• August Wilhelm von Schlegel to Johann Wolfgang von Goethe

  • Place of Dispatch: Berlin · Place of Destination: Weimar · Date: 15.10.1803
Edition Status: Single collated printed full text with registry labelling
    Metadata Concerning Header
  • Sender: August Wilhelm von Schlegel
  • Recipient: Johann Wolfgang von Goethe
  • Place of Dispatch: Berlin
  • Place of Destination: Weimar
  • Date: 15.10.1803
  • Notations: Empfangsort erschlossen.
    Printed Text
  • Bibliography: August Wilhelm und Friedrich Schlegel im Briefwechsel mit Schiller und Goethe. Hg. v. Josef Körner u. Ernst Wieneke. Leipzig 1926, S. 149‒151.
  • Verlag: Insel Verlag
  • Incipit: „[1] Berlin d. 15 Oct. 1803
    Es hätte mir nicht leicht eine angenehmere Überraschung zu Theil werden können, als die welche [...]“
    Manuscript
  • Provider: Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv
  • Classification Number: GSA 30/243, 89‒92
  • Provenance: Klassik Stiftung Weimar
  • Number of Pages: 4 Blatt, 8 S.
[1] Berlin d. 15 Oct. 1803
Es hätte mir nicht leicht eine angenehmere Überraschung zu Theil werden können, als die welche mir Ihre doppelte, so reichhaltige und freundliche Sendung verschaffte, die ich vor einigen Tagen zusammen erhielt. Ihnen war es vorbehalten, auch den Shakspeare auf unsrer Bühne neu zu beleben, oder ihn vielmehr zuerst recht zur Erscheinung zu bringen, denn bisher waren es doch im besten Falle nur einzelne Hauptrollen, die (durch Schröder oder Fleck) groß ausgefüllt wurden; das Ganze der verstümmelten Stücke kam nicht in Betracht. Eine Darstellung, wo alles in dem gehörigen Sinne ausgedrückt wird, muß wohl immer eine Seltenheit bleiben, weil sie einen dem Dichter verwandten Geist zu ihrer Leitung voraussetzt.
Sonderbar trifft es sich, daß die Aufführung des Julius Caesar gerade jetzt auch bey dem hiesigen Theater in Anregung gebracht war. Iffland hatte, da wir uns [2] nicht sehen, durch Mad. Unzelmann eine Anfrage über die Vermeidung der übermäßig vielen und störenden Decorations-Veränderungen an mich ergehen lassen, worauf ich denn mein Gutachten in einem kurzen Aufsatze dahin gab, daß die, zwar von mir beybehaltnen, Ortsangaben der neueren Englischen Herausgeber den Dichter nichts angehen, daß man sich nur an die wesentlichen Schicklichkeiten zu halten hat, nach welchen dann eine ganz mäßige Anzahl verschiedner Szenen herauskommt.
Ich habe nun, was Sie mir über die Aufführung schreiben, an Mad. Unzelmann mitgetheilt, die es gehörigen Orts wieder erzählt, und so wird durch den Vorgang des Weimarschen Theaters gewiß der Wetteifer hier rege gemacht: allein ich fürchte, daß bey allem guten Willen, und selbst bey viel aufgewandter Mühe der Erfolg dennoch lange nicht derselbe seyn wird. Mit dem Hamlet ist es, wie Sie wissen, schlecht abgelaufen; die Besetzung war in der That [3] auch darnach eingerichtet, und die materiellsten Misverständnisse gingen von einem Ende bis zum andern durch. Dann sind hier durch den Regulus und Coriolan von Collin die Togen schon in einen schlimmen Credit gekommen, so daß man beynahe gähnt, wenn man nur eine sieht. ‒ Ich wünschte um so lebhafter, bey der Aufführung in Weimar gegenwärtig gewesen zu seyn, um, wenn man mich bey den hiesigen Vorbereitungen zu Rathe zieht meine dadurch erlangten Einsichten über die Art, wie jedes gefaßt werden muß, benutzen, und mich auf Sie dabey berufen zu können. Allein von durchgreifender Wirkung kann solch ein Einfluß doch nicht seyn, weil alles sich so schwerfällig bewegt, und es an Direction fehlt. Von solchen Proben, wie Sie sie halten, hat man hier keine Vorstellung, darum halten auch die Vorstellungen meistens die Probe nicht. – Iffland besteht, wie ich höre, auf dem Brutus, da ich ihm doch auf alle Weise zum Antonius rathen [4] würde. Wenn nur nicht andre ähnliche Misgriffe in der Vertheilung geschehen! – Endlich ist es doch eine nothwendige Bedingung bey allen eigentlichen dramatischen Werken, daß man sie durchgängig höre und vernehme, und dieß darf man hier bey der schlechten akustischen Beschaffenheit des Hauses, und der Nachläßigkeit der Schauspieler zusammen schon gar nicht erwarten. – Doch dieß alles unter uns, ich wünschte nicht, daß Iffland sagen könnte, ich sey schon im voraus gegen seine Leistung entschieden gewesen.
