• Friedrich von Schlegel to August Wilhelm von Schlegel

  • Place of Dispatch: Wien · Place of Destination: Unknown · Date: 16.01.1810
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: Friedrich von Schlegel
  • Recipient: August Wilhelm von Schlegel
  • Place of Dispatch: Wien
  • Place of Destination: Unknown
  • Date: 16.01.1810
    Printed Text
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: 335973167
  • Bibliography: Krisenjahre der Frühromantik. Briefe aus dem Schlegelkreis. Hg. v. Josef Körner. Bd. 2. Der Texte zweite Hälfte. 1809‒1844. Bern u.a. ²1969, S. 100‒105.
  • Incipit: „[1] Wien den 16ten Januar 1810.
    Geliebter Bruder, ich muß mich nur selbst bei Dir anklagen, daß ich nicht eher und öfter [...]“
    Manuscript
  • Provider: Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden
  • OAI Id: APP2712-Bd-8
  • Classification Number: Mscr.Dresd.App.2712,B,II,18
  • Number of Pages: 12 S. auf Doppelbl., hs. m. Paraphe
  • Format: 19,4 x 11,8 cm
[1] Wien den 16ten Januar 1810.
Geliebter Bruder, ich muß mich nur selbst bei Dir anklagen, daß ich nicht eher und öfter geschrieben, da Du mir so viele und reiche Briefe widmest. – Wenn ich sagte, daß in der letzten Zeit in Ungarn, dann in der ersten Zeit hier bald Geschäfte und Störungen, ferner die Reise, bald auch Unwohlsein und daher entstehende Trägheit die Ursache davon sei, so ist dieses alles freilich mitwirkend, aber der eigentliche Grund war es nicht. – Es hat sich meiner eine fast unüberwindliche Traurigkeit bemächtigt, die mir alle Trieb- und Schwungfedern gelähmt zu haben scheint, und sich in einer allgemeinen Gleichgültigkeit kund giebt. Mein Zustand ist oft schon von der mir sonst gewöhnlichen Stimmung so verschieden gewesen, daß ich geglaubt habe, es müsse eine körperliche Ursache haben, und in Milz, Leber oder dergleichen Zeug was auf die Seele Einfluß hat, irgend etwas nicht recht und ein noch verborgnes Uebel im Entstehen sein. Doch bis jetzt bin ich nicht krank. – Sollte ich Dir die Gegenstände meiner Betrübniß schildern, so wüßte ich es eben so wenig; denn was von den politischen Ereignissen sich äußerlich nennen läßt, das ist es nicht allein. Am häufigsten beschäftigt mich in meinem [2] einsamen Brüten Deine große Reise, an die ich nicht ohne ängstliche Traurigkeit denken kann. Was diese unersetzliche Trennung für einen Einfluß auf mich haben wird, weiß ich noch nicht; wenigstens werde ich dann mich ganz abgeschieden und wie ein Einsiedler und Greis fühlen. – Doch dem sei wie ihm wolle, ich will mich gewaltsam herausreißen; arbeiten wird am besten helfen. Und wir müssen die kurze Zeit vor allem nutzen, da wir noch beisammen sind; denn so muß mir wohl unsre jetzige Entfernung scheinen, gegen die unermeßliche die mich bedroht.
Deinen Rath über alles was die Fortsetzung meiner Werke betrift, werde ich mir wohl zu Herzen nehmen. Nur fängt der Hitzig an sich albern zu betragen; er hat wahrscheinlich kein Geld und sucht Aufschub. Unthätig aber werde ich darum nicht bleiben. Eins von beiden geschieht diesen Winter gewiß, entweder die historische Vorlesung über neuere Geschichte besonders der Deutschen – oder ein Stück wenigstens von Karl dem Vten fertig geschafft. – Das übernommene Geschäft geht ohnehin seinen Gang fort und beginnt nächstens mit neuem Aufschwung. – Sobald ich ein[3]mal Gelegenheit durch einen sichern Reisenden finde, so werde ich Dir ein vollständiges Exemplar der Oesterreichischen Zeitung schicken und bemerken was darin lesenswerth ist. Nächstens wird hier ein Blatt, unter dem Nahmen der oesterreichische Beobachter erscheinen, das zur Hälfte litterarischen Inhalts sein wird, und was ich Dir in dieser Hinsicht empfehle. Ich würde es Dir wohl schicken, aber am sichersten und ordentlichsten erhältst Du es wohl, wenn Du in einer schwäbischen Stadt durch die Post subscribirst. Es fängt an mit dem 1ten Februar.
