• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Dresden · Place of Destination: Braunschweig · Date: 19.01.1796
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Dresden
  • Place of Destination: Braunschweig
  • Date: 19.01.1796
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Bd. 23. Dritte Abteilung: Briefe von und an Friedrich und Dorothea Schlegel. Bis zur Begründung der romantischen Schule (15. September 1788 ‒ 15. Juli 1797). Mit Einleitung und Kommentar hg. v. Ernst Behler u.a. Paderborn u.a. 1987, S. 274‒277.
  • Incipit: „[1] Den 19ten Januar 1796.
    Eben erhalte ich von Böttiger ein sehr zierliches Schreiben, worin er mir aufträgt des Lysias επιταφιος λογος [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: DE-1a-34222
  • Classification Number: Mscr.Dresd.e.90,XIX,Bd.24.b,Nr.76
  • Number of Pages: 8S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,8 x 11,3 cm
[1] Den 19ten Januar 1796.
Eben erhalte ich von Böttiger ein sehr zierliches Schreiben, worin er mir aufträgt des Lysias επιταφιος λογος für das zweite Stück des Attischen Museums zu übersetzen, mit Einleitung, Anmerkungen pp. zu versehn, und so aus der Fülle meiner Belesenheit und Kennerschaft dieß morceau auch für Deutschland zu appretiren. – Ich werde mit grosser Lust aus den Alten übersetzen, und hoffe auch für meinen Styl einen grossen Vortheil davon. – Ich bitte Dich meine Bitte desfalls nicht zu vernachlässigen. Wolltest Du Dich auch wohl erkundigen, ob es eine lesbare Uebersetzung von Arrians Geschichte Alex.[anders] giebt? Dann wünschte ich, daß Kar.[oline] die Uebersetzung des Herodot von einem gewissen Degen prüfte. Denke nur nicht, daß ich alles auf einmal thun will. Weil ich aber zwischen mehrern Planen schwanke, so möchte ich gern recht freye Auswahl haben.
[2] Du hast nun den Allmanach und die sentimentalen Dichter. Setze Dich auf den Dreyfuß und weissage:

Ex adyto tanquam cordis
Sanctius et multo certa ratione magis, quam
Pythia, quae tripodʼ
ex Phoebi, lauroque profatur.

Die Sentimentalen haben mich vielleicht nur durch Berührung entzündet. In wissenschaftlicher Hinsicht sind das alles nur Vorarbeiten. Indessen gestehe ichs, daß ich sehr viel daraus gelernt habe. –
Becker ist vom Romeo und von dem Mährchen sehr eingenommen. Doch mußt Du Dir denken, daß selbst er und wohl jeder Leser das Unbefriedigende in dem Ende des letztern fühlen muß. – Ich denke für Becker ein kleines Plat.[onisches] Gespräch zu übersetzen, etwa den Lysis, Charmides oder den Laches, welcher eine köstliche Blüthe ist.
[3] Mir ist eingefallen, daß Du wegen des Shak[espeare], wenn Michaelis zu lange zögert, ja wohl Cottaʼn Vorschläge thun könntest. – Mit Vieweg scheint es nichts zu seyn. Er antwortet nicht.
Ich habe immer noch keine Nachricht von Mich.[aelis] und fange an besorgt zu werden. Er hat sehr viel unternommen, wie leicht kann ein Anfänger in Unordnung gerathen, und umwerfen! Ich bin so ungeduldig, daß Du noch nichts von mir lesen kannst. Ueberall möchte ich Dir wohl einmahl in einem Gespräche entwickeln können, warum ich eigentlich noch so sehr wenig geleistet habe. Ich sehe es ietzt ein, wie unendlich schwer ich es mir gemacht habe. Indessen gereut mich im Ganzen der Weg nicht, den ich gegangen bin. – Bin ich erst bey dem Politischen, wie leicht und angenehm wird da Alles von der Hand gehn, auch weit einträglicher. Ich [4] werde einige Biographien schreiben, Tiberius Grakchus, Brutus den ich Kar.[oline] in L.[ucka] versprach. – Bey der Gr.[iechischen] Pol.[itik] ist dem Himmel sey Dank keine Gefahr. Aber Du kannst auch über meine wissenschaftl.[ichen] Versuche der Art, die eine mir nothwendige Vorbereitung zu jenem sind, Deine freundschaftl.[ichen] Besorgnisse beruhigen. Schon um der Strenge der wissenschaftl.[ichen] Untersuchung werde ich mich der entferntesten Anspielung auf Thatsachen enthalten, und Popularitäten hier eher vermeiden, als suchen. Die Obskurität der abstrakten Metaphysik wird mich schützen, und wenn man nur für Philosophen schreibt, so kann man unglaublich kühn seyn, ehe daß jemand <von der Polizey> Notiz davon nimmt, oder die Kühnheit auch nur versteht.
