• August Ludwig Hülsen to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Gut Seekamp (Kiel) · Place of Destination: Berlin · Date: 02.12.1803
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Ludwig Hülsen
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Gut Seekamp (Kiel)
  • Place of Destination: Berlin
  • Date: 02.12.1803
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 53‒55.
  • Incipit: „[1] Seekamp bei Kiel d. 2ten Xbr [= Dezember] 1803
    Sophiens Brief ist erst vor einigen Tagen zu mir gekommen. Seine unbestimmte [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-6
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,21,43
  • Number of Pages: 4 S. auf Doppelbl. u. 2 S., hs. m. U.
  • Format: 18,7 x 11,2 cm
[1] Seekamp bei Kiel d. 2ten Xbr [= Dezember] 1803
Sophiens Brief ist erst vor einigen Tagen zu mir gekommen. Seine unbestimmte Adresse “Seekamp in Holstein“ hatte ihn wahrscheinlich von Hamburg aus über Rendsburg geführt und so durch den ganzen Lauf der Holsteinischen Posten bis endlich auf Kiel zurück. Ich war wirklich in Begriff eben an Dich zu schreiben, und auch eine kleine Einlage an den Grafen Kalkreuth mit beizufügen. Durch Sophiens Erinnerung wurde ich fast unruhig und um mir das Herz zu erleichtern, schrieb ich die Einlage zuerst. Ich laße den Brief offen, und so ist sein allgemeiner Inhalt auch zugleich für euch, und dieser mein besonderer Gruß nur noch hinzugefügt.
Also von Seekamp aus, an der Küste der Ost-See, rede ich jetzt zu Dir hinüber mit den alten vertrauten Zeichen. Es ist eigentlich herrlich, daß der freie Gedanke doch seine Allgegenwart zu behaupten sucht, und durch mancherlei Unordnungen die getrennten Räume des Lebens immer wieder verbindet. Was kümmert es uns, zu welchen gemeinten Zwecken die Posten erfunden und [2] bis dato löblich erhalten worden sind. Ueber den höchsten Zweck des gesellschaftlichen Lebens läßt sich doch einmal nichts meinen, denn erkannt oder nicht, ist er es doch immer, für den die Menschen überall thätig sind. Darum also ist es erfreulich, daß mein Post-Meister zu Kiel zwar das Porto franko bis Hamburg einfodert und annimmt; aber doch eigentlich, und vielleicht ihm selbst unbewußt, an dem herzlichen Gruße theil nimmt, den ich ihm in diesen Zeilen für Dich anvertraue. Eben so freundlich, und wo möglich noch weit mehr, denken auch unser die Postillone, warten zum Theil schon auf den respektiven Stationen, und dulden Frost und Hitze – nur nicht Hunger und Durst – um unsrer Freundschaft willen. Wie es nun alles gekommen ist, daß ich dies Küstenland aufsuchen und sogar ernstlich von Freunden und Vaterland mich trennen mußte; das wißen beßer als ich die Himmlischen Mächte, deren Winken ich gefolgt bin. Mir ist noch nicht so in der Seele, als ob sie mich hier den Frieden wollten finden laßen, den sie uns doch verheißen haben, und der eben darum auch gewiß ist. Aber das menschliche Herz ist im bewegten Leben auch gewiß schwer zu beruhigen, und darum ist es recht gut, daß es die Sekunden fort[3]schlägt, die nicht zur Ewigkeit gehören, bis es frei vom Wechsel sein seeliges Daseyn findet. Ich komme auch jetzt in ein neues Leben. So ist es mir. Wo es geblieben, das alte mit seiner freundlichen Gegenwart, ich weiß es nicht. Nun laß mich erfahren, welche Tage mir hier kommen sollen. Freue ich mich ihrer, so war wol alles gut. Ich sage es mir so oft, wer sich mit der Gegenwart verträgt, hat keine Stöhrung zu fürchten: er ist ein Liebling der Götter, die ihn zu ihrem Genuß erhuben.