Die Exemplare Deines Werkes (aber nur den 1ten Theil, noch nicht die 1te Abtheilung des 2ten) habe ich erhalten, und erwarte Deine weitere Anweisung darüber. Collin hat sein Exemplar erhalten, auch an Haschka gab ich eins, der sichs sonst nicht kaufen könnte. An Graf Johann Odonell habe ich unterdessen eins geliehen. Eines aber habe ich auf meine eigne Hand und zwar in Deinem Nahmen verschenkt, an meinen jetzigen Chef den Grafen Metternich, weil ich wußte daß er es sehr gut aufnehmen würde. Sickingen war in Böhmen, wird aber jeden Tag zurück erwartet; sobald er da ist, bringe ich ihm das seine, und berede mit ihm, ob er dem Kaiser eins überreichen will, was ich dann zweckmäßig einbinden lasse.
Daß Hammer in Paris sei, wirst Du vielleicht wissen, Hormayr ist fleißig aber er zersplittert sich immer mehr und wird nun gewiß nie ein Werk zu bilden im Stande sein. Collin ist Hofrath geworden und mit Geschäften überhäuft. – Nachdem das Sonntagsblatt [4] durch die offenbar gewordne Schlechtigkeit seiner Verfasser (Lindner ist mit den Franzosen davon gegangen) für immer erloschen, fallen die Leute mit desto frischerm Wohlbehagen auf den Kotzebue, um so mehr da er sich einigermaßen für die gute oder doch gegen die schlechte Sache herauslassen zu wollen scheint. Das Bedürfniß der Gemeinheit ist eben das einzige Bleibende im Menschen!
In der Litteratur bin ich gegen Dich immer noch sehr zurück, da mir selbst das meiste was unmittelbar vor dem Krieg herausgekommen fremd geblieben war. Außer Schuberts tiefgefühltem und ahndungsvollem Werk über die Nachtseiten pp war mir Sigurd das liebste. Zwar finde ich die Behandlung schon darin verfehlt, daß sie dramatisch ist, wenigstens auf diese Weise. Aber welche göttliche Poesie! Ich möchte wohl näher wissen, aus welchen Quellen er geschöpft und ob er viel geändert hat; verdorben kann er wenigstens nicht viel haben. Die Wahlverwandtschaften finde ich freilich geistreich und dadurch anziehend, aber doch so kalt, das Ende gezwungen, das Ganze zugleich seltsam und gemein. Es gewährt eben wenig Trost noch Freude. – Stolbergs Werk dehnt sich gar zu sehr aus, die moralischen Stellen bleiben von immer gleicher unaussprechlicher Schönheit, aber die historische Ansicht ist allzu beschränkt.
[5] Ich habe in Ungarn in Erfahrung gebracht, daß noch viele unsers Nahmens in und um Hermanstadt vorhanden sind, und werde suchen, nähere Erkundigung einzuziehn. Die Erneuerung des Adels könnte auch für mich [von Wert sein] besonders in der Folge, da ich dadurch sogleich von selbst das ungarische Indigenat, was sonst so äusserst schwer zu bekommen ist, erhielte, auch um so weniger als Fremder betrachtet werden könnte, bei so altoesterreichischer Abstammung. Nur würde ich, wenn es mich allein gölte, wohl noch damit anstehen; man muß hier in Allem sehr Schritt vor Schritt gehen. Noch habe ich nicht einmal die daurende Anstellung statt der bisherigen einstweiligen officiell erhalten. Indessen will ich gleich schreiben, mich erkundigen und alles so einleiten, daß ich es Dir zur Entscheidung vorlegen kann. Auf einen schnellen Gang darf man hier in keinem Falle rechnen.
Wie kömmt es denn, daß Du gar nichts von der Stael schreibst? Sie hat mich wohl ganz vergessen, da ich vielmehr gehofft, meine neue Thätigkeit würde ihre Theilnahme für mich vermehren und neu beleben. Wir erwarten übrigens hier ihr Werk über Deutsche Litteratur mit Ungeduld. – Graf Johann Oʼdonell ist wieder hier, Graf Moritz ist noch in Siebenbürgen bei dem Erzherzog Maximilian. Er war krank, ist aber jetzt wieder besser.
