• August Wilhelm von Schlegel to Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling

  • Place of Dispatch: Coppet · Place of Destination: Unknown · Date: [19. August 1809]
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling
  • Place of Dispatch: Coppet
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: [19. August 1809]
  • Notations: Datum sowie Absendeort erschlossen.
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 66‒71.
  • Incipit: „[1] [Coppet, 19. August 1809]
    Verzeihen Sie werthester Freund, mein langes Stillschweigen auf Ihren Brief vom 2 Mai. Ich wollte um ihn [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-7
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,24,17
  • Number of Pages: 8 S. auf Doppelbl., hs. m. Paraphe
  • Format: 19,2 x 12,4 cm
[1] [Coppet, 19. August 1809]
Verzeihen Sie werthester Freund, mein langes Stillschweigen auf Ihren Brief vom 2 Mai. Ich wollte um ihn zu beantworten, erst die angekündigte Schrift abwarten, und dann die Abhandlung worin Beziehungen auf meinen Bruder vorkommen aufmerksam gelesen haben, wozu mich dringende Beschäftigung und eine Reise nach Lyon nicht sobald kommen ließen als ich gewünscht hätte.
Nehmen Sie meinen lebhaftesten Dank für das schöne Exemplar dieser reichhaltigen Sammlung der ich einen baldigen Fortgang wünsche.
Die philosophischen Untersuchungen pp. habe ich mit größtem Interesse gelesen. Sie behandeln hier die Frage aller Fragen, welche von jeher alle ernsten und gefühlvollen Menschen geängstigt, und sie getrieben sich an die Philosophie, und wenn, wie meistens der Fall war, die Antworten dieser wenig befriedigend ausfielen, an die Offenbarung um Beruhigung zu wenden. Denn wenn schon dem menschlichen Geiste ein uneigennütziger Trieb inwohnt, die Wahrheit als solche zu erforschen, so verlangt das Gemüth noch etwas mehr: es genügt ihm nicht zu irgend einer festen, gleichviel wie sonst beschaffnen, Überzeugung zu gelangen, es will tröstliche Wahrheit finden. Dieß hat mich schon längst dahin gebracht, an der Quelle unsrer heiligen Schriften und einiger Theosophen, die mir besonders zusagen, zu schöpfen, und die Philosophie nur als einen nothwendigen Durchgang dahin zu betrachten; was sich wohl um so eher rechtfertigen läßt, da ich sehe, daß die Philosophen, wenn sie etwas mehr thun wollen, als die Fragen über den Ursprung des physischen und sittlichen Übels und die allgemeine Herstellung als unstatthaft zurückzuweisen, genöthigt sind selbst theosophische Ansprüche zu machen, eine Cosmogonie ja gewissermaßen eine Theogonie aufzustellen, welche Geschichtliche Darstellungsweise doch eigentlich der wissenschaftlichen Form widerspricht.
Die bey der Begründung und Ableitung der vorgetragnen [2] Lehren aufgewandte philosophische Kunst bin ich nicht im Stande gehörig zu würdigen. In den Resultaten aber, besonders was das Wesen der Freiheit und die positive Natur des Bösen betrifft, bin ich ganz mit Ihnen einverstanden, und ich glaube mein Bruder wird es auch seyn, denn seine Haupteinwendung gegen den Pantheismus ist ja eben, daß er den Kampf des Guten und Bösen in der Welt als bloß scheinbar aufhebt.
Ich frage aber, haben Sie hierüber immer eben so gedacht und sich immer so erklärt? Vielleicht finden Sie kein Bedenken, es zu verneinen, da Sie äußern: Sie seyn immer noch in der Untersuchung begriffen. Aus Ihren frühern Schriften würde ich diese Lehre nicht vorausgesetzt haben. In Ihrem System des transzendentalen Idealismus kann ich den Gegensatz zwischen Gut und Böse nicht ein einzigsmal erwähnt finden wiewohl es einen Abschnitt zur Begründung der praktischen Philosophie enthält. In der Schrift über Philosophie und Religion, soviel ich sie verstehe, wird der Abfall bloß in den Eintritt in die Endlichkeit gesetzt. Ja noch in der Schrift gegen Fichte sind Äußerungen, welche ein ganz mit Ihnen einverstandner Recensent (Heidelb. Jahrbücher) auf eine ganz andre Vorstellungsart deuten konnte.
