• Dorothea von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wien · Place of Destination: Unknown · Date: 23.07.1809
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Dorothea von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wien
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 23.07.1809
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 62‒64.
  • Incipit: „[1] W.[ien] den 23ten Juli [180]9
    Mein theurer Bruder ich sage Ihnen recht herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief aus Lyon: zugleicher [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-8
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,II,3
  • Number of Pages: 3 S. auf Doppelbl. u. 2 S., hs. m. Paraphe
  • Format: 18,7 x 11,6 cm
[1] W.[ien] den 23ten Juli [180]9
Mein theurer Bruder ich sage Ihnen recht herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief aus Lyon: zugleicher Zeit mit diesen erhielt ich einen von Friedrich vom 14ten aus Iglau in Böhmen; durch dieselbe Gelegenheit durch welche ich seinen Brief erhalten, habe ich ihm gleich geantwortet, und ihm Ihre Briefe zugeschickt, die ihm gewis eine recht große Freude machen werden, da er so lange gar keine Nachrichten von den seinigen hatte erhalten können. Er ist gesund, und schreibt mir daß er das geschehene Unglück mit größerer Fassung ertrage, als er für möglich gehalten; dafür danke ich Gott von ganzem Herzen, denn ich habe sehr für Friedrich gefürchtet bei dieser Katastrophe. Der Himmel weiß was noch aus uns werden soll, wir sind in der gespanntesten Erwartung. Friedrich kann in diesen Augenblick noch nichts über sich entscheiden; er darf wohl nicht gut selbst einen Entschluß fassen, sondern wird gelassen abwarten müßen was über ihm beschlossen werden wird. Unterdessen wird Ihre Sorge für ihn, und das was Sie im Fall er eine große Reise machen müßte für ihn thun wollen eine große Beruhigung für ihn seyn! meine Seele dankt Ihnen dafür theurer Wilhelm!! [2] Was mich betrifft, so glaube ich, – wenn es wahr seyn sollte was man sich sagt, daß wir nemlich unsre Gäste so bald nicht los werden sollen – daß es nicht schicklich für mich ist länger die Hospitalität bei A.[rnsteins] anzunehmen. ich bin durch nichts im Stande mich nützlich im Hause zu machen, und dieses Verhältniß erhält auf die Dauer etwas ehrenrühriges. Ich wünschte also im Stand gesetzt zu seyn, entweder für mich zu existiren, oder wenn ich durch jene große Reise etwa genöthigt wäre noch auf lange von Friedrich getrennt zu seyn, daß ich nach Dr.[esden] zu meinen Söhnen gehen könnte. Ich habe Friedrich deswegen gefragt, und ihm gebeten mir eine Gelegenheit zu schaffen im Fall er fort müßte, daß ich nach Dr.[esden] reisen und mit ihm auf dem Wege hin irgendwo eine Zusammenkunft haben könnte. Es ist aber auch die Frage ob ich unter diesen Verhältnissen in Dr.[esden] geduldet würde? wollten Sie wohl Charlotten darüber zu Rathe ziehen, und mir ihre Meinung darüber wissen lassen? ich habe schon verschiedene Mal nach Dr.[esden] geschrieben, aber meine Briefe scheinen nicht anzukommen, denn ich habe nicht einen einzigen Brief von meinen Söhnen erhalten während der ganzen Zeit, und doch werden sie mir gewis geschrieben haben.
