• August Wilhelm von Schlegel to Auguste Luise Adolfine von Flotow

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Bonn · Date: 24.06.1841
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Auguste Luise Adolfine von Flotow
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Bonn
  • Date: 24.06.1841
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Deetjen, Werner: Spenden aus der Weimarer Landesbibliothek. In: Zeitschrift für Bücherfreunde N. F. 20 (1928), S. 19.
  • Incipit: „[1] Berlin Hôtel de Russie
    d. 24sten Juni 41.
    Gnädige Frau!
    In der Ermüdung und Verwirrung der ersten Tage nach meiner Ankunft war es [...]“
    Manuscript
  • Provider: Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 96/3650
[1] Berlin Hôtel de Russie
d. 24sten Juni 41.
Gnädige Frau!
In der Ermüdung und Verwirrung der ersten Tage nach meiner Ankunft war es mir unmöglich zu schreiben. In Ermangelung der Briefe habe ich Rosensträuße geschickt. Jetzt mögen Briefe die verblühten Rosen ersetzen. Es ist mir wichtig, das Andenken einer theilnehmenden Gönnerin an mich zu erneuern.
Zuerst von unsern ehemaligen Bonnern. Ich glaube nicht, daß Beustʼs Ursache haben werden, sich zu dem Tausche Glück zu wünschen. Seine Thätigkeit wird hier wohl mehr am Schreibtisch seyn, als auf Inspections-Reisen. Eine recht hübsche Amtswohnung, aber etwas abgelegen. Der Graf hat seine Westen enger machen lassen müssen: vielleicht ist ihm das heilsam. Die Gräfin legt sich ganz ungemein auf die Oekonomie: man [2] hat mir unglaubliche Dinge davon erzählt, die ich nicht nacherzählen will. Genug, die Leute, auswärtige sowohl als hiesige, gehen ihnen nach einander aus dem Dienst.
Den General Major von Wedell traf ich zufällig beim Restaurateur. Er erkundigte sich sehr angelegentlich nach seinen Bekannten, u. nach allen in Bonn eingetretenen Veränderungen. Es scheint ihm u. seiner Gemahlin in Posen nicht übel zu gefallen. Die Gesellschaft besteht großentheils aus Polnischem Adel, u. das Gespräch wird französisch geführt.
Der König war seit meiner Ankunft in Berlin häufig abwesend. Sie werden seine Reisen aus den Zeit[ung]en umständlich erfahren haben. Die Zwischenzeiten brachte er meistens, auch während der greulichen Witterung in Sanssouci [zu]. Am 4ten Jun. war ich dort zur Mittagstafel eingeladen. Die Gesellschaft war zahlreich und strahlte von Epauletten; doch nahmen die artistischen u. litterarischen Celebritäten (Thorwaldsen, Cornelius, Rauch, Bunsen, Professor [3] Steffens u. ich) einen ehrenvollen Platz den Majestäten gegenüber ein. Eine große Blumenvase stand in der Mitte. Da der König bemerkte, daß ich bei Beantwortung seiner Fragen mich seitwärts bog, ließ er die Vase wegnehmen, indem er sagte: „Man sieht sich ja nicht.“ Er vertauschte in der That den Anblick des Maies mit dem des Decembers. Sehenswürdiges ist wahrlich nichts an mir: ich wollte, ich könnte es vermeiden, mich selbst zu sehen. Hörenswürdiges hätte ich wohl vorzutragen: aber das erfordert ruhige, nicht zehnfach umdrängte Hörer.
Thorwaldsen war ausgezeichnet schön in seiner Jugend, als ich seinen künftigen Ruhm zuerst in Deutschland verkündigte. Jetzt ist er ein schöner Greis mit seinen von der Scheitel reich herabwallenden Schwanen-Haarlocken. Standbilder von Patriarchen müßten ihm besonders gelingen: er braucht die Modelle nicht in der Ferne zu suchen.
Der Bildhauer David in Paris muß doch [4] geglaubt haben, an mir sey noch etwas sehenswürdiges: er kündigt mir mein Medaillon in Bronze an. Marie wird es Ihnen zur Ansicht bringen, sobald es ankommt.
Ich habe hier viele alte Bekanntschaften erneuert, u. neue gemacht. Die angenehmste unter allen, die der Fräulein von Waldenburg. Sie sind geistreich, gebildet, u. zeigen eine liebenswürdige Begeisterung für alles Schöne der Litteratur u. Kunst; besonders die älteste, die Chanoinesse Evelina von Waldenburg, mit der ich am meisten Gelegenheit zur Unterredung fand, da ich zweimal neben ihr am Tische saß.
