• August Ludwig Hülsen to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Gut Seekamp (Kiel) · Place of Destination: Berlin · Date: 18.12.1803
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Ludwig Hülsen
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Gut Seekamp (Kiel)
  • Place of Destination: Berlin
  • Date: 18.12.1803
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335976727
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 1. Der Texte erste Hälfte. 1791‒1808. Bern u.a. ²1969, S. 55‒64.
  • Incipit: „[1] Seekamp d. 18t Xbr [= Dezember] 1803
    Geliebter Freund,
    ich darf es gewiß als einen besondern Beweis Deiner Freundschaft gegen mich ansehen, [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-6
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,21,44
  • Number of Pages: 16 S. auf Doppelbl., hs. m. U.
  • Format: 18,8 x 11,3 cm
[1] Seekamp d. 18t Xbr [= Dezember] 1803
Geliebter Freund,
ich darf es gewiß als einen besondern Beweis Deiner Freundschaft gegen mich ansehen, daß Du mir bei Deinen vielen und überhäuften Geschäften einen so freundlichen langen Brief schriebst. Hoffentlich erhieltest Du den meinigen, mit den Einlagen an Sophie und den Grafen v. Kalkreuth, bald nachher, und unsre Geister haben sich also begegnet. Ich war noch immer in Erwartung, von Berlin aus irgend eine Anfrage zu erhalten. Jetzt weiß ich nun was es seyn sollte. Du begreifst aber von selbst, was ich auf den vorläufigen Antrag des Grafen erwiedern kann. Mein Standpunkt ist ja nun genommen, und wenn ich ihn auch wirklich wieder verlaßen könnte, in dem mitgetheilten Vorschlage läge doch wol keine Veranlaßung. Ich darf es gewiß glauben, daß auch Du schon in meiner Seele gesprochen hast. Nein auf die Art befand ich mich nicht in Verlegenheit. Ich suchte eine freie, uneigennützige Hülfe, und dachte an nichts weniger als an einen solchen Antrag. Gewiß, hätte der Graf mich gekannt, er würde es eher gewagt haben, sich irgend einen berühmten Profeßor von einer Akademie zu verschreiben, denn der läßt wenigstens vermuthen, daß er unter vortheilhaften Bedingungen ein solches Verhältniß eingehen könne. Ich spreche hier nicht von einer individuellen Abneigung. Noch weniger kann wol die Rede von der bürgerlichen Rangordnung seyn. Als ein junger Mensch, der zuförderst die Welt aufnimmt, wie er sie findet, war ich mehrere Jahre Hauslehrer. Wer mich jetzt noch dazu auffodern kann, mag es sehr gut mit sich selbst meynen, aber gewiß nicht mit mir. Freilich wer das gesellschaftliche Leben so betrachtet, daß unter [2] andern auch Hofmeister darin vorkommen, würde mich vielleicht um so mehr auf meinem Platze glauben, jemehr ich Talente und Geschicklichkeiten dazu habe. Ich kenne die Redensart sehr wol, der Hauslehrer soll der erste Freund im Hause seyn. So lächerlich spricht man, als ob etwann auch die Philosophie im Buchladen zu haben wäre. So viel weiß ich, meine Freunde wünschen mir ihr eignes Lebensglück, wenn sie etwann in der Lage sind, sich einen Hofmeister halten zu können, und werden [alles] thun, um es zu befördern, ohne erst Dienstleistungen von mir zu fodern. Das versteht sich für uns wenigstens von selbst, und es ist traurig genug, daß der vornehme und reiche Pöbel auch nur vornehme und reiche Freunde in der Welt hat. Den Grafen Kalkreuth wirst Du übrigens nicht bei mir rechtfertigen wollen. Was könnte ich ihm in dem Antrage auch zum Vorwurfe machen. Er frägt mich, als einen ihm unbekannten Mann, und war sich gewiß bewußt, daß er es gut und freundlich mit mir meyne. Es ist nichts darauf zu sagen, weil es nun einmal wirkliche Verhältniße des Lebens sind, und weder mein Stand noch meine Würde, den Gedanken, mich als Hofmeister zu engagieren, entfernen konnte. Wahrscheinlich darf ich noch auf einen Brief von dem Grafen Rechnung machen. Ich war wirklich besorgt, daß er mein Verfahren einigermaßen seltsam finden würde. Nun sehe ich ein, daß er in Rücksicht auf seinen Plan, nichts zu tadeln darin finden wird. Meine gegenwärtigen Aeußerungen kann er wißen, wenn [3] Du es gut findest, nur setze ich dabei voraus, daß auch alles gedacht werde im Geist und in der Wahrheit.
Dein Brief kam in einer recht erfreulichen Gesellschaft. So früh hatte ich die Europa noch nicht wieder erwartet. Aber Du hast auch diesmal Deinen Bruder wacker unterstützt, und solltest Du es gut finden, noch weiter Deine Vorlesungen auf die Art öffentlich mitzutheilen – welches gewiß viele wünschen werden – so könnte nun wol bald wieder ein neues Stück erscheinen. Mein vorläufiges Urtheil über den Inhalt des letzten Hefts, kann ich Dir in kurzen wol sagen, nämlich ich finde wieder wie in den vorigen einen vortreflichen Geist darin. Sollte ich mich ausführlicher darüber auslaßen, so würde ich unverholen sagen müßen, dies und jenes billige ich nicht, welches denn so viel heißt, als es ist nicht meine Ansicht und nicht meine Ueberzeugung. Mich dünkt aber, wir müßen es wünschen, daß in freien Betrachtungen Differenzen unter uns statt finden, wenn wir uns sonst nur erst gesagt haben, was uns eigentlich doch am Herzen liegt. Du erinnerst übrigens schon sehr wahr, daß man mit kurzen Erinnerungen nicht viel abthun kann. Zuweilen können sie uns aber doch Stoff zu vielen Gedanken geben und uns das Ganze ihrer geheimen Verbindung ahnden laßen. Ich behauptete z. B. es fehle dem Christentum an Ideen. [4] Du findest dagegen, daß durch seinen Einfluß das Verständniß der Ideen erst recht aufgegangen sey, und findest sogar beim Plato und dem Pythagoras schon eine Hinneigung auf daßelbe; diese Entgegensetzung ist in der That so unbedeutend nicht, da wir uns beide hoffentlich das Vermögen der Ideen nicht absprechen werden. Irgend einmal werde ich meine Ansicht Dir ausführlicher