Ihr so gütiges Anerbieten, mich bey meinem Besuch in Weimar mit diesem auserlesenen Kunstgenuß zu bewirthen, nehme ich mit lebhaftem Danke an. Es würde ein Bewegungsgrund mehr seyn, ihn zu beschleunigen, wenn es dessen bedürfte; allein leider darf ich meinen Wünschen nicht Gehör geben, dringende Arbeiten nöthigen mich, diese angenehme Erhohlung noch länger zu verschieben als ich dachte. Doch hoffe ich daß jene uns selbst [5] noch mehr erfreuliche Gegenstände der Unterhaltung verschaffen werden. Ich bin nämlich wieder beym Calderon, und in der Übersetzung eines Stückes begriffen, das vielleicht selbst nach vertrauter Bekanntschaft mit denen im ersten Bande in Erstaunen setzen kann.
Da ich mich im November durchaus nicht losmachen kann, wie ich hoffte, so denke ich nun Weihnachten oder zu Anfange des nächsten Jahres einzutreffen, auf jeden Fall werde ich noch während des Winters ein vierzehn Tage zu dieser Reise herausschneiden. Ich werde so frey seyn Ihnen zeitig zuvor genaue Nachricht darüber zu geben, mein Freund Tieck wird mich bey sich beherbergen, und die Stunden, die Ihnen zur Unterhaltung bequem seyn können, werde ich eifrigst benutzen. Was Sie mir dann von Theatralischen Genüssen öffentlich oder in geschloßnem Zirkel wollen zu Theil werden lassen, nehme ich mit dem besten Danke an. Leider habe ich so viel schönes bey Ihnen nicht gesehen, aber von einigem unauslöschliche Eindrücke mitgenommen.
[6] Ihre Einlage an Hrn. Dr Steffens habe ich an dem nemlichen Tage, wo ich sie erhielt, weiter befördert, und bin über die neue ALZ. mit Hofr. Eichstädt in lebhaftem Briefwechsel. Sollten Sie bey der Einladung neuer Mitarbeiter noch nicht an Eschenmaier gedacht haben, so bin ich so frey Sie aufmerksam zu machen. Vielleicht giebt es jetzt keinen andern Arzt in Deutschland, der so viel Physik und Philosophie mit seiner Wissenschaft verbindet. Aus einer meisterhaften Recension von Hufelands Therapie in der ehemaligen Erlanger Zeitung, die, wie mir Schelling versicherte, von ihm herrührt, werden Sie ihn am besten kennen lernen. Ich bin nicht persönlich mit ihm bekannt, weiß auch seinen Aufenthalt nicht, nur daß er in Schwaben lebt.
Da Sie die Rec. nicht auf den bisherigen steifen Fuß einschränken zu müssen glauben, sondern dem Kritiker erlauben wollen, productiv zu seyn, so denke ich im Fache der poetischen Übersetzungen, bey Beurtheilungen [7] fremder Versuche manches zu liefern. So gleich zuerst bey Stolbergs Aeschylus ein beträchtliches Stück der Eumeniden.
Da Hofr. Eichstädt meine Zweifel wegen einer weiter zurückzugehenden Übersicht im Fache der schönen Literatur hebt, so entschließe ich mich gern dazu, aber freylich ist dieß eine Arbeit, die sich nicht so schnell fertigen läßt. Auf die sonst versäumten Schriften will ich die letzten Jahrgänge der ALZ. baldigst durchgehn.
