• August Wilhelm von Schlegel to Ludwig Tieck

  • Place of Dispatch: Genf · Place of Destination: Unknown · Date: 04.04.1809
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Ludwig Tieck
  • Place of Dispatch: Genf
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 04.04.1809
    Printed Text
  • Bibliography: Ludwig Tieck und die Brüder Schlegel. Briefe. Hg. v. Edgar Lohner auf der Grundlage der von Henry Lüdeke besorgten Edition. München 1972, S. 166‒167.
  • Weitere Drucke: Klein, Christiane: Das Jenaer Romantikertreffen im November 1799: Dokumentation und Analyse. Heidelberg 2017, S. 264‒265.
  • Incipit: „[1] Genf, den 4ten April 1809
    Dein Brief, geliebter Freund, war mir ein sehr werthes Lebens- und Liebeszeichen, und ich begreife kaum, [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-611-37187
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XX,Bd.7,Nr.66(33)
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 19,2 x 11,7 cm
[1] Genf, den 4ten April 1809
Dein Brief, geliebter Freund, war mir ein sehr werthes Lebens- und Liebeszeichen, und ich begreife kaum, wie ich ihn so lange habe unbeantwortet lassen können. Indessen wird es dir durch Friedrich und deine Schwester nicht an Nachrichten von mir gefehlt haben. Was ich diesen Winter von deiner Gesundheit gehört habe, bekümmert mich; der Winter in Jena wo du zur Aufheiterung der Andern so viel beytrugest, wiewohl du selbst so viel littest, ist mir noch lebhaft im Gedächtnisse. Wie mancherley ist seitdem mit uns und in der Welt vorgegangen! Wir sollten uns wirklich einmal wieder irgendwo zusammen finden, um aus dem Herzen darüber zu sprechen.
Solltest du nach der Schweiz kommen, so wirst du auf dem Schlosse meiner Freundin bestens aufgenommen seyn. Sie trägt mir auf dich zu grüßen. Schon seit langer Zeit hat sie lebhaft gewünscht dich kennen zu lernen, wenn es nur irgend eine Sprache giebt, worin ihr euch verständigen könnt. Sie hat [2] fast alles von dir gelesen, den Sternbald liebt sie am meisten.
Ich danke dir für die desengaños über unsre ehemaligen Bekannten in Berlin. Deine Berichte scheinen mir nur allzu glaubhaft, auch von andern Seiten ist mir dergleichen zu Ohren gekommen. Es kann mir wohl sehr gleichgültig seyn, was jene in ihrer armseligen und dunkeln Existenz über mich ausbrüten. Nur bedauert man seine verlohrne Auslage an redlichen Gesinnungen. Schütze ist nach seinen Tragödien zu urtheilen ein großer Fratz geworden, die wahnwitzige Eitelkeit richtet solche Menschen zu Grunde. Über Fichte bist du nun selbst besser aufgeklärt, sein Betragen in der Sache deiner Schwester scheint unverantwortlich zu seyn. Von seinen Schriften will ich nichts sagen, es ist aus mit ihm. Was ist lächerlicher ja lästerlicher als seine Einbildung das Christenthum wieder herstellen zu wollen, und seit dem Evangelisten Johannes der erste zu seyn, der es versteht? Man ist versucht, ihm seine Reden an die Deutschen des Muthes wegen anzurechnen; allein es ist [3] eine solche Mischung von Zaghaftigkeit, Unwissenheit der Geschichte und Unvernunft darin, daß man sich darüber noch am bittersten betrüben möchte, daß wir keine bessern Propheten haben. – Schleiermacher, der Friedrichen und mir doch manches verdankt, soll sich ebenfalls feindselig betragen. Der einzige dankbare Schüler, den ich gehabt, ist Fouqué.
Auf deine Übersetzung von Loveʼs labourʼs lost bin ich sehr begierig. Du solltest sie doch ja fertig machen und in demselben Format wie die meinigen drucken lassen. Ich habe die Übung in Wortspielen ganz verlohren, und würde sehr verlegen seyn, wie ich dieß Stück übersetzen sollte. Überhaupt geht es mir seltsam mit diesem gebenedeyten Shakspeare: ich kann ihn weder aufgeben, noch zu Ende fördern. Indessen hoffe ich diesen Sommer einen großen Ruck zu thun. Richard III. ist fertig und Heinrich VIII. angefangen. Es ist leicht möglich, daß mir Madame Unger deine Arbeit am Shakspeare in einem etwas veränderten Lichte vorgestellt hat, damit es mir ein Antrieb zur Eile werden möchte. Übrigens klagte sie vor einiger [4] Zeit über Mangel an Nachrichten von dir, und daß sie von manchem, was du ihr versprochen, nichts weiter höre. Du hast freylich nicht nur ihr, sondern der Welt überhaupt vieles versprochen. Was wird aus allen deinen dichterischen Planen? Auch über Shakspeare, über die altdeutschen Gedichte u.s.w. wolltest du schreiben. Ich gestehe, ich bestellte mir von dir lieber etwas als über etwas.