mittheilen können, wenn ich sonst einen Ort in der Welt finde, wo so frevelhafte Gedanken gedruckt werden können. Ich habe vor mehreren Jahren ein eignes Studium mit der christlichen Religion vorgenommen, und habe weder das eine noch das andere Resultat gefürchtet. Aber was ich damals fand, ist mir durch jede neue Betrachtung noch immer klarer geworden, daß nämlich ihr innerstes Wesen sich mit der Freiheit des Menschen und allem Großen und Wahren, was aus dieser hervorgehen soll, durchaus nicht vertrage; ja daß vorzüglich ihr Einfluß das Verderben und die gänzliche Erschlaffung über die Menschen gebracht habe. Daß ich die entgegengesetzte Behauptung nicht mit alltäglichen Gedanken angreifen werde, sollst Du eben so billig erwarten, als ich von Dir eine mit fortgehender Stille verbundne Gründlichkeit voraussetze. Hast Du den Brief nicht gelesen, den ich vor einigen Jahren Schleiermacher über seine Reden geschrieben. Ich wunderte mich, daß Schleier[5]macher mir wirklich zugestand, die Religion sey in ihrem innersten Wesen auch nur ein innres Verhältniß des Menschen. Denn wer mir dies zugiebt, muß billig auch gestehen, daß nur Christus allein eine christliche Religion haben konnte. Sollte er ein Centrum, ein Beziehungspunkt für andere seyn, so ist dies gegen die Wahrheit, und die Annahme einer solchen Religion – wiewol sie eigentlich unmöglich bleibt – muß doch als bloße Meynung von den nachtheiligsten Folgen seyn. Hierbei ist nun noch zu betrachten, was die christliche Religion für den Urheber selbst seyn mochte. Als Erscheinung in der Zeit bleibt sie immer unbedeutend, wenn man einmal die Ansicht des Unendlichen ergriffen hat, und diese durch keine Fichtesche und Schellingsche Inkonsequenz da, wo es drauf ankommt, wieder fahren läßt. Es ist jede gegebne Zeit nur ein Augenblick gegen die Idee, und darum läßt sich bloß historisch nichts begründen. Wenn man sagt, es sey jemand von ganzem Gemüthe ein Christ, wie Du es z. B. von Tieck behauptest, so ist es doch streng genommen gar nicht so. Denn Tieck ist Tieck in der ganzen Beziehung seines Wesens. So einfältig dies klingt, so enthält es doch alles in sich, was die ausführlichste Betrachtung darstellen mag. Jeder offenbart sein eignes Gemüth, und es kann nie im Geist und in der Wahrheit Anhänger von einem andern geben, so wie man irriger Weise wol von Kantianern, Fichtianern u. s. w. spricht. Der Irrthum kann daher überall nur im Urtheile [6] liegen, während der Gegenstand selbst doch ist was er ist. Dies Urtheil hingegen wird dadurch sehr bedeutend, daß es Einfluß auch auf unsre Gesinnungen und Handlungen haben kann. Dies lehrt uns leider die Geschichte aller Zeiten. Was Du in Deinen Vorlesungen über Orthodoxie und Heterodoxie, oder eigentlich über Katholicismus und Protestantismus sagst, hat in Voraussetzung Deiner Ideen vollkommne Wahrheit. Wenn der Katholizismus nur den weitern Anfoderungen entspräche. Wie wol ich es nun weder mit dem einen noch mit dem andern halte, so getraute ich mich doch wol die Rechtfertigung des Protestantismus in diesem besondern Falle seiner Entgegensetzung zu übernehmen; und es ist wirklich und in der Wahrheit Aufklährung zu nennen, was sich über die Stupidität eines dumpfen Bewußtseyns erhebt. Es ist kaum zu glauben, welche traurige Gestalten uns die christlichen Zeitalter hierin aufzeigen. Die wahre Religion führt uns zur Anschauung des Ewigen und Göttlichen in Osten und Westen, in Süden und Norden, und ihre Heiligkeit ist daher das innre lebendige Wesen in allen Künsten und Wißenschaften, insofern der Mensch aus der Tiefe seines freien Geistes sie zur Anschauung fördert. Was Du über die kalte todte Betrachtung des Protestantismus sagst, gründet sich auf die lebendige Ansicht der Welt, und ist wahr und herrlich. Dies liegt aber gar nicht im Protestantismus, sondern in der todten Ansicht überhaupt. Deine Vorlesungen in ihrem Hauptgedanken, nämlich als Uebersicht des gegenwärtigen Zustandes [7] der Literatur, betrachtet, sind so reich an neuen und wahren Gedanken, daß es mir eine Freude gewesen ist sie zu vernehmen. Ich billige es nur nicht, daß Du Göthe mit einer solchen Verehrung nennst. Nicht als ob ich glaubte, daß er kein so vorzüglicher Mann sey; sondern weil es eigentlich nichts erhebendes ist, den Menschen in Relation zu andern als groß und vortreflich darzustellen. Das ist doch eigentlich nicht die Wahrheit. Denn das Vortrefliche ist es ohne alle Beziehung, und gedenken wir uns ein schöneres Zeitalter der Literatur und endlich des Lebens überhaupt, was denn doch beiweiten noch mehr ausdrückt, so muß die gedachte Relation wenigstens diese Bedeutung ganz verliehren. Mich dünkt, wenn Du den Menschen in seiner Totalität betrachtest, als freies lebendiges Wesen in allen Beziehungen, so würdest Du auch noch höhere Erforderniße aufstellen müßen, als Du in Hinsicht auf Literatur und Kunst nöthig fandest, und ob dann Göthe auf seinem Platz bliebe, bezweifle ich sehr. Abweisen kann man diese Betrachtung nicht. Denn der Mensch läßt sich nicht theilen wie ein Polyp, so daß etwann der Künstler ein eignes freies Daseyn behielte, und so alles was der Gedanke als einzeln darstellen mag. Zum Lobe der göttlichen Kunst kann nicht genug gesagt werden, und in unsern Zeiten habt Ihr, vortreflichen Brüder sowol durch Eure umfaßende Kenntniß, als durch Eure mit seltnem Geschmacke verbundne Kritik Euch ein vollgültiges Recht erworben, sie von den Schlacken zu säubern und ihre Hoheit [8] anschaulich zu machen. Vergeßt aber auch nicht ihre wahre Bedeutung. Sie ist nicht selbst das göttliche Wesen, so daß wir es etwann umkehren, und den Menschen als Künstler zu ihrem Objekte machen müßten. Nur in der Wahrheit kann die Kunst uns die Gottheit offenbahren, und