Keinem Beobachter der Ausbildung des neuern Idealismus in Deutschland kann es wohl entgehn, daß er aus dem Aphelium, worin er sich bey seiner ersten Erscheinung befand, bis ins Perihelium der religiösen Vorstellungsarten fortgerückt ist. Nehmen Sie nur einmal Fichte zum Beyspiel. Hatte er sich nicht die ganze Anklage wegen des Atheismus durch den Leichtsinn zugezogen, womit er Forbergs metaphysiche Witzeleyen zu billigen schien, und sagte: a propos von Gott, den ich bisher so ziemlich linker Hand liegen lassen, nun will ich doch angeben, wie man sein Daseyn nach der W[issenschafts]L.[ehre] vernünftiger Weise zugestehn mag. [3] Und seitdem hat er sich alle Ausdrücke der heil. Schrift zugeeignet, schon vor Jahren habe ich ihn das Vaterunser mit Einschiebung des Absoluten statt Gottes beten hören, und im Anfang des Evangeliums Johannis fand er das Wesentliche der W.[issenschafts] L.[ehre] wieder.
Indessen was F.[ichte] betrifft so will ich gern seiner Versicherung glauben, daß er bey dieser scheinbaren Umwandlung immer noch auf dem alten Flecke steht. Bey Andern aber (und Novalis war einer der ersten) ist eine wahrhafte Rückkehr zu längst aufgegebnen Ansichten und Gesinnungen unverkennbar. Diese Rückkehr ist wohl schwerlich der Philosophie zuzuschreiben, die dabey nur als Organ der Deutung und Verständigung mitwirkt; sie liegt in einer Reaction gegen unsre bisherige Bildung, über deren Nichtigkeit uns die Weltbegebenheiten die furchtbarsten Aufschlüsse gegeben haben, und so ist es die Vorsehung selbst welche uns dabey leitet.
Ich für meine Person bekenne gern, daß ich dem Zeitalter auch meinen Tribut abgetragen habe und von verderblichen Irrthümern zu ganz andern ehemals verworfnen Überzeugungen zurückgekommen bin.
Wenn man sich jetzo sowohl im Gehalt der philosophischen Lehre als in deren Ausdruck der heil. Schrift so sehr annähert, so däucht mir, sollte man ihr auch seinen Dank für die empfangne Erleuchtung nicht vorenthalten. Schwerlich kann es davon freysprechen, daß wir glauben für Wahrheiten die dort bloß ausgesagt werden, Beweisgründe aufgefunden zu haben. Mein Vater sagte mir einmal es verhalte sich mit der Speculation und Offenbarung wie mit entfernten Gegenständen, die das unbewaffnete Auge nicht erreicht, wenn man aber erst durch ein Teleskop geschaut hat, so finde man sie auch mit bloßem Auge wieder. [4] Damals achtete ich nicht viel darauf, jetzt finde ich einen tiefen Sinn darin.
Soviel über die Ansprüche der W.[issenschaft] und den behaupteten Vorrang des Wissens über das Glauben. Ich gestehe Ihnen daß Lessings vermeynter Fortschritt von Glaubens- also Gefühlswahrheiten zu Vernunftwahrheiten mir eine wahre Herabsetzung scheint. Es liegt dabey dieselbe trockne Ansicht zum Grunde, welche ihn im Aristoteles einen Euklides der Poesie finden ließ, als ob ein solcher möglich wäre.