Auf Deine Recension bin ich so begierig, wie auf den dritten Brief. Kannst Du mir ungefähr den Faden verzeichnen, dem Deine Briefe [5] im Ganzen folgen werden. Oder ist dieser noch nicht näher bestimmt? Wirst Du wie den dithyrambischen Strom die Rede – ex Dyto cordis – <ganz> frey fliessen lassen, wie Plato von der Raserey des Dichters sagt – ουκ εμφρων εστι και παν το επιον ὡσπερ κρηνη τις ἑτοιμως ρειν εᾳ ?Nach Deiner Vollendung im Ausdruck glaube ich noch gar nicht streben zu dürfen. Dir ist es nun einmal unmöglich etwas andres als in gewissem Sinne Kunstwerke zu bilden. Wie fruchtlos und wie thöricht wäre es für mich, ehe ich mit dem Stoff und mit dem Gedanken völlig aufs Reine bin (welches unter 10 Jahren vielleicht nicht der Fall seyn wird) nach vollendeter Form streben zu wollen. Doch versteht sichʼs daß ich alle Kunstwörter wie den Tod scheue, und nach Leibeskräften nach Bestimmtheit und Klarheit strebe. Auch die fremdartigen Wörter, die im Deutschen immer Flecken [6] bleiben, und die Du so glücklich vermieden hast, scheue ich im eigentl.[ich] historischen, wo sie mir der historischen Würde zuwieder scheinen. In der Abh.[andlung] über das Studium, die in einer ganz andern Tonart geschrieben ist, konnte ich sie nicht vermeiden, weil hier alles voller Beziehungen ist, und ich also nur auf das Gangbare der Ausdrücke sehn mußte, mir nicht selbst eine rein-Deutsche Sprache bilden durfte. Ich bin sehr begierig auf Dein Urtheil. Vor Ostern hoffe ich nun nicht. Als Beglaubigung Deiner kritischen Offenherzigkeit ist mir die Strenge über die Gr[enzen] und den Kom[ödienaufsatz] sehr lieb gewesen, die ich gar nicht ganz misbillige, nur für übertrieben halte: denn ich gestehe Dir, der blosse Gedanke die Dorier, Athener, Römer nach ihrer regesten Tendenz zur Liebe, Kunst, Natur gegeneinanderzustellen, so schlecht er auch ausge[7]führt ist, gehört <nach meiner Meynung> unter die glücklichsten, die ich gehabt habe.
Deine Aussichten nach Jena halte ich für sehr reell und glücklich. Wer weiß, ob wir dort nicht einmal zusammen leben können. Es wird herrlich seyn, wenn wir einmal zusammen leben können. Es ist das Ziel meiner Wünsche und Anstrengungen.
Wie viel Geld Du von C.[otta] <ohngefähr> zu erwarten hast, habe ich Dir schon letzthin geschrieben. Ich werde es Ch.[arlotte] sogleich übergeben. Ich weiß s.[eine] Bestimmung und Deine großmüthige Absicht. Es ist mir unendlich viel werth, von der Sorge frey zu seyn, meine Schwester um ihrer edeln Aufopferung für mich leiden zu sehn. Nimm aber auch Rücksicht auf Dich. Ich muß von M.[ichaelis] zu Ostern doch eine beträchtliche Summe bekommen, von der im Noth[8]fall ein Theil der Summe genommen werden müßte. Du hast es Ch.[arlotte] bis auf Michaelis versprochen? Schreib mir doch gelegentlich. Es ist nothwendig, daß ich Dich bey Zeiten durch eine bestimmte Assignation sichre, oder doch wenigstens zu Ostern mit Mich.[aelis] deshalb Verabredung treffe.
