• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel , Caroline von Schelling

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Braunschweig · Date: 02.10.1795
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel, Caroline von Schelling
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Braunschweig
  • Date: 02.10.1795
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 254‒257.
  • Incipit: „Dreßden. Den 2ten Oktober.
    Einige Worte über griechische Improvisatoren.
    Ich unterscheide den Improvisatore, welcher Impromptüs dichtet, wie der Gott ihn lehrt, ὁππη ὁν [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34222
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.b,Nr.70
  • Number of Pages: 16 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18 x 11,8 cm
Dreßden. Den 2ten Oktober.
Einige Worte über griechische Improvisatoren.
Ich unterscheide den Improvisatore, welcher Impromptüs dichtet, wie der Gott ihn lehrt, ὁππη ὁν νοος ορνυται von dem Tausendkünstler, der ein Poet ist oder seyn will, wie Gorgias im Philos[ophischen]. Ich meyne den, welcher bereit ist auf jedes gegebene Thema zu dichten.
Jetzt von dem Ersten.
Die älteste Klasse Griech.[ischer] Poeten waren Orphische, Priester, Druiden. Ihre prophetischen Lehrgedichte waren gewiß mit Besonnenheit. Die heilige Wuth des ältesten Götterdiensts kann aber im Lyrischen plötzliche, leidenschaftl.[iche] Ergießungen ohne alle vorhergehende Ueberlegung veranlaßen. Vielleicht gab es unter den ältesten Hymnen solche die improvisirt wurden.
Die zweite Klasse, deren <eigentl[icher]> Gegenstand die Heldensage war, und die auch die ältere von Priestern ihnen überlieferte Göttersage vermenschlicht, waren, Epische Barden, Ὁμηριδαι, an die sich die ραψωδοι anschließen. Entferne ja jeden Gedanken, daß sie den Improvisatori ähnlich. Nichts ist so sehr wieder alle bekannte Thatsachen und alle Analogie. Das Epos ist ein Werk der Besonnenheit, kein Machwerk der Künsteley, sondern ein liebliches Erzeugniß der Einbildungskraft. Mag diese noch so plötzlich entstehen, so muß doch der Geist mehr als einmal in sich selbst zurückkehren, um Ebenmaaß eine einfache aber leichte Ordnung in das Ganze zu bringen, es zu runden und zu bilden. Diesen Geist athmen alle Fragmente vom kleinsten bis zum größten. Der Streit über die Aechtheit der Ordnung im Grossen ändert nichts; denn die kleinen Massen sind so einfach aber schön geordnet wie das Ganze. Die Barden welche der Fürst der Barden darstellt sind nicht schwärmende Bakchanten, sondern stille, besonnene, milde, ruhige Gemüther.
Zu den Festen, welche in ganz Hellas späterhin sich verbreiteten und organisirten, war Poesie ein wesentl.[icher] Bestandtheil. Dichtung, Gesang – festliche Freude schien den Griechen <nach Strabo> das Band, welches Menschen mit den Göttern verknüpft. Lyrische Poesie, nehmlich regelmäßige setzte eine gewisse Bildung in Sprache und Musik voraus die wir nicht allenthalben erwarten dürfen. Der orgiastische und enthusiastische Götterdienst aber gab nun besonders zu plötzlichen und heftigen Ausbrüchen des Gefühls Anlaß. Die Freude an ländl.[ichen] Festen der Erndte oder Weinlese ist in üppigen Ländern bey sinnlichen Menschen sehr wild, leidenschaftlich, ausschweifend. Nicht nur Künstler, jeder Bürger tanzte und sang im Chor: το παλαιον οἱ ελευθεροι εχορευον αυτοι (Aristot. Probl. XIX).
Hier erwarte ich lyrische Impromptüs. Bis Thespis die Tragödie, Pratinas das satyr.[ische] Drama zum Kunstwerk erhob, wurden die Gesänge an den orgiastischen Festen, welche jene veranlaßten, häufig improvisirt. Ein Ausdruck des Aristoteles läßt sich nicht wohl anders erklären:
Die Tragödie und Komödie entstanden απʼ αρχης αυτοσχεδιαστικης. και ἡ μεν απο των εξαρχοντων τον διθυραμβον, ἡ δε απο των τα φαλλικα (und auch nachher in Orten wohin jene Bildung sich nicht verbreitete) ἁ ετι και νυν εν πολλαις των πολεων διαμενει νομιζομενα (Arist. Poet. cap. IV.)