Sie werfen es meinem Bruder vor, daß er sich allgemeiner Benennungen bedient als Pantheismus, Materialismus. Freylich können diese Classennamen nur die Hauptrichtung bezeichnen und das Eigne origineller Denker nicht erschöpfen. Wollte man sie aber untersagen, so dürfte eine Geschichte der Philosophie ganz unmöglich werden, die Darstellung der Systeme würde eben so weitläuftig ausfallen müssen, als in den Schriften der Urheber selbst. Und befand sich mein Bruder nicht so wohl in dem Werke über die Indier als in der Anzeige der neuern Fichteschen Schriften auf dem historischen Standpunkte?
Die Behauptung der Pantheismus sey das einzige mögliche Vernunftsystem ist nicht neu: Lessing hat sie geäußert, Jacobi ein eignes Buch darüber geschrieben. Warum haben Sie sich also ausschließend an meinen Bruder gehalten und jener gar nicht erwähnt?
Ich verstehe diese Behauptung so: da das abstracte Denken sich nicht über den Begriff der Substanz als der Grundlage der Erscheinungen erheben kann, so muß es folgerecht fortgesetzt, nothwendig damit endigen, aus diesem Begriff sein Eins und Alles zu machen.
Sie fragen ob der Idealismus nicht auch ein Werk der Vernunft sey? Zuvörderst scheint es mir [5] daß ein Werk der Vernunft und ein Vernunftsystem wohl noch unterschieden werden könnten. Lassen Sie uns die Frage, so genauer bestimmt, auf Kant und Fichte anwenden. Die Kritik der reinen Vernunft ist eine Zergliederung der Bestandtheile des abstracten Denkens, und eine darauf gegründete Protestation gegen jeden Gebrauch desselben zur Aufbauung eines Systems. Sie kann also wohl schwerlich ein Vernunftsystem genannt werden. Die W[issenschafts]L.[ehre] gründet sich ganz und gar auf das Bewußtseyn ursprünglicher Freythätigkeit, und dieses Bewußtseyn wird darin gegen alle Usurpationen des abstracten Denkens behauptet. Die W[issenschafts]L.[ehre] macht daher dasjenige zum Höchsten, was das abstracte Denken grade zuerst zu vernichten bemüht ist.
Fichte, äußern Sie, soll den Spinozism bereits durch die W[issenschafts]L.[ehre] widerlegt haben. Aber als Sie behaupteten, der transzendentale Idealism sey nur eine Seite der Philosophie zu deren Ergänzung der Realism hinzukommen müsse, bey dessen Aufstellung Sie erklärten, es sey Ihnen in gewissem Sinne um einen erneuerten Spinozism zu thun, schienen Sie doch anzunehmen, daß beyde Systeme in verschiednen Gebieten neben einander bestehen könnten.
Da mein Bruder vom Pantheismus, diesem uralten System, das sich in Indien und China und beym Xenophanes überall mit ähnlichen Charakteren wieder findet, in der allgemeinsten Beziehung spricht (ausgenommen die Stelle in der Anzeige von Adam Müllers Vorlesungen welche auf die ungehirnten Nachbeter geht) so weiß ich nicht, wie Sie es irgend auf sich haben beziehen können. Den Spinoza [6] nehmen Sie jetzt ja selbst, wenigstens in Absicht auf das Todte und Abstracte seiner Ansicht, nicht sonderlich in Schutz. Der Hauptvorwurf, den mein Bruder dem Pantheismus macht ist, daß er, in seiner Strenge durchgeführt, den Unterschied zwischen Gut und Böse als bloße Täuschung aufhebe, alle Individualität und somit auch das Leben des Universums ertödte. Nach Ihren Erklärungen in der letzten Schrift wird also hierüber kein Streit zwischen Ihnen und ihm obwalten. Wenn Sie uns erlauben wollen zu classificiren so werden wir ohne Zweifel das hier vorgetragne unter den Begriff der Lehre von den zwey Prinzipien bringen müssen. Nach Ihrer jetzigen Bestimmung des Pantheism daß er bloß in der behaupteten Immanenz der Dinge in Gott bestehe, würde er ja vollkommen mit dem Christenthum vereinbar seyn, da es in der heil. Schrift heißt: in Ihm leben weben und sind wir. Historisch ist es aber doch, daß es einen ganz andren Pantheismus gegeben hat, wobey dieß gar nicht thunlich war.
