• Friedrich Schiller to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Jena · Place of Destination: Jena · Date: 27.07.1797
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich Schiller
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Jena
  • Place of Destination: Jena
  • Date: 27.07.1797
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Friedrich Schiller ‒ August Wilhelm Schlegel. Der Briefwechsel. Hg. v. Norbert Oellers. Köln 2005, S. 102‒103.
  • Incipit: „[1] [Jena, den 27. Juli 1797. Donnerstag]
    Sie haben mir mit Ihrem Gedicht eine große Freude gemacht, der Gegenstand ist mit einer [...]“
    Manuscript
  • Provider: Universitäts- und Landesbibliothek Bonn
  • OAI Id: 1715307
  • Classification Number: S 506 : I : 17
  • Number of Pages: 1 Doppelbl. (4 e. beschriebene S.)
  • Format: 23,5 x 18,8 cm
  • Particularities: Der Brief befindet sich als Brief Nr. 17 in einem 1983 angefertigten Aufbewahrungskasten (Kasten I = Kasten "Schiller").
[1] [Jena, den 27. Juli 1797. Donnerstag]
Sie haben mir mit Ihrem Gedicht eine große Freude gemacht, der Gegenstand ist mit einer edeln Würde und einem philosophischen Schwung behandelt, Sprache und Vers sind vortreflich. Manche möchten das Silbenmaaß bei einem so uralten Stoffe zu modern finden: diesen können Sie aber sehr befriedigend antworten, daß die philosophische Behandlung des Stoffes denselben an sich schon aus seiner Urwelt heraus in ein modernes raisonnierendes Zeitalter versetzt. Zu Ihrer Behandlung würde der Hexameter sich durchaus nicht geschickt haben, da er schlechterdings eine eigentliche und nicht allegorische Ausführung des Gedankens gefodert hätte, und ich finde daher, daß Ihr Gefühl Sie ganz richtig geleitet hat.
Indeßen wünschte ich, eben dieser symbolischen [2] und allegorischen Behandlung wegen, daß man noch weniger als geschehen ist an den alten Prometheus erinnert würde. Dieser stiehlt das wirkliche und natürliche Feuer, und mit diesem macht er den Menschen ein Geschenk; der Actus des Feuerraubes durfte also von dem alten Dichter mit aller Umständlichkeit versinnlicht werden; weil aber bey Ihrer Behandlung der symbolische Verstand gleich aufgefodert wird, das natürliche Feuer zu verlaßen und in einer übersinnlichen Bedeutung zu nehmen, so kommt die Imagination des Lesers durch alle diejenigen Schilderungen ins Gedränge, die dem Feuer als Feuer gelten. Ich würde deßwegen rathen über diesen delicaten Punkt so leis als nur möglich ist wegzugehen. Auch würde es, däucht mir, eine beßere Wirkung thun, wenn Sie das [3] Feuer nicht vom Wagen selbst, sondern etwa von einer Fackel nehmen ließen, weil die Phantasie weit eher mit einer brennenden Fackel als mit einem lichtausstrahlenden Wagen die Idee des geistischen Feuers verknüpfen kann, und überhaupt wird das Feuer um so kostbarer und edler, je einfacher und sparsamer seine Quelle ist.
Noch wäre mein Rath, um den Leser gleich an der Fronte des Gedichts in den rechten Standpunkt zu rücken und aller Mißdeutung vorzubeugen, daß Sie das Gedicht: Eine Allegorie überschrieben, denn das ist es im strengsten Sinne und der Beurtheiler muß diesen Begriff vor Augen haben.
Da Sie es noch nicht überschrieben haben, so lege ich es hier bey, bitte aber, es mir [4] bald wieder zurückzuschicken, so wie ich auch das andere, was Sie noch für den Almanach bestimmt haben, mit Verlangen erwarte
S.

Jena 27. Jul. 97.
Der symbolische Gebrauch des Feuers verwickelt Sie in eine Schwierigkeit, die ich kaum für auflöslich halte, doch muß ich Sie darauf aufmerksam machen. Wie das natürliche Feuer dem ganzen Menschengeschlecht kann mitgetheilt werden, indem ein Gott es einem einzelnen Menschen schenkt, das ist begreiflich: aber um das übersinnliche Feuer den Menschen mitzutheilen, müßte Prometheus es entweder allen existierenden Individuen einflößen, und also den Actus hunderttausendfältig wiederhohlen, oder er muß einen neuen Menschen (oder vielmehr ein neues Menschenpaar) bilden, von dem das ganze Geschlecht entspringt und das Feuer erbt. Wo kommen aber nun die existierenden Menschen hin, von denen eben ja die Rede war, für welche Prometheus das Mitleid empfand, die den Gedanken in ihm veranlaßt haben? Eh er seinen neuen Menschen bildet, ist schon ein ganzes lebendes Geschlecht da – wohin kommt das? u. dergleichen Fragen mehr, die sich von selber aufdringen.