[6] Was die Tiecksche Schauspielergesellschaft betrift, so finde ich Baaders kurze Aeußerungsart über das Ganze, über ihn und die Familie und die divinia comedia welche sie aufzuführen belieben, am angemessensten. Daß sie mich verläugnen, behaupten ich nehme das Christenthum viel zu schwerfällig und einseitig, daß sie dieses selbst in einem gewissen Sinne wieder abschwören, ist mir gar recht, ja ich kann sagen, ich würde es nicht ungern sehen, wenn sie förmlich und feierlich zur Preußischen Religion zurückkehrten. Indessen ist in ihren Anklagen gegen mich auch manches Unsinnige. Unter andern das wegen des Nicht Schreibens aus Landshut. Daß ich, da die Mutter und Schwestern der Stransky, die mich wie alle Leute in Landshut sehr freundschaftlich aufgenommen, grade an sie schrieben, einige Zeilen anfügte, konnte gar keine Folgen haben. Hätte ich aber zu einer Zeit, wo alle Briefe wie sich von selbst verstand, eröffnet wurden, an Tiecks die ohnehin als ausgezeichnete Fremde nur zu sehr die öffentliche Aufmerksamkeit erregt hatten, in dem Sinne geschrieben, wie sie es scheinen [7] erwartet zu haben, so wäre mir dieß als die grösste Tollheit, Zudringlichkeit und Gemeinheit vorgekommen. Aber anders ich und anders sie, die sich auch in dieser Hinsicht ziemlich unsinnig betragen haben. Denn als sie nichts als einen siegreichen Einzug der Oestreicher erwarteten, äußerten sie sich auf das aller revoluzionärste und als ob sie nun daran wären, Land und Leute auf einen andern Fuß zu setzen; da sie doch in jenem Lande gastfreundlich aufgenommen nichts bessres thun konnten, als schweigen, und ihre gute Gesinnung, wenn sie wirklich eine dergleichen hatten, weder verläugnen noch ausprahlen. Daß sie nun ganz umgekehrt seegeln, in die bayrische Pöbelhaftigkeit aus vollen Kräften mit einstimmen, und sich durch Schimpfen auf mich überhaupt besonders aber bei dem alten Gaudieb einzuschmeicheln suchen, das ist ganz dem übrigen angemessen. – Satis superque! – Uebrigens laß Dir was die Christine betrift, nur ja nichts einreden. Mündlich würde ich Dir alles das ganz klar vor Augen stellen können, schriftlich geht es nicht wohl. Aber recht als Tiecks haben sie sich sämtlich gegen diese Frau gezeigt; denn erst waren die Engel im Himmel nicht rein genug gegen sie, nachher [8] sollte sie auf einmal in den tiefsten Koth herunter gerissen werden. Dem ist nicht also; Fehler hat sie, und hat deren auch begangen, aber in einem Athemzug von ihr haucht mehr Seele und Liebe als die ganze Tiecksche Klerisei jemals gefühlt oder geahndet hat.
An Baader habe ich schon oft gewünscht, mich anzuschließen; aber erstlich ist er Meister vom Stuhle und mit diesen Leuten gehe ich gern behutsam um. Und dann scheint er mir auch etwas sehr hochmüthig zu sein; thut er doch, als hätte er alle – hautes sciençes – wie er es nennt, nur so in der Tasche, worüber man doch Zweifel hegen könnte. Schubert ist mir ganz anders lieb. Keinen außer Dir wünschte ich so hier zu haben und mit ihm leben zu können, als ihn.
Freilich wenn Du hier wärest, das würde eine herrliche Sache sein. Wie würdest Du alle andern und auch mich in Bewegung setzen; da ich selbst nur mit Mühe das letzte, das erste gar nicht vermag.
Wir wohnen jetzt in demselben Hause, wo auch Du warest, nur wie sich gebührt eine Stiege höher gen Himmel; also Untere Breunerstraße N°1196 im dritten Stock ist die Addresse.