Leben Sie recht wohl, und empfangen Sie nochmals meinen herzlichsten Dank für die Wärme, womit Sie bey dem Eifer, den Sie der Darstellung des Shakspeare widmeten, auch meines untergeordneten Antheils an der Vollendung derselben gedachten. Sie wird mir ein Antrieb mehr bey der nächstens vorzunehmenden Fortsetzung meiner Arbeit. Leben Sie heiter und gesund.
AWSchlegel
[8]
[1] Berlin d. 15 Oct. 1803
Es hätte mir nicht leicht eine angenehmere Überraschung zu Theil werden können, als die welche mir Ihre doppelte, so reichhaltige und freundliche Sendung verschaffte, die ich vor einigen Tagen zusammen erhielt. Ihnen war es vorbehalten, auch den Shakspeare auf unsrer Bühne neu zu beleben, oder ihn vielmehr zuerst recht zur Erscheinung zu bringen, denn bisher waren es doch im besten Falle nur einzelne Hauptrollen, die (durch Schröder oder Fleck) groß ausgefüllt wurden; das Ganze der verstümmelten Stücke kam nicht in Betracht. Eine Darstellung, wo alles in dem gehörigen Sinne ausgedrückt wird, muß wohl immer eine Seltenheit bleiben, weil sie einen dem Dichter verwandten Geist zu ihrer Leitung voraussetzt.
Sonderbar trifft es sich, daß die Aufführung des Julius Caesar gerade jetzt auch bey dem hiesigen Theater in Anregung gebracht war. Iffland hatte, da wir uns [2] nicht sehen, durch Mad. Unzelmann eine Anfrage über die Vermeidung der übermäßig vielen und störenden Decorations-Veränderungen an mich ergehen lassen, worauf ich denn mein Gutachten in einem kurzen Aufsatze dahin gab, daß die, zwar von mir beybehaltnen, Ortsangaben der neueren Englischen Herausgeber den Dichter nichts angehen, daß man sich nur an die wesentlichen Schicklichkeiten zu halten hat, nach welchen dann eine ganz mäßige Anzahl verschiedner Szenen herauskommt.
Ich habe nun, was Sie mir über die Aufführung schreiben, an Mad. Unzelmann mitgetheilt, die es gehörigen Orts wieder erzählt, und so wird durch den Vorgang des Weimarschen Theaters gewiß der Wetteifer hier rege gemacht: allein ich fürchte, daß bey allem guten Willen, und selbst bey viel aufgewandter Mühe der Erfolg dennoch lange nicht derselbe seyn wird. Mit dem Hamlet ist es, wie Sie wissen, schlecht abgelaufen; die Besetzung war in der That [3] auch darnach eingerichtet, und die materiellsten Misverständnisse gingen von einem Ende bis zum andern durch. Dann sind hier durch den Regulus und Coriolan von Collin die Togen schon in einen schlimmen Credit gekommen, so daß man beynahe gähnt, wenn man nur eine sieht. ‒ Ich wünschte um so lebhafter, bey der Aufführung in Weimar gegenwärtig gewesen zu seyn, um, wenn man mich bey den hiesigen Vorbereitungen zu Rathe zieht meine dadurch erlangten Einsichten über die Art, wie jedes gefaßt werden muß, benutzen, und mich auf Sie dabey berufen zu können. Allein von durchgreifender Wirkung kann solch ein Einfluß doch nicht seyn, weil alles sich so schwerfällig bewegt, und es an Direction fehlt. Von solchen Proben, wie Sie sie halten, hat man hier keine Vorstellung, darum halten auch die Vorstellungen meistens die Probe nicht. – Iffland besteht, wie ich höre, auf dem Brutus, da ich ihm doch auf alle Weise zum Antonius rathen [4] würde. Wenn nur nicht andre ähnliche Misgriffe in der Vertheilung geschehen! – Endlich ist es doch eine nothwendige Bedingung bey allen eigentlichen dramatischen Werken, daß man sie durchgängig höre und vernehme, und dieß darf man hier bey der schlechten akustischen Beschaffenheit des Hauses, und der Nachläßigkeit der Schauspieler zusammen schon gar nicht erwarten. – Doch dieß alles unter uns, ich wünschte nicht, daß Iffland sagen könnte, ich sey schon im voraus gegen seine Leistung entschieden gewesen.