Melde mir baldigst, wohin ich dir den zweyten Band des Spanischen Theaters und den ersten meiner Vorlesungen, die jetzt eben auf der Messe erscheinen, schicken lassen soll?
Lebe tausendmal wohl, und behalte mich in gutem Andenken. Dein Bruder wird dir manches von mir erzählen können.
Unveränderlich dein
treuer Freund
AWS.
[1] Genf, den 4ten April 1809
Dein Brief, geliebter Freund, war mir ein sehr werthes Lebens- und Liebeszeichen, und ich begreife kaum, wie ich ihn so lange habe unbeantwortet lassen können. Indessen wird es dir durch Friedrich und deine Schwester nicht an Nachrichten von mir gefehlt haben. Was ich diesen Winter von deiner Gesundheit gehört habe, bekümmert mich; der Winter in Jena wo du zur Aufheiterung der Andern so viel beytrugest, wiewohl du selbst so viel littest, ist mir noch lebhaft im Gedächtnisse. Wie mancherley ist seitdem mit uns und in der Welt vorgegangen! Wir sollten uns wirklich einmal wieder irgendwo zusammen finden, um aus dem Herzen darüber zu sprechen.
Solltest du nach der Schweiz kommen, so wirst du auf dem Schlosse meiner Freundin bestens aufgenommen seyn. Sie trägt mir auf dich zu grüßen. Schon seit langer Zeit hat sie lebhaft gewünscht dich kennen zu lernen, wenn es nur irgend eine Sprache giebt, worin ihr euch verständigen könnt. Sie hat [2] fast alles von dir gelesen, den Sternbald liebt sie am meisten.
Ich danke dir für die desengaños über unsre ehemaligen Bekannten in Berlin. Deine Berichte scheinen mir nur allzu glaubhaft, auch von andern Seiten ist mir dergleichen zu Ohren gekommen. Es kann mir wohl sehr gleichgültig seyn, was jene in ihrer armseligen und dunkeln Existenz über mich ausbrüten. Nur bedauert man seine verlohrne Auslage an redlichen Gesinnungen. Schütze ist nach seinen Tragödien zu urtheilen ein großer Fratz geworden, die wahnwitzige Eitelkeit richtet solche Menschen zu Grunde. Über Fichte bist du nun selbst besser aufgeklärt, sein Betragen in der Sache deiner Schwester scheint unverantwortlich zu seyn. Von seinen Schriften will ich nichts sagen, es ist aus mit ihm. Was ist lächerlicher ja lästerlicher als seine Einbildung das Christenthum wieder herstellen zu wollen, und seit dem Evangelisten Johannes der erste zu seyn, der es versteht? Man ist versucht, ihm seine Reden an die Deutschen des Muthes wegen anzurechnen; allein es ist [3] eine solche Mischung von Zaghaftigkeit, Unwissenheit der Geschichte und Unvernunft darin, daß man sich darüber noch am bittersten betrüben möchte, daß wir keine bessern Propheten haben. – Schleiermacher, der Friedrichen und mir doch manches verdankt, soll sich ebenfalls feindselig betragen. Der einzige dankbare Schüler, den ich gehabt, ist Fouqué.
Auf deine Übersetzung von Loveʼs labourʼs lost bin ich sehr begierig. Du solltest sie doch ja fertig machen und in demselben Format wie die meinigen drucken lassen. Ich habe die Übung in Wortspielen ganz verlohren, und würde sehr verlegen seyn, wie ich dieß Stück übersetzen sollte. Überhaupt geht es mir seltsam mit diesem gebenedeyten Shakspeare: ich kann ihn weder aufgeben, noch zu Ende fördern. Indessen hoffe ich diesen Sommer einen großen Ruck zu thun. Richard III. ist fertig und Heinrich VIII. angefangen. Es ist leicht möglich, daß mir Madame Unger deine Arbeit am Shakspeare in einem etwas veränderten Lichte vorgestellt hat, damit es mir ein Antrieb zur Eile werden möchte. Übrigens klagte sie vor einiger [4] Zeit über Mangel an Nachrichten von dir, und daß sie von manchem, was du ihr versprochen, nichts weiter höre. Du hast freylich nicht nur ihr, sondern der Welt überhaupt vieles versprochen. Was wird aus allen deinen dichterischen Planen? Auch über Shakspeare, über die altdeutschen Gedichte u.s.w. wolltest du schreiben. Ich gestehe, ich bestellte mir von dir lieber etwas als über etwas.
Melde mir baldigst, wohin ich dir den zweyten Band des Spanischen Theaters und den ersten meiner Vorlesungen, die jetzt eben auf der Messe erscheinen, schicken lassen soll?
Lebe tausendmal wohl, und behalte mich in gutem Andenken. Dein Bruder wird dir manches von mir erzählen können.
Unveränderlich dein
treuer Freund
AWS.
×
×