[3] Von Litteratur und alles was es Schönes auf Erden giebt, hört man jetzt hier kein SterbensWort; in Ihren Briefen ist allein nur noch von solchen Dingen die Rede. – Den 2ten Band des spanischen Theaters habe ich also noch nicht gesehen, und von Fr.[iedrichs] Gedichten habe ich nur die Aushängebogen, die noch vor Ausbruch des Krieges angekommen sind. Sie werden nichts Neues darin finden, außer eine Zueignung, mit welcher der Dichter so liebenswürdig war die Sammlung seiner Frau an ihrem Nahmenstage am 6ten Februar, zu beschenken. es ist bis zur Beschämung ehrenvoll für sie, das Gedicht selber scheint mir aber für die Gelegenheit zu künstlich, beinah – kostbar. – Ich fürchte unser Freund wird vielleicht auf lange Zeit nicht fähig seyn ein Werk zu unternehmen – und doch lieber Wilhelm musste er thun was er that! Dichten Sie, schreiben Sie guter theurer Bruder, Eure Werke werden die Pyramiden seyn die aus den Trümmern der Zeit allein stehen bleiben, und der Nachwelt zeigen werden: hier hat ein edles Volk gewohnt; lichte Sterne die den forschenden Nachkommen den Weg durch die Wüste leiten. Nennen Sie mir doch etwa gute Uebersetzungen von alten Geschichtschreibern; Deutsch, Französisch oder Englisch. ich lese jetzt mit vieler Mühe eine Deutsche Uebersetzung des Thucydides, die mir das Original nicht deutlich wieder zu geben scheint. [4] ich finde daß keine Lectüre mir in diesem Moment so zuträglich ist, als eben alte Geschichte, und ich vermisse schmerzlich die Kenntniß der alten Sprachen; die Bibel tröstet mich sehr, und giebt mir vieles Licht; so wie die Vergleichung der jezigen Begebenheiten mir wieder vieles in den Evangelien erklärt. So z. B. versteh ich erst jetzt recht die Erscheinung des Heilandes, wie die verderbten, zu Grunde sinkenden Juden einen Erlöser von den übermüthigen Heiden hofften, und er verderbt wie sie waren nicht rathsam fand sie frei zu machen, sondern darauf drang daß sie die innere Freiheit erlangten und er ihnen dann „den Frieden gab, nicht wie die Welt ihn geben konnte“ – – –
Ihr Räthsel glaube ich entziffert zu haben. Gott stärke den alten Einsiedler, daß er es wagte seine Pflicht zu thun, und seine Rechte geltend zu machen. Die Sache ist sehr bedeutend, wenn es auch den Anschein haben wird als habe der Strahl nicht gezündet. Noch bis jetzt habe ich aber keine Bestätigung dessen erhalten können von dem was Ihr Räthsel enthielt; ich wünsche nur daß es wirklich sich so verhält. – Knorring ist immer noch hier oder vielmehr in Baden, wo er mit den beiden Damen Czerny schon vor 6 Wochen [5] gieng, wo sie die Bäder brauchen, und den unangenehmen Auftritten hier ausweichen wollten. Mit diesen Czernys hat er überhaupt viel zusammen gesteckt, besonders seit seine Tanten nicht mehr in Wien sind. Ich habe ihn nur sehr selten gesehen; er ist einigemal von Baden, in Geschäfften hier gewesen, und hat mich auch besucht jedesmal; er spricht beständig davon nach München zu reisen, so viel ich weis sind es immer Geldverlegenheiten die ihn abhalten. er hat so wie er mir sagte immer noch keinen Brief aus seinem Vaterlande. Zwar scheint es mir als habe er sich in seinen Negoziazionen nicht eben geschickt genommen, aber wahr ist es, daß seine Landsleute vor einiger Zeit hier keinen Credit finden konnten und jetzt wohl schwerlich mehr, da niemand Geld weggiebt, es sey an wem es sey. Er scheint in einer sehr unangenehmen Lage zu seyn, auch der gute Hardenberg wird sehr leiden müßen bei dieser seiner Unbeholfenheit und Indolenz in Geschäfften. – Daß Sie an die Arnstein ein paar freundliche Worte geschrieben haben ist sehr hübsch von Ihnen. Die Arnstein dankt Ihnen sehr, sie hat mir aufgetragen es Ihnen zu sagen denn sie selber schriebe an keinen Gelehrten läßt sie Sie wissen! Guter Wilhelm erinnern Sie sich meiner freundlichst.
Ihre Schwester D[orothea] S.[chlegel]
[6]
Ich muß Sie recht sehr um Nachsicht bitten wegen der Nachläßigkeit meiner Schreibart – mein Kopf leidet seit einiger Zeit wieder so sehr daß ich keinen ordentlichen Perioden zu ordnen im Stande bin, und der ewige Gesellschaftslärm im Hause, und der Lärm auf den Gassen der keinen Augenblick schweigt verwirren mich vollend[s.]