[9] Es bleibt gewiß dabei, daß ich Dir von nun an alle 14 Tage oder auch noch öfter schreibe. Die ohnehin so kurze Zeit müssen wir desto eifriger benutzen. An Zimmer werde ich sogleich selbst schreiben. Freilich wird es mir der Oesterreichische Beobachter nun wohl nicht erlauben, an den Heidelberger Jahrbüchern noch etwas zu leisten. Wäre es Dir doch möglich irgend etwas von dem was Du litterarisch vorhast, für den ersten zu bestimmen? Ich würde eine große Freude darüber haben, und es würde sehr gut wirken. Hast Du noch etwas aus jener Reisebeschreibung liegen, wovon in dem Prometheus eine Probe stand, so wäre das etwas sehr angemessnes; oder auch sonst eines und das andre aus Deinen ungedruckten Papieren. Den Calderon 2ter Theil und die 1te Abtheilung des 2ten Bandes der Vorlesungen habe ich bis jetzt noch nicht erhalten. Herzlich freue ich mich über Deine litterarische Thätigkeit; was auch fertig wird, es wird wichtig und gut sein. Auf die Recension des Niebelungenliedes bin ich ganz besonders begierig. In dieser Rücksicht hätte ich eine Bitte an Dich; daß Du mir nemlich Deine Varianten-Sammlung nach gemachtem Gebrauch, oder noch lieber gleich abschriftlich mittheiltest. Versteht sich nur zu meiner eignen Belehrung, oder wenn ich je in der Folge dessen öffentlich erwähnte, nur an Deiner Statt als aus Deinen Papieren. Das Niebelungenlied wird immer mehr der Mittelpunkt all meiner poetischen Liebe. In ungri[10]schen Chroniken und Sagen habe ich unerwartet viel Wichtiges und Erklärendes dafür gefunden.
Im Tauler finde ich auf gleiche Weise immer mehr den Inbegriff aller Deutschen Prosa und Philosophie. Mein Sinn steht jetzt einzig darauf, ihn ganz und allheile abdrucken zu lassen, so alt und ächt als möglich; dazu muß ich aber das Manuscript aus Straßburg haben. Glaubst Du wohl, daß eine Möglichkeit wäre, entweder durch den Fürsten Schwarzenberg oder durch einen Eurer französischen Freunde dieses zu erhalten? Dann würde ich sehr glücklich sein und flehentlich darum bitten. Sonst war man in Frankreich in dieser Hinsicht sehr liberal, wie Du weißt mit dem Codex der Minnesinger an Bodmer. – Die Gunst und Gönnerschaft des Fürsten Schwarzenberg wird mir übrigens auch ohne alles besondre Anliegen schon an und für sich von sehr hohem Werthe sein. – Meiner Arbeiten während des Sommers habe ich schon erwähnt; denn außer dem erwähnten ist alles andre Entwurf und Manuscript geblieben, wie Du leicht denken kannst. Von den vielen mittelmäßigen Proclamationen ist, dem Himmel sei dank, keine einzige von mir.
Werners Attila ist hier auf der Wieden aufgeführt freilich sehr beschnitten und Grüner abgerechnet, spielen die Pferde besser als die Menschen. Ich werde im [11] Oestreichischen Beobachter meine Meinung darüber sagen. Sein Talent ist gewiß bedeutend, aber es ist auch viel Unsinn dabei. Die mystischen Ansichten möchte ich ihm schon lassen, wenn sie nur andrer Art wären, wenn er nur die Freimaurerei (für ihn doch die Quelle der Quellen) nicht so gar illuminatisch und antichristlich genommen hätte. Grüße ihn übrigens, wenn Du Gelegenheit dazu findest und sage ihm das nur freimüthig in meinem Nahmen.
Mit dem A. Müller hast Du schon Recht; indessen er ist nun einmal ein Opfer der guten Sache geworden. Das verdient schon einige Nachsicht. – Daß ich die Erwähnung Tiecks in meinen Gedichten nicht auch vertilgt, thut mir beinah leid. Indessen er kann noch eine Weile fortsündigen, ehe ich ihm seine Poesie vergesse.
Dem Uebersetzer meines indischen Werks weiß ich für jetzt nichts zu sagen, als alles mögliche Verbindliche was Du nur immer gut und schicklich findest.
– Ich kann mir recht denken, wie manche schmerzliche Gefühle und Erinnerungen Karolinens Tod bei Dir erregt hat. – Was jene frühere Zeit betrift, wo man den Samen des Zwiespalts zwischen uns auszustreuen suchte, so glaube nur daß man Dir damals vieles gesagt hat, was nicht so war. Da Du einmal darauf gekommen bist, so schreibt Dir meine Frau einiges darüber – und dann ist es am besten, jenes [12] Gehässige für immer zu vergessen.
Man erinnert sich Deiner hier noch häufig, besonders auch Czernis die Dich freilich mehr aus der Ferne verehrt als näher gekannt haben. Sie gehören hier zu unserm besten Umgang und sind sehr liebenswürdige Menschen. Auch gegen diese haben sich Tiecks schlecht betragen, indem ihre angebliche Liebe und Freundschaft für diese Leute wieder auf die gewohnte Weise auf eine bloße starke Geldprellerei abgesehen war.