Aus dem einliegenden Briefe erfährst Du die kleinen Begebenheiten meines jetzigen Lebens. Vieles mußt Du denken, was sich von selbst versteht, und Vieles andere in Verbindung der Zukunft noch erwarten. Die Zeit hat mir noch nicht Flügel genug. Ich bin wirklich ungeduldig auf den kommenden May, ob ich gleich auch in Wagersrott Niemanden finde als mich selbst. Von Berger weißt Du, daß er mein Zwillingsbruder ist. Seine Augen sind zwei helle Lichter durch die man klar in das erleuchtete Innre sieht, und nichts anders ist er, als was man sieht. Mit ihm und seiner Anna, die ich einer Lilie vergleiche [4] von zartem himmlischen Wesen, verlebe ich jetzt die Tage, die waren und sind, und auch die der stillen Hoffnung, wie sie in Bildern des Lebens der Gott in uns anschaut. Viel bin ich auch mit dem Freunde im Lande herum gewandelt, bis wir den Ort gewählt hatten, da ich künftighin wohnen soll. Den Gedanken, dies sey das Letzte, wollte mein Gemüth nicht recht faßen. Die Phantasie trennt nicht leicht was in sich selbst verbunden ist, und alles Letzte begleitet drum immer der Tod. Den suchen wir aber nicht, und so wird es uns bange, wenn wir irgendwo still stehen. Ich weiß es aber doch, daß ein neuer Tag auch ein neues Leben bringt, und so will ich mich mit meinem neuen Wohnorte wol befreunden, wenn ich nur erst vergeßen kann, daß ich doch nicht bin wo ich war. Künftigen May erst beziehe ich meinen kleinen Landsitz. Ich kann Dir jetzt noch nichts weiter von ihm sagen, als – ich darf wol mit ihm zufrieden seyn. Zwei Knechte habe ich schon, zwei Mächde und eine Haushälterin und auch 4. Pferde dazu und 14. Milchreiche Kühe. Mein Feld liegt dicht um die Wohnung herum, und nahe auch ein schönes Buchengehölz, das ich im Geiste schon den Musen geheiligt habe. Jetzt müßen sie mir aber erlauben, daß ich mich auch um einen vernünftigen [5] Plan für die Wirthschaft bekümmre, und über die Eintheilung nachdenke, ob 7. Schläge beßer sind als 8. und 9. Du solltest Dich wol wundern, wenn Du meine Betrachtungen mit anhörtest. Aber doch möchte ich Dir wol zurufen, εῖναι και γαρ ενϑαῦτα ϑεοῦς. Der Gegenstand macht es nicht, sondern der Gedanke, der ihn behandelt und sein Verhältniß im freien Leben. Wir wollen durch ihn uns gewiß nicht trennen. Kann das Licht auch zu sich selbst sagen, nun sey es Nacht? und wo will das Auge sich vor seinem eignen Blicke verbergen? Darum sey Du gewiß, ich kann meine Hand nicht entweihen, wenn ich den Pflug auch ergreife und Saamen in die Furchen streue zum Gedeihen eines blühenden Lebens. Ich betrachte mein Geschäft in seiner erfreulichen Bedeutung, noch ehe der Pflug [Fluch?] der Götter es getroffen hatte. Es läßt sich nicht fodern, daß es jeder so finde, und Dankopfer bringe. Ich würde sehr glücklich seyn, wenn ich die Frühlinge zurückrufen könnte, die ihre Blüthen mir einst in den heimischen Fluren entfaltet. Anders ist das Leben nun und anders seine Freude. Sage mir nur, ob Du auch zu mir kommen wirst, wenn ich Dir erst eine freundliche Wohnung werde [6] bereitet haben. Mein Premmnitzer Bruder hat mir zweie von seinen Töchtern als Töchter zugesagt. Du sollst mit ihnen kommen. Es sind freundliche Kinder, die ich gern schon den ersten Frühling um mich sähe, damit ich auch durch sie das neue mit dem alten Leben wieder verbände. Schreibe mir nur bald. Wie lebst Du jetzt in Berlin, und was sinnest Du Neues und Schönes? Wir ergötzen uns hier an allem, was Deine Muse uns geschenkt hat. Wie sehr ich aber zurück bin kannst Du daraus abnehmen, daß ich nun erst Schillers Braut von Messina kennen lerne. Es ist, nach meinem Urtheile, das Schönste was ich von ihm kenne. Er hat es herrlich getroffen. Wie muß der Mensch seine ganze Kraft und Freiheit fühlen, wenn er ein Schicksal anschaut wie dieses. Göthes natürliche Tochter hat wahrscheinlich einen historischen Stoff. Kannst Du mich bestimmter darauf hinweisen? Es wäre als freie Dichtung bei weitem nicht idealisch genung. Mich stöhrt überdies die aristokratische Gesinnung in diesem Kunstprodukt sehr. Man sieht nicht die handelnden Personen, sondern den Verfaßer. Adieu, lieber Freund. Berger grüßt Dich. Gieb mir auch Nachricht von Friedrich. Grüße die Freunde. Zuförderst Bernhardis. Doch euch allen gehört dies redende Blatt, und so sey auch Sophie für ihre Zuschrift dadurch freundlichst gedankt. Dein treuer Freund
L. Hülsen
[1] Seekamp bei Kiel d. 2ten Xbr [= Dezember] 1803
Sophiens Brief ist erst vor einigen Tagen zu mir gekommen. Seine unbestimmte Adresse “Seekamp in Holstein“ hatte ihn wahrscheinlich von Hamburg aus über Rendsburg geführt und so durch den ganzen Lauf der Holsteinischen Posten bis endlich auf Kiel zurück. Ich war wirklich in Begriff eben an Dich zu schreiben, und auch eine kleine Einlage an den Grafen Kalkreuth mit beizufügen. Durch Sophiens Erinnerung wurde ich fast unruhig und um mir das Herz zu erleichtern, schrieb ich die Einlage zuerst. Ich laße den Brief offen, und so ist sein allgemeiner Inhalt auch zugleich für euch, und dieser mein besonderer Gruß nur noch hinzugefügt.
