, wenn nur dieser Eine Almanach erscheint, viele Menschen ihn für kühnen Angriff und zugleich für feigen Rückzug halten würden. Auch wird der Spaßstoff wahrlich nicht ausgehn, – warum also wollen Sie es mit dem Spasse so sehr ernsthaft treiben?
Leben Sie recht wohl und bleiben Sie mir ferner gut, schreiben Sie mir, ich bin heut nicht recht wohl, darum breche ich ab, schreibe aber nächstens einen recht weitläuftigen Brief, worinn ich Sie um Rath fragen will, wie man es am besten [4] und kürzesten anfängt, wenn man gesonnen ist, nach Jena zu ziehn. Wenn ich Sie im Sommer nicht besuche, so würden wir uns gar nicht sehn, denn bis Michaelis bleibe ich gewiß in Giebichenstein. So ist mir denn wieder die Freude verdorben, Ihre Frau kennen zu lernen, die ich immer mehr verehre und auf deren Bekanntschaft ich mich schon so unaussprechlich gefreut hatte. Grüssen sie von mir recht ordentlich.
Wenn ich nur die Rezension fertig habe, und sie genügt ihr! – Wie kommt Ihnen der Don Quixote vor? – Sie haben mir lange nicht geschrieben! Adieu!
Ihr Freund
L. Tieck.
[1] [Berlin, März/April 1799]
Liebster Freund,
Sie werden mir am Ende im vollen Ernste böse, und ich weiß in der That nicht, ob ich mich hinlänglich entschuldigen kann; ich möchte Sie lieber anklagen, um dadurch das Recht einigermassen auf meine Seite zu ziehn. Daß Sie nicht nach Berlin kommen, hat mich und alle auf lange verstimmt. Und wenn ich nur einigermassen die Ursach einsehn könnte! Nun soll gar Beschort (wie ich gehört habe) den Hamlet übernehmen, und er wird sich gewiß stellen, wie Costard sich für Pomponius den Dicken in Loveʼs labours lost stellt, und das Ganze ist gewiß labour lost. – Mit der Rezension bin ich ganz unentschuldbar, wenn ich Ihnen auch einige Krankheit, Niederkunft meiner Frau und dergl. herrechnen wollte. Aber lassen Sie sich eine kurze Anekdote vom Professor Schlegel erzählen. Als dieser Schlegel eines Abends mit Tieck durch die Gassen der Stadt Berlin ging, fragte ihn dieser, ob er nicht vielleicht gesonnen sei, den so eben erschienenen Sternbald in der Literaturzeitung anzuzeigen, worauf Schlegel diese Antwort gab: Ei, mein Freund, Sie müsten [2] ja nun längst über Lob und Tadel der Literaturzeitung hinaus sein! – Ich will Ihnen nichts Ähnliches antworten, ob ich gleich überzeugt bin, daß das mit Ihnen 1000 mal mehr der Fall ist, sondern ich verspreche im Gegentheil nunmehr feierlich, die Recension binnen 6 Wochen gewiß abzuschicken. Es ist mir nur so gegangen, daß ich immer furchtsamer wurde, je mehr ich daran arbeitete. Auch sollen Sie gewiß zum Athenäum Beiträge erhalten, wenn Sie sie nur annehmen wollen.
Was unsern Kalender betrifft, so bin ich mehr Ihres Bruders Meinung. 1.) Daß er in diesem Jahre wegen der bekannten Umstände erscheinen müste, was er auch könnte, wenn Sie sich der Sache einigermassen annehmen; die Ideen haben Sie gewiß, ich habe eine Menge, Ihr Bruder macht sich zu 6 Bogen anheischig, Bernhardi liefert wohl einen oder 2 Bogen. Ich gebe Ihnen zwei Stücke hinein, einen Herkules am Scheidewege, modern, der Dichter zwischen dem wahren und falschen Ruhme, sehr komisch, wennʼs [3] geräth, in Versen, und ein Stück, allegorisch, wofür mir nur noch der Titel fehlt, dann einige Gesänge eines Gedichtes über Berlin in Stanzen, in komischen, und mehr dergleichen. 2) daß der Calender nicht durchaus spaßhaft sein müste. Machen Sie so viel Spaß Sie wollen, ja er kann fast durchaus daraus bestehn, nur müsten sich wohl einige Spuren ernster Poesie darinnen finden, mich dünkt, der Spaß erhält dadurch mehr Gewicht, und eben, daß die Fortsetzung angekündigt wird, ist auch viel kecker und freier weil, wenn nur dieser Eine Almanach erscheint, viele Menschen ihn für kühnen Angriff und zugleich für feigen Rückzug halten würden. Auch wird der Spaßstoff wahrlich nicht ausgehn, – warum also wollen Sie es mit dem Spasse so sehr ernsthaft treiben?
Leben Sie recht wohl und bleiben Sie mir ferner gut, schreiben Sie mir, ich bin heut nicht recht wohl, darum breche ich ab, schreibe aber nächstens einen recht weitläuftigen Brief, worinn ich Sie um Rath fragen will, wie man es am besten [4] und kürzesten anfängt, wenn man gesonnen ist, nach Jena zu ziehn. Wenn ich Sie im Sommer nicht besuche, so würden wir uns gar nicht sehn, denn bis Michaelis bleibe ich gewiß in Giebichenstein. So ist mir denn wieder die Freude verdorben, Ihre Frau kennen zu lernen, die ich immer mehr verehre und auf deren Bekanntschaft ich mich schon so unaussprechlich gefreut hatte. Grüssen sie von mir recht ordentlich.
Wenn ich nur die Rezension fertig habe, und sie genügt ihr! – Wie kommt Ihnen der Don Quixote vor? – Sie haben mir lange nicht geschrieben! Adieu!
Ihr Freund
L. Tieck.
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