Ob Tischlieder, Trinklieder pp., die σκολια improvisirt wurden, weiß ich nicht. Ich zweifle sehr daran. Die fröhlichen Gesänge Jonischer und Lesbischer Dichter verbreiteten sich früh und schnell; wenigstens unter die χαριεντες, auf welche diese Dichtart wohl eingeschränkt war.
Von den <rohen> Festen, die das Kunstwerk ‚Dithyrambusʻ, den Gipfel der lyr.[ischen] Poesie und Musik blos veranlaßt, gilt was von allen enthusiastischen Festen. Hüte Dich aber ja in der spätern Zeit den falschen Vorurtheilen über diese Dichtart gemäß, hier Improvisatoren zu erwarten, nachdem der Aeolische Arion, den Rhythmus und Melodie dieser Dichtart, der Dorische Lasus den eigenthümlichen Tanz desselben (κυκλιος χορος) bestimmt und gebildet hatten, oder gar als sie zu Athen die größte Höhe der Bildung erreichte. Sie war der Gipfel der lyrischen Bildung und Kunst.
Du weißt, daß alle Dorische Völker witzig und lustig waren. Es ist eine blosse Vermuthung von mir daß es unter ihnen φλοιακες von denen Rhinthon von Tarent der berühmteste war, Improvisatoren, gab. Der Tarent.[inische] φλυαξ wenigstens, welcher den barbar.[ischen] Römischen Gesandten verspottete, scheint s.[eine] Schweinereyen improvisirt zu haben (Excerpta Dionys Halic. ed. Reiske tom. IV. p. 2339). Der Dorische Witz war nicht objektiv und dramatisch (nie haben sie eine wahre Komödie gehabt) sondern lyrisch und individuell. Es war ein Erguß ihrer Natur, und der Analogie, dem Charakter dieses Witzes gemäß, ein Impromptü. – Auch zu Sparta gab es solche Dorische μιμους: nur hatten sie hier einen andern Namen. Ein berühmter trag.[ischer] Schauspieler drängte sich an den Agesilaus, und frug ihn endlich, weil jener keine Notiz von ihm nahm, ob er ihn etwa nicht kenne. Der häßlichste, geizigste und verliebteste aller Spartanerkönige, der lahme Alte frug ihn dann: ʼΑλλʼ ου συγε εσσι Καλλιππιδας ὁ δεικηλικτας; οὑτω ονομαζουσιν οἱ Λακηδαιμονιοι τους μιμους. (Plut. III. 607. Reisk.)
Den Nachrichten widerstreitet meine Voraussetzung nicht, und ich mache Dich noch einmal aufmerksam, wie natürlich im Conversations- oder lyrischen Witz das Impromptü ist.
Ein charakteristischer Zug vom Verfall der Gr.[iechischen] Poesie im gelehrten Zeitalter sind folgende Improvisatoren.
Strab. XIV. p. 992 fin. ὁ δε Διογενης (Tarsensis) και ποιηματα ὡσπερ απεφοιβαζε, τεθεισης ὑποθεσεως, τραγικα ὡς επι το πολυ – Ich erinnre mich die Gedichte dieses poetischen Seiltänzers unter dem Namen Τραγῳδουμενα angeführt gelesen zu haben. Ein poetischer Gorgias, dem es an Fluß und Feuer der Rede nicht fehlen mochte (απεφοιβαζε). Ich denke mir, daß er wie die Ital.[ienischen] Improvisatoren, den ungeheuren Vorrath vorhandener Tragödien auswendig gelernt, oder sich wenigstens sehr bekannt gemacht hat.
In diese Zeit gehört auch der einzige Epische Improvisator, von dem ich Spuren gefunden habe. Cic. de Orat. III. 50. Antipater ille (also berühmt) Sidonius solitus est versus hexametros, aliosque variis modis atque numeris fundere ex tempore, tantumque hominis ingeniosi ac memoris valuit excercitatio, ut cum se mente ac voluntate conjecisset in versum, verba sequerentur. Also auch er hatte den großen Vorrath vorhandener Gedichte auswendig gelernt oder pp. (memoris). –
Nun noch ein Urtheil über diese verschiedenen Improvisatoren.