Sie äußern den Wunsch, mein Bruder möchte seine eigne Ansicht vom Ursprung des Bösen und seinem Verhältniß zum Guten darlegen. Er hat bis jetzt seine philosophischen Überzeugungen nur mündlich mitgetheilt, und wiewohl ein Heft darüber ganz zum Druck ausgearbeitet ist, noch nicht für gut gefunden, es öffentlich bekannt zu machen. Ich selbst besitze von ihm eine kürzere Schrift in Französischer Sprache, worin alle diese Fragen wenigstens berührt sind.
Die 2te Anmerkung S. 506 und die dazu gehörige Stelle enthält eine Anspielung, [7] welche, wie mich dünkt, nicht zum guten und offnen Kriege gehört. Auch sehe ich den Widerspruch nicht ein zwischen Ansichten und alleinseligmachenden Wahrheiten. Sind denn Ansichten etwas anders als Meynungen Überzeugungen, die sobald sie unser Handeln in Absicht auf die wichtigsten Angelegenheiten bestimmen verderblich oder heilsam, also auch seligmachend werden müssen?
Über die Stelle S. 510 wie – meynte muß ich für meine Person die Protestation einlegen daß bey meinen dahin einschlagenden Bemühungen, dieß nie meine Meynung gewesen. Nur habe ich geglaubt, da die Idee ächter Poesie der neuern Kritik gänzlich abhanden gekommen war, es könne dienlich seyn sich bey der Vergangenheit zu orientiren und die Gültigkeit dieser wirklich schon realisirten Idee nachzuweisen. Auch halte ich es nicht für möglich, daß ein Einzelner rein aus sich selbst heraus Poesie erschaffe. Alle Poesie ist eine Fortbildung und lehnt sich an etwas früheres an.
Ich danke Ihnen für den Eifer, den Sie bewiesen, den Ruf meines Bruders gegen verfälschende Zeitungsnachrichten zu vertheidigen. Indessen scheint er mir nicht sehr dadurch gefährdet gewesen zu seyn. Wenigstens habe ich die Erfahrung gemacht daß selbst in Frankreich von wohldenkenden Männern die bekannten amtlichen Erwähnungen meines Bruders als eine ehrenvolle Auszeichnung betrachtet werden. Er hat die Grundsätze nie verläugnet, welche ihn bewogen haben in seine gegenwärtige Laufbahn einzutreten, und die Reinheit seiner Triebfedern wird dadurch am besten bewährt, [8] daß er sie eben in dem Augenblick der Gefahr öffentlich bekannt hat. Die Angabe der Zeitungen war nach ihrer Weise freylich entstellend, indessen machte die gute Gesellschaft, worin er genannt war, es wieder gut.
Unsre Ansicht der öffentlichen Vorfälle und die Richtung unsrer Theilnahme ist so verschieden, daß wir am besten thun werden, diesen Gegenstand in unserm Briefwechsel gänzlich zu beseitigen.
Von HE. Baader habe ich immer noch keine Antwort auf mein von St. Martins nachgelassenen Werken begleitetes Schreiben bekommen. Ich weiß nicht, wie man in Baiern darüber denkt, aber auf dieser Seite der bekannten Welt würden wir das für unhöflich halten, wenn uns jemand aus freyer Achtung mit einer Gefälligkeit entgegenkommt, die für ihn mit einiger Entbehrung verbunden ist (denn ich habe mir die Schrift noch nicht wieder verschaffen können) und uns interessante Mittheilungen anbietet so fern sie in seiner Gewalt stehn, keinen Dank zu erwiedern.