Sagen Sie mir doch wie Ihnen die martyrs von Chateaubriand gefallen? ich habe schon zweimal angesetzt sie zu lesen, denn mich interessirt der Dichter und sein sujet, aber ich komme nicht durch. Es wird mir immer dabei zu Muth, wie in einer Gallerie von Wachsfiguren, halb ängstlich, halb langweilig. Schelten Sie mich nur nicht zu sehr wenn ich Unrecht habe, ich habe aber von jeher eine Art von Widerwillen gegen solchen nachgemachten Homerismus und nun vollends in dieser Sprache! wo die eingestreuten Griechischen Worte und Gräcismen so possierlich lassen. – –
[1] W.[ien] den 23ten Juli [180]9
Mein theurer Bruder ich sage Ihnen recht herzlichen Dank für Ihren freundlichen Brief aus Lyon: zugleicher Zeit mit diesen erhielt ich einen von Friedrich vom 14ten aus Iglau in Böhmen; durch dieselbe Gelegenheit durch welche ich seinen Brief erhalten, habe ich ihm gleich geantwortet, und ihm Ihre Briefe zugeschickt, die ihm gewis eine recht große Freude machen werden, da er so lange gar keine Nachrichten von den seinigen hatte erhalten können. Er ist gesund, und schreibt mir daß er das geschehene Unglück mit größerer Fassung ertrage, als er für möglich gehalten; dafür danke ich Gott von ganzem Herzen, denn ich habe sehr für Friedrich gefürchtet bei dieser Katastrophe. Der Himmel weiß was noch aus uns werden soll, wir sind in der gespanntesten Erwartung. Friedrich kann in diesen Augenblick noch nichts über sich entscheiden; er darf wohl nicht gut selbst einen Entschluß fassen, sondern wird gelassen abwarten müßen was über ihm beschlossen werden wird. Unterdessen wird Ihre Sorge für ihn, und das was Sie im Fall er eine große Reise machen müßte für ihn thun wollen eine große Beruhigung für ihn seyn! meine Seele dankt Ihnen dafür theurer Wilhelm!! [2] Was mich betrifft, so glaube ich, – wenn es wahr seyn sollte was man sich sagt, daß wir nemlich unsre Gäste so bald nicht los werden sollen – daß es nicht schicklich für mich ist länger die Hospitalität bei A.[rnsteins] anzunehmen. ich bin durch nichts im Stande mich nützlich im Hause zu machen, und dieses Verhältniß erhält auf die Dauer etwas ehrenrühriges. Ich wünschte also im Stand gesetzt zu seyn, entweder für mich zu existiren, oder wenn ich durch jene große Reise etwa genöthigt wäre noch auf lange von Friedrich getrennt zu seyn, daß ich nach Dr.[esden] zu meinen Söhnen gehen könnte. Ich habe Friedrich deswegen gefragt, und ihm gebeten mir eine Gelegenheit zu schaffen im Fall er fort müßte, daß ich nach Dr.[esden] reisen und mit ihm auf dem Wege hin irgendwo eine Zusammenkunft haben könnte. Es ist aber auch die Frage ob ich unter diesen Verhältnissen in Dr.[esden] geduldet würde? wollten Sie wohl Charlotten darüber zu Rathe ziehen, und mir ihre Meinung darüber wissen lassen? ich habe schon verschiedene Mal nach Dr.[esden] geschrieben, aber meine Briefe scheinen nicht anzukommen, denn ich habe nicht einen einzigen Brief von meinen Söhnen erhalten während der ganzen Zeit, und doch werden sie mir gewis geschrieben haben.