Die poetischen Seiltänzer, die Sophisten unter den Künstlern fänden wohl ihren eigentl.[ichen] Ort an der Tafel eines Römischen Mäcenas, neben Zwergen, Taschenspielern, Bathyllen und etwa neben den αρεταλογοις, den Tugendschwätzern, die den römischen Despoten bei Tische die Zeit vertreiben mußten. Ein harter Brodtverdienst!
Für ein improvisirtes Epos danke ich ganz gehorsamst. Ich verlange keine Alexandrinische Sprache, nicht den Barbarischen Pomp des Virgil, aber die freundliche Besonnenheit des Homer, Ebenmaaß und einfache, aber schöne Haltung des Ganzen.
Unter den lyr.[ischen] Impromptüʼs der festlichen Improvisatoren gab es gewiß herrliche Keime zu lyr.[ischen] Gedichten, voll ächten Feuers, und großen Schwung. Allein dieser Stoff muß zusammengedrängt werden, um zum schönen lyr.[ischen] Gedicht zu werden, sonst könnte die Aeußerung der lebhaftesten Empfindung leicht weitschweifig und wäßrig werden.
Doch möchte ich wohl einmal bey dem Feste der Damia und Auxesia gewesen sein in Epidaurien. Diese ländliche Göttinnen – χοροισι γυναικηϊοισι κερτομοισις ἱλασκοντο – – κακως δʼ ηνορευον ανδρα μεν ουδενα, τας δε επιχωριας γυναικας (Herod. Terpsich. 83.)
Ich denke mir im Ganzen die lyr.[ischen] Impromptüʼs, die festlichen Improvisationen wie die incondita carmina bey den Waffentänzen der Salier, wie die soldatischen Spottlieder bey Römischen Triumphen. Am zweckmäßigsten scheint mir das Improvisiren im lyrischen Witz. Die Schnelligkeit erhöht den Eindruck des Zuschauers und das Feuer des Künstlers selbst. Dieser Witz ist auch gleich ganz fertig: es bedarf weder Epischer Ordnung, noch Dramatischer Vollendung, nicht lyrischer Konzentrirung, keiner Rundung, kurz keiner Rückkehr des erfindenden dichtenden Geistes auf s.[ich] selbst, auf sein eignes Werk. Die köstlichsten Einfälle sind plötzliche Ausbrüche eines muthwilligen Rausches, nicht überlegte Werke der Besonnenheit.
Dreßden. Den 2ten Oktober.
Einige Worte über griechische Improvisatoren.
Ich unterscheide den Improvisatore, welcher Impromptüs dichtet, wie der Gott ihn lehrt, ὁππη ὁν νοος ορνυται von dem Tausendkünstler, der ein Poet ist oder seyn will, wie Gorgias im Philos[ophischen]. Ich meyne den, welcher bereit ist auf jedes gegebene Thema zu dichten.
Jetzt von dem Ersten.
Die älteste Klasse Griech.[ischer] Poeten waren Orphische, Priester, Druiden. Ihre prophetischen Lehrgedichte waren gewiß mit Besonnenheit. Die heilige Wuth des ältesten Götterdiensts kann aber im Lyrischen plötzliche, leidenschaftl.[iche] Ergießungen ohne alle vorhergehende Ueberlegung veranlaßen. Vielleicht gab es unter den ältesten Hymnen solche die improvisirt wurden.
Die zweite Klasse, deren <eigentl[icher]> Gegenstand die Heldensage war, und die auch die ältere von Priestern ihnen überlieferte Göttersage vermenschlicht, waren, Epische Barden, Ὁμηριδαι, an die sich die ραψωδοι anschließen. Entferne ja jeden Gedanken, daß sie den Improvisatori ähnlich. Nichts ist so sehr wieder alle bekannte Thatsachen und alle Analogie. Das Epos ist ein Werk der Besonnenheit, kein Machwerk der Künsteley, sondern ein liebliches Erzeugniß der Einbildungskraft. Mag diese noch so plötzlich entstehen, so muß doch der Geist mehr als einmal in sich selbst zurückkehren, um Ebenmaaß eine einfache aber leichte Ordnung in das Ganze zu bringen, es zu runden und zu bilden. Diesen Geist athmen alle Fragmente vom kleinsten bis zum größten. Der Streit über die Aechtheit der Ordnung im Grossen ändert nichts; denn die kleinen Massen sind so einfach aber schön geordnet wie das Ganze. Die Barden welche der Fürst der Barden darstellt sind nicht schwärmende Bakchanten, sondern stille, besonnene, milde, ruhige Gemüther.