Ich sehe jetzt häufig einen Schüler von St. Martin, der mir versprochen hat, wenn ich nach Paris komme, mir viele ungedruckte Briefe und Fragmente von ihm, auch Schriften von Martinez Pasqualis zu zeigen.
[1] [Coppet, 19. August 1809]
Verzeihen Sie werthester Freund, mein langes Stillschweigen auf Ihren Brief vom 2 Mai. Ich wollte um ihn zu beantworten, erst die angekündigte Schrift abwarten, und dann die Abhandlung worin Beziehungen auf meinen Bruder vorkommen aufmerksam gelesen haben, wozu mich dringende Beschäftigung und eine Reise nach Lyon nicht sobald kommen ließen als ich gewünscht hätte.
Nehmen Sie meinen lebhaftesten Dank für das schöne Exemplar dieser reichhaltigen Sammlung der ich einen baldigen Fortgang wünsche.
Die philosophischen Untersuchungen pp. habe ich mit größtem Interesse gelesen. Sie behandeln hier die Frage aller Fragen, welche von jeher alle ernsten und gefühlvollen Menschen geängstigt, und sie getrieben sich an die Philosophie, und wenn, wie meistens der Fall war, die Antworten dieser wenig befriedigend ausfielen, an die Offenbarung um Beruhigung zu wenden. Denn wenn schon dem menschlichen Geiste ein uneigennütziger Trieb inwohnt, die Wahrheit als solche zu erforschen, so verlangt das Gemüth noch etwas mehr: es genügt ihm nicht zu irgend einer festen, gleichviel wie sonst beschaffnen, Überzeugung zu gelangen, es will tröstliche Wahrheit finden. Dieß hat mich schon längst dahin gebracht, an der Quelle unsrer heiligen Schriften und einiger Theosophen, die mir besonders zusagen, zu schöpfen, und die Philosophie nur als einen nothwendigen Durchgang dahin zu betrachten; was sich wohl um so eher rechtfertigen läßt, da ich sehe, daß die Philosophen, wenn sie etwas mehr thun wollen, als die Fragen über den Ursprung des physischen und sittlichen Übels und die allgemeine Herstellung als unstatthaft zurückzuweisen, genöthigt sind selbst theosophische Ansprüche zu machen, eine Cosmogonie ja gewissermaßen eine Theogonie aufzustellen, welche Geschichtliche Darstellungsweise doch eigentlich der wissenschaftlichen Form widerspricht.
Die bey der Begründung und Ableitung der vorgetragnen [2] Lehren aufgewandte philosophische Kunst bin ich nicht im Stande gehörig zu würdigen. In den Resultaten aber, besonders was das Wesen der Freiheit und die positive Natur des Bösen betrifft, bin ich ganz mit Ihnen einverstanden, und ich glaube mein Bruder wird es auch seyn, denn seine Haupteinwendung gegen den Pantheismus ist ja eben, daß er den Kampf des Guten und Bösen in der Welt als bloß scheinbar aufhebt.
Ich frage aber, haben Sie hierüber immer eben so gedacht und sich immer so erklärt? Vielleicht finden Sie kein Bedenken, es zu verneinen, da Sie äußern: Sie seyn immer noch in der Untersuchung begriffen. Aus Ihren frühern Schriften würde ich diese Lehre nicht vorausgesetzt haben. In Ihrem System des transzendentalen Idealismus kann ich den Gegensatz zwischen Gut und Böse nicht ein einzigsmal erwähnt finden wiewohl es einen Abschnitt zur Begründung der praktischen Philosophie enthält. In der Schrift über Philosophie und Religion, soviel ich sie verstehe, wird der Abfall bloß in den Eintritt in die Endlichkeit gesetzt. Ja noch in der Schrift gegen Fichte sind Äußerungen, welche ein ganz mit Ihnen einverstandner Recensent (Heidelb. Jahrbücher) auf eine ganz andre Vorstellungsart deuten konnte.