jede Täuschung wird daher nothwendig ein Schatten in ihrem Lichte. Höheres kenne ich nichts für die richtige Beurtheilung des Menschen, als daß wir ihn, wie er es ist, im Unendlichen vor Augen behalten. Jede gegebne Zeit ist nur das Verhältniß seiner Handlungen, und die gerühmtesten Epoken in der Geschichte bezeichnen leicht nur eine Einseitigkeit, die nach tausend und tausend Jahren, oder was eben so viel heißt, im nächsten Augenblicke vergeßen ist. Der Gewinn jedes Einzelnen kann für ihn selbst übrigens groß seyn, nur für den Zweck des Ganzen glaube Niemand mehr zu thun als jeder andere. Und das lehre uns bescheiden seyn, und billig und gerecht. So viel hoffe ich indeß mit Zuversicht, es naht eine beßre Zeit des Lebens, die an Wahrheit und innrer Fülle die uns bekannte Vergangenheit verdunkeln wird. Nur behüte uns der Himmel, daß die alten Burgen nicht wieder aufgebaut werden. Sagt mir, lieben Freunde, wie soll ich Euch darin begreifen. Ich weiß es nicht. Denn was ich Euch antworten muß, paßt gar nicht auf Euch. Ich rede zu erleuchteten Männern, und finde gleichwol Behauptungen, die Ihr selbst im Gebiethe des Wißens nur Einfälle nennen würdet. Ist uns denn das anordnende Prinzip des gesellschaftlichen Lebens auch noch [9] ein Geheimniß? Es wird klar genug, wie sich im Anstreben dieses Prinzips das Ritterwesen und alles was damit in Verbindung steht, gerade so ausbilden mußte. Hier wird gemeynt und geglaubt. Aber denken wir uns eine freie Anordnung der Gesellschaft, die denn doch wol nothwendig der Zweck ist, auch selbst im bewußtlosen Nachstreben; so gilt hier kein Glauben und Meynen und etwaniges Dafürhalten, sondern eine klare Ansicht deßen, was wirklich ist, so wie überhaupt nur Menschen um und neben einander sind, also das freie Anerkennen eines Verhältnißes wie es war und immer ist und in Ewigkeit seyn wird. Ihr mögt die glänzen[d]ste Seite des Ritterwesens hervorsuchen, sie wird so vielfach wieder verdunkelt, wenn wir es im Ganzen nur betrachten wollen. Friedrich möge nach der Schweitz reisen und unter andern nach Wallis. Die Kinder erzählen ihm noch von den ehemaligen Zwingherrn, indem sie die stolzen Burgen benennen, und das Andenken ihrer Tyrannen erscheint in den Trümmern unverwüstlich. Aber dieser Betrachtung bedarf es gar nicht. Es ist genug daß dies Wesen mit keiner göttlichen Anordnung des Lebens bestehen kann. Viel lieber möchte man auch wünschen, daß der große Haufe, den wir Volk nennen, uns Gelehrte und Ritter sämmtlich auf den Kopf schlüge, weil wir unsre Größe [10] und Vorzüge auf sein Elend allein gründen können. Armenhäuser, Zuchthäuser, Zeughäuser und Waisenhäuser stehen neben den Tempeln, in welchen wir die Gottheit verehren wollen. „Nachdem man diese liebliche Erde Gottes, sagt der Verfaßer der Archimetrie, in ein Staatsgewühl von geheiligtem Raub und Elend verwandelt hat; so glaubt man das Böse gut machen zu können, durch die Bettlergröße, genannt Allmose: durch dies Lächeln eines Fluches.“ So ist es allerdings. Man muß den Menschen erst vergessen, wenn man in Rittern und Herren noch eine Größe finden will. Nenne mir immer nur die Tugenden jenes Zeitalters, und gründe auf ihnen den Wunsch, daß es zurückkehren möge. Wir wollen die Tugenden in ihrem innern Wesen betrachten und sie dann hoffentlich weit herrlicher wieder finden, wenn wir die Gesellschaft von ihrem größern Uebel befreit haben. Aber wie ich gesagt habe, dies alles paßt nicht auf Euch, und ich muß es auch überhaupt noch erwarten, daß wenigstens Du mir noch ein belehrendes Wort darüber sagest. Es ist freilich nicht zuförderst Dein Studium gewesen, die gesellschaftlichen Formen auf die ursprüngliche und ewig bleibende zurückzuführen, und in ihnen daher das Nothwendige und Zufällige und die Meynung und die Wahrheit wol zu unterscheiden. Aber einem Manne von Deiner Kritik liegt diese Betrachtung eben so nahe, als irgend eine literärische Erscheinung. Ich berufe mich indeß [11] gewiß nicht auf Theorien. Weder Fichte noch Schelling hat das Einfache vor Augen, und bei allen ihren tiefen Untersuchungen ist die Natur übergangen, und ihre Gerechtigkeit durch Meynungen in eine Form gebracht. Sprechen wir vom Menschen so liegt an uns allen qua Philosophen und Künstler durchaus gar nichts; denn das Leben eines einzigen in seinen Anfoderungen an die Gesellschaft – möge er der elendeste auch seyn – ist bei weiten mehr werth, als der höchste Ruhm, den wir als Gelehrte und Ritter uns erklingen und erfechten mögen. Darum ist es wahr, auf den Kopf soll man uns lieber schlagen. Es geht nichts verlohren. Für eine beobachtende Intelligenz würde in der ungebilde[t]sten Gesellschaft noch immer mehr Göttliches sichtbar werden, als wir durch Künste und Wißenschaften in ihrer höchsten Verfeinerung je darstellen können, wenn irgend ein Sohn der Freiheit ihr Opfer geworden. Jedes Urtheil in den gesellschaftlichen Angelegenheiten ist vor der göttlichen Themis daher nur Wahrheit, wenn es im Geiste jedes einzeln ausgesprochen wird, und daher eine Lästerung der Götter, wenn es sich auf irgend eine Begünstigung gründet. Schelling hilft sich durch seine Unterscheidung in höhere und gemeine Naturen. Er hilft sich auch überhaupt, wie ein Freund von mir sehr richtig bemerkt, daß er in Miscellen und Notizen auswirft, was er im Absoluten nicht setzen kann. Das sind vergängliche Urtheile, und die anscheinende Tiefe der Gedanken bedeutet noch nicht so viel, als ein einziger Seufzer der leidenden Menschen. Doch ich breche eine Betrachtung ab, die mich so oft [12] schon bewegt hat, weil man so selten darin verstanden wird. Begriffe nur jeder erst das Bild auf seinem Netze; das übrige hat keine Schwürigkeit, und tritt dann erst vielmehr aus dem Halbdunkel in das helle Tageslicht.