Bei den Heidelbergern und bei der A.[llgemeinen] L.[iteratur] Z.[eitung] möchtest Du wohl in Anregung bringen, wenn es sich fügt, daß sie meine Gedichte nun wohl recensiren lassen können, wenn sie es auch während des Krieges bedenklich fanden. Die französischen Gelehrten haben sich in dieser Hinsicht sehr ehrenvoll betragen, da im Laufe dieses Sommers mehr als eine rühmliche Erwähnung oder Beurtheilung meines indischen Werks in den französischen Blättern vorgekommen.
Ich hoffe auf baldige Nachricht von Dir.
Dein Friedrich
[1] Wien den 16ten Januar 1810.
Geliebter Bruder, ich muß mich nur selbst bei Dir anklagen, daß ich nicht eher und öfter geschrieben, da Du mir so viele und reiche Briefe widmest. – Wenn ich sagte, daß in der letzten Zeit in Ungarn, dann in der ersten Zeit hier bald Geschäfte und Störungen, ferner die Reise, bald auch Unwohlsein und daher entstehende Trägheit die Ursache davon sei, so ist dieses alles freilich mitwirkend, aber der eigentliche Grund war es nicht. – Es hat sich meiner eine fast unüberwindliche Traurigkeit bemächtigt, die mir alle Trieb- und Schwungfedern gelähmt zu haben scheint, und sich in einer allgemeinen Gleichgültigkeit kund giebt. Mein Zustand ist oft schon von der mir sonst gewöhnlichen Stimmung so verschieden gewesen, daß ich geglaubt habe, es müsse eine körperliche Ursache haben, und in Milz, Leber oder dergleichen Zeug was auf die Seele Einfluß hat, irgend etwas nicht recht und ein noch verborgnes Uebel im Entstehen sein. Doch bis jetzt bin ich nicht krank. – Sollte ich Dir die Gegenstände meiner Betrübniß schildern, so wüßte ich es eben so wenig; denn was von den politischen Ereignissen sich äußerlich nennen läßt, das ist es nicht allein. Am häufigsten beschäftigt mich in meinem [2] einsamen Brüten Deine große Reise, an die ich nicht ohne ängstliche Traurigkeit denken kann. Was diese unersetzliche Trennung für einen Einfluß auf mich haben wird, weiß ich noch nicht; wenigstens werde ich dann mich ganz abgeschieden und wie ein Einsiedler und Greis fühlen. – Doch dem sei wie ihm wolle, ich will mich gewaltsam herausreißen; arbeiten wird am besten helfen. Und wir müssen die kurze Zeit vor allem nutzen, da wir noch beisammen sind; denn so muß mir wohl unsre jetzige Entfernung scheinen, gegen die unermeßliche die mich bedroht.
Deinen Rath über alles was die Fortsetzung meiner Werke betrift, werde ich mir wohl zu Herzen nehmen. Nur fängt der Hitzig an sich albern zu betragen; er hat wahrscheinlich kein Geld und sucht Aufschub. Unthätig aber werde ich darum nicht bleiben. Eins von beiden geschieht diesen Winter gewiß, entweder die historische Vorlesung über neuere Geschichte besonders der Deutschen – oder ein Stück wenigstens von Karl dem Vten fertig geschafft. – Das übernommene Geschäft geht ohnehin seinen Gang fort und beginnt nächstens mit neuem Aufschwung. – Sobald ich ein[3]mal Gelegenheit durch einen sichern Reisenden finde, so werde ich Dir ein vollständiges Exemplar der Oesterreichischen Zeitung schicken und bemerken was darin lesenswerth ist. Nächstens wird hier ein Blatt, unter dem Nahmen der oesterreichische Beobachter erscheinen, das zur Hälfte litterarischen Inhalts sein wird, und was ich Dir in dieser Hinsicht empfehle. Ich würde es Dir wohl schicken, aber am sichersten und ordentlichsten erhältst Du es wohl, wenn Du in einer schwäbischen Stadt durch die Post subscribirst. Es fängt an mit dem 1ten Februar.
Die Exemplare Deines Werkes (aber nur den 1ten Theil, noch nicht die 1te Abtheilung des 2ten) habe ich erhalten, und erwarte Deine weitere Anweisung darüber. Collin hat sein Exemplar erhalten, auch an Haschka gab ich eins, der sichs sonst nicht kaufen könnte. An Graf Johann Odonell habe ich unterdessen eins geliehen. Eines aber habe ich auf meine eigne Hand und zwar in Deinem Nahmen verschenkt, an meinen jetzigen Chef den Grafen Metternich, weil ich wußte daß er es sehr gut aufnehmen würde. Sickingen war in Böhmen, wird aber jeden Tag zurück erwartet; sobald er da ist, bringe ich ihm das seine, und berede mit ihm, ob er dem Kaiser eins überreichen will, was ich dann zweckmäßig einbinden lasse.
