• Elisabeth Wilhelmine van Nuys to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wien · Place of Destination: Unknown · Date: 25.09.1808
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Elisabeth Wilhelmine van Nuys
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wien
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 25.09.1808
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 617‒619.
  • Incipit: „[1] Wien Sept 25 [180]8
    Grade vor diesem Tage – mit dem ich ein neues Lebensjahr beginne ward mir die süßeste aller [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-7
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,22,9
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl., hs. m. Paraphe
  • Format: 18,6 x 11,1 cm
[1] Wien Sept 25 [180]8
Grade vor diesem Tage – mit dem ich ein neues Lebensjahr beginne ward mir die süßeste aller Hofnungen geraubt! – wie soll ich es deuten – der Gedanke von Klopstock in dem von M[inna] gestickten Taschenbuch, kann nur Trost bereiten für die zu fürchtende Täuschung o sie belebte so schön die Aussicht eines frohen Wiedersehens! aber findet sie auch so bald nicht statt wie das sehnende Herz zu ahnen – wähnte – so erfüllt sie sicher sich doch einst – wo es auch sey!!!
Fr[iedrich] sehe ich fast gar nicht – nach meiner Rückkehr aus Ba[den] bat H[ammer] der Orient[alist] uns das heißt Fr[iedrich], seinen Fr[eund] T[ieck] und mich mit noch einigen Personen nach [2] seinem Landhause; es war ein in jeder Hinsicht heiterer Tag; M[inna] hatte ein Gedicht bei sich gegen den Gegenstand den ich hier nicht füglich nennen kann, es ist der – mit dem M[inna]ʼs erster und edelster Fr.[eund] lebt! – Das Gedicht theilte M[inna] (vieleicht unbesonnener Weise) an Fr[iedrich] und T[ieck] mit, als sie mit beiden allein war. Fr[iedrich] schien unzufrieden, und seit dem Augenblick war sein Benehmen verändert, und man sah ihn nicht wieder; wiederholter Einladung ohnerachtet! Wäre irgend ein anderer zugegen gewesen, dann könnte diese Rüge Fr[iedrich] so gar Ehre machen – aber so istʼs so unerklärbar, als schmerzlich, und fast mögtʼ ich sagen unverzeihlich! Das Bild hat M[inna] daher auch nicht einmal zeigen [3] können – M[inna] ist auf dem Punkt gewesen W[ien] verlassen zu müssen grade weil ihre Anhänglichkeit an jene Freunde sich zu oft laut geäussert vieleicht auch weil sie ein paar Besuche annahm von der Person, wovon das im letzten Br[ief] erwähnte Manuscript ist. Der alte Fr[eund] aus H[amburg] ist noch immer hier, und wohnt bei mir doch ist endlich die Nichtbegleitung entschieden, und er reiset bald. Ich geselle mich schon am 15ten des nächsten Monaths zu der erwähnten Liebenswürdigen Pohlin eine Generalin Chevkin ihr Mann ist in Russischen Diensten und jetzt in Petersburg, sie hat zwei Kinder von H[arriott]ʼs Alter und einen Hauslehrer mit dem sie sehr zufrieden; für H[arriott] also ist [4] diese Einrichtung die erwünschteste, die zweckmäßigste, und welche Rücksicht darf mir wichtiger seyn! Freiheit Unabhängigkeit wie wenig darf sie auf jeden Fall ein Wesen in meiner Lage benutzen – so darf der neue Entschluß keinen Seufzer kosten da der l[iebe] g[ute] Fr[eund] nicht erscheinen wird!
H[arriott] erinnert sich sehr oft der liebenswürdigen Alb[ertine] und bittet um tausendfache Empfelung. Ihrer ausgezeichneten Mutter wird es der Versicherung nicht bedürfen daß es zu M[inna]ʼs lebhaftesten Wünschen gehört ihr noch einst es Persönlich wiederholen zu könen wie sehr sie ihr ergeben.