Das Schellingsche Heft hatte ich ganz vergeßen. Ich tröste mich damit, daß Du es nicht wirst entbehrt haben, und übersende es Dir nunjetzt*). Wie der Mann überhaupt tiefe und große Gedanken hat, so sind sie auch hierin enthalten. Ich könnte übrigens für die Kunst selbst doch keinen Gebrauch davon machen. Wie kommt es, daß er Jena verlaßen? Ich meynte, daß er nicht leicht anderswo ein so zahlreiches Auditorium finden könnte. Daß Fichte mit seiner Wißenschaftslehre endlich im Reinen ist, wird besonders seiner Frau eine große Freude gewesen seyn. Ich erwarte von dieser Umarbeitung auch in der That etwas Erklekliches: denn diese Fichtesche Festigkeit hat etwas göttliches und was er betrachtet ist immer ein Blick in die Geheimniße des Geistes. Grüße ihn von mir, und sage ihm, daß Berger und ich seiner noch oft mit freundlichen Erinnerungen gedächten. Schleiermachers Moral-Kritik ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen. Ich werde sie aufsuchen. Wenn sie nur nicht zu dick ist; denn dies ist mir ein schlimmes Zeichen bei einer Kritik. Sie muß billig dem Ideale sich anzunähern suchen, und die höchste Kritik ist in aller Beziehung offenbar Ja und Nein, ein vereinter freier Blick, vor welchem der Gegenstand durchsichtig wie das Sonnenlicht erscheint. Ein anders ist es mit den Gesängen der Musen und jeder Darstellung des Geistes die in sich selbst Gegenstand ist. Kritiken haben durch ihre Natur nur ein augenblickliches Intereße, denn um sie selbst ist es uns gar nicht zu thun, [13] sondern bloß um ihren Gegenstand. Ein Zeitalter wo Kritiken uns ein Bedürfniß werden, ist in aller Hinsicht ein sehr kritisches Zeitalter. Im gesellschaftlichen Leben so wol als in den Künsten und Wißenschaften bezeugen sie eben so sehr Mangel an ächtem Geist als deßen göttliche Anregung. Es ist ein Zwischenzustand, eine Dämmerung des Lichts. Nur aus äußern Verhältnißen läßt sich bestimmen, ob wir in einer kritischen Zeit mit freudigen Hoffnungen gen Osten, oder mit bangen Besorgnißen gen Westen blicken sollen. So weit unsre Geschichte reicht, sind noch wenig ganz heitre Tage auf der lieben Erde gewesen. Die Griechen erreichten noch kaum das Jünglingsalter. Sie hätten es wol verdient, sich zu einer freien Gesellschaft auszubilden, und in allen Nationen der Erde, als einer einzigen fortzuleben. Von Aristoteles wüßten wir dann nichts, denn er hätte nie gelebt. Aber die Sokratische Weisheit, die einzige, die von den Göttern kommt, würde in klahren Anschauungen alles umfaßen, was seitdem die stille Abstraktion so mühsam zu gewinnen gesucht hat. Jetzt ist alles geschieden, und vom Leben geschieden; was wollen wir Großes auf die Art doch gewinnen. Ein Moral-System ist ein wunderbares Ding; und eine Kritik dieser Systeme muß billig zwei Momente, den, da sie nicht waren, und den, da sie nicht mehr seyn werden, wieder verbinden, um uns so zu der lebendigen Anschauung zu führen.
Tiecks Minnelieder haben wir hier kürzlich erhalten. Der Titel ist sehr schön. Aber ich möchte wol nach Art des Athenäums einen Preis für den [14] aussetzen, der sie ganz durchzulesen im Stande seyn wird. Indeß behalten die Gedichte immer einen historischen Werth, und von dieser Seite, hoffe ich, hat sie auch Tieck betrachtet, wie wol es ihm nicht gefallen hat, sich in einer Vorrede darüber bestimmter zu erklähren. Sie gehörte in vieler Hinsicht recht eigentlich zu dem Buche, und er hätte sie nicht überflüßig finden sollen. Ich sehne mich übrigens recht nach eignen Geistesprodukten dieses Mannes; denn wo seine religiöse Ansicht mich nicht stöhrt, kenne ich auch nichts, was so lieblich und belebend wäre. Hilf ihn doch bitten, daß er seinen Sternbald nicht vergißt. Göthes Taschenbücher erwarten wir noch. In Kiel ist nicht immer gleich das Gute zu haben. Ihr solltet Eure Verleger doch auf mehrere Konnexionen im Norden aufmerksam machen. Frägt man einmal vergeblich nach – mir sind wirkliche Beispiele bekannt – so wird öfters ein Buch nachher nicht gekauft. Der Cupido von Meyer hat doch noch früh genug den Weg hieher gefunden. Aber was die Menschen zum Zeitvertreib sich doch alles von der Liebe bilden und dichten. Man sieht größten Theils nur das eigne unwürdige Leben, das durch die Form des Gesangs wahrlich nichts gewinnen kann. Die Theorie des Schönen ist auch eine Nase von Wachs, und wird es so lange bleiben, als wir so wol durch das Studium der Antike als auch von andern Mustern und Regeln abstrahieren wollen. Wie kann es anders seyn, da sich die Form nur erkennen läßt durch den lebendigen Geist? Aber es läßt sich von einem Geschlechte nichts weiter fodern, als was es [15] darzustellen vermag. Der Streit der Theorien hat darauf keinen Einfluß, denn es ist ein abgesondertes Wesen, und da nun einmal im Zusammenhange des Ganzen das Unvollkommne da ist wie das Vortrefliche, so wird es weiser seyn, jenes nicht zu beachten, und nur auf die Bedingungen des letzteren ein festes Auge zu richten, um so die Erde mit dem höhern Himmel in Verbindung zu setzen.
Die Aussicht auf unser im Raume näher verbundnes Leben liegt nun freilich sehr weit hinaus. Dich ruft Dein Wunsch vielleicht nach Süden hin und anders sind Deine Pläne als die meinigen. O wie sichtbar führt ein Schicksal uns oft so unwillkürlich zu unsern Verhältnißen. Wir betrachten sie als Bestimmung und folgen ihnen gern, wo sie uns freundlich zu winken scheinen. Mit uns wird es übrigens bleiben, wie es unsre Liebe bewahrt. Sey es früh oder spät, der Gedanke einer unendlichen Zeit soll uns die Zuversicht erhalten, daß uns einmal ein beßres Leben schöner wieder vereinigen wird. Bleibe Du treu und wahr und offen und empfänglich von ganzem Gemüthe. Ich will mich auch Dir immer so zeigen. Laß uns aber auch in der Entfernung noch oft zu einander reden, wie es brüderliche Herzen wünschen werden. Höheres giebt es doch nicht, als das Leben der Liebe und Freundschaft; denn alle Herrlichkeit des Him[16]mels, die mit stillem Verlangen in unserm Geiste noch verborgen sind, können doch ewig und ewig sich nur so offenbahren. Adieu, Du Guter. Grüße die Freunde. Grüße auch Friedrich und gieb ihm Kunde von meiner Zukunft. Möge Dir alles wohlgelingen und der Dank und die Freude der Menschen Dir immer eine schöne Ermunterung bleiben. Deinen Calderon behalte ja lieb. Ich will ihn durch Dich auch noch kennen lernen. Ein großes Genie hat sich in ihm gewiß offenbahret. Aber die Andacht zum Kreuze habe ich noch nicht faßen können.
Willst Du den Thesaur verkaufen, so nimm, was ein ehrlicher Mann Dir geben will. Als Thesaur hat er jetzt gar keinen Werth mehr für mich, da wir so weit von einander getrennt sind. Das Geld läßt sich dagegen leichter spedieren wenn Du nur so gut seyn willst, es meinem Bruder zuzustellen. Ich muß nun auch die Pfenninge zu Rathe halten, da ich meinen Haushalt einrichte und ich größer Ding auch irdne Töpfe zu kaufen habe. Es wird manche Zeit hindurch bescheiden genug bleiben. Adieu! noch einmal.