Daß Hammer in Paris sei, wirst Du vielleicht wissen, Hormayr ist fleißig aber er zersplittert sich immer mehr und wird nun gewiß nie ein Werk zu bilden im Stande sein. Collin ist Hofrath geworden und mit Geschäften überhäuft. – Nachdem das Sonntagsblatt [4] durch die offenbar gewordne Schlechtigkeit seiner Verfasser (Lindner ist mit den Franzosen davon gegangen) für immer erloschen, fallen die Leute mit desto frischerm Wohlbehagen auf den Kotzebue, um so mehr da er sich einigermaßen für die gute oder doch gegen die schlechte Sache herauslassen zu wollen scheint. Das Bedürfniß der Gemeinheit ist eben das einzige Bleibende im Menschen!
In der Litteratur bin ich gegen Dich immer noch sehr zurück, da mir selbst das meiste was unmittelbar vor dem Krieg herausgekommen fremd geblieben war. Außer Schuberts tiefgefühltem und ahndungsvollem Werk über die Nachtseiten pp war mir Sigurd das liebste. Zwar finde ich die Behandlung schon darin verfehlt, daß sie dramatisch ist, wenigstens auf diese Weise. Aber welche göttliche Poesie! Ich möchte wohl näher wissen, aus welchen Quellen er geschöpft und ob er viel geändert hat; verdorben kann er wenigstens nicht viel haben. Die Wahlverwandtschaften finde ich freilich geistreich und dadurch anziehend, aber doch so kalt, das Ende gezwungen, das Ganze zugleich seltsam und gemein. Es gewährt eben wenig Trost noch Freude. – Stolbergs Werk dehnt sich gar zu sehr aus, die moralischen Stellen bleiben von immer gleicher unaussprechlicher Schönheit, aber die historische Ansicht ist allzu beschränkt.
[5] Ich habe in Ungarn in Erfahrung gebracht, daß noch viele unsers Nahmens in und um Hermanstadt vorhanden sind, und werde suchen, nähere Erkundigung einzuziehn. Die Erneuerung des Adels könnte auch für mich [von Wert sein] besonders in der Folge, da ich dadurch sogleich von selbst das ungarische Indigenat, was sonst so äusserst schwer zu bekommen ist, erhielte, auch um so weniger als Fremder betrachtet werden könnte, bei so altoesterreichischer Abstammung. Nur würde ich, wenn es mich allein gölte, wohl noch damit anstehen; man muß hier in Allem sehr Schritt vor Schritt gehen. Noch habe ich nicht einmal die daurende Anstellung statt der bisherigen einstweiligen officiell erhalten. Indessen will ich gleich schreiben, mich erkundigen und alles so einleiten, daß ich es Dir zur Entscheidung vorlegen kann. Auf einen schnellen Gang darf man hier in keinem Falle rechnen.
Wie kömmt es denn, daß Du gar nichts von der Stael schreibst? Sie hat mich wohl ganz vergessen, da ich vielmehr gehofft, meine neue Thätigkeit würde ihre Theilnahme für mich vermehren und neu beleben. Wir erwarten übrigens hier ihr Werk über Deutsche Litteratur mit Ungeduld. – Graf Johann Oʼdonell ist wieder hier, Graf Moritz ist noch in Siebenbürgen bei dem Erzherzog Maximilian. Er war krank, ist aber jetzt wieder besser.