[1] [Jena, den 27. Juli 1797. Donnerstag]
Sie haben mir mit Ihrem Gedicht eine große Freude gemacht, der Gegenstand ist mit einer edeln Würde und einem philosophischen Schwung behandelt, Sprache und Vers sind vortreflich. Manche möchten das Silbenmaaß bei einem so uralten Stoffe zu modern finden: diesen können Sie aber sehr befriedigend antworten, daß die philosophische Behandlung des Stoffes denselben an sich schon aus seiner Urwelt heraus in ein modernes raisonnierendes Zeitalter versetzt. Zu Ihrer Behandlung würde der Hexameter sich durchaus nicht geschickt haben, da er schlechterdings eine eigentliche und nicht allegorische Ausführung des Gedankens gefodert hätte, und ich finde daher, daß Ihr Gefühl Sie ganz richtig geleitet hat.
Indeßen wünschte ich, eben dieser symbolischen [2] und allegorischen Behandlung wegen, daß man noch weniger als geschehen ist an den alten Prometheus erinnert würde. Dieser stiehlt das wirkliche und natürliche Feuer, und mit diesem macht er den Menschen ein Geschenk; der Actus des Feuerraubes durfte also von dem alten Dichter mit aller Umständlichkeit versinnlicht werden; weil aber bey Ihrer Behandlung der symbolische Verstand gleich aufgefodert wird, das natürliche Feuer zu verlaßen und in einer übersinnlichen Bedeutung zu nehmen, so kommt die Imagination des Lesers durch alle diejenigen Schilderungen ins Gedränge, die dem Feuer als Feuer gelten. Ich würde deßwegen rathen über diesen delicaten Punkt so leis als nur möglich ist wegzugehen. Auch würde es, däucht mir, eine beßere Wirkung thun, wenn Sie das [3] Feuer nicht vom Wagen selbst, sondern etwa von einer Fackel nehmen ließen, weil die Phantasie weit eher mit einer brennenden Fackel als mit einem lichtausstrahlenden Wagen die Idee des geistischen Feuers verknüpfen kann, und überhaupt wird das Feuer um so kostbarer und edler, je einfacher und sparsamer seine Quelle ist.
Noch wäre mein Rath, um den Leser gleich an der Fronte des Gedichts in den rechten Standpunkt zu rücken und aller Mißdeutung vorzubeugen, daß Sie das Gedicht: Eine Allegorie überschrieben, denn das ist es im strengsten Sinne und der Beurtheiler muß diesen Begriff vor Augen haben.
Da Sie es noch nicht überschrieben haben, so lege ich es hier bey, bitte aber, es mir [4] bald wieder zurückzuschicken, so wie ich auch das andere, was Sie noch für den Almanach bestimmt haben, mit Verlangen erwarte
S.

Jena 27. Jul. 97.
Der symbolische Gebrauch des Feuers verwickelt Sie in eine Schwierigkeit, die ich kaum für auflöslich halte, doch muß ich Sie darauf aufmerksam machen. Wie das natürliche Feuer dem ganzen Menschengeschlecht kann mitgetheilt werden, indem ein Gott es einem einzelnen Menschen schenkt, das ist begreiflich: aber um das übersinnliche Feuer den Menschen mitzutheilen, müßte Prometheus es entweder allen existierenden Individuen einflößen, und also den Actus hunderttausendfältig wiederhohlen, oder er muß einen neuen Menschen (oder vielmehr ein neues Menschenpaar) bilden, von dem das ganze Geschlecht entspringt und das Feuer erbt. Wo kommen aber nun die existierenden Menschen hin, von denen eben ja die Rede war, für welche Prometheus das Mitleid empfand, die den Gedanken in ihm veranlaßt haben? Eh er seinen neuen Menschen bildet, ist schon ein ganzes lebendes Geschlecht da – wohin kommt das? u. dergleichen Fragen mehr, die sich von selber aufdringen.
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