Ihr so gütiges Anerbieten, mich bey meinem Besuch in Weimar mit diesem auserlesenen Kunstgenuß zu bewirthen, nehme ich mit lebhaftem Danke an. Es würde ein Bewegungsgrund mehr seyn, ihn zu beschleunigen, wenn es dessen bedürfte; allein leider darf ich meinen Wünschen nicht Gehör geben, dringende Arbeiten nöthigen mich, diese angenehme Erhohlung noch länger zu verschieben als ich dachte. Doch hoffe ich daß jene uns selbst [5] noch mehr erfreuliche Gegenstände der Unterhaltung verschaffen werden. Ich bin nämlich wieder beym Calderon, und in der Übersetzung eines Stückes begriffen, das vielleicht selbst nach vertrauter Bekanntschaft mit denen im ersten Bande in Erstaunen setzen kann.
Da ich mich im November durchaus nicht losmachen kann, wie ich hoffte, so denke ich nun Weihnachten oder zu Anfange des nächsten Jahres einzutreffen, auf jeden Fall werde ich noch während des Winters ein vierzehn Tage zu dieser Reise herausschneiden. Ich werde so frey seyn Ihnen zeitig zuvor genaue Nachricht darüber zu geben, mein Freund Tieck wird mich bey sich beherbergen, und die Stunden, die Ihnen zur Unterhaltung bequem seyn können, werde ich eifrigst benutzen. Was Sie mir dann von Theatralischen Genüssen öffentlich oder in geschloßnem Zirkel wollen zu Theil werden lassen, nehme ich mit dem besten Danke an. Leider habe ich so viel schönes bey Ihnen nicht gesehen, aber von einigem unauslöschliche Eindrücke mitgenommen.
[6] Ihre Einlage an Hrn. Dr Steffens habe ich an dem nemlichen Tage, wo ich sie erhielt, weiter befördert, und bin über die neue ALZ. mit Hofr. Eichstädt in lebhaftem Briefwechsel. Sollten Sie bey der Einladung neuer Mitarbeiter noch nicht an Eschenmaier gedacht haben, so bin ich so frey Sie aufmerksam zu machen. Vielleicht giebt es jetzt keinen andern Arzt in Deutschland, der so viel Physik und Philosophie mit seiner Wissenschaft verbindet. Aus einer meisterhaften Recension von Hufelands Therapie in der ehemaligen Erlanger Zeitung, die, wie mir Schelling versicherte, von ihm herrührt, werden Sie ihn am besten kennen lernen. Ich bin nicht persönlich mit ihm bekannt, weiß auch seinen Aufenthalt nicht, nur daß er in Schwaben lebt.
Da Sie die Rec. nicht auf den bisherigen steifen Fuß einschränken zu müssen glauben, sondern dem Kritiker erlauben wollen, productiv zu seyn, so denke ich im Fache der poetischen Übersetzungen, bey Beurtheilungen [7] fremder Versuche manches zu liefern. So gleich zuerst bey Stolbergs Aeschylus ein beträchtliches Stück der Eumeniden.
Da Hofr. Eichstädt meine Zweifel wegen einer weiter zurückzugehenden Übersicht im Fache der schönen Literatur hebt, so entschließe ich mich gern dazu, aber freylich ist dieß eine Arbeit, die sich nicht so schnell fertigen läßt. Auf die sonst versäumten Schriften will ich die letzten Jahrgänge der ALZ. baldigst durchgehn.
Leben Sie recht wohl, und empfangen Sie nochmals meinen herzlichsten Dank für die Wärme, womit Sie bey dem Eifer, den Sie der Darstellung des Shakspeare widmeten, auch meines untergeordneten Antheils an der Vollendung derselben gedachten. Sie wird mir ein Antrieb mehr bey der nächstens vorzunehmenden Fortsetzung meiner Arbeit. Leben Sie heiter und gesund.
AWSchlegel
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