Keinem Beobachter der Ausbildung des neuern Idealismus in Deutschland kann es wohl entgehn, daß er aus dem Aphelium, worin er sich bey seiner ersten Erscheinung befand, bis ins Perihelium der religiösen Vorstellungsarten fortgerückt ist. Nehmen Sie nur einmal Fichte zum Beyspiel. Hatte er sich nicht die ganze Anklage wegen des Atheismus durch den Leichtsinn zugezogen, womit er Forbergs metaphysiche Witzeleyen zu billigen schien, und sagte: a propos von Gott, den ich bisher so ziemlich linker Hand liegen lassen, nun will ich doch angeben, wie man sein Daseyn nach der W[issenschafts]L.[ehre] vernünftiger Weise zugestehn mag. [3] Und seitdem hat er sich alle Ausdrücke der heil. Schrift zugeeignet, schon vor Jahren habe ich ihn das Vaterunser mit Einschiebung des Absoluten statt Gottes beten hören, und im Anfang des Evangeliums Johannis fand er das Wesentliche der W.[issenschafts] L.[ehre] wieder.
Indessen was F.[ichte] betrifft so will ich gern seiner Versicherung glauben, daß er bey dieser scheinbaren Umwandlung immer noch auf dem alten Flecke steht. Bey Andern aber (und Novalis war einer der ersten) ist eine wahrhafte Rückkehr zu längst aufgegebnen Ansichten und Gesinnungen unverkennbar. Diese Rückkehr ist wohl schwerlich der Philosophie zuzuschreiben, die dabey nur als Organ der Deutung und Verständigung mitwirkt; sie liegt in einer Reaction gegen unsre bisherige Bildung, über deren Nichtigkeit uns die Weltbegebenheiten die furchtbarsten Aufschlüsse gegeben haben, und so ist es die Vorsehung selbst welche uns dabey leitet.
Ich für meine Person bekenne gern, daß ich dem Zeitalter auch meinen Tribut abgetragen habe und von verderblichen Irrthümern zu ganz andern ehemals verworfnen Überzeugungen zurückgekommen bin.
Wenn man sich jetzo sowohl im Gehalt der philosophischen Lehre als in deren Ausdruck der heil. Schrift so sehr annähert, so däucht mir, sollte man ihr auch seinen Dank für die empfangne Erleuchtung nicht vorenthalten. Schwerlich kann es davon freysprechen, daß wir glauben für Wahrheiten die dort bloß ausgesagt werden, Beweisgründe aufgefunden zu haben. Mein Vater sagte mir einmal es verhalte sich mit der Speculation und Offenbarung wie mit entfernten Gegenständen, die das unbewaffnete Auge nicht erreicht, wenn man aber erst durch ein Teleskop geschaut hat, so finde man sie auch mit bloßem Auge wieder. [4] Damals achtete ich nicht viel darauf, jetzt finde ich einen tiefen Sinn darin.
Soviel über die Ansprüche der W.[issenschaft] und den behaupteten Vorrang des Wissens über das Glauben. Ich gestehe Ihnen daß Lessings vermeynter Fortschritt von Glaubens- also Gefühlswahrheiten zu Vernunftwahrheiten mir eine wahre Herabsetzung scheint. Es liegt dabey dieselbe trockne Ansicht zum Grunde, welche ihn im Aristoteles einen Euklides der Poesie finden ließ, als ob ein solcher möglich wäre.
Sie werfen es meinem Bruder vor, daß er sich allgemeiner Benennungen bedient als Pantheismus, Materialismus. Freylich können diese Classennamen nur die Hauptrichtung bezeichnen und das Eigne origineller Denker nicht erschöpfen. Wollte man sie aber untersagen, so dürfte eine Geschichte der Philosophie ganz unmöglich werden, die Darstellung der Systeme würde eben so weitläuftig ausfallen müssen, als in den Schriften der Urheber selbst. Und befand sich mein Bruder nicht so wohl in dem Werke über die Indier als in der Anzeige der neuern Fichteschen Schriften auf dem historischen Standpunkte?