[6] Was die Tiecksche Schauspielergesellschaft betrift, so finde ich Baaders kurze Aeußerungsart über das Ganze, über ihn und die Familie und die divinia comedia welche sie aufzuführen belieben, am angemessensten. Daß sie mich verläugnen, behaupten ich nehme das Christenthum viel zu schwerfällig und einseitig, daß sie dieses selbst in einem gewissen Sinne wieder abschwören, ist mir gar recht, ja ich kann sagen, ich würde es nicht ungern sehen, wenn sie förmlich und feierlich zur Preußischen Religion zurückkehrten. Indessen ist in ihren Anklagen gegen mich auch manches Unsinnige. Unter andern das wegen des Nicht Schreibens aus Landshut. Daß ich, da die Mutter und Schwestern der Stransky, die mich wie alle Leute in Landshut sehr freundschaftlich aufgenommen, grade an sie schrieben, einige Zeilen anfügte, konnte gar keine Folgen haben. Hätte ich aber zu einer Zeit, wo alle Briefe wie sich von selbst verstand, eröffnet wurden, an Tiecks die ohnehin als ausgezeichnete Fremde nur zu sehr die öffentliche Aufmerksamkeit erregt hatten, in dem Sinne geschrieben, wie sie es scheinen [7] erwartet zu haben, so wäre mir dieß als die grösste Tollheit, Zudringlichkeit und Gemeinheit vorgekommen. Aber anders ich und anders sie, die sich auch in dieser Hinsicht ziemlich unsinnig betragen haben. Denn als sie nichts als einen siegreichen Einzug der Oestreicher erwarteten, äußerten sie sich auf das aller revoluzionärste und als ob sie nun daran wären, Land und Leute auf einen andern Fuß zu setzen; da sie doch in jenem Lande gastfreundlich aufgenommen nichts bessres thun konnten, als schweigen, und ihre gute Gesinnung, wenn sie wirklich eine dergleichen hatten, weder verläugnen noch ausprahlen. Daß sie nun ganz umgekehrt seegeln, in die bayrische Pöbelhaftigkeit aus vollen Kräften mit einstimmen, und sich durch Schimpfen auf mich überhaupt besonders aber bei dem alten Gaudieb einzuschmeicheln suchen, das ist ganz dem übrigen angemessen. – Satis superque! – Uebrigens laß Dir was die Christine betrift, nur ja nichts einreden. Mündlich würde ich Dir alles das ganz klar vor Augen stellen können, schriftlich geht es nicht wohl. Aber recht als Tiecks haben sie sich sämtlich gegen diese Frau gezeigt; denn erst waren die Engel im Himmel nicht rein genug gegen sie, nachher [8] sollte sie auf einmal in den tiefsten Koth herunter gerissen werden. Dem ist nicht also; Fehler hat sie, und hat deren auch begangen, aber in einem Athemzug von ihr haucht mehr Seele und Liebe als die ganze Tiecksche Klerisei jemals gefühlt oder geahndet hat.
An Baader habe ich schon oft gewünscht, mich anzuschließen; aber erstlich ist er Meister vom Stuhle und mit diesen Leuten gehe ich gern behutsam um. Und dann scheint er mir auch etwas sehr hochmüthig zu sein; thut er doch, als hätte er alle – hautes sciençes – wie er es nennt, nur so in der Tasche, worüber man doch Zweifel hegen könnte. Schubert ist mir ganz anders lieb. Keinen außer Dir wünschte ich so hier zu haben und mit ihm leben zu können, als ihn.
Freilich wenn Du hier wärest, das würde eine herrliche Sache sein. Wie würdest Du alle andern und auch mich in Bewegung setzen; da ich selbst nur mit Mühe das letzte, das erste gar nicht vermag.
Wir wohnen jetzt in demselben Hause, wo auch Du warest, nur wie sich gebührt eine Stiege höher gen Himmel; also Untere Breunerstraße N°1196 im dritten Stock ist die Addresse.
[9] Es bleibt gewiß dabei, daß ich Dir von nun an alle 14 Tage oder auch noch öfter schreibe. Die ohnehin so kurze Zeit müssen wir desto eifriger benutzen. An Zimmer werde ich sogleich selbst schreiben. Freilich wird es mir der Oesterreichische Beobachter nun wohl nicht erlauben, an den Heidelberger Jahrbüchern noch etwas zu leisten. Wäre es Dir doch möglich irgend etwas von dem was Du litterarisch vorhast, für den ersten zu bestimmen? Ich würde eine große Freude darüber haben, und es würde sehr gut wirken. Hast Du noch etwas aus jener Reisebeschreibung liegen, wovon in dem Prometheus eine Probe stand, so wäre das etwas sehr angemessnes; oder auch sonst eines und das andre aus Deinen ungedruckten Papieren. Den Calderon 2ter Theil und die 1te Abtheilung des 2ten Bandes der Vorlesungen habe ich bis jetzt noch nicht erhalten. Herzlich freue ich mich über Deine litterarische Thätigkeit; was auch fertig wird, es wird wichtig und gut sein. Auf die Recension des Niebelungenliedes bin ich ganz besonders begierig. In dieser Rücksicht hätte ich eine Bitte an Dich; daß Du mir nemlich Deine Varianten-Sammlung nach gemachtem Gebrauch, oder noch lieber gleich abschriftlich mittheiltest. Versteht sich nur zu meiner eignen Belehrung, oder wenn ich je in der Folge dessen öffentlich erwähnte, nur an Deiner Statt als aus Deinen Papieren. Das Niebelungenlied wird immer mehr der Mittelpunkt all meiner poetischen Liebe. In ungri[10]schen Chroniken und Sagen habe ich unerwartet viel Wichtiges und Erklärendes dafür gefunden.