Der gute, gelehrte Hasch[ka] empfielt sich recht angelegentlich, er ist [ein] aufrichtiger Freund des Edelsten Freundes. [5] Die nächste Woche werdʼ ich mit ihm unter „einem Dache“ zu bringen auf einem Gute der Bar[onin] Matt. Der Shakespear wird mitgenommen und Seufzer werden zu dem Freunde eilen der mit so unnachahmlicher Uebersetzung nicht eilet. O ich mögte dieses Zögern unverzeihlich nennen – auch ist darüber nur eine Stimme da es unmöglich ist etwas gelungeneres zu leisten! Wer vermag dem ersten aller Dichter so nachzuempfinden so wiederzugeben –
Würde das nächste Jahr doch in Italien zugebracht und zusammentrefen, oder zugleich reisen dahin möglich! [6] was müste unter solchem Himmel nicht alles möglich werden! Die körperliche Trägheit, in den letzten Wochen, Monden, des Zusammenseyn in W[ien] die gewiß schon der Keim der furchtbarsten Krankheit erzeugte, machte wirklich so geistig stum, daß es mich jetzt noch oft tief betrübt. Wie viel Stoff zu Austauschung der Gedanken gaben die so gehaltreichen treflichen Vorlesungen! wie wenig war ich dazu fähig!
Seit kurzem hab ich Troxler kennen lernen es ist ein recht geistvoller Mann der es innig beklagt die Persönliche Bekandschaft [7] des treflichen A. W. S[chlegel] nicht gemacht zu haben!
Daß M[adam] B[ernhardi] sehr ernsthafte Anstalt zur Abreise nach Italien macht wird F[riedrich] geschrieben haben. Die P[ichler] hat in dem Dichtergarten von ich glaube Rostock etwas von der B[ernhardi] gelesen, was das mitgetheilte Urtheil veranlast hat; alles ist entzückt von der P[ichler] letztes Werk Agathocles ich habe es erst jezt bekommen.
In wenig Tagen gehʼ ich noch einige Tage aufs Land jenseits Baden.
Ein Unglück muß ich m[einem] Fr[eunde] noch mittheilen – die „lieblichste theuerste aller Harfen“ [8] ist verloren – darf ich fragen wer sie gemacht? Ich muß sie ersezen zu theuer war dies zartgebaute Wesen – ich bitte herzlich es nicht zu vergessen, es muß das erste sein was gemacht wird! bitte bitte sagʼ es bald.
Der Dichtung – muß es freilich unwerth gewesen seyn – jetzt finden öftere Uebungen statt auch wird Unterricht genommen im Mosaic, eine gar köstliche Arbeit und – auch für die Ewigkeit. Von ganzer Seele, und mit ganzer Seele immer die tr[eue] auf[richtige]
Fr[eundin].
[1] Wien Sept 25 [180]8
Grade vor diesem Tage – mit dem ich ein neues Lebensjahr beginne ward mir die süßeste aller Hofnungen geraubt! – wie soll ich es deuten – der Gedanke von Klopstock in dem von M[inna] gestickten Taschenbuch, kann nur Trost bereiten für die zu fürchtende Täuschung o sie belebte so schön die Aussicht eines frohen Wiedersehens! aber findet sie auch so bald nicht statt wie das sehnende Herz zu ahnen – wähnte – so erfüllt sie sicher sich doch einst – wo es auch sey!!!
Fr[iedrich] sehe ich fast gar nicht – nach meiner Rückkehr aus Ba[den] bat H[ammer] der Orient[alist] uns das heißt Fr[iedrich], seinen Fr[eund] T[ieck] und mich mit noch einigen Personen nach [2] seinem Landhause; es war ein in jeder Hinsicht heiterer Tag; M[inna] hatte ein Gedicht bei sich gegen den Gegenstand den ich hier nicht füglich nennen kann, es ist der – mit dem M[inna]ʼs erster und edelster Fr.[eund] lebt! – Das Gedicht theilte M[inna] (vieleicht unbesonnener Weise) an Fr[iedrich] und T[ieck] mit, als sie mit beiden allein war. Fr[iedrich] schien unzufrieden, und seit dem Augenblick war sein Benehmen verändert, und man sah ihn nicht wieder; wiederholter Einladung ohnerachtet! Wäre irgend ein anderer zugegen gewesen, dann könnte diese Rüge Fr[iedrich] so gar Ehre machen – aber so istʼs so unerklärbar, als schmerzlich, und fast mögtʼ ich sagen unverzeihlich! Das Bild hat M[inna] daher auch nicht einmal zeigen [3] können – M[inna] ist auf dem Punkt gewesen W[ien] verlassen zu müssen grade weil ihre Anhänglichkeit an jene Freunde sich zu oft laut geäussert vieleicht auch weil sie ein paar Besuche annahm von der Person, wovon das im letzten Br[ief] erwähnte Manuscript ist. Der alte Fr[eund] aus H[amburg] ist noch immer hier, und wohnt bei mir doch ist endlich die Nichtbegleitung entschieden, und er reiset bald. Ich geselle mich schon am 15ten des nächsten Monaths zu der erwähnten Liebenswürdigen Pohlin eine Generalin Chevkin ihr Mann ist in Russischen Diensten und jetzt in Petersburg, sie hat zwei Kinder von H[arriott]ʼs Alter und einen Hauslehrer mit dem sie sehr zufrieden; für H[arriott] also ist [4] diese Einrichtung die erwünschteste, die zweckmäßigste, und welche Rücksicht darf mir wichtiger seyn! Freiheit Unabhängigkeit wie wenig darf sie auf jeden Fall ein Wesen in meiner Lage benutzen – so darf der neue Entschluß keinen Seufzer kosten da der l[iebe] g[ute] Fr[eund] nicht erscheinen wird!