Die Behauptung der Pantheismus sey das einzige mögliche Vernunftsystem ist nicht neu: Lessing hat sie geäußert, Jacobi ein eignes Buch darüber geschrieben. Warum haben Sie sich also ausschließend an meinen Bruder gehalten und jener gar nicht erwähnt?
Ich verstehe diese Behauptung so: da das abstracte Denken sich nicht über den Begriff der Substanz als der Grundlage der Erscheinungen erheben kann, so muß es folgerecht fortgesetzt, nothwendig damit endigen, aus diesem Begriff sein Eins und Alles zu machen.
Sie fragen ob der Idealismus nicht auch ein Werk der Vernunft sey? Zuvörderst scheint es mir [5] daß ein Werk der Vernunft und ein Vernunftsystem wohl noch unterschieden werden könnten. Lassen Sie uns die Frage, so genauer bestimmt, auf Kant und Fichte anwenden. Die Kritik der reinen Vernunft ist eine Zergliederung der Bestandtheile des abstracten Denkens, und eine darauf gegründete Protestation gegen jeden Gebrauch desselben zur Aufbauung eines Systems. Sie kann also wohl schwerlich ein Vernunftsystem genannt werden. Die W[issenschafts]L.[ehre] gründet sich ganz und gar auf das Bewußtseyn ursprünglicher Freythätigkeit, und dieses Bewußtseyn wird darin gegen alle Usurpationen des abstracten Denkens behauptet. Die W[issenschafts]L.[ehre] macht daher dasjenige zum Höchsten, was das abstracte Denken grade zuerst zu vernichten bemüht ist.
Fichte, äußern Sie, soll den Spinozism bereits durch die W[issenschafts]L.[ehre] widerlegt haben. Aber als Sie behaupteten, der transzendentale Idealism sey nur eine Seite der Philosophie zu deren Ergänzung der Realism hinzukommen müsse, bey dessen Aufstellung Sie erklärten, es sey Ihnen in gewissem Sinne um einen erneuerten Spinozism zu thun, schienen Sie doch anzunehmen, daß beyde Systeme in verschiednen Gebieten neben einander bestehen könnten.
Da mein Bruder vom Pantheismus, diesem uralten System, das sich in Indien und China und beym Xenophanes überall mit ähnlichen Charakteren wieder findet, in der allgemeinsten Beziehung spricht (ausgenommen die Stelle in der Anzeige von Adam Müllers Vorlesungen welche auf die ungehirnten Nachbeter geht) so weiß ich nicht, wie Sie es irgend auf sich haben beziehen können. Den Spinoza [6] nehmen Sie jetzt ja selbst, wenigstens in Absicht auf das Todte und Abstracte seiner Ansicht, nicht sonderlich in Schutz. Der Hauptvorwurf, den mein Bruder dem Pantheismus macht ist, daß er, in seiner Strenge durchgeführt, den Unterschied zwischen Gut und Böse als bloße Täuschung aufhebe, alle Individualität und somit auch das Leben des Universums ertödte. Nach Ihren Erklärungen in der letzten Schrift wird also hierüber kein Streit zwischen Ihnen und ihm obwalten. Wenn Sie uns erlauben wollen zu classificiren so werden wir ohne Zweifel das hier vorgetragne unter den Begriff der Lehre von den zwey Prinzipien bringen müssen. Nach Ihrer jetzigen Bestimmung des Pantheism daß er bloß in der behaupteten Immanenz der Dinge in Gott bestehe, würde er ja vollkommen mit dem Christenthum vereinbar seyn, da es in der heil. Schrift heißt: in Ihm leben weben und sind wir. Historisch ist es aber doch, daß es einen ganz andren Pantheismus gegeben hat, wobey dieß gar nicht thunlich war.