Ich hätte gern <noch> mein Herz über den Reim ausgeschüttet. Ich habe darüber eigentlich nur von Dir zu lernen, und meine Meynung kann Dir nur etwa in so fern interessant seyn, als es auf die Bestimmung der Rubrik ankommt, zu der er gehört. Ich bleibe dabey, daß er zur musikalischen Qualität und zur interessanten Poesie gehört. Meine Rechtfertigung ein andermal.
Fr. Schl.

Nur hüte Dich vor der Vergleichung des Reimes und des Griechischen Rythmus. Sie sind inkommensurabel. Jeder hat seine eigne Sphäre, wo er ganz herrscht.
[1] Den 19ten Januar 1796.
Eben erhalte ich von Böttiger ein sehr zierliches Schreiben, worin er mir aufträgt des Lysias επιταφιος λογος für das zweite Stück des Attischen Museums zu übersetzen, mit Einleitung, Anmerkungen pp. zu versehn, und so aus der Fülle meiner Belesenheit und Kennerschaft dieß morceau auch für Deutschland zu appretiren. – Ich werde mit grosser Lust aus den Alten übersetzen, und hoffe auch für meinen Styl einen grossen Vortheil davon. – Ich bitte Dich meine Bitte desfalls nicht zu vernachlässigen. Wolltest Du Dich auch wohl erkundigen, ob es eine lesbare Uebersetzung von Arrians Geschichte Alex.[anders] giebt? Dann wünschte ich, daß Kar.[oline] die Uebersetzung des Herodot von einem gewissen Degen prüfte. Denke nur nicht, daß ich alles auf einmal thun will. Weil ich aber zwischen mehrern Planen schwanke, so möchte ich gern recht freye Auswahl haben.
[2] Du hast nun den Allmanach und die sentimentalen Dichter. Setze Dich auf den Dreyfuß und weissage:

Ex adyto tanquam cordis
Sanctius et multo certa ratione magis, quam
Pythia, quae tripodʼ
ex Phoebi, lauroque profatur.

Die Sentimentalen haben mich vielleicht nur durch Berührung entzündet. In wissenschaftlicher Hinsicht sind das alles nur Vorarbeiten. Indessen gestehe ichs, daß ich sehr viel daraus gelernt habe. –
Becker ist vom Romeo und von dem Mährchen sehr eingenommen. Doch mußt Du Dir denken, daß selbst er und wohl jeder Leser das Unbefriedigende in dem Ende des letztern fühlen muß. – Ich denke für Becker ein kleines Plat.[onisches] Gespräch zu übersetzen, etwa den Lysis, Charmides oder den Laches, welcher eine köstliche Blüthe ist.
[3] Mir ist eingefallen, daß Du wegen des Shak[espeare], wenn Michaelis zu lange zögert, ja wohl Cottaʼn Vorschläge thun könntest. – Mit Vieweg scheint es nichts zu seyn. Er antwortet nicht.
Ich habe immer noch keine Nachricht von Mich.[aelis] und fange an besorgt zu werden. Er hat sehr viel unternommen, wie leicht kann ein Anfänger in Unordnung gerathen, und umwerfen! Ich bin so ungeduldig, daß Du noch nichts von mir lesen kannst. Ueberall möchte ich Dir wohl einmahl in einem Gespräche entwickeln können, warum ich eigentlich noch so sehr wenig geleistet habe. Ich sehe es ietzt ein, wie unendlich schwer ich es mir gemacht habe. Indessen gereut mich im Ganzen der Weg nicht, den ich gegangen bin. – Bin ich erst bey dem Politischen, wie leicht und angenehm wird da Alles von der Hand gehn, auch weit einträglicher. Ich [4] werde einige Biographien schreiben, Tiberius Grakchus, Brutus den ich Kar.[oline] in L.[ucka] versprach. – Bey der Gr.[iechischen] Pol.[itik] ist dem Himmel sey Dank keine Gefahr. Aber Du kannst auch über meine wissenschaftl.[ichen] Versuche der Art, die eine mir nothwendige Vorbereitung zu jenem sind, Deine freundschaftl.[ichen] Besorgnisse beruhigen. Schon um der Strenge der wissenschaftl.[ichen] Untersuchung werde ich mich der entferntesten Anspielung auf Thatsachen enthalten, und Popularitäten hier eher vermeiden, als suchen. Die Obskurität der abstrakten Metaphysik wird mich schützen, und wenn man nur für Philosophen schreibt, so kann man unglaublich kühn seyn, ehe daß jemand <von der Polizey> Notiz davon nimmt, oder die Kühnheit auch nur versteht.