Zu den Festen, welche in ganz Hellas späterhin sich verbreiteten und organisirten, war Poesie ein wesentl.[icher] Bestandtheil. Dichtung, Gesang – festliche Freude schien den Griechen <nach Strabo> das Band, welches Menschen mit den Göttern verknüpft. Lyrische Poesie, nehmlich regelmäßige setzte eine gewisse Bildung in Sprache und Musik voraus die wir nicht allenthalben erwarten dürfen. Der orgiastische und enthusiastische Götterdienst aber gab nun besonders zu plötzlichen und heftigen Ausbrüchen des Gefühls Anlaß. Die Freude an ländl.[ichen] Festen der Erndte oder Weinlese ist in üppigen Ländern bey sinnlichen Menschen sehr wild, leidenschaftlich, ausschweifend. Nicht nur Künstler, jeder Bürger tanzte und sang im Chor: το παλαιον οἱ ελευθεροι εχορευον αυτοι (Aristot. Probl. XIX).
Hier erwarte ich lyrische Impromptüs. Bis Thespis die Tragödie, Pratinas das satyr.[ische] Drama zum Kunstwerk erhob, wurden die Gesänge an den orgiastischen Festen, welche jene veranlaßten, häufig improvisirt. Ein Ausdruck des Aristoteles läßt sich nicht wohl anders erklären:
Die Tragödie und Komödie entstanden απʼ αρχης αυτοσχεδιαστικης. και ἡ μεν απο των εξαρχοντων τον διθυραμβον, ἡ δε απο των τα φαλλικα (und auch nachher in Orten wohin jene Bildung sich nicht verbreitete) ἁ ετι και νυν εν πολλαις των πολεων διαμενει νομιζομενα (Arist. Poet. cap. IV.)
Ob Tischlieder, Trinklieder pp., die σκολια improvisirt wurden, weiß ich nicht. Ich zweifle sehr daran. Die fröhlichen Gesänge Jonischer und Lesbischer Dichter verbreiteten sich früh und schnell; wenigstens unter die χαριεντες, auf welche diese Dichtart wohl eingeschränkt war.
Von den <rohen> Festen, die das Kunstwerk ‚Dithyrambusʻ, den Gipfel der lyr.[ischen] Poesie und Musik blos veranlaßt, gilt was von allen enthusiastischen Festen. Hüte Dich aber ja in der spätern Zeit den falschen Vorurtheilen über diese Dichtart gemäß, hier Improvisatoren zu erwarten, nachdem der Aeolische Arion, den Rhythmus und Melodie dieser Dichtart, der Dorische Lasus den eigenthümlichen Tanz desselben (κυκλιος χορος) bestimmt und gebildet hatten, oder gar als sie zu Athen die größte Höhe der Bildung erreichte. Sie war der Gipfel der lyrischen Bildung und Kunst.
Du weißt, daß alle Dorische Völker witzig und lustig waren. Es ist eine blosse Vermuthung von mir daß es unter ihnen φλοιακες von denen Rhinthon von Tarent der berühmteste war, Improvisatoren, gab. Der Tarent.[inische] φλυαξ wenigstens, welcher den barbar.[ischen] Römischen Gesandten verspottete, scheint s.[eine] Schweinereyen improvisirt zu haben (Excerpta Dionys Halic. ed. Reiske tom. IV. p. 2339). Der Dorische Witz war nicht objektiv und dramatisch (nie haben sie eine wahre Komödie gehabt) sondern lyrisch und individuell. Es war ein Erguß ihrer Natur, und der Analogie, dem Charakter dieses Witzes gemäß, ein Impromptü. – Auch zu Sparta gab es solche Dorische μιμους: nur hatten sie hier einen andern Namen. Ein berühmter trag.[ischer] Schauspieler drängte sich an den Agesilaus, und frug ihn endlich, weil jener keine Notiz von ihm nahm, ob er ihn etwa nicht kenne. Der häßlichste, geizigste und verliebteste aller Spartanerkönige, der lahme Alte frug ihn dann: ʼΑλλʼ ου συγε εσσι Καλλιππιδας ὁ δεικηλικτας; οὑτω ονομαζουσιν οἱ Λακηδαιμονιοι τους μιμους. (Plut. III. 607. Reisk.)