H[arriott] erinnert sich sehr oft der liebenswürdigen Alb[ertine] und bittet um tausendfache Empfelung. Ihrer ausgezeichneten Mutter wird es der Versicherung nicht bedürfen daß es zu M[inna]ʼs lebhaftesten Wünschen gehört ihr noch einst es Persönlich wiederholen zu könen wie sehr sie ihr ergeben.
Der gute, gelehrte Hasch[ka] empfielt sich recht angelegentlich, er ist [ein] aufrichtiger Freund des Edelsten Freundes. [5] Die nächste Woche werdʼ ich mit ihm unter „einem Dache“ zu bringen auf einem Gute der Bar[onin] Matt. Der Shakespear wird mitgenommen und Seufzer werden zu dem Freunde eilen der mit so unnachahmlicher Uebersetzung nicht eilet. O ich mögte dieses Zögern unverzeihlich nennen – auch ist darüber nur eine Stimme da es unmöglich ist etwas gelungeneres zu leisten! Wer vermag dem ersten aller Dichter so nachzuempfinden so wiederzugeben –
Würde das nächste Jahr doch in Italien zugebracht und zusammentrefen, oder zugleich reisen dahin möglich! [6] was müste unter solchem Himmel nicht alles möglich werden! Die körperliche Trägheit, in den letzten Wochen, Monden, des Zusammenseyn in W[ien] die gewiß schon der Keim der furchtbarsten Krankheit erzeugte, machte wirklich so geistig stum, daß es mich jetzt noch oft tief betrübt. Wie viel Stoff zu Austauschung der Gedanken gaben die so gehaltreichen treflichen Vorlesungen! wie wenig war ich dazu fähig!
Seit kurzem hab ich Troxler kennen lernen es ist ein recht geistvoller Mann der es innig beklagt die Persönliche Bekandschaft [7] des treflichen A. W. S[chlegel] nicht gemacht zu haben!
Daß M[adam] B[ernhardi] sehr ernsthafte Anstalt zur Abreise nach Italien macht wird F[riedrich] geschrieben haben. Die P[ichler] hat in dem Dichtergarten von ich glaube Rostock etwas von der B[ernhardi] gelesen, was das mitgetheilte Urtheil veranlast hat; alles ist entzückt von der P[ichler] letztes Werk Agathocles ich habe es erst jezt bekommen.
In wenig Tagen gehʼ ich noch einige Tage aufs Land jenseits Baden.
Ein Unglück muß ich m[einem] Fr[eunde] noch mittheilen – die „lieblichste theuerste aller Harfen“ [8] ist verloren – darf ich fragen wer sie gemacht? Ich muß sie ersezen zu theuer war dies zartgebaute Wesen – ich bitte herzlich es nicht zu vergessen, es muß das erste sein was gemacht wird! bitte bitte sagʼ es bald.
Der Dichtung – muß es freilich unwerth gewesen seyn – jetzt finden öftere Uebungen statt auch wird Unterricht genommen im Mosaic, eine gar köstliche Arbeit und – auch für die Ewigkeit. Von ganzer Seele, und mit ganzer Seele immer die tr[eue] auf[richtige]
Fr[eundin].
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