• Heinrich Joseph von Collin to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wien · Place of Destination: Unknown · Date: 13.04.1808
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Heinrich Joseph von Collin
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wien
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 13.04.1808
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 535‒536.
  • Incipit: „[1] Der standhafte Prinz folgt wohlbehalten und ganz (10 Bogen 1 geschriebenes Blatt) zurück. Ich schließe die Heidelberger Jahrbücher an, für [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-6
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,21,10
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 25 x 18,8 cm
[1] Der standhafte Prinz folgt wohlbehalten und ganz (10 Bogen 1 geschriebenes Blatt) zurück. Ich schließe die Heidelberger Jahrbücher an, für den Fall, als Sie dieselben noch nicht gelesen hätten, und werde sie mir morgen, wenn ich zu Tische komme, von Ihnen zurückerbitten. Die Comparaison habe ich im Buchhandel nicht gefunden.
Gestern habe ich den Egmont gelesen, und ward neuerdings von Bewunderung Liebe und Ehrfurcht durchdrungen. Recht lebhaft ward in mir der Wunsch rege, Sie auch über ihn sprechen zu hören. Nicht soviel über das Stück, dem von den göttlichen Verhältnißen des Sophokles viel abgehen möchte, um kanonisch zu seyn, als über den Character der mir der am meisten menschliche [2] aller menschlichen zu seyn scheint, und mit so wunderbarer Kunst aus sich selbst in Handlung gesetzt, und zu jedem Schritte nothwendig voraus bestimmt, daß es der Expositionen in dem Munde der Schneider und Zunftmeister der Margaretha und des Alba vielleicht zu seinem besseren Verständniße gar nicht bedurft hätte; obwohl ich wieder nicht läugne, daß es interessant und beleuchtend für die streitenden Kräfte zu sehen ist, wie dieser Charakter von ihnen aufgefaßt wird.
Am meisten freue ich mich wohl, Sie nun bald über den Gegensatz des Antiken und Romantischen, über das Wesen der romantischen Tragödie, über das, was sie romantisch macht, sprechen zu hören. Ob die Beymischung des Komischen der romantischen Tragödie nothwendig oder bloß natürlich – und warum das eine oder das andere? Ob das romantische reine Poesie,[ 3] oder bloß Übergang sey zu einer? Ich bin dabey recht egoistisch. Denn es sey bekannt: das alles wünsche ich bloß zu hören, weil ich selbst darüber nicht klar bin.
Noch eins. Sie werden sich erinnern, daß das Symposion des Plato damit aufhört, daß Sokrates und Aristophanes über den Vorzug des Lustspiels und Trauerspiels disputiren. Wie göttlich wäre es, wenn Sie oder Ihr Bruder den Faden aufnehmen wollten, und in einem ächt sokratisch platonischem Gespräche erst den Sokrates über den Aristophanes siegen, dann aber den erstern wieder sich selbst gefangen geben, und den Vorzug des Lustspiels in seiner höchsten Bedeutung, den ich als welthistorischen anscheinenden Kampf und welthistorischen durchgängigen Frieden vielleicht schwerfällig ausgedrückt habe, anerkennen ließen. Sie beyde haben schon die Erudition bis in das Kleinste griechischer Eigenheit, die zu dieser Form gehört. Ich müßte sie mir erst aneignen, was ich aus Mangel der Zeit nicht wohl thun kann. Darum habe ich den Gedanken, der mich anfangs entzückte, wieder fahren laßen.
[4] Noch zwey! Gerade kommt ein Zuhörer zu mir, und bittet mich ganz wehmüthig, bey Ihnen zu bewirken, daß Sie durch ausdrücklichen Befehl an Herrn Jahn die Katzen, welche in ihrem Collegium herumspatzieren, proskribiren möchten, indem er wo nicht den Tod doch eine Ohnmacht davon haben könnte, wenn eine durch seine Beine schlieche. Sollte, sagte dieser Zuhörer, eine Katze auf dem Wege von Purkerstorf nach Wien sich in den Kopf setzen, mir nicht auszuweichen, so könnte ich umkehren, und den Weg über Triest nehmen. Ich sagte ihm zu, es Ihnen zu schreiben, denn diese Thiere sind mir auch zuwieder.
Aus ein Paar Zeilen, zu welchen ich mich niedersetzte ist ein Brief geworden; doch würde ein Buch daraus, wollte ich Ihnen alles das niederschreiben, was ich Ihnen die ganze liebe, nicht lange, sondern kurze Woche in Gedanken sage. Es schließt sich jede solche Unterhaltung mit dem Zuruf: Vive, vale, et ama me!