[3] Von Litteratur und alles was es Schönes auf Erden giebt, hört man jetzt hier kein SterbensWort; in Ihren Briefen ist allein nur noch von solchen Dingen die Rede. – Den 2ten Band des spanischen Theaters habe ich also noch nicht gesehen, und von Fr.[iedrichs] Gedichten habe ich nur die Aushängebogen, die noch vor Ausbruch des Krieges angekommen sind. Sie werden nichts Neues darin finden, außer eine Zueignung, mit welcher der Dichter so liebenswürdig war die Sammlung seiner Frau an ihrem Nahmenstage am 6ten Februar, zu beschenken. es ist bis zur Beschämung ehrenvoll für sie, das Gedicht selber scheint mir aber für die Gelegenheit zu künstlich, beinah – kostbar. – Ich fürchte unser Freund wird vielleicht auf lange Zeit nicht fähig seyn ein Werk zu unternehmen – und doch lieber Wilhelm musste er thun was er that! Dichten Sie, schreiben Sie guter theurer Bruder, Eure Werke werden die Pyramiden seyn die aus den Trümmern der Zeit allein stehen bleiben, und der Nachwelt zeigen werden: hier hat ein edles Volk gewohnt; lichte Sterne die den forschenden Nachkommen den Weg durch die Wüste leiten. Nennen Sie mir doch etwa gute Uebersetzungen von alten Geschichtschreibern; Deutsch, Französisch oder Englisch. ich lese jetzt mit vieler Mühe eine Deutsche Uebersetzung des Thucydides, die mir das Original nicht deutlich wieder zu geben scheint. [4] ich finde daß keine Lectüre mir in diesem Moment so zuträglich ist, als eben alte Geschichte, und ich vermisse schmerzlich die Kenntniß der alten Sprachen; die Bibel tröstet mich sehr, und giebt mir vieles Licht; so wie die Vergleichung der jezigen Begebenheiten mir wieder vieles in den Evangelien erklärt. So z. B. versteh ich erst jetzt recht die Erscheinung des Heilandes, wie die verderbten, zu Grunde sinkenden Juden einen Erlöser von den übermüthigen Heiden hofften, und er verderbt wie sie waren nicht rathsam fand sie frei zu machen, sondern darauf drang daß sie die innere Freiheit erlangten und er ihnen dann „den Frieden gab, nicht wie die Welt ihn geben konnte“ – – –
Ihr Räthsel glaube ich entziffert zu haben. Gott stärke den alten Einsiedler, daß er es wagte seine Pflicht zu thun, und seine Rechte geltend zu machen. Die Sache ist sehr bedeutend, wenn es auch den Anschein haben wird als habe der Strahl nicht gezündet. Noch bis jetzt habe ich aber keine Bestätigung dessen erhalten können von dem was Ihr Räthsel enthielt; ich wünsche nur daß es wirklich sich so verhält. – Knorring ist immer noch hier oder vielmehr in Baden, wo er mit den beiden Damen Czerny schon vor 6 Wochen [5] gieng, wo sie die Bäder brauchen, und den unangenehmen Auftritten hier ausweichen wollten. Mit diesen Czernys hat er überhaupt viel zusammen gesteckt, besonders seit seine Tanten nicht mehr in Wien sind. Ich habe ihn nur sehr selten gesehen; er ist einigemal von Baden, in Geschäfften hier gewesen, und hat mich auch besucht jedesmal; er spricht beständig davon nach München zu reisen, so viel ich weis sind es immer Geldverlegenheiten die ihn abhalten. er hat so wie er mir sagte immer noch keinen Brief aus seinem Vaterlande. Zwar scheint es mir als habe er sich in seinen Negoziazionen nicht eben geschickt genommen, aber wahr ist es, daß seine Landsleute vor einiger Zeit hier keinen Credit finden konnten und jetzt wohl schwerlich mehr, da niemand Geld weggiebt, es sey an wem es sey. Er scheint in einer sehr unangenehmen Lage zu seyn, auch der gute Hardenberg wird sehr leiden müßen bei dieser seiner Unbeholfenheit und Indolenz in Geschäfften. – Daß Sie an die Arnstein ein paar freundliche Worte geschrieben haben ist sehr hübsch von Ihnen. Die Arnstein dankt Ihnen sehr, sie hat mir aufgetragen es Ihnen zu sagen denn sie selber schriebe an keinen Gelehrten läßt sie Sie wissen! Guter Wilhelm erinnern Sie sich meiner freundlichst.
Ihre Schwester D[orothea] S.[chlegel]
[6]
Ich muß Sie recht sehr um Nachsicht bitten wegen der Nachläßigkeit meiner Schreibart – mein Kopf leidet seit einiger Zeit wieder so sehr daß ich keinen ordentlichen Perioden zu ordnen im Stande bin, und der ewige Gesellschaftslärm im Hause, und der Lärm auf den Gassen der keinen Augenblick schweigt verwirren mich vollend[s.]
Sagen Sie mir doch wie Ihnen die martyrs von Chateaubriand gefallen? ich habe schon zweimal angesetzt sie zu lesen, denn mich interessirt der Dichter und sein sujet, aber ich komme nicht durch. Es wird mir immer dabei zu Muth, wie in einer Gallerie von Wachsfiguren, halb ängstlich, halb langweilig. Schelten Sie mich nur nicht zu sehr wenn ich Unrecht habe, ich habe aber von jeher eine Art von Widerwillen gegen solchen nachgemachten Homerismus und nun vollends in dieser Sprache! wo die eingestreuten Griechischen Worte und Gräcismen so possierlich lassen. – –
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