Ganz der Deinige
L. Hülsen

[17] *) ich habe den Brief schon einen Posttag zurückbehalten, weil ich das Schellingsche Heft noch immer vergebens suchte. Fürchte Du aber nichts. Es kann nicht verlohren seyn. Noch sind meine Papiere beieinander, und ich schicke es Dir nächstens gewiß.
[18]
[1] Seekamp d. 18t Xbr [= Dezember] 1803
Geliebter Freund,
ich darf es gewiß als einen besondern Beweis Deiner Freundschaft gegen mich ansehen, daß Du mir bei Deinen vielen und überhäuften Geschäften einen so freundlichen langen Brief schriebst. Hoffentlich erhieltest Du den meinigen, mit den Einlagen an Sophie und den Grafen v. Kalkreuth, bald nachher, und unsre Geister haben sich also begegnet. Ich war noch immer in Erwartung, von Berlin aus irgend eine Anfrage zu erhalten. Jetzt weiß ich nun was es seyn sollte. Du begreifst aber von selbst, was ich auf den vorläufigen Antrag des Grafen erwiedern kann. Mein Standpunkt ist ja nun genommen, und wenn ich ihn auch wirklich wieder verlaßen könnte, in dem mitgetheilten Vorschlage läge doch wol keine Veranlaßung. Ich darf es gewiß glauben, daß auch Du schon in meiner Seele gesprochen hast. Nein auf die Art befand ich mich nicht in Verlegenheit. Ich suchte eine freie, uneigennützige Hülfe, und dachte an nichts weniger als an einen solchen Antrag. Gewiß, hätte der Graf mich gekannt, er würde es eher gewagt haben, sich irgend einen berühmten Profeßor von einer Akademie zu verschreiben, denn der läßt wenigstens vermuthen, daß er unter vortheilhaften Bedingungen ein solches Verhältniß eingehen könne. Ich spreche hier nicht von einer individuellen Abneigung. Noch weniger kann wol die Rede von der bürgerlichen Rangordnung seyn. Als ein junger Mensch, der zuförderst die Welt aufnimmt, wie er sie findet, war ich mehrere Jahre Hauslehrer. Wer mich jetzt noch dazu auffodern kann, mag es sehr gut mit sich selbst meynen, aber gewiß nicht mit mir. Freilich wer das gesellschaftliche Leben so betrachtet, daß unter [2] andern auch Hofmeister darin vorkommen, würde mich vielleicht um so mehr auf meinem Platze glauben, jemehr ich Talente und Geschicklichkeiten dazu habe. Ich kenne die Redensart sehr wol, der Hauslehrer soll der erste Freund im Hause seyn. So lächerlich spricht man, als ob etwann auch die Philosophie im Buchladen zu haben wäre. So viel weiß ich, meine Freunde wünschen mir ihr eignes Lebensglück, wenn sie etwann in der Lage sind, sich einen Hofmeister halten zu können, und werden [alles] thun, um es zu befördern, ohne erst Dienstleistungen von mir zu fodern. Das versteht sich für uns wenigstens von selbst, und es ist traurig genug, daß der vornehme und reiche Pöbel auch nur vornehme und reiche Freunde in der Welt hat. Den Grafen Kalkreuth wirst Du übrigens nicht bei mir rechtfertigen wollen. Was könnte ich ihm in dem Antrage auch zum Vorwurfe machen. Er frägt mich, als einen ihm unbekannten Mann, und war sich gewiß bewußt, daß er es gut und freundlich mit mir meyne. Es ist nichts darauf zu sagen, weil es nun einmal wirkliche Verhältniße des Lebens sind, und weder mein Stand noch meine Würde, den Gedanken, mich als Hofmeister zu engagieren, entfernen konnte. Wahrscheinlich darf ich noch auf einen Brief von dem Grafen Rechnung machen. Ich war wirklich besorgt, daß er mein Verfahren einigermaßen seltsam finden würde. Nun sehe ich ein, daß er in Rücksicht auf seinen Plan, nichts zu tadeln darin finden wird. Meine gegenwärtigen Aeußerungen kann er wißen, wenn [3] Du es gut findest, nur setze ich dabei voraus, daß auch alles gedacht werde im Geist und in der Wahrheit.
Dein Brief kam in einer recht erfreulichen Gesellschaft. So früh hatte ich die Europa noch nicht wieder erwartet. Aber Du hast auch diesmal Deinen Bruder wacker unterstützt, und solltest Du es gut finden, noch weiter Deine Vorlesungen auf die Art öffentlich mitzutheilen – welches gewiß viele wünschen werden – so könnte nun wol bald wieder ein neues Stück erscheinen. Mein vorläufiges Urtheil über den Inhalt des letzten Hefts, kann ich Dir in kurzen wol sagen, nämlich ich finde wieder wie in den vorigen einen vortreflichen Geist darin. Sollte ich mich ausführlicher darüber auslaßen, so würde ich unverholen sagen müßen, dies und jenes billige ich nicht, welches denn so viel heißt, als es ist nicht meine Ansicht und nicht meine Ueberzeugung. Mich dünkt aber, wir müßen es wünschen, daß in freien Betrachtungen Differenzen unter uns statt finden, wenn wir uns sonst nur erst gesagt haben, was uns eigentlich doch am Herzen liegt. Du erinnerst übrigens schon sehr wahr, daß man mit kurzen Erinnerungen nicht viel abthun kann. Zuweilen können sie uns aber doch Stoff zu vielen Gedanken geben und uns das Ganze ihrer geheimen Verbindung ahnden laßen. Ich behauptete z. B. es fehle dem Christentum an Ideen. [4] Du findest dagegen, daß durch seinen Einfluß das Verständniß der Ideen erst recht aufgegangen sey, und findest sogar beim Plato und dem Pythagoras schon eine Hinneigung auf daßelbe; diese Entgegensetzung ist in der That so unbedeutend nicht, da wir uns beide hoffentlich das Vermögen der Ideen nicht absprechen werden. Irgend einmal werde ich meine Ansicht Dir ausführlicher mittheilen können, wenn ich sonst einen Ort in der Welt finde, wo so frevelhafte Gedanken gedruckt werden können. Ich habe vor mehreren Jahren ein eignes Studium mit der christlichen Religion vorgenommen, und habe weder das eine noch das andere Resultat gefürchtet. Aber was ich damals fand, ist mir durch jede neue Betrachtung noch immer klarer geworden, daß nämlich ihr innerstes Wesen sich