Also von Seekamp aus, an der Küste der Ost-See, rede ich jetzt zu Dir hinüber mit den alten vertrauten Zeichen. Es ist eigentlich herrlich, daß der freie Gedanke doch seine Allgegenwart zu behaupten sucht, und durch mancherlei Unordnungen die getrennten Räume des Lebens immer wieder verbindet. Was kümmert es uns, zu welchen gemeinten Zwecken die Posten erfunden und [2] bis dato löblich erhalten worden sind. Ueber den höchsten Zweck des gesellschaftlichen Lebens läßt sich doch einmal nichts meinen, denn erkannt oder nicht, ist er es doch immer, für den die Menschen überall thätig sind. Darum also ist es erfreulich, daß mein Post-Meister zu Kiel zwar das Porto franko bis Hamburg einfodert und annimmt; aber doch eigentlich, und vielleicht ihm selbst unbewußt, an dem herzlichen Gruße theil nimmt, den ich ihm in diesen Zeilen für Dich anvertraue. Eben so freundlich, und wo möglich noch weit mehr, denken auch unser die Postillone, warten zum Theil schon auf den respektiven Stationen, und dulden Frost und Hitze – nur nicht Hunger und Durst – um unsrer Freundschaft willen. Wie es nun alles gekommen ist, daß ich dies Küstenland aufsuchen und sogar ernstlich von Freunden und Vaterland mich trennen mußte; das wißen beßer als ich die Himmlischen Mächte, deren Winken ich gefolgt bin. Mir ist noch nicht so in der Seele, als ob sie mich hier den Frieden wollten finden laßen, den sie uns doch verheißen haben, und der eben darum auch gewiß ist. Aber das menschliche Herz ist im bewegten Leben auch gewiß schwer zu beruhigen, und darum ist es recht gut, daß es die Sekunden fort[3]schlägt, die nicht zur Ewigkeit gehören, bis es frei vom Wechsel sein seeliges Daseyn findet. Ich komme auch jetzt in ein neues Leben. So ist es mir. Wo es geblieben, das alte mit seiner freundlichen Gegenwart, ich weiß es nicht. Nun laß mich erfahren, welche Tage mir hier kommen sollen. Freue ich mich ihrer, so war wol alles gut. Ich sage es mir so oft, wer sich mit der Gegenwart verträgt, hat keine Stöhrung zu fürchten: er ist ein Liebling der Götter, die ihn zu ihrem Genuß erhuben.