Auf Deine Recension bin ich so begierig, wie auf den dritten Brief. Kannst Du mir ungefähr den Faden verzeichnen, dem Deine Briefe [5] im Ganzen folgen werden. Oder ist dieser noch nicht näher bestimmt? Wirst Du wie den dithyrambischen Strom die Rede – ex Dyto cordis – <ganz> frey fliessen lassen, wie Plato von der Raserey des Dichters sagt – ουκ εμφρων εστι και παν το επιον ὡσπερ κρηνη τις ἑτοιμως ρειν εᾳ ?Nach Deiner Vollendung im Ausdruck glaube ich noch gar nicht streben zu dürfen. Dir ist es nun einmal unmöglich etwas andres als in gewissem Sinne Kunstwerke zu bilden. Wie fruchtlos und wie thöricht wäre es für mich, ehe ich mit dem Stoff und mit dem Gedanken völlig aufs Reine bin (welches unter 10 Jahren vielleicht nicht der Fall seyn wird) nach vollendeter Form streben zu wollen. Doch versteht sichʼs daß ich alle Kunstwörter wie den Tod scheue, und nach Leibeskräften nach Bestimmtheit und Klarheit strebe. Auch die fremdartigen Wörter, die im Deutschen immer Flecken [6] bleiben, und die Du so glücklich vermieden hast, scheue ich im eigentl.[ich] historischen, wo sie mir der historischen Würde zuwieder scheinen. In der Abh.[andlung] über das Studium, die in einer ganz andern Tonart geschrieben ist, konnte ich sie nicht vermeiden, weil hier alles voller Beziehungen ist, und ich also nur auf das Gangbare der Ausdrücke sehn mußte, mir nicht selbst eine rein-Deutsche Sprache bilden durfte. Ich bin sehr begierig auf Dein Urtheil. Vor Ostern hoffe ich nun nicht. Als Beglaubigung Deiner kritischen Offenherzigkeit ist mir die Strenge über die Gr[enzen] und den Kom[ödienaufsatz] sehr lieb gewesen, die ich gar nicht ganz misbillige, nur für übertrieben halte: denn ich gestehe Dir, der blosse Gedanke die Dorier, Athener, Römer nach ihrer regesten Tendenz zur Liebe, Kunst, Natur gegeneinanderzustellen, so schlecht er auch ausge[7]führt ist, gehört <nach meiner Meynung> unter die glücklichsten, die ich gehabt habe.
Deine Aussichten nach Jena halte ich für sehr reell und glücklich. Wer weiß, ob wir dort nicht einmal zusammen leben können. Es wird herrlich seyn, wenn wir einmal zusammen leben können. Es ist das Ziel meiner Wünsche und Anstrengungen.
Wie viel Geld Du von C.[otta] <ohngefähr> zu erwarten hast, habe ich Dir schon letzthin geschrieben. Ich werde es Ch.[arlotte] sogleich übergeben. Ich weiß s.[eine] Bestimmung und Deine großmüthige Absicht. Es ist mir unendlich viel werth, von der Sorge frey zu seyn, meine Schwester um ihrer edeln Aufopferung für mich leiden zu sehn. Nimm aber auch Rücksicht auf Dich. Ich muß von M.[ichaelis] zu Ostern doch eine beträchtliche Summe bekommen, von der im Noth[8]fall ein Theil der Summe genommen werden müßte. Du hast es Ch.[arlotte] bis auf Michaelis versprochen? Schreib mir doch gelegentlich. Es ist nothwendig, daß ich Dich bey Zeiten durch eine bestimmte Assignation sichre, oder doch wenigstens zu Ostern mit Mich.[aelis] deshalb Verabredung treffe.
Ich hätte gern <noch> mein Herz über den Reim ausgeschüttet. Ich habe darüber eigentlich nur von Dir zu lernen, und meine Meynung kann Dir nur etwa in so fern interessant seyn, als es auf die Bestimmung der Rubrik ankommt, zu der er gehört. Ich bleibe dabey, daß er zur musikalischen Qualität und zur interessanten Poesie gehört. Meine Rechtfertigung ein andermal.
Fr. Schl.

Nur hüte Dich vor der Vergleichung des Reimes und des Griechischen Rythmus. Sie sind inkommensurabel. Jeder hat seine eigne Sphäre, wo er ganz herrscht.
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