mit der Freiheit des Menschen und allem Großen und Wahren, was aus dieser hervorgehen soll, durchaus nicht vertrage; ja daß vorzüglich ihr Einfluß das Verderben und die gänzliche Erschlaffung über die Menschen gebracht habe. Daß ich die entgegengesetzte Behauptung nicht mit alltäglichen Gedanken angreifen werde, sollst Du eben so billig erwarten, als ich von Dir eine mit fortgehender Stille verbundne Gründlichkeit voraussetze. Hast Du den Brief nicht gelesen, den ich vor einigen Jahren Schleiermacher über seine Reden geschrieben. Ich wunderte mich, daß Schleier[5]macher mir wirklich zugestand, die Religion sey in ihrem innersten Wesen auch nur ein innres Verhältniß des Menschen. Denn wer mir dies zugiebt, muß billig auch gestehen, daß nur Christus allein eine christliche Religion haben konnte. Sollte er ein Centrum, ein Beziehungspunkt für andere seyn, so ist dies gegen die Wahrheit, und die Annahme einer solchen Religion – wiewol sie eigentlich unmöglich bleibt – muß doch als bloße Meynung von den nachtheiligsten Folgen seyn. Hierbei ist nun noch zu betrachten, was die christliche Religion für den Urheber selbst seyn mochte. Als Erscheinung in der Zeit bleibt sie immer unbedeutend, wenn man einmal die Ansicht des Unendlichen ergriffen hat, und diese durch keine Fichtesche und Schellingsche Inkonsequenz da, wo es drauf ankommt, wieder fahren läßt. Es ist jede gegebne Zeit nur ein Augenblick gegen die Idee, und darum läßt sich bloß historisch nichts begründen. Wenn man sagt, es sey jemand von ganzem Gemüthe ein Christ, wie Du es z. B. von Tieck behauptest, so ist es doch streng genommen gar nicht so. Denn Tieck ist Tieck in der ganzen Beziehung seines Wesens. So einfältig dies klingt, so enthält es doch alles in sich, was die ausführlichste Betrachtung darstellen mag. Jeder offenbart sein eignes Gemüth, und es kann nie im Geist und in der Wahrheit Anhänger von einem andern geben, so wie man irriger Weise wol von Kantianern, Fichtianern u. s. w. spricht. Der Irrthum kann daher überall nur im Urtheile [6] liegen, während der Gegenstand selbst doch ist was er ist. Dies Urtheil hingegen wird dadurch sehr bedeutend, daß es Einfluß auch auf unsre Gesinnungen und Handlungen haben kann. Dies lehrt uns leider die Geschichte aller Zeiten. Was Du in Deinen Vorlesungen über Orthodoxie und Heterodoxie, oder eigentlich über Katholicismus und Protestantismus sagst, hat in Voraussetzung Deiner Ideen vollkommne Wahrheit. Wenn der Katholizismus nur den weitern Anfoderungen entspräche. Wie wol ich es nun weder mit dem einen noch mit dem andern halte, so getraute ich mich doch wol die Rechtfertigung des Protestantismus in diesem besondern Falle seiner Entgegensetzung zu übernehmen; und es ist wirklich und in der Wahrheit Aufklährung zu nennen, was sich über die Stupidität eines dumpfen Bewußtseyns erhebt. Es ist kaum zu glauben, welche traurige Gestalten uns die christlichen Zeitalter hierin aufzeigen. Die wahre Religion führt uns zur Anschauung des Ewigen und Göttlichen in Osten und Westen, in Süden und Norden, und ihre Heiligkeit ist daher das innre lebendige Wesen in allen Künsten und Wißenschaften, insofern der Mensch aus der Tiefe seines freien Geistes sie zur Anschauung fördert. Was Du über die kalte todte Betrachtung des Protestantismus sagst, gründet sich auf die lebendige Ansicht der Welt, und ist wahr und herrlich. Dies liegt aber gar nicht im Protestantismus, sondern in der todten Ansicht überhaupt. Deine Vorlesungen in ihrem Hauptgedanken, nämlich als Uebersicht des gegenwärtigen Zustandes [7] der Literatur, betrachtet, sind so reich an neuen und wahren Gedanken, daß es mir eine Freude gewesen ist sie zu vernehmen. Ich billige es nur nicht, daß Du Göthe mit einer solchen Verehrung nennst. Nicht als ob ich glaubte, daß er kein so vorzüglicher Mann sey; sondern weil es eigentlich nichts erhebendes ist, den Menschen in Relation zu andern als groß und vortreflich darzustellen. Das ist doch eigentlich nicht die Wahrheit. Denn das Vortrefliche ist es ohne alle Beziehung, und gedenken wir uns ein schöneres Zeitalter der Literatur und endlich des Lebens überhaupt, was denn doch beiweiten noch mehr ausdrückt, so muß die gedachte Relation wenigstens diese Bedeutung ganz verliehren. Mich dünkt, wenn Du den Menschen in seiner Totalität betrachtest, als freies lebendiges Wesen in allen Beziehungen, so würdest Du auch noch höhere Erforderniße aufstellen müßen, als Du in Hinsicht auf Literatur und Kunst nöthig fandest, und ob dann Göthe auf seinem Platz bliebe, bezweifle ich sehr. Abweisen kann man diese Betrachtung nicht. Denn der Mensch läßt sich nicht theilen wie ein Polyp, so daß etwann der Künstler ein eignes freies Daseyn behielte, und so alles was der Gedanke als einzeln darstellen mag. Zum Lobe der göttlichen Kunst kann nicht genug gesagt werden, und in unsern Zeiten habt Ihr, vortreflichen Brüder sowol durch Eure umfaßende Kenntniß, als durch Eure mit seltnem Geschmacke verbundne Kritik Euch ein vollgültiges Recht erworben, sie von den Schlacken zu säubern und ihre Hoheit [8] anschaulich zu machen. Vergeßt aber auch nicht ihre wahre Bedeutung. Sie ist nicht selbst das göttliche Wesen, so daß wir es etwann umkehren, und den Menschen als Künstler zu ihrem Objekte machen müßten. Nur in der Wahrheit kann die Kunst uns die Gottheit offenbahren, und jede Täuschung wird daher nothwendig ein Schatten in ihrem Lichte. Höheres kenne ich nichts für die richtige Beurtheilung des Menschen, als daß wir ihn, wie er es ist, im Unendlichen vor Augen