Aus dem einliegenden Briefe erfährst Du die kleinen Begebenheiten meines jetzigen Lebens. Vieles mußt Du denken, was sich von selbst versteht, und Vieles andere in Verbindung der Zukunft noch erwarten. Die Zeit hat mir noch nicht Flügel genug. Ich bin wirklich ungeduldig auf den kommenden May, ob ich gleich auch in Wagersrott Niemanden finde als mich selbst. Von Berger weißt Du, daß er mein Zwillingsbruder ist. Seine Augen sind zwei helle Lichter durch die man klar in das erleuchtete Innre sieht, und nichts anders ist er, als was man sieht. Mit ihm und seiner Anna, die ich einer Lilie vergleiche [4] von zartem himmlischen Wesen, verlebe ich jetzt die Tage, die waren und sind, und auch die der stillen Hoffnung, wie sie in Bildern des Lebens der Gott in uns anschaut. Viel bin ich auch mit dem Freunde im Lande herum gewandelt, bis wir den Ort gewählt hatten, da ich künftighin wohnen soll. Den Gedanken, dies sey das Letzte, wollte mein Gemüth nicht recht faßen. Die Phantasie trennt nicht leicht was in sich selbst verbunden ist, und alles Letzte begleitet drum immer der Tod. Den suchen wir aber nicht, und so wird es uns bange, wenn wir irgendwo still stehen. Ich weiß es aber doch, daß ein neuer Tag auch ein neues Leben bringt, und so will ich mich mit meinem neuen Wohnorte wol befreunden, wenn ich nur erst vergeßen kann, daß ich doch nicht bin wo ich war. Künftigen May erst beziehe ich meinen kleinen Landsitz. Ich kann Dir jetzt noch nichts weiter von ihm sagen, als – ich darf wol mit ihm zufrieden seyn. Zwei Knechte habe ich schon, zwei Mächde und eine Haushälterin und auch 4. Pferde dazu und 14. Milchreiche Kühe. Mein Feld liegt dicht um die Wohnung herum, und nahe auch ein schönes Buchengehölz, das ich im Geiste schon den Musen geheiligt habe. Jetzt müßen sie mir aber erlauben, daß ich mich auch um einen vernünftigen [5] Plan für die Wirthschaft bekümmre, und über die Eintheilung nachdenke, ob 7. Schläge beßer sind als 8. und 9. Du solltest Dich wol wundern, wenn Du meine Betrachtungen mit anhörtest. Aber doch möchte ich Dir wol zurufen, εῖναι και γαρ ενϑαῦτα ϑεοῦς. Der Gegenstand macht es nicht, sondern der Gedanke, der ihn behandelt und sein Verhältniß im freien Leben. Wir wollen durch ihn uns gewiß nicht trennen. Kann das Licht auch zu sich selbst sagen, nun sey es Nacht? und wo will das Auge sich vor seinem eignen Blicke verbergen? Darum sey Du gewiß, ich kann meine Hand nicht entweihen, wenn ich den Pflug auch ergreife und Saamen in die Furchen streue zum Gedeihen eines blühenden Lebens. Ich betrachte mein Geschäft in seiner erfreulichen Bedeutung, noch ehe der Pflug [Fluch?] der Götter es getroffen hatte. Es läßt sich nicht fodern, daß es jeder so finde, und Dankopfer bringe. Ich würde sehr glücklich seyn, wenn ich die Frühlinge zurückrufen könnte, die ihre Blüthen mir einst in den heimischen Fluren entfaltet. Anders ist das Leben nun und anders seine Freude. Sage mir nur, ob Du auch zu mir kommen wirst, wenn ich Dir erst eine freundliche Wohnung werde [6] bereitet haben. Mein Premmnitzer Bruder hat mir zweie von seinen Töchtern als Töchter zugesagt. Du sollst mit ihnen kommen. Es sind freundliche Kinder, die ich gern schon den ersten Frühling um mich sähe, damit ich auch durch sie das neue mit dem alten Leben wieder verbände. Schreibe mir nur bald. Wie lebst Du jetzt in Berlin, und was sinnest Du Neues und Schönes? Wir ergötzen uns hier an allem, was Deine Muse uns geschenkt hat. Wie sehr ich aber zurück bin kannst Du daraus abnehmen, daß ich nun erst Schillers Braut von Messina kennen lerne. Es ist, nach meinem Urtheile, das Schönste was ich von ihm kenne. Er hat es herrlich getroffen. Wie muß der Mensch seine ganze Kraft und Freiheit fühlen, wenn er ein Schicksal anschaut wie dieses. Göthes natürliche Tochter hat wahrscheinlich einen historischen Stoff. Kannst Du mich bestimmter darauf hinweisen? Es wäre als freie Dichtung bei weitem nicht idealisch genung. Mich stöhrt überdies die aristokratische Gesinnung in diesem Kunstprodukt sehr. Man sieht nicht die handelnden Personen, sondern den Verfaßer. Adieu, lieber Freund. Berger grüßt Dich. Gieb mir auch Nachricht von Friedrich. Grüße die Freunde. Zuförderst Bernhardis. Doch euch allen gehört dies redende Blatt, und so sey auch Sophie für ihre Zuschrift dadurch freundlichst gedankt. Dein treuer Freund
L. Hülsen
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