Wien am 13t. April [1]808
Collin
[1] Der standhafte Prinz folgt wohlbehalten und ganz (10 Bogen 1 geschriebenes Blatt) zurück. Ich schließe die Heidelberger Jahrbücher an, für den Fall, als Sie dieselben noch nicht gelesen hätten, und werde sie mir morgen, wenn ich zu Tische komme, von Ihnen zurückerbitten. Die Comparaison habe ich im Buchhandel nicht gefunden.
Gestern habe ich den Egmont gelesen, und ward neuerdings von Bewunderung Liebe und Ehrfurcht durchdrungen. Recht lebhaft ward in mir der Wunsch rege, Sie auch über ihn sprechen zu hören. Nicht soviel über das Stück, dem von den göttlichen Verhältnißen des Sophokles viel abgehen möchte, um kanonisch zu seyn, als über den Character der mir der am meisten menschliche [2] aller menschlichen zu seyn scheint, und mit so wunderbarer Kunst aus sich selbst in Handlung gesetzt, und zu jedem Schritte nothwendig voraus bestimmt, daß es der Expositionen in dem Munde der Schneider und Zunftmeister der Margaretha und des Alba vielleicht zu seinem besseren Verständniße gar nicht bedurft hätte; obwohl ich wieder nicht läugne, daß es interessant und beleuchtend für die streitenden Kräfte zu sehen ist, wie dieser Charakter von ihnen aufgefaßt wird.
Am meisten freue ich mich wohl, Sie nun bald über den Gegensatz des Antiken und Romantischen, über das Wesen der romantischen Tragödie, über das, was sie romantisch macht, sprechen zu hören. Ob die Beymischung des Komischen der romantischen Tragödie nothwendig oder bloß natürlich – und warum das eine oder das andere? Ob das romantische reine Poesie,[ 3] oder bloß Übergang sey zu einer? Ich bin dabey recht egoistisch. Denn es sey bekannt: das alles wünsche ich bloß zu hören, weil ich selbst darüber nicht klar bin.
Noch eins. Sie werden sich erinnern, daß das Symposion des Plato damit aufhört, daß Sokrates und Aristophanes über den Vorzug des Lustspiels und Trauerspiels disputiren. Wie göttlich wäre es, wenn Sie oder Ihr Bruder den Faden aufnehmen wollten, und in einem ächt sokratisch platonischem Gespräche erst den Sokrates über den Aristophanes siegen, dann aber den erstern wieder sich selbst gefangen geben, und den Vorzug des Lustspiels in seiner höchsten Bedeutung, den ich als welthistorischen anscheinenden Kampf und welthistorischen durchgängigen Frieden vielleicht schwerfällig ausgedrückt habe, anerkennen ließen. Sie beyde haben schon die Erudition bis in das Kleinste griechischer Eigenheit, die zu dieser Form gehört. Ich müßte sie mir erst aneignen, was ich aus Mangel der Zeit nicht wohl thun kann. Darum habe ich den Gedanken, der mich anfangs entzückte, wieder fahren laßen.
[4] Noch zwey! Gerade kommt ein Zuhörer zu mir, und bittet mich ganz wehmüthig, bey Ihnen zu bewirken, daß Sie durch ausdrücklichen Befehl an Herrn Jahn die Katzen, welche in ihrem Collegium herumspatzieren, proskribiren möchten, indem er wo nicht den Tod doch eine Ohnmacht davon haben könnte, wenn eine durch seine Beine schlieche. Sollte, sagte dieser Zuhörer, eine Katze auf dem Wege von Purkerstorf nach Wien sich in den Kopf setzen, mir nicht auszuweichen, so könnte ich umkehren, und den Weg über Triest nehmen. Ich sagte ihm zu, es Ihnen zu schreiben, denn diese Thiere sind mir auch zuwieder.
Aus ein Paar Zeilen, zu welchen ich mich niedersetzte ist ein Brief geworden; doch würde ein Buch daraus, wollte ich Ihnen alles das niederschreiben, was ich Ihnen die ganze liebe, nicht lange, sondern kurze Woche in Gedanken sage. Es schließt sich jede solche Unterhaltung mit dem Zuruf: Vive, vale, et ama me!
Wien am 13t. April [1]808
Collin
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