behalten. Jede gegebne Zeit ist nur das Verhältniß seiner Handlungen, und die gerühmtesten Epoken in der Geschichte bezeichnen leicht nur eine Einseitigkeit, die nach tausend und tausend Jahren, oder was eben so viel heißt, im nächsten Augenblicke vergeßen ist. Der Gewinn jedes Einzelnen kann für ihn selbst übrigens groß seyn, nur für den Zweck des Ganzen glaube Niemand mehr zu thun als jeder andere. Und das lehre uns bescheiden seyn, und billig und gerecht. So viel hoffe ich indeß mit Zuversicht, es naht eine beßre Zeit des Lebens, die an Wahrheit und innrer Fülle die uns bekannte Vergangenheit verdunkeln wird. Nur behüte uns der Himmel, daß die alten Burgen nicht wieder aufgebaut werden. Sagt mir, lieben Freunde, wie soll ich Euch darin begreifen. Ich weiß es nicht. Denn was ich Euch antworten muß, paßt gar nicht auf Euch. Ich rede zu erleuchteten Männern, und finde gleichwol Behauptungen, die Ihr selbst im Gebiethe des Wißens nur Einfälle nennen würdet. Ist uns denn das anordnende Prinzip des gesellschaftlichen Lebens auch noch [9] ein Geheimniß? Es wird klar genug, wie sich im Anstreben dieses Prinzips das Ritterwesen und alles was damit in Verbindung steht, gerade so ausbilden mußte. Hier wird gemeynt und geglaubt. Aber denken wir uns eine freie Anordnung der Gesellschaft, die denn doch wol nothwendig der Zweck ist, auch selbst im bewußtlosen Nachstreben; so gilt hier kein Glauben und Meynen und etwaniges Dafürhalten, sondern eine klare Ansicht deßen, was wirklich ist, so wie überhaupt nur Menschen um und neben einander sind, also das freie Anerkennen eines Verhältnißes wie es war und immer ist und in Ewigkeit seyn wird. Ihr mögt die glänzen[d]ste Seite des Ritterwesens hervorsuchen, sie wird so vielfach wieder verdunkelt, wenn wir es im Ganzen nur betrachten wollen. Friedrich möge nach der Schweitz reisen und unter andern nach Wallis. Die Kinder erzählen ihm noch von den ehemaligen Zwingherrn, indem sie die stolzen Burgen benennen, und das Andenken ihrer Tyrannen erscheint in den Trümmern unverwüstlich. Aber dieser Betrachtung bedarf es gar nicht. Es ist genug daß dies Wesen mit keiner göttlichen Anordnung des Lebens bestehen kann. Viel lieber möchte man auch wünschen, daß der große Haufe, den wir Volk nennen, uns Gelehrte und Ritter sämmtlich auf den Kopf schlüge, weil wir unsre Größe [10] und Vorzüge auf sein Elend allein gründen können. Armenhäuser, Zuchthäuser, Zeughäuser und Waisenhäuser stehen neben den Tempeln, in welchen wir die Gottheit verehren wollen. „Nachdem man diese liebliche Erde Gottes, sagt der Verfaßer der Archimetrie, in ein Staatsgewühl von geheiligtem Raub und Elend verwandelt hat; so glaubt man das Böse gut machen zu können, durch die Bettlergröße, genannt Allmose: durch dies Lächeln eines Fluches.“ So ist es allerdings. Man muß den Menschen erst vergessen, wenn man in Rittern und Herren noch eine Größe finden will. Nenne mir immer nur die Tugenden jenes Zeitalters, und gründe auf ihnen den Wunsch, daß es zurückkehren möge. Wir wollen die Tugenden in ihrem innern Wesen betrachten und sie dann hoffentlich weit herrlicher wieder finden, wenn wir die Gesellschaft von ihrem größern Uebel befreit haben. Aber wie ich gesagt habe, dies alles paßt nicht auf Euch, und ich muß es auch überhaupt noch erwarten, daß wenigstens Du mir noch ein belehrendes Wort darüber sagest. Es ist freilich nicht zuförderst Dein Studium gewesen, die gesellschaftlichen Formen auf die ursprüngliche und ewig bleibende zurückzuführen, und in ihnen daher das Nothwendige und Zufällige und die Meynung und die Wahrheit wol zu unterscheiden. Aber einem Manne von Deiner Kritik liegt diese Betrachtung eben so nahe, als irgend eine literärische Erscheinung. Ich berufe mich indeß [11] gewiß nicht auf Theorien. Weder Fichte noch Schelling hat das Einfache vor Augen, und bei allen ihren tiefen Untersuchungen ist die Natur übergangen, und ihre Gerechtigkeit durch Meynungen in eine Form gebracht. Sprechen wir vom Menschen so liegt an uns allen qua Philosophen und Künstler durchaus gar nichts; denn das Leben eines einzigen in seinen Anfoderungen an die Gesellschaft – möge er der elendeste auch seyn – ist bei weiten mehr werth, als der höchste Ruhm, den wir als Gelehrte und Ritter uns erklingen und erfechten mögen. Darum ist es wahr, auf den Kopf soll man uns lieber schlagen. Es geht nichts verlohren. Für eine beobachtende Intelligenz würde in der ungebilde[t]sten Gesellschaft noch immer mehr Göttliches sichtbar werden, als wir durch Künste und Wißenschaften in ihrer höchsten Verfeinerung je darstellen können, wenn irgend ein Sohn der Freiheit ihr Opfer geworden. Jedes Urtheil in den gesellschaftlichen Angelegenheiten ist vor der göttlichen Themis daher nur Wahrheit, wenn es im Geiste jedes einzeln ausgesprochen wird, und daher eine Lästerung der Götter, wenn es sich auf irgend eine Begünstigung gründet. Schelling hilft sich durch seine Unterscheidung in höhere und gemeine Naturen. Er hilft sich auch überhaupt, wie ein Freund von mir sehr richtig bemerkt, daß er in Miscellen und Notizen auswirft, was er im Absoluten nicht setzen kann. Das sind vergängliche Urtheile, und die anscheinende Tiefe der Gedanken bedeutet noch nicht so viel, als ein einziger Seufzer der leidenden Menschen. Doch ich breche eine Betrachtung ab, die mich so oft [12] schon bewegt hat, weil man so selten darin verstanden wird. Begriffe nur jeder erst das Bild auf seinem Netze; das übrige hat keine Schwürigkeit, und tritt dann erst vielmehr aus dem Halbdunkel in das helle Tageslicht.