Ich könnte hier meine Zeit ganz angenehm zubringen, mit den Kunstsammlungen, den Künstlern, der Gesellschaft u. dem Theater, wenn mir nicht immer das Geschäft im Sinne läge. Vergessen Sie mich nicht, gnädige Frau, u. lassen Sie mich nicht vergeblich auf gute Nachrichten von Ihnen u. allen den Ihrigen warten.
Empfangen Sie meine ehrerbietigsten Huldigungen.
A. W. v. Schlegel.
[1] Berlin Hôtel de Russie
d. 24sten Juni 41.
Gnädige Frau!
In der Ermüdung und Verwirrung der ersten Tage nach meiner Ankunft war es mir unmöglich zu schreiben. In Ermangelung der Briefe habe ich Rosensträuße geschickt. Jetzt mögen Briefe die verblühten Rosen ersetzen. Es ist mir wichtig, das Andenken einer theilnehmenden Gönnerin an mich zu erneuern.
Zuerst von unsern ehemaligen Bonnern. Ich glaube nicht, daß Beustʼs Ursache haben werden, sich zu dem Tausche Glück zu wünschen. Seine Thätigkeit wird hier wohl mehr am Schreibtisch seyn, als auf Inspections-Reisen. Eine recht hübsche Amtswohnung, aber etwas abgelegen. Der Graf hat seine Westen enger machen lassen müssen: vielleicht ist ihm das heilsam. Die Gräfin legt sich ganz ungemein auf die Oekonomie: man [2] hat mir unglaubliche Dinge davon erzählt, die ich nicht nacherzählen will. Genug, die Leute, auswärtige sowohl als hiesige, gehen ihnen nach einander aus dem Dienst.
Den General Major von Wedell traf ich zufällig beim Restaurateur. Er erkundigte sich sehr angelegentlich nach seinen Bekannten, u. nach allen in Bonn eingetretenen Veränderungen. Es scheint ihm u. seiner Gemahlin in Posen nicht übel zu gefallen. Die Gesellschaft besteht großentheils aus Polnischem Adel, u. das Gespräch wird französisch geführt.
Der König war seit meiner Ankunft in Berlin häufig abwesend. Sie werden seine Reisen aus den Zeit[ung]en umständlich erfahren haben. Die Zwischenzeiten brachte er meistens, auch während der greulichen Witterung in Sanssouci [zu]. Am 4ten Jun. war ich dort zur Mittagstafel eingeladen. Die Gesellschaft war zahlreich und strahlte von Epauletten; doch nahmen die artistischen u. litterarischen Celebritäten (Thorwaldsen, Cornelius, Rauch, Bunsen, Professor [3] Steffens u. ich) einen ehrenvollen Platz den Majestäten gegenüber ein. Eine große Blumenvase stand in der Mitte. Da der König bemerkte, daß ich bei Beantwortung seiner Fragen mich seitwärts bog, ließ er die Vase wegnehmen, indem er sagte: „Man sieht sich ja nicht.“ Er vertauschte in der That den Anblick des Maies mit dem des Decembers. Sehenswürdiges ist wahrlich nichts an mir: ich wollte, ich könnte es vermeiden, mich selbst zu sehen. Hörenswürdiges hätte ich wohl vorzutragen: aber das erfordert ruhige, nicht zehnfach umdrängte Hörer.
Thorwaldsen war ausgezeichnet schön in seiner Jugend, als ich seinen künftigen Ruhm zuerst in Deutschland verkündigte. Jetzt ist er ein schöner Greis mit seinen von der Scheitel reich herabwallenden Schwanen-Haarlocken. Standbilder von Patriarchen müßten ihm besonders gelingen: er braucht die Modelle nicht in der Ferne zu suchen.
Der Bildhauer David in Paris muß doch [4] geglaubt haben, an mir sey noch etwas sehenswürdiges: er kündigt mir mein Medaillon in Bronze an. Marie wird es Ihnen zur Ansicht bringen, sobald es ankommt.
Ich habe hier viele alte Bekanntschaften erneuert, u. neue gemacht. Die angenehmste unter allen, die der Fräulein von Waldenburg. Sie sind geistreich, gebildet, u. zeigen eine liebenswürdige Begeisterung für alles Schöne der Litteratur u. Kunst; besonders die älteste, die Chanoinesse Evelina von Waldenburg, mit der ich am meisten Gelegenheit zur Unterredung fand, da ich zweimal neben ihr am Tische saß.
Ich könnte hier meine Zeit ganz angenehm zubringen, mit den Kunstsammlungen, den Künstlern, der Gesellschaft u. dem Theater, wenn mir nicht immer das Geschäft im Sinne läge. Vergessen Sie mich nicht, gnädige Frau, u. lassen Sie mich nicht vergeblich auf gute Nachrichten von Ihnen u. allen den Ihrigen warten.
Empfangen Sie meine ehrerbietigsten Huldigungen.
A. W. v. Schlegel.
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