Sie äußern den Wunsch, mein Bruder möchte seine eigne Ansicht vom Ursprung des Bösen und seinem Verhältniß zum Guten darlegen. Er hat bis jetzt seine philosophischen Überzeugungen nur mündlich mitgetheilt, und wiewohl ein Heft darüber ganz zum Druck ausgearbeitet ist, noch nicht für gut gefunden, es öffentlich bekannt zu machen. Ich selbst besitze von ihm eine kürzere Schrift in Französischer Sprache, worin alle diese Fragen wenigstens berührt sind.
Die 2te Anmerkung S. 506 und die dazu gehörige Stelle enthält eine Anspielung, [7] welche, wie mich dünkt, nicht zum guten und offnen Kriege gehört. Auch sehe ich den Widerspruch nicht ein zwischen Ansichten und alleinseligmachenden Wahrheiten. Sind denn Ansichten etwas anders als Meynungen Überzeugungen, die sobald sie unser Handeln in Absicht auf die wichtigsten Angelegenheiten bestimmen verderblich oder heilsam, also auch seligmachend werden müssen?
Über die Stelle S. 510 wie – meynte muß ich für meine Person die Protestation einlegen daß bey meinen dahin einschlagenden Bemühungen, dieß nie meine Meynung gewesen. Nur habe ich geglaubt, da die Idee ächter Poesie der neuern Kritik gänzlich abhanden gekommen war, es könne dienlich seyn sich bey der Vergangenheit zu orientiren und die Gültigkeit dieser wirklich schon realisirten Idee nachzuweisen. Auch halte ich es nicht für möglich, daß ein Einzelner rein aus sich selbst heraus Poesie erschaffe. Alle Poesie ist eine Fortbildung und lehnt sich an etwas früheres an.
Ich danke Ihnen für den Eifer, den Sie bewiesen, den Ruf meines Bruders gegen verfälschende Zeitungsnachrichten zu vertheidigen. Indessen scheint er mir nicht sehr dadurch gefährdet gewesen zu seyn. Wenigstens habe ich die Erfahrung gemacht daß selbst in Frankreich von wohldenkenden Männern die bekannten amtlichen Erwähnungen meines Bruders als eine ehrenvolle Auszeichnung betrachtet werden. Er hat die Grundsätze nie verläugnet, welche ihn bewogen haben in seine gegenwärtige Laufbahn einzutreten, und die Reinheit seiner Triebfedern wird dadurch am besten bewährt, [8] daß er sie eben in dem Augenblick der Gefahr öffentlich bekannt hat. Die Angabe der Zeitungen war nach ihrer Weise freylich entstellend, indessen machte die gute Gesellschaft, worin er genannt war, es wieder gut.
Unsre Ansicht der öffentlichen Vorfälle und die Richtung unsrer Theilnahme ist so verschieden, daß wir am besten thun werden, diesen Gegenstand in unserm Briefwechsel gänzlich zu beseitigen.
Von HE. Baader habe ich immer noch keine Antwort auf mein von St. Martins nachgelassenen Werken begleitetes Schreiben bekommen. Ich weiß nicht, wie man in Baiern darüber denkt, aber auf dieser Seite der bekannten Welt würden wir das für unhöflich halten, wenn uns jemand aus freyer Achtung mit einer Gefälligkeit entgegenkommt, die für ihn mit einiger Entbehrung verbunden ist (denn ich habe mir die Schrift noch nicht wieder verschaffen können) und uns interessante Mittheilungen anbietet so fern sie in seiner Gewalt stehn, keinen Dank zu erwiedern.
Ich sehe jetzt häufig einen Schüler von St. Martin, der mir versprochen hat, wenn ich nach Paris komme, mir viele ungedruckte Briefe und Fragmente von ihm, auch Schriften von Martinez Pasqualis zu zeigen.
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