Den Nachrichten widerstreitet meine Voraussetzung nicht, und ich mache Dich noch einmal aufmerksam, wie natürlich im Conversations- oder lyrischen Witz das Impromptü ist.
Ein charakteristischer Zug vom Verfall der Gr.[iechischen] Poesie im gelehrten Zeitalter sind folgende Improvisatoren.
Strab. XIV. p. 992 fin. ὁ δε Διογενης (Tarsensis) και ποιηματα ὡσπερ απεφοιβαζε, τεθεισης ὑποθεσεως, τραγικα ὡς επι το πολυ – Ich erinnre mich die Gedichte dieses poetischen Seiltänzers unter dem Namen Τραγῳδουμενα angeführt gelesen zu haben. Ein poetischer Gorgias, dem es an Fluß und Feuer der Rede nicht fehlen mochte (απεφοιβαζε). Ich denke mir, daß er wie die Ital.[ienischen] Improvisatoren, den ungeheuren Vorrath vorhandener Tragödien auswendig gelernt, oder sich wenigstens sehr bekannt gemacht hat.
In diese Zeit gehört auch der einzige Epische Improvisator, von dem ich Spuren gefunden habe. Cic. de Orat. III. 50. Antipater ille (also berühmt) Sidonius solitus est versus hexametros, aliosque variis modis atque numeris fundere ex tempore, tantumque hominis ingeniosi ac memoris valuit excercitatio, ut cum se mente ac voluntate conjecisset in versum, verba sequerentur. Also auch er hatte den großen Vorrath vorhandener Gedichte auswendig gelernt oder pp. (memoris). –
Nun noch ein Urtheil über diese verschiedenen Improvisatoren.
Die poetischen Seiltänzer, die Sophisten unter den Künstlern fänden wohl ihren eigentl.[ichen] Ort an der Tafel eines Römischen Mäcenas, neben Zwergen, Taschenspielern, Bathyllen und etwa neben den αρεταλογοις, den Tugendschwätzern, die den römischen Despoten bei Tische die Zeit vertreiben mußten. Ein harter Brodtverdienst!
Für ein improvisirtes Epos danke ich ganz gehorsamst. Ich verlange keine Alexandrinische Sprache, nicht den Barbarischen Pomp des Virgil, aber die freundliche Besonnenheit des Homer, Ebenmaaß und einfache, aber schöne Haltung des Ganzen.
Unter den lyr.[ischen] Impromptüʼs der festlichen Improvisatoren gab es gewiß herrliche Keime zu lyr.[ischen] Gedichten, voll ächten Feuers, und großen Schwung. Allein dieser Stoff muß zusammengedrängt werden, um zum schönen lyr.[ischen] Gedicht zu werden, sonst könnte die Aeußerung der lebhaftesten Empfindung leicht weitschweifig und wäßrig werden.
Doch möchte ich wohl einmal bey dem Feste der Damia und Auxesia gewesen sein in Epidaurien. Diese ländliche Göttinnen – χοροισι γυναικηϊοισι κερτομοισις ἱλασκοντο – – κακως δʼ ηνορευον ανδρα μεν ουδενα, τας δε επιχωριας γυναικας (Herod. Terpsich. 83.)
Ich denke mir im Ganzen die lyr.[ischen] Impromptüʼs, die festlichen Improvisationen wie die incondita carmina bey den Waffentänzen der Salier, wie die soldatischen Spottlieder bey Römischen Triumphen. Am zweckmäßigsten scheint mir das Improvisiren im lyrischen Witz. Die Schnelligkeit erhöht den Eindruck des Zuschauers und das Feuer des Künstlers selbst. Dieser Witz ist auch gleich ganz fertig: es bedarf weder Epischer Ordnung, noch Dramatischer Vollendung, nicht lyrischer Konzentrirung, keiner Rundung, kurz keiner Rückkehr des erfindenden dichtenden Geistes auf s.[ich] selbst, auf sein eignes Werk. Die köstlichsten Einfälle sind plötzliche Ausbrüche eines muthwilligen Rausches, nicht überlegte Werke der Besonnenheit.
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