Das Schellingsche Heft hatte ich ganz vergeßen. Ich tröste mich damit, daß Du es nicht wirst entbehrt haben, und übersende es Dir nunjetzt*). Wie der Mann überhaupt tiefe und große Gedanken hat, so sind sie auch hierin enthalten. Ich könnte übrigens für die Kunst selbst doch keinen Gebrauch davon machen. Wie kommt es, daß er Jena verlaßen? Ich meynte, daß er nicht leicht anderswo ein so zahlreiches Auditorium finden könnte. Daß Fichte mit seiner Wißenschaftslehre endlich im Reinen ist, wird besonders seiner Frau eine große Freude gewesen seyn. Ich erwarte von dieser Umarbeitung auch in der That etwas Erklekliches: denn diese Fichtesche Festigkeit hat etwas göttliches und was er betrachtet ist immer ein Blick in die Geheimniße des Geistes. Grüße ihn von mir, und sage ihm, daß Berger und ich seiner noch oft mit freundlichen Erinnerungen gedächten. Schleiermachers Moral-Kritik ist mir noch nicht zu Gesicht gekommen. Ich werde sie aufsuchen. Wenn sie nur nicht zu dick ist; denn dies ist mir ein schlimmes Zeichen bei einer Kritik. Sie muß billig dem Ideale sich anzunähern suchen, und die höchste Kritik ist in aller Beziehung offenbar Ja und Nein, ein vereinter freier Blick, vor welchem der Gegenstand durchsichtig wie das Sonnenlicht erscheint. Ein anders ist es mit den Gesängen der Musen und jeder Darstellung des Geistes die in sich selbst Gegenstand ist. Kritiken haben durch ihre Natur nur ein augenblickliches Intereße, denn um sie selbst ist es uns gar nicht zu thun, [13] sondern bloß um ihren Gegenstand. Ein Zeitalter wo Kritiken uns ein Bedürfniß werden, ist in aller Hinsicht ein sehr kritisches Zeitalter. Im gesellschaftlichen Leben so wol als in den Künsten und Wißenschaften bezeugen sie eben so sehr Mangel an ächtem Geist als deßen göttliche Anregung. Es ist ein Zwischenzustand, eine Dämmerung des Lichts. Nur aus äußern Verhältnißen läßt sich bestimmen, ob wir in einer kritischen Zeit mit freudigen Hoffnungen gen Osten, oder mit bangen Besorgnißen gen Westen blicken sollen. So weit unsre Geschichte reicht, sind noch wenig ganz heitre Tage auf der lieben Erde gewesen. Die Griechen erreichten noch kaum das Jünglingsalter. Sie hätten es wol verdient, sich zu einer freien Gesellschaft auszubilden, und in allen Nationen der Erde, als einer einzigen fortzuleben. Von Aristoteles wüßten wir dann nichts, denn er hätte nie gelebt. Aber die Sokratische Weisheit, die einzige, die von den Göttern kommt, würde in klahren Anschauungen alles umfaßen, was seitdem die stille Abstraktion so mühsam zu gewinnen gesucht hat. Jetzt ist alles geschieden, und vom Leben geschieden; was wollen wir Großes auf die Art doch gewinnen. Ein Moral-System ist ein wunderbares Ding; und eine Kritik dieser Systeme muß billig zwei Momente, den, da sie nicht waren, und den, da sie nicht mehr seyn werden, wieder verbinden, um uns so zu der lebendigen Anschauung zu führen.
Tiecks Minnelieder haben wir hier kürzlich erhalten. Der Titel ist sehr schön. Aber ich möchte wol nach Art des Athenäums einen Preis für den [14] aussetzen, der sie ganz durchzulesen im Stande seyn wird. Indeß behalten die Gedichte immer einen historischen Werth, und von dieser Seite, hoffe ich, hat sie auch Tieck betrachtet, wie wol es ihm nicht gefallen hat, sich in einer Vorrede darüber bestimmter zu erklähren. Sie gehörte in vieler Hinsicht recht eigentlich zu dem Buche, und er hätte sie nicht überflüßig finden sollen. Ich sehne mich übrigens recht nach eignen Geistesprodukten dieses Mannes; denn wo seine religiöse Ansicht mich nicht stöhrt, kenne ich auch nichts, was so lieblich und belebend wäre. Hilf ihn doch bitten, daß er seinen Sternbald nicht vergißt. Göthes Taschenbücher erwarten wir noch. In Kiel ist nicht immer gleich das Gute zu haben. Ihr solltet Eure Verleger doch auf mehrere Konnexionen im Norden aufmerksam machen. Frägt man einmal vergeblich nach – mir sind wirkliche Beispiele bekannt – so wird öfters ein Buch nachher nicht gekauft. Der Cupido von Meyer hat doch noch früh genug den Weg hieher gefunden. Aber was die Menschen zum Zeitvertreib sich doch alles von der Liebe bilden und dichten. Man sieht größten Theils nur das eigne unwürdige Leben, das durch die Form des Gesangs wahrlich nichts gewinnen kann. Die Theorie des Schönen ist auch eine Nase von Wachs, und wird es so lange bleiben, als wir so wol durch das Studium der Antike als auch von andern Mustern und Regeln abstrahieren wollen. Wie kann es anders seyn, da sich die Form nur erkennen läßt durch den lebendigen Geist? Aber es läßt sich von einem Geschlechte nichts weiter fodern, als was es [15] darzustellen vermag. Der Streit der Theorien hat darauf keinen Einfluß, denn es ist ein abgesondertes Wesen, und da nun einmal im Zusammenhange des Ganzen das Unvollkommne da ist wie das Vortrefliche, so wird es weiser seyn, jenes nicht zu beachten, und nur auf die Bedingungen des letzteren ein festes Auge zu richten, um so die Erde mit dem höhern Himmel in Verbindung zu setzen.
Die Aussicht auf unser im Raume näher verbundnes Leben liegt nun freilich sehr weit hinaus. Dich ruft Dein Wunsch vielleicht nach Süden hin und anders sind Deine Pläne als die meinigen. O wie sichtbar führt ein Schicksal uns oft so unwillkürlich zu unsern Verhältnißen. Wir betrachten sie als Bestimmung und folgen ihnen gern, wo sie uns freundlich zu winken scheinen. Mit uns wird es übrigens bleiben, wie es unsre Liebe bewahrt. Sey es früh oder spät, der Gedanke einer unendlichen Zeit soll uns die Zuversicht erhalten, daß uns einmal ein beßres Leben schöner wieder vereinigen wird. Bleibe Du treu und wahr und offen und empfänglich von ganzem Gemüthe. Ich will mich auch Dir immer so zeigen. Laß uns aber auch in der Entfernung noch oft zu einander reden, wie es brüderliche Herzen wünschen werden. Höheres giebt es doch nicht, als das Leben der Liebe und Freundschaft; denn alle Herrlichkeit des Him[16]mels, die mit stillem Verlangen in unserm Geiste noch verborgen sind, können doch ewig und ewig sich nur so offenbahren. Adieu, Du Guter. Grüße die Freunde. Grüße auch Friedrich und gieb ihm Kunde von meiner Zukunft. Möge Dir alles wohlgelingen und der Dank und die Freude der Menschen Dir immer eine schöne Ermunterung bleiben. Deinen Calderon behalte ja lieb. Ich will ihn durch Dich auch noch kennen lernen. Ein großes Genie hat sich in ihm gewiß offenbahret. Aber die Andacht zum Kreuze habe ich noch nicht faßen können.
Willst Du den Thesaur verkaufen, so nimm, was ein ehrlicher Mann Dir geben will. Als Thesaur hat er jetzt gar keinen Werth mehr für mich, da wir so weit von einander getrennt sind. Das Geld läßt sich dagegen leichter spedieren wenn Du nur so gut seyn willst, es meinem Bruder zuzustellen. Ich muß nun auch die Pfenninge zu Rathe halten, da ich meinen Haushalt einrichte und ich größer Ding auch irdne Töpfe zu kaufen habe. Es wird manche Zeit hindurch bescheiden genug bleiben. Adieu! noch einmal.
Ganz der Deinige
L. Hülsen

[17] *) ich habe den Brief schon einen Posttag zurückbehalten, weil ich das Schellingsche Heft noch immer vergebens suchte. Fürchte Du aber nichts. Es kann nicht verlohren seyn. Noch sind meine Papiere beieinander, und ich schicke es Dir nächstens gewiß.
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