Im Tauler finde ich auf gleiche Weise immer mehr den Inbegriff aller Deutschen Prosa und Philosophie. Mein Sinn steht jetzt einzig darauf, ihn ganz und allheile abdrucken zu lassen, so alt und ächt als möglich; dazu muß ich aber das Manuscript aus Straßburg haben. Glaubst Du wohl, daß eine Möglichkeit wäre, entweder durch den Fürsten Schwarzenberg oder durch einen Eurer französischen Freunde dieses zu erhalten? Dann würde ich sehr glücklich sein und flehentlich darum bitten. Sonst war man in Frankreich in dieser Hinsicht sehr liberal, wie Du weißt mit dem Codex der Minnesinger an Bodmer. – Die Gunst und Gönnerschaft des Fürsten Schwarzenberg wird mir übrigens auch ohne alles besondre Anliegen schon an und für sich von sehr hohem Werthe sein. – Meiner Arbeiten während des Sommers habe ich schon erwähnt; denn außer dem erwähnten ist alles andre Entwurf und Manuscript geblieben, wie Du leicht denken kannst. Von den vielen mittelmäßigen Proclamationen ist, dem Himmel sei dank, keine einzige von mir.
Werners Attila ist hier auf der Wieden aufgeführt freilich sehr beschnitten und Grüner abgerechnet, spielen die Pferde besser als die Menschen. Ich werde im [11] Oestreichischen Beobachter meine Meinung darüber sagen. Sein Talent ist gewiß bedeutend, aber es ist auch viel Unsinn dabei. Die mystischen Ansichten möchte ich ihm schon lassen, wenn sie nur andrer Art wären, wenn er nur die Freimaurerei (für ihn doch die Quelle der Quellen) nicht so gar illuminatisch und antichristlich genommen hätte. Grüße ihn übrigens, wenn Du Gelegenheit dazu findest und sage ihm das nur freimüthig in meinem Nahmen.
Mit dem A. Müller hast Du schon Recht; indessen er ist nun einmal ein Opfer der guten Sache geworden. Das verdient schon einige Nachsicht. – Daß ich die Erwähnung Tiecks in meinen Gedichten nicht auch vertilgt, thut mir beinah leid. Indessen er kann noch eine Weile fortsündigen, ehe ich ihm seine Poesie vergesse.
Dem Uebersetzer meines indischen Werks weiß ich für jetzt nichts zu sagen, als alles mögliche Verbindliche was Du nur immer gut und schicklich findest.
– Ich kann mir recht denken, wie manche schmerzliche Gefühle und Erinnerungen Karolinens Tod bei Dir erregt hat. – Was jene frühere Zeit betrift, wo man den Samen des Zwiespalts zwischen uns auszustreuen suchte, so glaube nur daß man Dir damals vieles gesagt hat, was nicht so war. Da Du einmal darauf gekommen bist, so schreibt Dir meine Frau einiges darüber – und dann ist es am besten, jenes [12] Gehässige für immer zu vergessen.
Man erinnert sich Deiner hier noch häufig, besonders auch Czernis die Dich freilich mehr aus der Ferne verehrt als näher gekannt haben. Sie gehören hier zu unserm besten Umgang und sind sehr liebenswürdige Menschen. Auch gegen diese haben sich Tiecks schlecht betragen, indem ihre angebliche Liebe und Freundschaft für diese Leute wieder auf die gewohnte Weise auf eine bloße starke Geldprellerei abgesehen war.
Bei den Heidelbergern und bei der A.[llgemeinen] L.[iteratur] Z.[eitung] möchtest Du wohl in Anregung bringen, wenn es sich fügt, daß sie meine Gedichte nun wohl recensiren lassen können, wenn sie es auch während des Krieges bedenklich fanden. Die französischen Gelehrten haben sich in dieser Hinsicht sehr ehrenvoll betragen, da im Laufe dieses Sommers mehr als eine rühmliche Erwähnung oder Beurtheilung meines indischen Werks in den französischen Blättern vorgekommen.
Ich hoffe auf baldige Nachricht von Dir.
Dein Friedrich
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